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Drittes Kapitel.

Das Haus der Fouans lag am Eingang des Dorfes Rognes unmittelbar an der von Cloyes nach Bazoches-le-Doyen führenden Straße. Als der Alte am Montag früh morgens um sieben Uhr in die Türe trat, um sich zum Treffpunkt bei der Kirche zu begeben, stand seine Schwester, »die Große«, trotz ihrer achtzig Jahre, bereits auf der Schwelle ihres nebenanliegenden Häuschens.

Die Fouans lebten seit Jahrhunderten in dem Orte. Ehemals Hörige der Rognes-Bouqueval, eines Adelsstammes, von dessen einstigem Ansehen nur noch spärliche Reste eines zerstörten Schlosses zeugten, mochten sie unter Philipp dem Schönen freigegeben sein. Danach wurden sie Grundbesitzer, indem sie einen oder vielleicht zwei Morgen Land, die sie zehnmal schon mit Schweiß und Blut bezahlt, ihrem Herrn abkauften, als er sich gerade in Geldverlegenheit befand. Dann begann der lange Kampf, um diesen Besitz zu festigen und zu mehren; ein vierhundertjähriges leidenschaftliches Ringen, das sich von den Vätern auf die Sohne fortgesetzt. Flecken Acker wurden verloren und wieder erworben; der ganze Grund stand unzähligemal in Frage; gewaltige Steuern drohten die Hinterlassenschaft der Eltern in den Händen der Kinder zu zerschmelzen. Dennoch gelang es dem hartnäckigen Besitzhunger der Leute, nach und nach die Äcker und Wiesen zu vergrößern. Geschlecht auf Geschlecht verblutete in diesem Kampf, ihr Schweiß düngte die Erde. Als die Revolution von 1789 heranbrach, besaß der damalige Fouan, Namens Joseph-Casimir, einundzwanzig Morgen Land, welche die Familie durch vierhundertjährige Anstrengung dem ehemaligen Herrengut abgerungen.

Im Jahre 1793 war dieser Joseph-Casimir siebenundzwanzig Jahre alt. Als die von der Grafschaft übriggebliebenen Ländereien zum Volkseigentum erklärt und auf dem Wege öffentlicher Versteigerung verkauft wurden, war es sein heißester Wunsch, ein paar Hektar dieser Gründe zu erwerben. Die Rognes-Bouqueval waren verschuldet und ruiniert, ihr Schloß war zerfallen, und seit langer Zeit schon befand sich die Farm Borderie in den Händen der Gläubiger, die drei Viertel des Grund und Bodens brachliegen ließen. Neben einem von Casimirs Äckern lag ein großes Stück Feld, nach dem der Bauer ein besonders heftiges Verlangen trug. Aber die Ernten waren schlecht gewesen; er besaß kaum hundert Taler Ersparnisse, die er in einem Topf hinter dem Herde verwahrt hielt; und wenn ihm auch einen Augenblick der Gedanke gekommen war, bei einem Geldleiher von Cloyes ein Anlehen zu machen, hielt ihn doch seine besorgte Vorsicht davon zurück. Dies adelige Gut flößte ihm überdies eine geheime Scheu ein; wer weiß, ob die Edelleute es nicht eines Tages zurückforderten? So zwischen Sehnen und Furcht hin und her schwankend, erlebte er den großen Schmerz, daß die Borderie bei der Versteigerung, Parzelle nach Parzelle, um den fünften Teil ihres Wertes von einem Bürger von Chateaudun, Isidor Hourdequin, einem früheren Beamten des Salzsteueramtes, erstanden wurde.

An seinem Lebensabende verteilte Joseph-Casimir die einundzwanzig Morgen zu gleichen Teilen an drei Kinder: Marianne und die Söhne Ludwig und Michel, während seine zweite Tochter Laura, welche die Näherei erlernt hatte und in Ghateaudun in einem Geschäfte arbeitete, mit Geld entschädigt wurde. Spätere Heiraten hoben die Besitzgleichheit zwischen den drei beteiligten Geschwistern wieder auf. Während Marianne Fouan, die »Große« genannt, einen Nachbar Anton Pechard ehelichte, der ungefähr achtzehn Morgen besaß, heiratete Michel Fouan, »Mouche« mit Beinamen, ein Mädchen, dem sein Vater nur zwei Äcker Weingarten hinterließ. Ludwig Fouan hinwiederum nahm Rose Maliverne zum Weib und bekam mit ihr zwölf Morgen mit, so daß er also die neunundeinenhalben Hektar Land vereinigte, die er jetzt seinerseits unter seine Kinder zu teilen im Begriff stand.

Die Große wurde in der Familie nicht nur wegen ihres höheren Alters, sondern besonders ihres Vermögens halber von allen geachtet. Grad und hoch gewachsen, mager und knochig, trug sie, einem Raubvogel vergleichbar, einen fleischlosen Schädel auf einem langen, welken und blutroten Halse. Die große Familiennase war bei ihr zu einer Art schnabelförmigem Haken gebogen; sie hatte runde, stiere Augen und besaß kein einziges Haar mehr unter dem gelben Kopftuch, das sie niemals ablegte; hatte aber dafür noch alle ihre Zähne, ein furchtbares Gebiß, das befähigt schien, von Kieselsteinen zu leben. Sie hielt stets in der erhobenen Rechten einen Stecken, womit sie auf Vieh und Menschen losschlug. Frühzeitig Witwe geworden, verstieß sie das einzige, ihrer Ehe entsprossene Kind, eine Tochter, weil diese gegen ihren Willen einen armen Burschen, Vinzenz Bouteroue, geheiratet. Selbst jetzt, nachdem die beiden im Elend gestorben waren, vermochte sie nicht zu verzeihen und ließ ihre Enkelkinder, die zweiunddreißigjährige Palmyre und den vierundzwanzigjährigen Hilarion in Not verkommen, ohne nur zu erlauben, daß man ihrer in ihrer Gegenwart Erwähnung tat. Seit dem Tode ihres Gatten leitete sie in Person die Bestellung ihrer Liegenschaften; hielt drei Kühe, ein Schwein und einen Knecht, die sie am gemeinsamen Spülichtfaß nährte, und die ihr alle mit zitternder Furcht gehorchten.

