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Erster Teil.

Erstes Kapitel.

Das Sätuch aus blauer Leinwand um den Leib gebunden, hielt Hans mit der Linken den Schlitz geöffnet; die Rechte schöpfte daraus alle drei Schritt eine Handvoll Getreide und schleuderte es in einem Bogen übers Feld. Die schweren Stiefel des Burschen stampften den Abdruck ihrer Sohlen in den Boden und schleppten das fette Erdreich mit sich fort; bei jedem Wurf aber schimmerten durch die regnende blonde Saat die roten Borten eines alten Soldatenrockes, den der Sämann trug. So schritt er mit wiegenden Körperbewegungen über den Acker; hinter ihm zog die doppeltbespannte Egge einher und verscharrte das Saatkorn. Mit regelmäßig wiederholtem Schwung knallte die Peitsche des Fuhrknechtes um die Köpfe der Rosse.

Das kaum an fünfzig Ar messende Stück Feld hatte Herrn Hourdequin, dem Besitzer der Borderie, nicht die Herführung seiner andernorts arbeitenden Sämaschine verlohnt. Hans, der jetzt von Süden nach Norden zu das Feld durchschritt, befand sich so den zwei Kilometer entfernten Gebäuden den Gutes gegenüber; an dem Grenzrain des Feldes rastete er einen Augenblick und warf einen Blick dort hinaus.

Es war ein bräunlicher Streifen schiefergedeckter Häuschen, der sich am Ausgang des Bezirkes Beauce in die nach Chartres sich erstreckende Ebene verlor. Zehn Meilen weit dehnte sich dort das Land unter dem weiten, bewölkten Oktoberhimmel; gelbe Stoppelfelder und frisch bestellte Äcker wechselten mit dem grünen Teppich des Klees; ohne Hügelung, ohne einen Baum dehnte sich die glatte Flur dahin und floß mit sanft abdachender Rundung bis hinter die Linie des Horizonts wie ein Meer. Nur gegen Westen grenzte ein rotbrauner Waldrand das Firmament ab. In der Mitte zog sich kreideweiß die von Chauteaudun nach Orleans führende Straße dahin, eine vier Meilen lange gerade Linie, eingesäumt von den in regelmäßigen Abständen errichteten Telegraphenstangen. Sonst nichts als drei, vier Windmühlen mit unbeweglichen Flügeln auf dem Gebälk. Einzelne Dörfer bildeten gleichsam steinerne Inseln. Weit hinten guckte wie aus einer Versenkung die Spitze eines Kirchturmes über die welligen Schollen.

Hans wandte sich um und lenkte seinen wiegenden Schritt wieder nach Süden; die Linke straffte das Sätuch, die säende Rechte teilte mit sausendem Hieb die Luft. Jetzt buchtete sich unmittelbar vor ihm gleich einer Grube das schmale Aigretal; dahinter wieder weitete sich die Beauce unabsehbar bis Orleans. Wie niedriges Buschwerk blickten die Wipfel einer Pappelallee gelbgrün über die Rundung des tieferen Gebietes; das am Hang lagernde Dörfchen Rognes schaute nur mit wenigen Giebeln hervor, und daneben ragte der altersgraue Kirchturm, den ein Volk Krähen umschwärmte. Im Osten jenseits des Loiretales, in dem zwei Meilen entfernt, sich Cloyes barg, der Hauptort des Bezirks, wölbten sich die bläulichen Hügelungen der Perche unter dem grauen Himmel. Man befand sich im ehemaligen Dunois, dem heutigen Kreise Chateaudun zwischen dem Perchelande und dem Beaucelande, ja am Saume des letzteren, an jener Stelle, wo die Gegend wegen der weniger fruchtbaren Felder die »lausige Beauce« genannt wird. Als Hans am Ende des Feldes angelangt war, hielt er abermals inne und warf einen Blick auf das Aigreflüßchen hinab, das hell und hurtig sich durch die Wiesen und Felder schlängelte neben der nach Cloyes führenden Straße, die jetzt mit Bauernkarren bedeckt war, welche zu Markte fuhren. Dann schritt er wieder das Feld hinan.

