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Drittes Kapitel.

Ein Monat verstrich. Der für die ins fünfzehnte Jahr gehende Franziska zum Vormund ernannte Papa Fouan bestimmte sie und Lise, ihr Land bis auf ein Stückchen Wiese an Delhomme zu verpachten, damit es ordentlich bewirtschaftet werde. Jetzt, wo die Geschwister ohne Vater und Bruder allein ihr Häuschen bewohnten, hätten sie zur Feldarbeit einen Knecht annehmen müssen, was bei dem erhöhten Preise des Taglohnes verderblich gewesen wäre. Delhomme leistete ihnen einfach einen Dienst und hatte sich übrigens verpflichtet, seinen Kontrakt zu lösen, sobald eine der Schwestern sich verheiraten werde und sie sich also in die Hinterlassenschaft ihres Vaters teilen müßten.

Lise und Franziska traten dem Vetter das ihnen jetzt entbehrlich gewordene Pferd ebenfalls ab und behielten nur die beiden Kühe, »Coliche« und die »Braune«, sowie den Esel Gideon. Selbstverständlich behielten sie auch den halben Morgen Gemüsegarten, den die Älteste bestellen wollte, während Franziska sich die Pflege der Tiere vorbehielt. Es blieb ihnen Arbeit genug; doch sie waren, Gott sei Dank, gesund und fühlten sich stark genug, ihre Aufgabe zu lösen.

Die ersten Wochen waren sehr bitter; es galt, die Schäden des Hagelwetters wieder gutzumachen, den Boden von neuem umzubrechen und anderes Gemüse zu pflanzen. Diese Arbeitsüberbürdung bestimmte Hans, den Geschwistern zu helfen. Seit er ihren sterbenden Vater heimgefahren, hatte sich ganz naturgemäß zwischen ihm und den beiden Mädchen ein Verkehr angebahnt. Er besuchte sie am Tage nach dem Begräbnis; sprach wieder einmal bei ihnen vor; war stets gefällig und dienstbereit; bis er endlich eines Nachmittags der Lise den Spaten aus der Hand nahm und an ihrer Statt das Beet umzugraben begann, an dem sie arbeitete. Seit jenem Tage widmete er ihnen als Freund die Stunden, die ihm sein Tagewerk auf dem Hofe übrigließ. Bald war er wie zu Hause bei ihnen in diesem alten Stammhause der Fouans, das, von einem der Vorfahren vor dreihundert Jahren erbaut, von der Familie mit einer Art Andacht hochgeschätzt wurde. Wenn Mouche sich bei Lebzeiten immer beklagte, daß seine Schwester und sein Bruder ihn übervorteilt, pflegten diese zu antworten: »Und das Haus? hast du nicht das Haus bekommen?«

Welch ein armseliges, baufälliges Haus war es! An allen Ecken geflickt mit Brettern und Kalkwerk; die Wände zerborsten, zusammengesickert, als wollten sie stürzen. Es mußte ursprünglich in Sandstein und Lehm errichtet worden sein; später ergänzte man zwei Mauern in Kalk; endlich zu Anfang dieses Jahrhunderts wurde das Dachstroh durch eine heute verwitterte Schieferdeckung ersetzt. Mit all diesen Ausbesserungen hatte die Hütte die Zeit überdauert und steckte noch heute einen Meter tief im Erdboden, wie man, wohl um es wärmer zu haben, in früherer Zeit die Dorfhäuser gebaut. Diese tiefe Lage brachte es mit sich, daß bei großen Regengüssen das Wasser in die kellerartige Wohnung drang; dann mochte man noch so sorgfältig den Tonboden säubern, es blieb immer etwas Schmutz in den Winkeln. Besonders unglücklich war das Gebäude Wind und Wetter preisgegeben, indem es mit seiner Rückwand gerade nach Norden blickte, in die weite Ebene der Beauce, über welche im Winter die Stürme fegten. Auf dieser Seite lag die Küche mit ihrer durch einen Laden verbarrikadierten schmalen Fensteröffnung, die bis auf die Straßenhöhe hinabreichte, während sich an der Südseite die Tür und die Fenster des Wohnzimmers befanden. Das Haus glich jenen elenden Fischerhütten am Strande des Ozeans, die an der dem Meere zugekehrten Wand nicht durch die kleinste Ritze einen Blick auf die See gestatteten. Die Winde, welche durch Jahrhunderte an das Gebäude gestürmt, hatten es schließlich gebogen; es neigte sich vornüber wie die ganz alten Frauen, deren Lenden mürbe geworden.