Als Fouan die Schwester unter ihrer Türe erblickte, trat er grüßend hinzu. Sie war zehn Jahre älter als er; ihre Härte, ihr Geiz, ihr halsstarriges Festhalten am Besitz und am Leben zwangen ihm dieselbe Achtung und Bewunderung ab, welche das ganze Dorf der Alten zollte.

»Soeben wollte ich zu dir, Große, um dir die Sache mitzuteilen: Ich hab' mich entschlossen, ich geh' hinauf wegen der Schenkung.«

Sie fuchtelte mit ihrem Stocke durch die Luft, ohne zu antworten.

»Letzthin wollte ich dich noch mal um Rat fragen; aber ich habe angeklopft, und niemand antwortete.«

Jetzt brach sie mit ihrer keifenden Stimme los:

»Dummkopf! ... Ich hab' dir Rat genug gegeben! Man muß gar feig sein und viehdumm, um auf sein Eigentum Verzicht zu leisten, solange man lebt! Ich würde, und wenn man mich umbrächte, nein sagen bis zum letzten Atemzuge ... In anderen Händen sehen, was einem selbst gehört, sich vor die Tür setzen, den Bankerten zulieb! o nein! o nein!«

»Aber,« versetzte Fouan, »wenn man nicht mehr arbeiten kann, und wenn das Land darunter leidet ...«

»Soll's leiden!... Eh' ich ein Ar davon hergäbe, ginge ich jeden Morgen hinaus und schaute zu, wie die Disteln darauf wachsen!«

Sie richtete sich noch höher vor ihm auf und reckte den Hals wie ein alter Geier, der die Federn verloren; und mit dem Stock auf seine Schultern tappend, wie um ihm recht gründlich ihre Worte einzuprägen, rief sie:

»Hör' es und merk's dir: Wenn du gar nichts mehr hast und deine Kinder alles, so werden sie dir selbst einen Bissen Brot verweigern, und du kannst mit einem Bettelsack herumziehen wie ein Lump ... Aber laß dir nicht einfallen, dann etwa an meine Tür zu klopfen; ich hab' dich gewarnt, dir geschieht recht ... Weißt du, was ich täte, wenn du zu mir kämst, he? Willst du's wissen?«

Ruhig und unterwürfig wartete er. Sie aber trat ins Haus, warf die Türe dröhnend hinter sich ins Schloß, indem sie kreischte:

»Das würde ich tun! Krepier' auf der Straße!«

Fouan blieb einen Augenblick unbeweglich vor dieser geschlossenen Türe; dann zuckte er ergeben die Achseln und begann den Fußweg zur Kirche emporzusteigen. Gerade dort stand das alte Stammhaus der Fouans, das sein Bruder Michel, genannt »Mouche«, als Erbteil erhalten, während das Haus, das er selbst unten an der Straße bewohnte, ihm von seiner Frau überkommen war. Mouche war seit Jahren verwitwet und lebte allein mit seinen beiden Töchtern, Lise und Franziska. Verbittert gegen das Geschick, mit fortwährender Reue seiner armen Heirat gedenkend, warf er noch heute nach vierzig Jahren Bruder und Schwester vor, daß sie ihn bei der Verteilung des väterlichen Gutes übers Ohr gehauen. Jedem, der es hören wollte, erzählte er ausführlich, wie ihm die Geschwister bei der Verlosung das schlechteste Los übriggelassen; eine Behauptung, die schließlich wahr geworden schien, denn Mouche war sein Lebtag ein so arbeitsunlustiger Stänkerer gewesen, daß sein Anteil im Laufe der Jahre die Hälfte des Wertes eingebüßt hatte. Der Mann macht die Erde, sagt man in der Beauce.

An jenem Morgen befand sich Mouche ebenfalls vor seiner Türe. Er lauerte dem Bruder auf; denn die Vermögensabtretung erweckte seinen alten Groll und interessierte ihn aufs höchste, obwohl er für sich selbst nicht das Geringste zu erwarten hatte. Als aber jetzt Fouan den Weg emporklomm, wollte er ihm zeigen, wie wenig ihn das alles berühre, und schlug ihm wie die Schwester die Türe vor der Nase zu.

Bei der Kirche warteten Delhomme und Jesus, zwanzig Meter einer vom andern entfernt. Der Alte näherte sich dem ersteren: der Sohn trat ebenfalls herzu, und alle drei spähten, ohne sich mit einer Silbe begrüßt zu haben, schweigend den Pfad entlang, der am Rande der Anhöhe hinlief.

»Da kommt er,« ließ sich endlich Hyazinth vernehmen.

