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XXI

Während der ersten Jahre seines Krankseins war Gant zwar nicht sehr rüstig, aber seine Lebenskraft war keineswegs ernstlich erschüttert. Die ärztliche Behandlung verschaffte ihm anfangs recht ruhige Wochen; er hielt sich dann fast für genesen. Immer aber kam es wieder vor, daß er über Nacht in einen winselnden, kindischen Greis verwandelt war. Dann machte er vollkommen schlapp und blieb tagelang im Bett. Diese heftigen Anfälle des Leidens folgten gewöhnlich auf eine wüste Sauferei.

Der öffentliche Ausschank von Alkohol war längst nicht mehr statthaft; Kneipen und »Saloons« waren seit langem geschlossen. Die Stadt Altamont war eine der ersten, in der die Frage »Trocken oder Naß« durch lokale Abstimmung entschieden wurde.

Gant hatte fromm für Reinheit gestimmt. Eugen erinnerte sich gut an den Wahltag; das lag nun schon Jahre zurück. Stolz schritt er an der Seite seines Vaters, als Gant zum Wahllokal ging. Die kampfbereiten »Trocknen« waren übereingekommen, ihre tathafte Gesinnung zum Tragen einer kleinen weißen Schleife im Knopfloch kundzutun. »Weiß« wegen »Reinheit«. Die Gegenkämpfer, die »Nassen«, trugen Rot.

Von heftigen Posaunenstößen in den protestantischen Kirchen angekündigt, tagte der Tag der Sühne für die Armee zäher, wohlgedrillter Sinaleo-Streiter. Jene »Nassen«, die die Vorhutgefechte im Heim und das schwere Geschützfeuer von der Kanzel siegreich überstanden hatten – – ihre Zahl (ei! ei!) war gering – –, gingen kühn, das Leuchten der ihnen abgesprochenen Mannesehre im Gesicht, in den Tod; eine wackre Schar, die in verzweifeltem Getümmel, vom Mob auf allen Seiten umringt, fällt.

Sie wußten nicht, wie herrlich ihre Sache war. Sie wußten nur, daß sie dem Willen einer von Pastoren verhetzten Gemeinde, der vernichtendsten Gewalt in ihrem kleinen Daseinskreis, trotzen müßten. Niemand hatte ihnen gesagt, daß sie für Freiheit stünden. Und so standen sie ruppig und eigensinnig, den starken, braunen Geruch ihrer Schande um die Nase, für den Dämon Alkohol, diesen Götzen mit dem Hopfen-und-Malz-Maul, den blutgeäderten Augen, der roten Nase, diesen bitterbösen Sittenverderber, der das schöne Geld aus den losen Beuteln lockt. Sie traten an, Weinlaub im Haar, einen guten Whiskynebel im Atem, ein tapfres Lächeln um den entschlossnen Mund.

Als sie zur Urne schritten und wie umzingelte Ritter nach Waffenbrüdern Umschau hielten, da standen wie Jägerinnen mit gespannten Bogensehnen die Damen aus den Kirchenvorständen der Stadt, umgeben von den gierigen Kohorten der Sonntagsschüler, auf dem Plan. Diese Zöglinge des Kindergottesdiensts – in weiße Engelsgewänder gekleidet, kleine Sternenbanner in den kleinen Händen – waren gierig wie eine Meute, das Ihre zu tun.

»Da kommt einer«, sagten die Damen. »Los! Kinder!« Und die Pygmäen berannten ihren Gulliver, kreischend, heißhungrig, monströs, wie es nur mit Schlagworten verhetzte Kinder sein können. Sie umringten das Opfer in einem wilden Elfentanz und piepsten ein schrilles Lied:

»Wir sind einer liebenden Mutter Schatz
Männer und Frauen von morgen.
Wollt Ihr um des Augenblicks leere Lust
Uns stürzen in währende Sorgen?

O gedenkt doch der Schwestern, der Eh'fraun, der Mütter
Des Säuglings im Elend: gedenkt ihrer wohl!
Denkt nicht an Euch selber! Denkt an die Betroffnen!
Wählt gegen den Dämon Alkohol.«

Ein Schauder überlief Eugen. Mit keuschem Stolz blickte er zu Gants weißer Schleife empor. Sie gingen, an unglücklichen, vom Wogenprall der Unschuld umbrandeten Alkoholikern vorbei, die mörderisch auf »einer liebenden Mutter Schatz« herniederlächelten.

Wenn die Rangen mein wären, würde ich ihnen den kleinen Popo versohlen, dachten sie für sich.