Hans lernte bald jeden Winkel des alten Hauses kennen. Er half die Kammer des Vaters, reinigen, ein nur durch eine Bretterwand abgeteiltes Verlies am Boden, wo sich ein alter mit Stroh gefüllter Koffer befand, der dem Verstorbenen als Bett gedient hatte, sowie ein Tisch und ein Stuhl. Unten jedoch kam er nicht über die Küche hinaus. Er vermied es, den Geschwistern in ihr Schlafzimmer zu folgen, durch dessen stets offene Tür man den Alkoven sah mit den beiden Betten, dann den großen Nußholzschrank und einen runden, geschnitzten Tisch, ein prächtiges Möbel, das sich zweifelsohne einst vom Schlosse hierher verirrt hatte. Hinter diesem Schlafzimmer befand sich noch ein kleiner Raum, der jedoch so feucht war, daß der Alte es vorgezogen hatte auf dem Heuboden zu schlafen; selbst die Kartoffeln brachte man nicht gern hier unter, weil sie sofort keimten.

Aber in der Küche lebte man, in diesem weiten verräucherten Raume, darin seit drei Jahrhunderten die Geschlechter der Fouans einander abgelöst. Diese Küche verriet den langen Daseinskampf der Familie, gab gleichsam Zeugnis von der mageren Nahrung, von dem unterbrochenen Ringen und Streben dieser Leute, die es mit all ihrer überschweren Mühe knapp erreicht hatten, nicht Hungers zu sterben; die niemals am Ende des Jahres einen Sou mehr besessen als am Anfang. Eine Tür, die in den gleichhochgelegenen Stall führte, vereinte das Leben der Kühe mit dem der Menschen; selbst wenn diese Pforte geschlossen war, vermochte man die Tiere durch ein in der Mauer angebrachtes Guckfenster zu überwachen. Dahinter lag der Pferdestall, in dem jetzt nur noch der Esel Gideon stand, dann der Schuppen und das Holzverlies. Alle diese Räume waren untereinander verbunden, und man konnte, ohne ins Freie zu gehen, in sie gelangen. Auf dem Hofe füllte der Regen den großen Tümpel, der das Wasser für die Tiere und zum Begießen der Pflanzen lieferte, während das Wasser für die Küche und den Tisch jeden Morgen aus dem Brunnen unten im Dorfe heraufgeholt wurde.

Hans fühlte sich wohl im Hause der Geschwister, ohne sich zu fragen, was ihn eigentlich dorthin locke. Die runde, muntere Lise kam ihm freundlich entgegen, und doch begann sie schon mit fünfundzwanzig Jahren zu altern und hörte auf zumal seit ihrer Entbindung, hübsch zu sein. Aber sie hatte muskelstarke Arme, arbeitete mit soviel Herzenslust, lachte und schwatzte dabei, daß es eine Freude war, ihr zuzuschauen. Hans betrachtete sie wie eine Frau und duzte sie nicht, während er immer noch fortfuhr, die fünfzehnjährige Franziska du zu nennen.