Er meinte Grosbois, den beeideten Feldmesser, einen Bauer aus Magnolles nahe Cloyes. Die Kenntnis des Lesens und Schreibens hatte diesen Mann verdorben. Von Orgères bis Beaugency zur Erledigung der vorkommenden Feldmessungen berufen, überließ er die Bewirtschaftung seines Grundstücks seinem Weibe und gewöhnte sich auf den immerwährenden Fahrten über Land dermaßen das Trinken an, daß er überhaupt nie mehr nüchtern anzutreffen war. Er war sehr beleibt, schaute mit seinen sechzig Jahren höchst stattlich aus und hatte ein hochrotes, über und über mit violetten Pickeln besätes Gesicht. Auch heute war er trotz der frühen Morgenstunde total betrunken infolge eines Gelages, das die Weinbauern von Montigny bei Gelegenheit einer Erbschaftsteilung am Vorabend veranstaltet. Doch das hinderte ihn keineswegs in seiner Tätigkeit; im Gegenteil, je mehr er trank, um so heller ward sein Blick; nie passierte ihm ein Irrtum in der Vermessung oder ein Rechenfehler. Er stand im Geruche großer Schlauheit und wurde deshalb allgemein geachtet, und seine Meinung pflegte den Ausschlag zu geben.

»Nun? Sind wir beisammen?« rief er. »Also ans Werk.« Ein zerlumpter, schmutziger Bursch von vielleicht zwölf Jahren erschien in seinem Gefolge. Unter dem Arme trug der Junge die Kette, auf der Schulter hingen ihm Meßstange und Fuß; während er in der freien Hand ein in zerrissener Kartonschachtel steckendes Winkelmaß schlenkerte.

In der Ferne sah man Buteau unbeweglich neben dem größten Ackerfeld Fouans warten; dorthin machten sich die Männer auf den Weg. Es war ein vielleicht zwei Hektar messender Acker, der unmittelbar neben der Kleewiese lag, auf der Franziska vor einigen Tagen von der Kuh geschleift worden. Grübelnd stand dort der junge Bauer; als die anderen herantraten, bückte er sich, ergriff eine Handvoll Erde und ließ sie langsam durch die Finger rollen, wie um riechend und wägend die Beschaffenheit des Bodens abzuschätzen.

»Hier!« nahm Grosbois wieder das Wort und zog aus seiner Tasche ein fettgegriffenes Büchlein hervor, »ich habe bereits einen genauen Plan jedes einzelnen Feldes aufgenommen, wie ihr's verlangt habt, Papa Fouan. Jetzt gilt's das Ganze in drei Teile sondern; und das, Kinder, wollen wir zusammen tun ... Also laßt hören, wie ihr euch die Sache denkt.«

Ein kalter Wind jagte große Wolken über den Himmel. Die Gefilde von Beauce dehnten sich unter diesem trüben Grau aus. Keiner der fünf Männer, schien es, spürte den harten Luftzug, der ihnen die Blusen aufblähte und ihre Kopfbedeckung fortzutragen drohte. Festtäglich für den ernsten Akt herausgeputzt, standen sie wortlos inmitten der unabsehbaren Flur mit den starrsinnenden Gesichtern von Matrosen, die auf der grenzenlosen Fläche des Meeres einsam leben. Die Beauce mit ihrem flachen, fruchtbaren Boden, der sich leicht bebaut und doch der unausgesetzt schaffenden Arbeitshand des Bauern nicht entraten kann, hat den Beauceronen kühl und überlegt gemacht und keine andere Leidenschaft in ihm genährt wie die Liebe zur Mutter Erde.

»Es muß jedes Stück in drei Teile geteilt werden,« brach endlich Buteau das Schweigen.

Grosbois schüttelte den Kopf. Im Verkehr mit den reichen Großgrundbesitzern waren fortschrittliche Anschauungen in ihm erwacht, so daß er sich seinen minder begüterten Kunden gegenüber gar oft im Widerspruch befand; vornehmlich pflegte er sich gegen die übertriebene Zerstückelung des Bodens zu erklären.

»Sind die Fleckchen Land so groß wie Taschentücher nicht ein zeitraubender Verderb für den Landmann?« meinte er. »Kann in solchen Gärtchen überhaupt von einer gesunden Wirtschaft die Rede sein? ist es möglich, darin mit Maschinen zu arbeiten? darf an eine regelrechte Anwendung des Koppelsystems dabei gedacht werden? Nein, das einzig Wahre ist, sich verständigen: der eine nimmt Wiesen, der andere Äcker; man sucht, die Teile gleichwertig zu machen, aber zerschneidet nicht das Feld wie einen Eierkuchen.«

Buteau, der gern scherzte, rief:

»Wenn mir nur Wiese zufällt, was soll ich dann essen? Gras, nicht wahr? ... Nein, nein, ich will von allem, ich brauche Heu für Pferd und Kuh, Getreide und Wein für mich.«

Fouan nickte beistimmend. In dieser Weise war vom Vater auf den Sohn von jeher geteilt worden, die neuen Erwerbungen und der durch die Heiraten überkommene Grund hatten dann die Besitzanteile mit der Zeit wieder abgerundet.

Delhomme als Eigentümer von fünfundzwanzig Hektaren fast wohlhabend dachte weniger kleinlich; doch zeigte er sich versöhnlich, denn er war in Vertretung seiner Frau hauptsächlich nur deshalb erschienen, damit er nicht bei der Vermessung übervorteilt werden könne.

Jesus hinwieder hatte sich bereits abseits getrollt. Die Taschen mit Kieselsteinen gefüllt, stellte er den Lerchen nach. Hielt einer dieser kleinen Vögel, durch den Wind belästigt, in seinem trillernden Flug inne und schwebte nur zwei Sekunden lang mit zitterndem Flügelschlag unbeweglich in der Luft, so traf ihn Hyazinths fabelhaft sicherer Wurf. Bald stürzten drei Lerchen blutend aufs Feld, er schob sie ruhig in die Tasche.