Das Wahllokal war ein Lagerschuppen aus Wellblech. Am Eingang empfing Gant die eifrigen Glückwünsche der Damen von der First Baptist Church, unter anderen seiner Schwägerin Pett Pentland, Wills Gattin, die mit schwer-gepudertem Gesicht über den hohen Fischbeinkragen hinweg lächelte und elegant mit den langen Röcken ihres grauen Seidenkleids rauschte, Sie hatte Gant sehr gern.

»Wo steckt Will?« fragte er.

»Gibt den Whiskyfabrikanten zu verdienen, anstatt sein Scherflein zu Gottes Werk beizusteuern«, sagte Pett mit echt-christlicher Bitterkeit. »Wir beide wissen ja, was es mit diesem querköpfigen Pentlandcharakter auf sich hat«, fügte sie vielsagend hinzu.

Er nickte und sah unter sich: »Ja, ja, Pett, wir haben unser Teil zu tragen.«

Ein Geruch von getrockneten Wurzeln und Sassafras kam aus dem Schuppen und stieg ihm in die Nase.

»Wenn es darauf ankommt, für eine gute Sache Zeugnis abzulegen«, erklärte Pett Pentland einigen Damen, »dann kann man stets auf Will Oliver Gant rechnen.«

Gants Feldherrnblick streifte die Bergketten von Pisgah.

»Alkohol ist ein Fluch«, bekannte er. »Alkohol hat unzählige Millionen Menschen ins Elend gestürzt.«

»Amen, Amen«, flötete, ihre breiten Hüften schwingend, eine von den Damen, nämlich Gants Nachbarin, Mistress Tarkinton.

»Alkohol hat Krankheit, Armut und Leid über Hunderttausende von Heimstätten gebracht. Alkohol hat das Herz von Ehefrauen und Müttern gebrochen, Alkohol hat armen, unschuldigen Kindlein das Brot vom Munde gestohlen.«

»Amen, Amen!«

»Alkohol hat ...« begann er wiederum, da erblickte er zu seinem Unbehagen das breite, rote Gesicht Tim O' Doyles und das backenbärtige Antlitz des Majors Ambrose Nethersole. Diese zwei prominenten Stadtväter standen nicht zwei Meter weit weg und hörten aufmerksam zu.

»Fahr fort!« feuerte ihn Nethersole mit seinem Unkenbaß an. »Aber gib acht, daß Dir der Whisky nicht aufstößt!«

»Bei Gott!« erklärte Tim O'Doyle und wischte sich den Kautabakspeichel aus dem Mundwinkel, »ich hab ihn so besoffen gesehn, daß er das Fenster für die Tür hielt. Wenn er kommt, stellen sie einen Extrakellner ein, um die Flaschen aufzukorken. Er gibt den Schankhaltern Trinkgelder, daß sie morgens eine Stunde früher aufmachen.«

»Hören Sie nicht hin, meine Damen, ich bitte Sie«, sagte Gant feindselig. »Sie sind die Niedrigsten unter den Niedrigen, sie gehören zur whiskybesudelten Hefe der Menschheit, zu denen, die des Namens Mensch nicht mehr würdig sind, so tief ist die Entwicklungsstufe, auf die sie zurückgesunken sind.«

Mit einer tiefen Verbeugung zog er den Schlapphut und trat in den Schuppen.

»Bei Gott«, sagte Ambrose Nethersole beifällig, »das Reden hat er wenigstens nicht verlernt.«

 

Es dauerte keine sieben Wochen, da jammerte Gant schon bitterlich über seinen ungestillten Durst. Mehrere Jahre lang ließ er sich das zulässige Quantum für Heimkonsum – neun Liter Whisky im Monat – aus Baltimore kommen. Und was das übrige anlangt ... es waren die Tage der »Blinden Tiger«. Die Stadt war gespickt mit diesen illegalen Schankstätten, wo es hauptsächlich schlechten Roggenwhisky und den scharfdestillierten Maisbranntwein der Farmer, den »Mondschein«, gab. Gant, der Dahinsiechende, war und blieb ein Säufer.

Ein schmales Rinnsal Lust sickerte noch trag und trübe durch das ausgetrocknete Bachbett seiner Lebensgier und verlor sich armselig in trockner, zielloser Unzucht. Hübschen, jungen Sommerwitwen in Dixieland schenkte er Geld, Unterwäsche und Seidenstrümpfe, welch letztere er den Damen persönlich in seinem staubigen, kleinen Büro anzog. Unentwegbar zärtlich lächelnd streckte Mistress Selborne das üppige Bein aus und ließ ihn die grünen, blumenbestickten Strumpfbänder, die er ihr schenkte, über Wade und Knie streifen. Mit dem verschmitzten Lächeln des Nachgenießers leckte er seinen Daumen, als er es erzählte.