Dieser hatten die rauhe Luft und schwere Arbeit noch nicht ihre frische Jugendschöne genommen; sie blickte immer noch mit den stummen schwarzen Augen aus dem niedlichen Oval ihres Gesichtes mit seiner eigensinnigen niedrigen Stirn und dem Flaum über den fleischigen Lippen. Obgleich man sie noch für ein Kind hielt, war sie doch schon reif, und man hätte ihr –wie Lise sagte –ohne große Mühe ein Kind machen können. Lise war's, die sie nach dem frühen Ableben der Mutter aufgezogen hatte; daher kam die große Zärtlichkeit, die sich bei der Älteren laut betätigte, während die Jüngere sie meist stumm in ihrem glühenden Herzen verschloß. Franziska hatte ihren eigenen Schädel, wie die Leute sagten. Eine Ungerechtigkeit brachte sie außer sich. Wenn sie einmal erklärt hatte: »Das ist mein, das ist dein«, so war sie imstande, ihr Recht mit dem Leben zu verteidigen. Ihr Rechtsgefühl spielte auch in ihrer Liebe zur Schwester eine Rolle: sie war überzeugt, daß diese die Liebe um sie verdient habe. Im übrigen war sie ein vernünftiges, braves Mädchen, hatte keine losen Streiche im Kopfe, und nur ihre frühreife Entwicklung machte sie zeitweise etwas lecker und träge. Eines Tages begann sie ebenfalls Hans zu duzen. Er war für sie ein älterer, lieber Freund des Hauses geworden, der mit ihr spielte und sie oft neckte; der zuweilen absichtlich die Unwahrheit sprach oder eine ungerechte Sache verteidigte, um sich an dem Auflodern ihres Zornes zu ergötzen.

Eines Sonntag nachmittags arbeitete Lise in ihrem Gemüsegarten; sie hatte Julius unter einen Pflaumenbaum gelegt, das Kind schlief. Die Junisonne brannte fast scheitelrecht; die Frau kniete am Boden mit dem Gesicht vornüber und jätete das Unkraut zwischen den Erbsen aus. Da rief es über die Hecke:

»Ruht man selbst nicht am Sonntag?«

Sie erkannte die Stimme; sie richtete das Haupt empor; ihre Arme waren hochgerötet, auch in das Gesicht war ihr bei der Arbeit das Blut gestiegen. Sie lächelte.

»Ja, die Arbeit macht sich so wenig Sonntag wie Alltag allein.«

Hans ging die Hecke entlang und kam über den Hof in den Garten.

»Laßt,« bat er, »ich werd' Euch das flink zu Ende bringen!«

Doch sie dankte:

»Ich besorg's schon, es ist ohnehin nicht mehr viel. Und dann, das oder was anderes! Man kann doch nicht die Hände in den Schoß legen; selbst wenn man früh um vier Uhr aufsteht und abends noch bei Licht näht, wird man nicht fertig.«

Um sie nicht zu ärgern, gab er nach, setzte sich unweit des Kindes unter einen zweiten Pflaumenbaum und schaute ihr zu. Sie beugte sich wieder über ihre Erbsen. Ihr Kleid spannte sich über dem gehobenen Gesäß und entblößte ein kräftiges Bein, während der Kopf dicht am Boden hing, so daß das Blut die Adern am Halse schwellte.

»Ein Glück, daß Ihr solid gebaut seid,« meinte er.

Sie lachte, während sie in ihrer Beschäftigung fortfuhr; sie war stolz auf ihre Kraft. Auch er lächelte, wie er sie bewundernd betrachtete. Aber kein unlauterer Wunsch wurde beim Anblick dieser Lenden und dieser nackten Waden in ihm rege; er dachte nur, wie wacker ein Weib mit diesem prächtigen Gliederbau arbeiten könne. In einem Haushalte war solch eine Frau Gold wert.

Diese Bemerkung mußte einen eigenen Gedankengang in ihm wachrufen; denn unwillkürlich platzte er mit einer Neuigkeit heraus, die er beabsichtigt hatte, für sich zu behalten.

»Ich habe Buteau vorgestern gesehen.«

Langsam erhob sich Lise. Doch sie hatte nicht Zeit zu antworten, denn im selben Augenblick kam Franziska, welche des Freundes Stimme vernommen, mit nackten, milchbespritzten Armen aus ihrer Milchwirtschaft im Hintergründe des Stalles herbei und rief zornig:

»So, du hast ihn gesehen, den Lump?«

Es war eine stets wachsende Abneigung. Sie konnte nicht mehr den Vetter nennen hören, ohne daß ihr verletztes Rechtlichkeitsgefühl sich gegen ihn auflehnte, als habe sie eine persönliche Schädigung an ihm zu rächen.