Immer mit den nämlichen Schritten und den nämlichen Bewegungen ging er von Norden nach Süden und von Süden nach Norden, in den lebenden Staub der Saat eingehüllt; während hinter ihm die Egge unter dem Peitschenknallen des Kutschers das Korn langsam, fast bedächtig in den Boden versenkte. Lange Regengüsse hatten den Herbstanbau verzögert; im August hatte man noch gedüngt, und die Felder standen seit langem bereit, tief aufgeackert, von allem Unkraut gesäubert, geeignet zum Getreidebau, nachdem sie im dreijährigen Wechsel Klee und Hafer gebracht hatten. Die Furcht vor den nahen Frösten, die nach den langen Regengüssen drohten, feuerte die Landwirte zu großer Eile an. Es war plötzlich ein kaltes, trübes, windstilles Wetter eingetreten von einem gleichmäßigen, düsteren Lichte über diesem unbeweglichen Feldermeer. Auf allen Seiten wurde gesät; links war noch ein Sämann in einer Entfernung von etwa dreihundert Metern und rechts ebenfalls einer noch etwas weiter entfernt; und noch andere und wieder andere verloren sich in der Ebene. Es waren kleine Schattenbilder, einfache, immer dünner werdende Striche in meilenweiter Entfernung. Alle machten dieselben Bewegungen, mit denen die Saat ausgestreut wurde, und die sich ausnahmen, wie eine Lebenswoge ringsumher. Die Ebene erbebte gleichsam bis in die verschwimmenden Fernen, wo die Sämänner nicht mehr zu unterscheiden waren.

Hans schritt zum letztenmal südwärts das Feld ab; da erblickte er eine große rotweiße Kuh, die von einem ganz jungen Mädchen am Strick geführt, von Rognes daherkam. Das Kind leitete sein Tier den Pfad entlang, der auf der Höhe am Rande des Tales dahinlief. Der Bursch aber drehte sich um; wie er jetzt an der Nordseite des Feldes seine Arbeit beendet hatte und im Begriff stand, das Sätuch abzubinden, um sich auf den Heimweg zu machen, hallte ein ängstlicher Schrei über den Saatacker. Hans hob den Blick und sah, wie die Kuh in wildem Galopp in ein Kleefeld stürmte, während die Kleine vergeblich bemüht war, sie zu halten. Er befürchtete ein Unglück und rief: »Laß sie doch los!«

Sie tat es nicht; keuchend trabte sie hinter der Kuh her und schrie mit einer Stimme, in die Zorn und Entsetzen sich mischten:

»Coliche! Steh, Coliche! ... Verwünschtes Vieh, willst du Ruh geben!«

Bisher hatte sie mit dem aufgeregten Tiere Schritt halten können; nun aber strauchelte sie, fiel, sprang noch einmal auf, stürzte wieder; jetzt schleifte das wütende Vieh sie hinter sich her. Das Kind kreischte laut auf.

»Laß sie doch los, mein Gott! Laß sie los!«

Hans wiederholte mechanisch diesen Ruf, während er ebenfalls über den Acker setzte; denn er hatte endlich begriffen: die Leine mußte sich am Handgelenk des Mädchen verschlungen haben. Flink rannte er quer übers Feld und stand so plötzlich vor der fliehenden Kuh, daß diese erschrocken ihren Lauf hemmte. Im Umsehen war der verhedderte Strick gelöst: der Bursch half dem Mädchen auf.