»Also weiter, genug gestritten!« schnitt Buteau die Verhandlung ab; den Feldmesser duzend, setzte er aufgeräumt hinzu: »Zerschneid' uns das hier in drei Stücke; aber nicht in sechs, denn mir scheint, du siehst heut morgen Chartres und Orleans auf einmal!«

Grosbois maß ihn verdrießlich:

»Mein Junge, sei mit so hellen Augen so betrunken wie ich, wenn du's fertig bringst!... Wer von euch nimmt's mit mir auf beim Messen?«

Niemand nahm die Herausforderung an. Triumphierend rief er seinen Burschen, der verdutzt der geschickten Vogeljagd zugeschaut. Schon war das Winkelmaß gerichtet, die Meßstangen wurden in den Boden getrieben... da unterbrach ein neuer Streit die eben begonnene Arbeit. Es fragte sich, in welcher Richtung der Acker zu teilen sei. Der Feldmesser, sowie Fouan und Delhomme wollten den Grund in drei mit der Aigre parallel gehende Streifen zerlegen. Buteau hingegen verlangte, daß diese Streifen im rechten Winkel gegen das Tal hinliefen; da die Ackerkrume seiner Behauptung nach immer schwächer wurde, je mehr man sich dem Talrand näherte. Bei dieser Teilung erklärte er, erhalte jeder ein Stück von dem weniger guten Boden; bei der andern Teilungsart dagegen müsse notwendigerweise einem von ihnen ein durchwegs minderwertiger Grund zufallen. Aber Fouan wurde böse; er versicherte, das Erdreich sei überall dasselbe, und erinnerte daran, daß bei der einstigen Teilung zwischen ihm, Mouche und der Großen ganz in derselben Weise vorgegangen sei; Beweis, daß die zwei Hektar seines Bruders sich parallel mit dem Tal hinter seinem Acker dahinstreckten. Delhomme seinerseits machte eine entscheidende Bemerkung: Angenommen selbst, meinte er, der untere Feldstrich sei etwas weniger fruchtbar, so werde sein Besitzer für diesen Ausfall schadlos gehalten durch die Anlage der Landstraße, welche die Gemeinde demnächst am Rande der Anhöhe entlang zu bauen gedachte.

»Jawohl!« schrie Buteau. »Die famose Chaussee von Rognes über die Borderie nach Chateaudun! Da könnt ihr alt werden, eh's dahin kommt!«

Als man ungeachtet seines Einspruchs in jenem Sinne entschied; fuhr er fort, zähneknirschend dagegen zu protestieren.

Jesus war jetzt ebenfalls hinzugetreten; und alle beobachteten unverwandten Blickes, wie Grosbois die Grenzlinien zog; mißtrauisch bewachten sie jede seiner Hantierungen, als hätten sie ihn im Verdacht, er wolle einen der Teile um einen Zentimeter begünstigen. Dreimal legte Delhomme sein Auge an die Lugritze des Winkelmaßes, um sich zu vergewissern, daß die Schnur regelrecht gezogen war. Jesus schalt fluchend den Burschen, der nach seiner Meinung die Kette nicht gerade spanne. Besonders Buteau verfolgte Schritt um Schritt das Tun, zählte die Meter, überrechnete nach seiner Art jede Aufstellung mit bebenden Lippen. In der immer mehr angestachelten Begier nach Besitz, in der Freude, daß er bald ein Stück Land sein nennen werde, grollte, mehr und mehr wachsend, der bittere Schmerz empor, daß er nicht alles bekomme. Es wäre so schön gewesen, diese zwei Hektar! Er hatte für die Teilung gestimmt, damit kein anderer den ganzen Acker bekomme, weil er ihn nicht bekommen konnte; jetzt blutete ihm das Herz bei der Vermessung, und er grübelte verzweifelt, ob es kein Mittel gebe, die Sache zu umgehen.

Fouan stand mit hängenden Armen und sah stumm zu, wie sein Eigentum zerstückt wurde.

»Fertig!« rief Grosbois. »Der Strich, oder der, oder der da, ich steh' dafür gut, daß in keinem auch nur ein Pfund Erde mehr ist als in dem andern.«

Auf derselben Anhöhe gehörten Fouan noch vier Hektar Ackerland, die jedoch in vielleicht zehn kleine Felder zerfielen, von denen keines einen ganzen Hektar maß. Eines dieser Stücke war nicht größer als zwölf Ar, und als der Feldmesser spottend fragte, ob man es ebenfalls in drei Teile zerlegen wolle, begann der Streit von neuem.

Buteau hatte sich wieder gebückt und ergriff eine Handvoll Erde, die er seinem Gesicht näherte, als wolle er sie kosten. Ein Zucken seiner Nasenflügel schien zu verraten, daß er diesen Grund für den besten halte. Langsam ließ er die Erde durch die Finger gleiten und erklärte: wolle man ihm dies Feld überlassen, sei es ihm recht, wenn es ungeteilt bleibe, andernfalls aber bestehe er auf der Zerstückelung. Delhomme und Jesus protestierten laut und verlangten ihre vier Ar. Das Feld wurde vermessen: so war jeder der drei wenigstens sicher, daß keiner etwas besitze, was den beiden anderen vorenthalten blieb.