»Gewiß ist er ein Lump,« bestätigte Lise mit Ruhe; »doch was nützt es uns jetzt, dies zu sagen?«

Sie stützte die Hände in beide Hüften und fragte ernst:

»Was hat Buteau gesagt?«

»Nichts,« versetzte Hans verlegen, ungehalten über seine Geschwätzigkeit. »Wir haben von seinen Angelegenheiten gesprochen, weil sein Vater überall sagt, daß er ihn enterben will. Er meint, er habe Zeit zu warten, der Alte besitze eine zähe Haut, und schließlich sei ihm alles eins.«

»Weiß er, daß Fanny und Jesus den Akt nichtsdestoweniger unterzeichnet und ihren Besitz angetreten haben?«

»Ja, er weiß es, und er weiß auch, daß Papa Fouan seinem Schwiegersohne Delhomme den Teil, den er, Buteau, nicht gewollt, verpachtet hat, und weiß auch, daß Herr Baillehache wütend gewesen ist und geschworen hat, nie mehr Schenkungs- oder Erbteile auslosen zu lassen, ehe alles unterzeichnet ist ... Ja, er weiß das alles.«

»So! Und er sagt nichts?«

»Nein, er sagt nichts.«

Stumm neigte sich Lise wieder über ihre Arbeit. Man sah nichts mehr von ihr als die breite Rundung ihrer Sitzteile; so kroch sie jätend auf dem Boden dahin. Dann wandte sie das hinabgebeugte Haupt ein wenig zur Seite und sprach:

»Soll ich Euch etwas sagen, Korporal? ... Es ist aus; ich kann den kleinen Julius für eigene Rechnung behalten.«

Hans, der ihr bisher immer Mut und Hoffnung zugesprochen, hob das Kinn.

»Ihr könnt am Ende Recht haben.«

Er warf einen Blick auf Julius, den er vergessen hatte. Der in seinem Wickelzeuge steckende Säugling schlief noch immer, das unbewegliche kleine Gesichtchen war vom Tageslicht beschienen. Ja, dies Kind war fatal! Warum hätte er sonst nicht Lise heiraten können? Sie war ja frei. Der Gedanke kam ihm plötzlich, wie er sie so arbeiten sah. Vielleicht war's das Vergnügen, sie zu sehen, das ihn immer in dies Haus zog? Und doch verwunderte ihn dieser Gedanke, denn er hatte niemals ein Verlangen nach dem Mädchen getragen, hatte nie mit ihr gescherzt, wie er es beispielsweise mit ihrer Schwester tat. Er hob das Haupt. Da stand gerade Franziska ihm gegenüber im hellen Sonnenlicht, in ihrem Blicke prägte sich ein Ausdruck grimmigen Zornes über Buteau aus, der so drollig anzuschauen war, daß Hans lachen mußte trotz der Aufregung, in die ihn seine Gedanken versetzt.

Doch ein Hornsignal, ein seltsames Turlututu ließ sich hören. Lise sprang auf.

»Lambourdieu! ... Ich muß eine Haube bei ihm bestellen.«

Jenseits der Hecke kam ein untersetztes Männchen trompetend auf der Chaussee daher, und hinter ihm drein fuhr ein länglicher, mit einem grauen Schimmel bespannter Wagen. Es war Lambourdieu, ein Handelsmann aus Cloyes, der nach und nach mit seinem Modegeschäft einen Handel mit Wirkwaren, Zwirn und Knöpfen, Schuhwerk und selbst Kurzwaren verbunden hatte: einen ganzen Bazar, mit dem er in einem Umkreise von fünf oder sechs Meilen von Dorf zu Dorf zog. Die Bauern gewöhnten sich daran, alles bei ihm zu kaufen, vom Küchengerät bis zu den Hochzeitskleidern. Sein Wagen öffnete sich an der Längsseite, hatte allerhand Läden und Fächer, die sich herauszogen und aufklappten: ein vollständiges Magazin.

Nachdem Lambourdieu die Bestellung der Haube entgegengenommen, sagte er:

»Wollen Sie nicht inzwischen ein schönes Kopftuch kaufen?«

Er zog ein Fach auf, holte rote, goldgestickte Tücher daraus hervor und ließ die schreienden Farben in der Sonne spielen.