»Hast du dir nichts gebrochen?«

Aber sie hatte nicht einmal die Besinnung verloren. Sie erhob sich und befühlte ihre Glieder, hob ruhig ihre Röcke bis zu den Schenkeln empor, um ihre Knie zu betrachten, die ihr schmerzten, und sagte noch ganz atemlos:

»Sehen Sie, dort am Knie schmerzt es mich ... aber es macht nichts, ich kann das Bein bewegen ... Mir ist angst und bange geworden! ... Hätt' sie mich bis auf die Straße gezogen, ich wäre verloren gewesen!«

Die große Aufregung, die sie überstanden, ließ sie nicht recht zu Atem kommen; sie sprach in abgerissenen Sätzen. Jetzt untersuchte sie ihr rotumrandetes Handgelenk und benetzte es mit Speichel; dann fuhr sie nach einem tiefen Seufzer beruhigter fort:

»Die Coliche ist nicht bös, wissen Sie. Aber seit gestern macht sie uns viel zu schaffen. Sie will zum Stier, und darum bringe ich sie nach der Borderie.«

»Zur Borderie?« wiederholte Hans. »Das trifft sich gut: ich kehre grad heim, da kann ich dich begleiten.«

Er duzte sie: die schmächtige Dirne erschien ihm ein Kind trotz ihrer vierzehn Jahre. Sie blickte ernst zu ihm auf. Der kräftige Bursch mit dem kurz geschorenen, kastanienbraunen Haupthaar, mit dem vollen, regelmäßigen Gesicht war, ob er auch erst neunundzwanzig zählte, ein alter Mann ihr gegenüber.

»Ich kenne Sie, Sie sind Korporal, der Tischler, der sich bei Herrn Hourdequin als Knecht verdungen hat.«

Dieser ihm von den Bauern gegebene Beiname rief ein Lächeln bei ihm hervor. Er betrachtete jetzt seinerseits das junge Mädchen aufmerksam und war überrascht, sie entwickelter zu finden, als er vermutet hatte. Mit dem festen, kleinen Busen, dem länglichen Oval ihres Gesichtes, darin zwei schwarze, ungemein tiefe Augen glänzten, mit den frischen, rosigen Wangen sah sie durchaus keinem Kinde gleich. Sie trug einen grauen Rock und ein schwarzwollenes Leibchen; ihren Kopf schmückte eine runde Haube; Arme und Nacken waren goldbraun von der Sonne angehaucht.

»Aber bist du nicht die Jüngste von Papa Mouche?« fragte er plötzlich. »Richtig! ich habe dich nicht gleich erkannt! ... Nicht wahr, die Geliebte von Buteau, der im letzten Frühling mit mir in der Borderie arbeitete, ist deine Schwester?«

Sie erwiderte:

»Ja, ich bin Franziska ... Meine Schwester, die mit dem Vetter Buteau das Verhältnis gehabt, heißt Lise. Jetzt, nachdem er sie ins Unglück gestürzt und sie im sechsten Monat schwanger ist, ist er auf und davon; er dient in der Chamade nach Orgères zu.«

»Ja, ja,« bestätigte Hans. »Ich habe sie beisammen gesehen.«

Sie verstummten einen Augenblick. Er erinnerte sie lachend, wie er einst die Lise mit ihrem Schatz hinter einem Heuschober überrascht. Sie feuchtete immer noch ihr schmerzendes Handgelenk. Die Kuh graste im Klee; der Roßknecht fuhr seine Egge zur Landstraße hinaus; zwei Raben umschwebten mit krächzendem Rundflug den Kirchturm. Die drei Glockenschläge des Angelus hallten durch die ruhige Luft.

»Wie? schon Mittag?« rief Hans. »Da haben wir keine Zeit zu verlieren.« Mit einem Blick nach Coliche fügte er hinzu: »Und deine Kuh! Es könnte dir übel bekommen, wenn man sie sähe ... Wart', ich werd' dich naschen lehren!«

»Nein, laßt sie!« fiel sie ihm ins Wort. Dies Feld gehört uns! Das böse Ding hat mich auf eigenem Grund und Boden geschleift! ... Unsere Familie besitzt den ganzen Strich bis nach Rognes: wir haben das Stück hier, das daneben gehört Onkel Fouan, dann kommt meine Tante, die Große ...«

Sie wies ihm die einzelnen Parzellen mit der Hand; dabei führte sie die Kuh wieder auf den Steig hinaus. Erst jetzt, als sie das Tier von neuem furchtlos bei der Leine hielt, fiel es ihr ein, sich bei dem jungen Manne zu bedanken:

»Ohne Ihre Hilfe wär's mir übel ergangen vorhin. Ich dank' Ihnen, wissen Sie, ich dank' Ihnen von ganzem Herzen!«

Sie machten sich auf den Weg den schmalen Pfad entlang, der sich erst am Rande des Tales hinzieht und dann seitwärts zwischen den Feldern verläuft. Das Geläute der Gebetglocke war verstummt; nur die Raben krächzten immerfort. Mit der Kuh an dem straff gezerrten Seile voran schritten jetzt beide in dem wortlosen Schweigen dahin, in welchem die Landleute oft auf meilenweiter Wanderung nebeneinander verharren. Zur Rechten warfen sie einen Blick auf eine Sämaschine, deren Pferde dicht am Wege ihren Rundgang machten. Der fremde Knecht rief ihnen ein »Guten Tag« zu; sie gaben ein ernstes »Guten Tag!« zurück. Links auf der Landstraße zogen noch immer die Wagen der Bauern nach Cloyes, wo erst um ein Uhr der Markt beginnt. Auf ihren beiden Rädern holperten die Karren die Chaussee entlang, in der großen Entfernung einer Karawane hüpfender Insekten vergleichbar, und nur die weißen Hauben der Bäuerinnen blinkten herüber.

»Da ist mein Onkel Fouan mit Tante Rose!« rief Franziska plötzlich und deutete auf einen der Karren, der wie eine Nußschale groß in einer Entfernung von einem Kilometer die Straße dahinschaukelte. Sie fahren zum Notar.«

Sie besaß den scharfen Blick der Matrosen, dies den Bewohnern flacher Landstriche eigene, ungemein weitschauende Auge, das in dem kleinsten Punkte, der sich am Horizont bewegt, einen Menschen oder ein Tier zu erkennen vermag.

»Ach, richtig! ich hab' davon gehört,« versetzte Hans. »Also ist es entschieden? der Alte verteilt seine Habe zwischen der Tochter und den beiden Söhnen?«

»Ja, es ist bestimmt, heute kommen sie alle bei Herrn Baillehache zusammen.«

Sie blickte dem schwanken Fuhrwerk nach und setzte hinzu:

»Uns ist's egal, wir werden nicht fetter, nicht magerer davon ... Doch meiner Schwester wegen mag's gut sein; sie meint, Buteau heiratet sie vielleicht, wenn er seinen Anteil erhält ... Er hat immer gesagt, mit nichts kann man nicht Hochzeit machen.«

Hans lachte:

»Dieser verflixte Kerl, der Buteau! ... Wir waren Kameraden ... Der redet gar bald den Mädeln was vor! Er muß immer seine Bandeleien haben; er ist imstande und nimmt die Dirnen mit Gewalt, wenn er sie nicht anders bekommen kann.«

»Gewiß, er ist ein schlechter Kerl,« gab Franziska überzeugt zurück. »Man läßt nicht seine Base sitzen, nachdem man ihr den Bauch angefüllt hat.«

Sie brach ab und riß mit kräftigem Ruck die seitwärts zerrende Kuh auf den Weg zurück:

»Vorwärts, Coliche! ... Sie fängt schon wieder an; es ist nicht auszuhalten mit dem Vieh, wenn es mal wild wird.«

Jetzt lenkte der Steig seitwärts ein; sie verloren die Marktwagen aus dem Auge. Die flachen Gefilde weiteten sich nach rechts und links. Zwischen den frisch bestellten Äckern, den grünenden Kleewiesen strich der Pfad ohne eine Steigung, ohne Strauch und Baum dahin bis zum Gutshof, den man mit der Hand meinte berühren zu können, und der sich doch immer weiter in den aschgrauen Himmel zurückschob. Die beiden waren wieder verstummt; ohne ein einziges Wort zu wechseln, schritten sie fürbaß, als habe die ernste Landschaft der Beauce ihr Sinnen verdüstert.