»Auf zum Weingarten!« mahnte Fouan. Doch als man sich der Kirche näherte, warf der alte Mann über die weite Ebene einen letzten Blick, der bis zu dem fernen Gehöft der Borderie schweifte. Er dachte an die einst versäumte Versteigerung der vom Staate eingezogenen Ländereien, und ein Ausruf untröstlichen Bedauerns entrang sich seiner Brust:

»Wenn der Vater klug gewesen wäre, hättet Ihr heut dies alles zu vermessen, Grosbois.«

Die beiden Söhne und der Schwiegersohn wandten sich um bei diesen Worten. Alle machten halt, und ihre Augen wanderten langsam über die dreihundert zur Farm gehörenden Hektar.

»Bah!« brummte Buteau und setzte seinen Weg fort. »Da haben wir was davon! Immer sind es die Bürger, die uns alles vorwegnehmen.«

Es schlug zehn Uhr, die Hauptarbeit war beendet. Doch sie beeilten ihre Schritte; der Wind hatte nachgelassen, und aus einer großen Wolke fielen die ersten Tropfen zur Erde. Die wenigen Weingärten von Rognes lagen jenseits der Kirche auf dem bis zur Aigre hinabsteigenden Hang. Ehemals befand sich das Schloß mit seinem Park auf diesem Fleck. Erst seit etwa einem halben Jahrhundert hatten die Bauern, durch die Erfolge des Weinbaues in Motigny bei Cloyes ermutigt, sich entschlossen, auf diesem Gelände Reben zu pflanzen, eine Anpflanzung, zu der das Gebiet mit seiner südlichen Lage und dem abschüssigen Boden geradezu bestimmt schien. Der Wein selbst war nicht gehaltreich, aber von einer angenehmen Herbheit, welche an die leichten Weine aus der Umgegend von Orleans erinnerte. Übrigens erntete jeder Einwohner kaum ein paar Stückfaß; der reichste, Delhomme, besaß sechs Morgen Weingarten. Der Getreidebau und die Wiesenkultur waren und blieben die Hauptbeschäftigung der Bauern.

Sie umgingen die Kirche und schritten längst des verfallenen Pfarrhofes hin, In dem die Gemeinde den Feldhüter einquartiert hatte; dann stiegen sie zwischen den gleich Dambrettfeldern geschnittenen, kleinen Parzellen hinab. Als sie über ein steiniges, mit Zwergholz bestandenes Feld kamen, rief ihnen aus einem Loch hervor eine gellende Stimme entgegen:

»Vater, es wird regnen, ich treib' meine Gänse aus.«

Es war »Dreckbatzen«, die Tochter von Jesus, ein zwölfjähriges Kind mit blondem, struppigem Haar und mager wie ein Besenstiel. Ihr großer Mund war an der linken Seite zu einer Grimasse verwachsen; sie hatte grüne Augen, die so keck dreinblickten, daß man sie in der mit einem Strick umwundenen Bluse ihres Vaters, die sie an Stelle eines Kleides trug, eher für einen Knaben als für ein Mädchen gehalten hatte. Wenn sie trotz ihres schönen Namens Olympia von aller Welt Dreckbatzen genannt wurde, so hatte das seinen Ursprung darin, daß Jesus, der den ganzen Tag auf das Kind brummte und schalt, nicht imstande war, mit ihm zu reden, ohne dieses Schimpfwort zu gebrauchen.

Er besaß dies verwahrloste Geschöpf von einer Landstreicherin, die er einst auf einem Jahrmarkt von der Straße aufgelesen und zum Ärgernis des Dorfes in seine Höhle einquartiert hatte. Drei Jahre lang traktierte sich das saubere Paar mit groben Worten und Püffen; dann war eines Tages zur Erntezeit die Dirne verschwunden, wie sie gekommen, vermutlich von einem andern Manne entführt. Das noch nicht zweijährige Kind ließ sie zurück; wie Unkraut wuchs es auf, machte seinem Vater die Suppe, seit es gehen konnte, und liebte ihn mit zitternder Verehrung. Die Leidenschaft der Kleinen waren ihre Gänse. Zuerst hatte sie nur zwei, ein Männchen und ein Weibchen, die sie als ganz junge Tierchen hinter der Hecke einer Farm gestohlen; aber dank ihrer zärtlichen Fürsorge war nach und nach ein ganzer Trupp herangewachsen, und gegenwärtig besaß sie zwanzig Stück, die sie mit allerhand zusammengeraubtem Futter ernährte.

Als die Kleine jetzt mit ihrem kecken Geißgesicht erschien und ihre Gänse mit einem Stecken vor sich hertrieb, schrie Jesus sie an:

»Daß du mir die Suppe nicht vergißt, oder ich treib dich heim, du Dreckbatzen! ... Und willst du sofort die Tür zuschließen, daß nicht die Diebe ins Haus kommen!«

Buteau spöttelte, und auch Delhomme und die anderen mußten lächeln, so komisch erschien ihnen der Gedanke, daß Jesus von Dieben heimgesucht werden könne. Man mußte dies »Haus« sehen. Es waren die letzten Reste des Schlosses, drei Wände eines ehemaligen Kellers, der wie ein Fuchsbau unter Geröll und altem Lindengebüsch versteckt lag. Als der Wilddieb sich infolge eines Streites mit seinem Vater hierher verkrochen, errichtete er eine vierte Steinwand, in der er zwei Öffnungen, eine Tür und ein Fenster gelassen. Himbeersträucher überwucherten dies Gelaß, und wilde Rosen schlossen die Fenster. Im Ort nannte man es das Schloß.