»Drei Franken! Es ist geschenkt! ... Hundert Sous das Paar!«

Über die Hagedornhecke, auf der die Windeln des Kleinen trockneten, ergriffen Lise und Franziska die Tücher; aber sie waren vernünftig; sie brauchten die Tücher nicht; wozu die Ausgabe? Und sie gaben sie zurück. Hans aber entschloß sich plötzlich, die Lise trotz des Kindes zu heiraten; um die Sache zu beschleunigen, rief er ihr zu:

»Nein, nein, behaltet es, ich schenke es Euch! ... Gewiß, Ihr würdet mir weh tun, es geschieht aus guter Freundschaft.«

Er hatte sich nicht an Franziska gewandt; jetzt bemerkte er, wie diese immer noch dem Kaufmann ihr Tuch hinhielt. Sie tat ihm leid; er meinte zu sehen, daß sie erbleichte, daß ein schmerzliches Zucken ihre Lippen umspielte.

»Aber du auch, Kind, sollst es behalten ... Ich will, hörst du! Du wirst doch nicht wieder eigensinnig sein!«

Die Geschwister ließen sich bitten. Aber schon hielt Lambourdieu die leere Hand über die Hecke, um die hundert Sous in Empfang zu nehmen. Dann klappte er seinen Wagen zu, trollte sich weiter mit seiner heiseren Musik, und der Schimmel zog hinter ihm drein.

Hans dachte sofort seine Werbung anzubringen; ein Zwischenfall jedoch vereitelte dieses Vorhaben. Der Stall mochte schlecht geschlossen gewesen sein; plötzlich bemerkte man Gideon mitten im Gemüsegarten, wo er mit hastiger Gefräßigkeit über die Rüben herfiel. Übrigens war dieser Esel, ein starkes Tier mit rötlichem Felle und einem großen, schwarzen Kreuz am Rücken, ein listiger Patron; er verstand es sehr gut, mit der Schnauze die Türklinken aufzuheben, kam selbst bis in die Küche und nahm sich Brot; wenn man ihm diese Streiche verwies, konnte man an der stummen Sprache seiner zuckenden Ohren merken, daß er verstand, was ihm vorgeworfen wurde. Sobald er sich entdeckt sah, stellte er sich ganz unschuldig. Franziska rief ihn an und hob drohend die Hand; da machte er sich aus dem Staube. Doch statt in den Stall zurückzukehren, trabte er durch die Gänge bis ans Ende des Gartens. Es folgte eine förmliche Jagd; endlich hatte das junge Mädchen den Esel erwischt; jetzt aber zog er den Hals ein, stemmte sich mit allen Vieren und wollte nicht vom Fleck. Kein Zureden, keine Schläge halfen. Hans mußte sich ins Mittel legen, mußte den Widerspenstigen von hinten mit starken Armen vorwärts schieben: seit Gideon nur von Frauen Befehle erhielt, war er störrischer denn je. Der kleine Julius erwachte bei dem Lärm und begann zu schreien. Die Gelegenheit war verpaßt; der junge Mann mußte sich entfernen, ohne seinen Antrag vorgebracht zu haben.

Acht Tage gingen vorüber. Eine große Schüchternheit hatte sich Hansens bemächtigt: er getraute sich nicht mehr. Doch war ihm keineswegs die Sache in einem ungünstigen Lichte erschienen; im Gegenteil, je mehr er darüber nachdachte, um so praktischer dünkte sie ihm. Beide Teile konnten nur gewinnen bei dieser Heirat. Wenn er nichts besaß, so hatte sie ihrerseits den erschwerenden Umstand: das Kind; es glich den Vermögensunterschied aus. In diese seine Erwägungen mischte sich durchaus keine selbstsüchtige Berechnung, er hatte das Interesse des Mädchens ebensowohl im Auge wie das seine. Auch erwog er noch, daß ihn seine Verheiratung vom Bauernhof entfernen und von Jacqueline befreien werde, die ihn ewig verfolgte und der er aus Schwäche nachgab. So war er fest entschlossen, wartete nur auf die günstige Gelegenheit und legte sich vorher zurecht, was er sagen wolle; denn ungeachtet seines Aufenthaltes im Regiment war er den Frauen gegenüber ein Hasenfuß geblieben.