Der Hof der Borderie war leer. Doch kaum hatte das Paar das große Viereck zwischen den Ställen, Scheunen und der Schäferei betreten, so erschien auf der Schwelle der Küche eine kleine, junge Frau mit keckem, hübschem Gesicht:

»Nun Hans, kommst du heute nicht zum Essen?«

»Gleich, Frau Jacqueline!«

Seit die Tochter Cognets, des Chausseearbeiters von Rognes, auf dem Bauerngut, wo die zwölfjährige »Cognette« einst als Geschirrwäscherin gedient, zum Range der Haushälterin und Geliebten des Herrn aufgestiegen war, verlangte sie, als Dame behandelt zu werden.

»Ah, du bist's, Franziska,« fing sie wieder an. »Du kommst wegen des Stieres. Da wart nur! Der Hirt ist mit Herrn Hourdequin in Cloyes, muß aber bald zurück sein.«

Hans wollte an ihr vorüber in die Küche treten; sie griff ihn lachend um den Leib, unbekümmert um die Kleine, die wohl wissen mochte, daß Frau Jacqueline sich nicht mit der Liebe des Bauern begnügte. Dann verschwanden die beiden im Hause.

Eine halbe Stunde später kam Hans wieder zum Vorschein und gesellte sich zu dem Mädchen. Er aß den Rest eines Butterbrotes und sagte, als er die Kuh unruhig mit dem Schweife um sich schlagen sah:

»Es ist verdrießlich, daß der Kuhhirt noch nicht zurückkommt.«

Franziska zuckte die Achseln. »Es hat keine Eile,« meinte sie. Dann fragte sie nach einem neuerlichen Schweigen:

»Also, Korporal, Sie heißen Hans schlechtweg?«

»Aber nein, Mans Macquart.«

»Sie sind nicht aus unserer Gegend?«

»Nein, ich bin Provençale aus Plassans, einem Städtchen dort unten.«

Erstaunt, daß man so weit her sein könne, hob sie das Köpfchen und blickte ihn an.

»Nach Solferino bin ich aus Italien zurückgekehrt; ein Kamerad nahm mich hierher mit, –das war vor achtzehn Monaten. Mein altes Gewerbe, die Tischlerei, gefiel mir nicht mehr, und dann hat es sich so gemacht, daß ich hier geblieben bin.«

»Ach!« versetzte sie und schaute ihn immer noch mit ihren großen Augen an. »Sonderbar!«

Doch die Coliche hörte mit ihrem brünstigen Gebrüll nicht auf, und man vernahm jetzt aus dem verschlossenen Stalle ein heiseres, rauhes Schnaufen.

»Aha, der vertrackte Stier Cäsar hat sie gehört ... Hörst du, er fängt drin schon zu reden an ... Der kennt sein Geschäft; kaum führt man eine Kuh in den Hof, wittert er schon die Sache und weiß, was man von ihm will.«

Nach kurzer Weile fuhr er fort:

»Es scheint, der Kuhhirt hat bei Herrn Hourdequin bleiben müssen. Wenn du willst, führe ich dir den Stier heraus, damit du nicht zweimal kommen mußt ... Wir beide werden mit der Sache auch fertig.«

»Ja, das ist ein guter Einfall,« sprach Franziska und erhob sich.

Er öffnete die Stalltüre und fragte das Mädchen noch: »Sollen wir die Kuh anbinden?«

»Anbinden? Nein ... sie ist bereit und wird sich nicht rühren.«

Durch die offene Tür des Stalles, wo die Kühe langsam ihr Futter fraßen, sah man in einer Ecke einen schwarzen, weißgefleckten Stier holländischer Rasse. Seines Dienstes gewärtig, streckte das Tier den Hals.

Als Cäsar losgebunden war, verließ er den Stall. Vor der Türe blieb er unter dem Eindrucke der freien Luft und des hellen Tageslichtes einen Augenblick stramm auf den Beinen stehen und peitschte ungeduldig mit dem Schwänze seine Flanken; sein Hals blähte sich auf und seine vorgestreckten Nüstern witterten. Die Coliche stand unbeweglich und wandte ihre großen, starren Augen nach ihm, wobei sie ein leiseres Brüllen vernehmen ließ. Da näherte sich der Stier, preßte sich an die Kuh und legte den Kopf auf ihre Croupe; seine Zunge hing heraus; er schob den Schwanz der Kuh beiseite und leckte sie ab bis zu den Schenkeln hinab. Die Kuh rührte sich nicht und ließ ihn gewähren; nur ihre Haut wurde von einem leichten Zittern gefaltet. Hans und Franziska standen mit ernsten Mienen und herabhängenden Händen da und warteten.