Ein neuer Regenguß überschüttete das Tal. Doch glücklicherweise hatten sie jetzt den Morgen Weinland erreicht, und die Vermessung in drei Teile wurde schnell und ohne Streit zu Ende geführt. Es blieben nur noch drei Hektar Wiese zu erledigen, die unten am Ufer der Aigre lagen. In diesem Augenblick jedoch rauschte der Regen so dicht und so heftig hernieder, daß der Feldmesser den Vorschlag machte, in einem Gebäude, vor dem man sich gerade befand, Einlaß zu begehren:

»Nicht? suchen wir einen Augenblick Schutz bei Herrn Karl?«

Fouan zögerte aus Achtung gegen seinen Schwager und seine Schwester, die ihr Schäfchen ins Trockene gebracht und jetzt in diesem bürgerlichen Wohnhaus von ihren Renten lebten.

»Nein, nein,« murmelte er, »sie essen um zwölf Uhr, wir würden sie stören.«

Doch Herr Karl erschien unter dem Vordache des Hauses, um nach dem Wetter auszuschauen; als er seine Verwandten erkannte, rief er:

»Aber tretet doch ein!«

Da sie alle von Wasser trieften, hieß er sie auf einem Umweg in die Küche gehen, wohin er ihnen nachkommen werde. Er war ein schöner Mann von fünfundsechzig Jahren mit schweren Lidern, erloschenen Augen und dem glattrasierten würdigen Gesicht eines pensionierten Beamten. Er trug einen blauen Anzug von dickem Wollstoff, pelzverbrämte Schuhe und ein Priesterkäppchen, das ihm das ehrbare Aussehen eines Mannes verlieh, der sein Leben in angesehenem, verantwortungsreichem Amte verbracht.

Als Laura Fouan, damals Näherin in einem Geschäft von Chateaudun, in ihrem fünfundzwanzigsten Jahre Karl Badeuil heiratete, hielt dieser in der Angoulême-Straße ein kleines Kaffeehaus. Von dort wanderte das Ehepaar nach Chartres aus, um ein Gewerbe zu suchen, das mehr Aussicht bot, ihr Gelüsten nach Reichtum in nicht gar zu langer Frist zu befriedigen. Doch nichts wollte ihnen im Anfang glücken; sie versuchten es mit einem andern Café., mit einem Restaurant, unternahmen selbst einen Handel mit Seefischen. Alles mißlang, und schon verzweifelten sie, jemals ein Vermögen zu besitzen, als Herr Karl, ein sehr kaufmännischer Kopf, auf die Idee verfiel, eines der öffentlichen Häuser der Judengasse, das infolge schlechter Bewirtschaftung heruntergekommen war, zu erwerben. Mit einem Blick überschaute er die Lage, begriff, daß Chartres ein solches Haus fehle, das sowohl durch seine Einrichtung wie durch eine den Besuchern gewährte vollkommene Sicherheit auf der Höhe der Zeit stehe. Schon im zweiten Jahre war das Haus durchaus erneuert; Spiegel und neue Vorhänge schmückten die Räume, und ein mit Geschmack und Strenge gewähltes Personal erwarb ihm die Kundschaft der Herren Offiziere, der Herren Beamten, kurz: der besten Kreise. Dieser Erfolg befestigte sich mit den Jahren dank dem väterlich strengen Regiment, das Herr Karl zu führen verstand; während Frau Karl ihrerseits ihn durch eine ordentlich rührige Tätigkeit unterstützte, indem sie überall nach dem Rechten schaute, kein Geschäft ausließ und es in ihrem liebenswürdigen Entgegenkommen den Gästen gegenüber selbst verstand, vorkommendenfalls kleine Diebstähle zu übersehen.

In weniger als fünfundzwanzig Jahren ersparten die Badeuils dreimalhunderttausend Franken; jetzt dachten sie daran, den Traum ihres Lebens zu verwirklichen: eine anheimelnde Altersruhe im Schoße der Natur mitten unter Bäumen, Blumen und Vögeln. Doch die Erfüllung dieses Wunsches schob noch zwei Jahre der Umstand hinaus, daß sie keinen Käufer fanden, der ihr Haus zu dem von ihnen geforderten, ziemlich hohen Preis erwerben wollte. War es nicht herzzerreißend, dies Unternehmen, das sie mit dem Besten ihrer Kräfte, mit soviel Liebe und Fleiß geschaffen, Unbekannten zu überlassen, in deren Händen es vielleicht wieder herabkam?

Bald nach seiner Ankunft in Chartres war dem Ehepaar eine Tochter, Estelle, geboren, die sie zur Zeit ihres Aufenthaltes in der Judengasse den frommen Schwestern der Heimsuchung Mariä in Chateaudun zur Erziehung übergaben. Es war eine höchst sittenstrenge Anstalt. Damit sich das Kind recht christliche und sittliche Grundsätze aneigne, mußte es dort bis zu seinem zwanzigsten Jahre verbleiben und wurde in den Ferien zu entfernt wohnenden Bekannten geschickt, damit es keinen vorzeitigen Einblick in das Geschäft gewinne, das seine Eltern bereicherte. Estelle verließ das Kloster erst am Tage ihrer Verheiratung mit einem Steuerbeamten namens Hector Vaucogne, einem sehr hübschen jungen Manne, der leider seine vortrefflichen Eigenschaften durch eine ungewöhnliche Trägheit verdarb.