Eines Tages endlich machte sich Hans nachmittags gegen vier Uhr heimlich vom Hofe fort und kam, entschlossen sich auszusprechen, nach Rognes. Es war dies die Stunde, wo Franziska ihre Kühe auf die Abendweide trieb; so hoffte er, mit Lise allein zu sein. Aber zu seinem Schreck fand er die Frimat im Hause, die sich bei der Nachbarin in der Küche festgesetzt hatte, um ihr bei der Wäsche zu helfen. Am vorhergehenden Tage hatten die Geschwister das Linnen eingeweicht, heute mußte es ausgekocht werden. Seit dem frühen Morgen brodelte in einem Kessel das mit Iriswurzeln versetzte Laugenwasser über einem hellen Holzfeuer. Mit nackten Armen und aufgerafftem Kleide schöpfte Lise mit einem gelben Steinguttopf die kochende Lauge und bewässerte damit die im Trog sich häufende Wäsche: zu unterst die Bettücher, dann die Wischlappen, die Hemden und darüber noch einmal Bettleinen. Die Frimat half eigentlich so gut wie nichts bei dieser Verrichtung; sie saß da und plauderte, indem sie sich begnügte, von Zeit zu Zeit den Eimer, in dem das Wasser aus dem Waschtrog ablief, in den Kessel am Herde zu entleeren.

Hans wartete geduldig, daß die Frau sich entfernen möge; doch sie tat nichts dergleichen. Sie sprach von ihrem armen Manne, dem Gelähmten, der nur noch eine einzige Hand bewegen konnte. Es war ein Elend. Die beiden waren nie reich gewesen; aber als der Ehemann noch arbeiten konnte, pachtete er Äcker und Wiesen, und sie ernährten sich mit deren Ausnutzung; jetzt aber hatte sie die größte Mühe, den einzigen Morgen Land, der ihnen gehörte, zu bebauen. Sie quälte sich rechtschaffen: sie las den Pferdemist auf den Straßen zusammen und düngte damit, denn sie besaß keine Kuh; sie pflegte ihren Salat, ihre Erbsen und Bohnen, vergaß keine Pflanze; begoß selbst ihre drei Pflaumen- und zwei Aprikosenbäume. So gelang es ihr, einen ganz bedeutenden Nutzen aus ihrem Stückchen Grund zu ziehen. Jeden Sonnabend ging sie zu Fuß, mit zwei enormen Körben beladen, zum Markte in Cloyes, wohin ein Nachbar ihr auf seinem Wagen noch das größere Gemüse fuhr. Selten kam sie, zumal in der Obstzeit, mit weniger als zehn oder fünfzehn Franken heim. Eine Schwierigkeit war der Mangel an Dünger: weder der Pferdemist noch das, was sie von ihren paar Kaninchen und Hühnern zusammenfegte, wollte genügen. So hatte sie sich schließlich geholfen, indem sie auf ihrem Acker jene Ausleerungen verwandte, die selbst bei dem Landmann Ekel hervorrufen. Es sprach sich indes herum; man nannte die Frau »Mutter Caca« und machte sich über sie lustig. Dieser Beiname schadete ihr auf dem Markte; gar oft kam es vor, daß die Bürgerinnen mit einer Miene des Abscheues an ihrem Stand vorübergingen. Die sonst so ruhige Person geriet außer sich darüber.

»Sagt, Korporal, ist das vernünftig? ... Soll es uns nicht vergönnt sein, alles zu verwerten, was uns der liebe Gott beschert? Und dann, ist etwa der Mist von den Tieren reiner? ... Nein, es ist alles nur Neid; sie sind in Rognes eifersüchtig auf mich, weil mein Gemüse schöner wächst als bei den anderen ... Laßt hören, Korporal, ekelt Euch das auch?«

Verlegen erwiderte er:

»Nun, ich kann just nicht sagen, daß es mir den Appetit sonderlich auffrischt ... Es mag vielleicht nur ein Vorurteil sein, aber man ist eben nicht daran gewöhnt ...«

Diese Freimütigkeit brachte die Alte zur Verzweiflung. Sie war gemeinhin keine Klatschschwester; die Erbitterung jedoch löste ihr die Zunge.