Als der Stier fertig war, bestieg er die Coliche mit einem plötzlichen Sprunge und mit einer mächtigen Wucht, daß der Erdboden erzitterte. Die Kuh hatte unter dem Anlauf sich nicht gerührt; der Stier hielt sie zwischen seinen beiden Beinen fest. Allein er war von kleinerer Rasse, und darum die Kuh zu hoch und zu breit für ihn, so daß er nicht ans Ziel gelangte. Als er dies sah, machte er eine vergebliche Anstrengung, höher zu steigen und näher heranzukommen.

»Er ist zu klein,« bemerkte Franziska.

»Ja, ein wenig,« erwiderte Hans; »aber das tut nichts; er wird doch hineingelangen.«

Sie schüttelte den Kopf; als der Stier weitere nutzlose Anstrengungen machte, faßte sie einen Entschluß.

»Wir müssen ihm helfen,« sprach sie. »Wenn er schlecht eindringt, wird sie es nicht behalten.«

Mit ruhiger und aufmerksamer Miene wie bei einem ernsten Geschäfte trat sie näher, erhob den Arm, ergriff mit voller Hand das Glied des Stieres, richtete es auf, stützte es und brachte es dem Ziele näher. Als der Stier spürte, daß er am Rande sei, sammelte er seine Kräfte und drang mit einer einzigen Anstrengung seiner Lenden voll hinein. Dann sprang er ab, daß der Boden erzitterte. Es war geschehen: die Kuh hatte, ohne sich zu rühren, die Befruchtung durch das Männchen empfangen.

Franziska ließ jetzt den Arm sinken und sprach:

»Das sitzt.«

»Ja und fest dazu,« bemerkte Hans zufrieden.

Er dachte nicht daran, einen jener saftigen Spaße zu machen, wie sie die Knechte des Hofes anzubringen pflegten zur Erheiterung der Mägde, die Kühe zum Belegen auf den Hof brachten. Die Kleine schien die Sache so einfach zu finden, daß nichts zu lachen war. Es war eben die Natur.

Seit einer Weile stand Jacqueline wieder auf der Türschwelle. Mit einem ihr eigentümlichen girrenden Tone rief sie der Gruppe die scherzenden Worte zu:

»Ei, überall die Hand dabei! Dein Liebhaber scheint an jenem Ende kein Auge zu haben!«

Hans brach in ein Gelächter aus, Franziska aber errötete tief. Während der Stier allein nach dem Stalle zurückkehrte und die Kuh am Rande der Düngergrube nach verlorenen Haferstrohhalmen suchte, kramte das Mädchen, um seine Verlegenheit zu verbergen, in seiner Tasche herum, zog ein Schnupftuch hervor, knüpfte die verknotete Ecke auf und nahm daraus vierzig Sous.

»Hier ist das Geld!« rief sie und reichte es der Frau. »Lebt wohl!«

Damit verließ sie samt ihrer Kuh den Hof. Hans ergriff sein Sätuch, erklärte Jacqueline, daß er den am Morgen von Herrn Hourdequin gegebenen Befehlen gemäß zum Poteau, einem benachbarten Ackerstrich hinübergehe und folgte dem Mädchen in dem schmalen Steige.

»Verliert euch nicht zusammen!« rief ihnen die kleine Frau scherzend nach. »Übrigens kennt die Kleine den richtigen Weg.«

Keines der beiden lachte; stillschweigend entfernten sie sich, man vernahm nur das Klappern ihrer Schuhe auf den Steinen des Weges. Sie schritt vor ihm dahin; er blickte auf ihren kindlich geformten Nacken und die kleinen schwarzen Löckchen, die unter ihrer Haube hervorschauten.