Frau Vaucogne hatte bereits ihr dreißigstes Jahr erreicht und besaß eine siebenjährige Tochter, Elodia, als sie, inzwischen über alles unterrichtet, erfuhr, daß die Eltern ihr Geschäft abtreten wollten. Sie kam und bat, man möge ihr den Vorzug geben. Warum ein Unternehmen, das sich als so sicher und einkömmlich erwies, aus der Familie gehen lassen? Man einigte sich. Die Vaucogne setzten das Geschäft fort, und die Badeuils konnten schon im ersten Monat mit froher Genugtuung feststellen, daß ihre zwar in anderen Anschauungen erzogene Tochter sich als eine ganz außerordentliche Geschäftsführerin entpuppte, was glücklicherweise die Schlaffheit des jeder dienstlichen Fähigkeit baren Schwiegersohnes aufwog. Seit fünf Jahren schon hatte sich das bejahrte Paar nach Rognes zurückgezogen und überwachte die Erziehung der kleinen Elodia, die man jetzt wie einst ihre Mutter ins Kloster zur Heimsuchung Maria geschickt, damit sie dort in den Grundsätzen unverfälschter Sitte erzogen werde.

Als Herr Karl in die Küche trat, in der ein Mädchen mit dem Anrühren einer Eierspeise und dem Braten einer Schüssel Lerchen beschäftigt war, schlugen alle, selbst der alte Fouan und Delhomme, ungemein geschmeichelt und achtungsvoll den Hut ziehend, in die ihnen dargebotene Rechte.

»Ach du meine Güte!« rief Grosbois, um dem Hausherrn etwas Angenehmes zu sagen. »Welch ein reizendes Heim besitzen Sie hier, Herr Karl! ... Wenn man bedenkt, wie wenig Sie dafür bezahlt haben! Ja, ja, Sie sind ein kluger Mann, ein echter Geschäftsmann!«

Der Angeredete warf sich in die Brust:

»Ein Gelegenheitskauf. Es gefiel uns, und Frau Karl wünschte um jeden Preis, ihre Tage in ihrer Heimat zu beschließen. Die Stimme des Herzens ist mir stets maßgebend.«

Roseblanche, wie man das Anwesen nannte, verdankte sein Entstehen der Laune eines Bürgers von Cloyes, der darin bereits an fünfzigtausend Franken stecken hatte, als ihn ein Schlaganfall dahinraffte, noch ehe die Wandmalereien getrocknet waren. Das sehr freundliche Häuschen lag am Abhang der Talwand und war von einem drei Hektar messenden Garten umgeben, der bis zur Aigre hinabreichte. Für das am Saum der reizlosen Beauce einsam gelegene Grundstück fand sich kein Käufer, und Herr Karl erstand es infolgedessen für zwanzigtausend Franken. Er lebte hier in beschaulicher Ruhe seinen Liebhabereien: fing die prächtigsten Forellen und Aale im Fluß, zog Rosen und Nelken und besaß ein mit allen Singvögeln unserer Wälder bevölkertes Vogelhaus, dessen Pflege er ganz allein versah. So verzehrte das greise Paar seine zwölftausend Franken Rente in einem ungetrübten und vollkommenen Glück, das ihm als die wohlverdiente Belohnung dreißigjähriger Arbeit erschien.

»Nicht wahr?« setzte Herr Karl hinzu. »Man weiß wenigstens hier überall, wer wir sind?«

»Zweifelsohne kennt man Sie«, antwortete der Feldmesser. »Ihr Vermögen spricht für Sie.«

»Natürlich! Natürlich!« bestätigten die anderen.

Herr Karl befahl der Dienerin, Gläser zu bringen; dann ging er selbst in den Keller, um zwei Flaschen Wein zu holen. Alle schlürften langsam den gebotenen Trunk, wobei sie nach dem Herde hinüberrochen, wo die köstlich duftenden Lerchen in ihrer Soße schmorten.

»Ah Blitz! Der ist nicht von hier! Famos!«

»Noch ein Gläschen ... Auf Ihre Gesundheit!«

»Prosit!«

Wie sie ihre Gläser niedersetzten, erschien Frau Karl, eine zweiundsechzig jährige Matrone von ungemein achtbarem Aussehen. Sie trug das schneeweiße Haar glatt gescheitelt und hatte das breite Gesicht und die große Nase der Fouans; doch ihre Züge überhauchte eine rosige Blässe, eine klösterliche Milde und Ruhe lag darauf. Das Antlitz glich dem einer alten Nonne, die unberührt gelebt von den Stürmen der Welt. An ihr Kleid drückte sich linkisch und scheu die für zwei Tage beurlaubte Elodia, ein bleiches, zu schnell aufgeschossenes, zwölfjähriges Mädchen mit farblosem, dünnem Haar und so verschüchtert durch die überaus moralische Erziehung der Großeltern, daß sie fast den Eindruck eines Trottels machte.

»Ihr seid es?« rief Frau Karl und reichte ihrem Bruder und ihrem Neffen die Hand mit einer bedachten und würdigen Bewegung, die den Rangunterschied kennzeichnete. Ohne weiter von ihnen Notiz zu nehmen, wandte sie sich um:

»Kommen Sie nur herein, Herr Patoir ... Das Tier ist hier.«

Es war der Tierarzt von Cloyes, mit dem sie sprach; ein rundliches Männchen mit einem violettroten Soldatenkopf und starkem Schnurrbart. Er war während des Regens angekommen, sein schmutzbespritzter Wagen hielt vor der Tür.