»Gut, gut, sie haben auch Euch schon gegen mich aufgehetzt ... Wenn Ihr wüßtet, was für böse Mäuler das sind! Wenn Ihr ahntet, was sie von Euch alles reden!«

Sie kramte aus, was in Rognes über den jungen Mann geschwatzt wurde. Zunächst hatte es ihn unbeliebt gemacht, daß er Handwerker war, daß er Holz sägte und hobelte, statt das Land zu bestellen. Als er dann zum Pfluge griff, warf man ihm vor, daß er ins Land gekommen sei, um das Brot der anderen zu essen. Wußte man überhaupt, woher er kam? Konnte er nicht in seiner Heimat sich irgend etwas haben zuschulden kommen lassen und getraute sich nicht, dorthin zurückzukehren? Dann sein Techtelmechtel mit der Cognette: jeder war überzeugt, daß die beiden eines Tages dem alten Hourdequin etwas eingeben würden, um ihn zu ermorden und zu berauben.

»Oh, die Hundsfötter!« murmelte Hans bleich vor Wut.

Lise, die gerade einen Topf kochender Lauge aus dem Kessel schöpfte, lachte beim Namen der Cognette; sie pflegte zuweilen den Burschen mit seiner Geliebten zu necken.

»Wenn ich einmal angefangen habe,« fuhr die Frimat fort, »ist's besser, ich sag' gleich alles heraus. Also, daß Ihr's wißt, seit Ihr in dies Haus hier kommt, wird das Schändlichste von Euch erzählt ... Habt Ihr nicht in der letzten Woche der Lise und Franziska Tücher geschenkt, mit denen sie am Sonntag zur Messe gegangen sind? Nun, es heißt, Ihr schliefet mit allen beiden.«

Bebend, aber entschlossen sprang Hans auf und versetzte:

»Hört, Mutter, ich will darauf antworten, und zwar hier vor Euch, es geniert mich nicht ... Ja, ich will die Lise fragen, ob sie mich heiraten mag? ... Ihr versteht, Lise? Ich halt' um Euch an, und wenn Ihr ja sagt, so wird es mich sehr glücklich machen.«

Sie begoß gerade ihr Leinenzeug. Sie beeilte sich nicht; sorgsam netzte sie die einzelnen Stücke, dann drehte sie sich mit ihren nackten, dampffeuchten Armen zu ihm herum, blickte ihn gerade an und sprach:

»Also, es ist ernst?«

»Vollkommen ernst.«

Sie schien nicht überrascht. Die Sache kam ihr eigentlich ganz natürlich vor. Doch ein Gedanke mochte sie beschäftigen: sie sagte weder ja noch nein.

»Ihr müßt mich nicht ausschlagen wegen der Cognette,« nahm er wieder das Wort; »denn die Cognette ...«

Sie schüttelte das Haupt; sie wußte recht wohl, daß diese Liebelei auf dem Bauernhof nicht ernst zu nehmen sei.

»Dann ist noch der Umstand, daß ich absolut nichts weiter als meine Haut habe, während Ihr das Haus besitzt und Grund und Boden...«

Abwehrend hob sie die Hand; sie dachte wie er, daß in ihrer Lage mit dem Kinde die Sache sich ausgleiche.

»Nein, nein, alles das ist es nicht«, erklärte sie endlich. »Allein der Buteau.«

»Wenn er aber nicht will?«

»Schon recht, und Zuneigung hat man auch nicht mehr, weil er sich zu schlecht benommen... Aber dennoch müßte man Buteau fragen.«

Hans überlegte lange; dann sprach er bedächtig die Worte:

»Wie Ihr wollt. Man muß es tun des Kindes wegen.«

Die Frimat, die ebenfalls ernst geworden, meinte, den Abfluß in den Kessel zurückgießend, das sei in der Ordnung. Danach lobte sie Hans als einen braven Burschen, der das Herz auf dem rechten Flecke habe, der nicht roh und nicht eigensinnig sei.