Nach vielleicht fünfzig Schritt sprach Franziska ruhig:

»Sie hat Unrecht, sich über andere aufzuhalten. Ich hätte ihr antworten können ...« Mit einem schelmischen Lächeln wandte sie sich zu dem jungen Mann herum: »Ist es nicht wahr, daß sie Herrn Hourdequin Hörner aufsetzt, als wenn sie bereits seine Frau wäre? ... Sie wissen es vielleicht am allerbesten!«

Er ward verlegen und versuchte, harmlos zu tun:

»Sie macht, was ihr beliebt; es ist ihre Sache.«

Franziska setzte ihren Weg fort:

»Das ist richtig ... Ich scherze nur, denn ... unter uns beiden ... Sie könnten ja mein Vater sein ... Aber sehen Sie, seit Buteau sich so schlecht mit meiner Schwester aufgeführt hat, habe ich mir geschworen, daß ich mich lieber in Stücke zerschneiden lasse, ehe ich einen Liebhaber nehme.«

Er nickte. Schweigend gelangten sie zum Poteau. Das kleine Feld lag unterhalb des Fußpfades auf der Hälfte des Weges nach Rognes. Die Egge stand bereit, ein Sack Saatkorn lag daneben.

»Also, leb wohl!« rief Hans dem Mädel nach und begann, sein Sätuch zu füllen.

»Leben Sie wohl!« gab sie zurück. »Und noch mal, schönen Dank!« Aber ihm fiel etwas ein.

»Hör, wenn Coliche vielleicht wieder anfängt? ... Soll ich dich nicht lieber heimgeleiten?«

Sie war schon weit, drehte sich um und rief mit ihrer klaren Stimme über den stillen Acker:

»Nicht nötig, sie hat jetzt genug und gibt schon Ruh.«

Hans begann mit dem Sätuch um den Leib wieder, beim Fall der regnenden Körner sein Feld abzuschreiten. Dabei schaute er dem Mädchen nach, das hinter dem wiegenden Körper der rotweißen Kuh zwischen den Äckern dahinstrich. Als er Kehrt machte, verlor er sie aus dem Auge; doch wie er wieder das Feld herabkam, gewahrte er sie von neuem; sie erschien jetzt ganz winzig in der großen Entfernung mit ihrem schlanken Wuchs und dem weißen Häubchen einer Löwenzahnblume vergleichbar. Dreimal fand er sie so wieder, dann suchte er vergeblich: sie mochte bei der Kirche seitwärts abgebogen sein.

Es schlug zwei Uhr. Der Himmel blieb grau, dumpf, kalt; Häuflein feiner Asche schienen die Sonne auf Monate hinaus bis zum Frühjahr vergraben zu haben. In dieser Düsterheit war ein hellerer Fleck nach Orleans zu, als ob dort irgendwo, in meilenweiter Entfernung die Sonne wieder ihren Glanz gezeigt habe. Von diesem fahlen Ausschnitt am Horizont hob sich der Kirchturm von Rognes ab, während das Dorf selbst in der unsichtbaren Erdfalte des Aigretales lag. Im Norden nach Chartres zu hatte die flache Linie des Horizontes die Deutlichkeit eines durch eine Tuschzeichnung gehenden Tintenstriches bewahrt zwischen der grauen Einförmigkeit des weiten Himmels und der endlos sich dahinziehenden Ebene der Beauce.

Seit Mittag schien die Zahl der Säleute sich vermehrt zu haben; jetzt hatte jedes noch so kleine Fleckchen Ackerland den seinen. Gleich tätigen schwarzen Ameisen entwuchsen sie der Flur, alle dem neben ihren winzigen Gestalten übergroß scheinenden Werk sich widmend, alle mit derselben eigensinnig wiederholten Bewegung des Armes; ein Heer von Insekten im siegreichen Kampfe gegen die Mutter Erde.

Bis Abend säte Hans. Nach dem Felde von Poteau begann er das von Rigoles und vom Vierweg. Er kam, er ging mit seinem gleichmäßigen Schritt; das Korn verschwand aus dem Sätuch; hinter ihm befruchtete die Saat die Erde.


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