»Diese arme, liebe Mimi«, fuhr die Frau fort und zog unter dem warmen Herde einen Korb hervor, in dem eine alte Katze in den letzten Zügen lag. »Gestern fing das arme Tier plötzlich zu zittern an, und darum schrieb ich Ihnen, Sie möchten können. Sie ist nicht mehr jung, bald fünfzehn Jahre alt ... Ja, wir haben sie zehn Jahre lang in Chartres bei uns gehabt; meine Tochter brachte sie hierher, weil sie alle Winkel des Ladens beschmutzte.«

Der »Laden« war für Elodia, der man erzählte, ihre Eltern hielten einen Konditorladen, wo es soviel zu tun gebe, daß es ihnen sogar an Zeit fehle, das Kind bei sich zu empfangen, etwas Neues. Übrigens, die Bauern lächelten nicht einmal bei dem Wort; man pflegte in Rognes das Haus so zu nennen; die Leute sagten zuweilen: »Selbst der Bauernhof Hourdequins ist weniger wert als der Laden des Herrn Karl.« –Alle blickten mit runden Augen auf die alte, gelbe Katze, elend, mager, räudig, die alte Katze, die in sämtlichen Betten der Judengasse geschlafen und von sechs Geschlechtern von Frauen geliebkost worden war. Im Salon, in den Kammern, überall war sie heimisch gewesen, verzärtelt, verhätschelt von jedermann; hatte aus dem Pomadetöpfchen genascht, aus den Toilettegefäßen getrunken, hatte mit ihren goldumkreisten Augen stumm träumend mitangesehen, was um sie herum vorging.

»Herr Patoir, ich beschwöre Sie, helfen Sie meinem armen Mimchen!« schloß Frau Karl.

Der Tierarzt riß die Augen auf, seine Nase kräuselte sich und sein grober, gutmütiger Bulldoggenmund zuckte:

»Was, für so etwas habt Ihr mich um meine Zeit gebracht? ... Ich werd' sie Euch gesund machen: bindet ihr einen Stein um den Hals und werft sie ins Wasser!«

Frau Karl verlor die Sprache vor Entrüstung. Elodia brach in Tränen aus.

»Aber das Vieh stinkt ja schon! Hält man so etwas im Hause, daß die Leute die Cholera bekommen? In die Aigre damit!«

Der Zorn der alten Dame brachte ihn zum Schweigen, und er setzte sich schließlich an den Tisch und schrieb brummend ein Rezept.

»Na, wenn Euch der Gestank Vergnügen macht ... Wenn man mich zahlt, ist mir alles recht... Schaut her, das hier gießt Ihr dem Vieh ins Maul, alle zwei Stunden einen Eßlöffel voll; und das ist ein Pulver für zwei Klistiere, eins heute abend, das andere morgen.«

Aber Herr Karl gewahrte voll Ungeduld, daß die Lerchen zu lang am Feuer blieben, auch war das Mädchen mit der Eierspeise fertig und wartete. Schnell gab er Patoir sechs Franken für den Besuch und trieb die anderen an, ihre Gläser zu leeren.

»Wir müssen speisen, nicht wahr? ... Also auf Wiedersehen! Es regnet nicht mehr.«

Zögernd verließen sie die Küche und traten vors Haus. Der Tierarzt kletterte in seinen alten schmutzigen Wagen, indem er nochmals wiederholte:

»Eine Katz', die nicht den Strick wert ist, um sie zu ersäufen! ... Ja, wenn man reich ist!«

»Das Hurengeld gibt sich so leicht aus, wie's verdient worden«, spottete Jesus.

Doch die anderen, selbst Buteau, der vor Neid blaß geworden, schüttelte protestierend das Haupt, und Delhomme, der verständige Mann, erklärte:

»Eins ist klar, wer sich zwölftausend Franken Rente erspart hat, ist weder ein Faulenzer noch ein Dummkopf gewesen.«

Der Tierarzt peitschte sein Pferd, die anderen stiegen durch die in Gießbäche verwandelten Wege zur Aigre hinab. Sie langten gerade bei den drei Hektaren Wiese an, als der Regen, heftig wie ein Wolkenbruch, von neuem begann. Doch diesmal wollten sie sich nicht in die Flucht jagen lassen; sie vergingen vor Hunger, aber sie bestanden darauf, die Arbeit zu Ende zu führen. Es ging geschwind; nur ein einziger Streitfall hielt sie auf betreffs der dritten Wiese, die keine Bäume hatte, während sich zwischen die beiden anderen ein kleines Gehölz verteilte. Endlich war alles geschlichtet und angenommen. Der Feldmesser versprach, dem Notar die erforderlichen Notizen zu übergeben, damit dieser die Urkunde aufsetzen könne. Man kam überein, das Verlosen der drei Anteile am nächsten Sonntagvormittag um zehn Uhr bei Papa Fouan vorzunehmen.

Sie kehrten nach Rognes zurück; plötzlich schrie Jesus:

»Wart, Dreckbatzen, ich werde dir Beine machen!«

Am Rande des grasbewachsenen Weges schritt die Kleine im strömenden Regen gemächlich hinter ihren Gänsen dahin. An der Spitze des Zuges stelzte der Gänserich; wenn er den gelben Schnabel drehte, bewegten sich all die gelben Schnäbel nach derselben Seite. Doch Dreckbatzen erschrak bei der Stimme des Vaters und rannte eilenden Laufes zum »Schloß« hinauf, um die Suppe zu bereiten. Hinter ihr drein watschelte der Gänserich mit gestrecktem Halse, und die Gänse, all die dünnen Hälse ebenso lang gereckt, wackelten ihm nach.


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