In diesem Augenblicke hörte man Franziska mit den beiden Kühen zurückkommen.

»Schau mal, Lise,« rief sie, »Coliche hat sich den Fuß verwundet.«

Alle begaben sich in den Hof. Aber als Lise das hinkende Tier erblickte, dessen linker Vorderfuß blutete, fuhr sie die Schwester mit jener rauhen Sprache an, in der sie ihr, als Franziska noch ein Kind gewesen, ihre Fehler vorgehalten.

»Eine neue Nachlässigkeit, gelt? ... Hast wieder im Grase geschlafen wie letzthin.«

»Aber nein, ich versichere dich ... Ich weiß nicht, was sie angerichtet. Sie war am Pflock angebunden und muß sich den Fuß in dem Strick verwickelt haben.«

»Schweig, Lügnerin! Du Taugenichts wirst mir noch eines Tages meine Kuh ums Leben bringen!«

Die schwarzen Augen des jungen Mädchens blitzten auf. Sie ward sehr bleich; erregt stammelte sie:

»Deine Kuh, deine Kuh ... Du könntest wohl sagen: unsere Kuh.«

»Wie, unsere Kuh? Hast du eine Kuh, du Göre?«

»Ja, die Halbscheid von allem, was hier liegt und steht, ist mein; ich hab' das Recht, davon zu nehmen und zu verderben, wenn's mir Spaß macht.«

Beide maßen sich mit feindlichem Blick. Die Frage von Mein und Dein hatte den ersten schmerzlichen Streit zwischen ihnen wachgerufen. Die eine war erbittert über die Auflehnung der jüngeren Schwester; die andere ward durch die Ungerechtigkeit aufgereizt. Die Ältere gab nach und ging in die Küche zurück, um sich nicht hinreißen zu lassen, die Kleine zu ohrfeigen. Als Franziska die Kühe im Stall untergebracht hatte und zum Schrank trat, um sich ein Stück Brot abzuschneiden, entstand ein peinliches Schweigen.

Lise aber hatte sich inzwischen beruhigt. Der Anblick ihrer starr und trotzig blickenden Schwester ward ihr jetzt lästig. Um der Sache ein Ende zu machen, nahm sie zuerst wieder das Wort.

»Weißt du, Hans will, daß ich ihn heiraten soll, er hält um mich an«, rief sie, in der Hoffnung, die unvermutete Neuigkeit werde die Mißlaune der Kleinen verscheuchen.

Franziska stand kauend am Fenster. Sie wandte sich nicht einmal um.

»Was schert das mich?«

»Das schert dich insofern, als er dann dein Schwager wird und ich wissen möchte, ob er dir gefällt.«

»Mir gefallen, wozu? Er oder Buteau, das ist mir verflucht gleichgültig; ich habe mit keinem von beiden zu schlafen. Aber wenn ich's Euch sagen soll, sehr anständig ist all das nicht.«

Damit ging sie hinaus, um ihr Brot auf dem Hofe zu verzehren.

Hans, dem nach diesem Auftritt sehr unbehaglich zumute war, versuchte zu scherzen wie über die Laune eines verzogenen Kindes. Die Frimat versicherte, in ihrer Jugend hätte man solch ein schnippisches Ding bis aufs Blut geprügelt. Lise beschäftigte sich von neuem ernst und stumm mit ihrer Wäsche; dann schloß sie:

»Also, Korporal, es bleibt einstweilen alles beim alten... Ich sag' nicht nein, ich sag' nicht ja... Jetzt rückt die Heuernte heran; ich komm' mit unseren Leuten zusammen, ich werde mich erkundigen und erfahren, woran ich mich zu halten habe. Darnach fassen wir einen Entschluß... Seid Ihr einverstanden?«

»Einverstanden!«

Er reichte ihr die Hand und schüttelte die Rechte, die sie ihm bot. Ihre ganze, mit warmem Wasserdampf getränkte Person atmete einen Geruch, der an eine tüchtige Hausfrau gemahnte, einen Geruch von Lauge und Iriswurzel.


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