Helene war weg, und Gant vermietete das Obergeschoß des Hauses in der Woodson Street an eine Strohwitwe. Sie war neunundvierzig, hatte hochfrisiertes, hennagefärbtes Haar, ein bleiernschlaffes, tiefgefurchtes Gesicht, das sie stark schminkte. Sie hatte dicke, speckfleckige Arme, einen hochkorsettierten Busen, architektonisch auswuchtende Hüften.

»Sieht mir aus, als wär da was zu machen«, bemerkte Gant hoffnungsvoll.

Sie hatte einen vierzehnjährigen Sohn, einen Jungen mit olivenfarbnem, rundem Gesicht, einem weißen Körper und dünnen Beinen, der sich ständig die Fingernägel abbiß. Er hatte schwarzes Haar, sehr dunkle Augen, ein traurig-verstohlenes Wesen. Er war eingeweiht; zur gegebnen Stunde wußte er aus dem Haus zu verschwinden.

Gant kam nun früher heim als sonst. Die Witwe räkelte sich auf der Terrasse im Schaukelstuhl. Er verbeugte sich tief, nannte sie »Madam«. Keusch wie ein Kätzchen unterhielt sie sich mit ihm. Sie machte ihm Augen. Sie war so frei, im Wohnzimmer, wo er nun schlief, aus- und einzugehen. Eines Abends trat sie bei ihm ein ... Sie kam gerade aus dem Bad, roch nach teurer Seife und trug einen hochroten Kimono.

Ein hübsches Weibsbild noch, dachte er.

Er erhob sich aus dem Schaukelstuhl, legte seine Abendzeitung, das republikanische Parteiblatt, weg, nahm die stahlgeränderte Brille von der großzinkigen Nase.

Sie trat näher. Mit einem lustigen Seitenblick auf ihn schlug sie den Kimono auf und zeigte Gant ihre dünnen, seidenbestrumpften Beine und die klobigen Hüften, die in blauen, gefältelten Seidenhöschen staken.

»Hübsch, was?« zwitscherte sie. Dunkel herausfordernd. Als er einen Schritt vorwärts tat, schlüpfte sie weg. Eine Schwergewichtsmänade, die die bacchantischen Verfolger lockt. Er hatte auch ihre Brüste gesehn:

»Ei! Und ein Paar Pippinchen!« rief er aus. Vom nächsten Morgen ab kochte sie ihm Frühstück. Eliza beobachtete die beiden von Dixieland aus mit bitteren Blicken. Er hatte kein Talent für Heimlichkeiten. Seine Morgen- und Abendbesuche in der Pension waren nicht mehr so lang, seine Tiraden nicht mehr so scharfzüngig.

»Bilde Dir ja nicht ein«, sagte Eliza, »daß ich nicht weiß, was bei Dir im Hause vorgeht.«

Er machte ein Schafsgesicht, grinste, leckte den Daumen. Sie versuchte zu reden, konnte nicht, bewegte lediglich die Lippen. Sie wandte sich wieder zum Herd, spießte ein Beefsteak in der Pfanne an und flappte es auf die ungebratne Seite. Sie lächelte rachsüchtig in den aufsteigenden blauen Dunst. Er stocherte sie mit plumpem Finger in die Weichen. Halb aufgebracht, halb amüsiert, zeterte sie los und entzog sich ihm:

»Weg da! Ich kann Dich nicht um mich herum ausstehen! Es ist zu spät für solche Späße!« Sie lachte ihn höhnisch an: »Gelt, jetzt möchtest Du, daß es nicht vorbei wäre. Jetzt möchtest Du noch können?« Sie bewegte wieder die Lippen, ohne ein Wort hervorzubringen. Schließlich sagte sie: »Ich würde mich schämen. Schämen würde ich mich. Hinter Deinem Rücken lacht sich die ganze Stadt ins Fäustchen über Dich.«

»Das lügst Du, Weib! Das lügst Du«, donnerte er großartig. Der hammerschleudernde Thor.

Er wurde seiner neuen Liebsten bald müde. Die Entleerungen machten ihn trübselig und furchtsam. Eine Zeitlang beschenkte er die Witwe mit kleinen Summen und vergaß, die Miete von ihr zu verlangen. Seine stürmischen Schelttiraden galten jetzt ihr. Er schritt stundenlang zwischen den Grabsteinen in seiner Werkstatt auf und ab und murmelte Drohungen vor sich hin. Er hatte längst herausgefunden, daß er die alte Freiheit seines Hauses eingebüßt und sich eine tyrannische Hexe aufgeladen hatte.

Eines Abends kam er schwer betrunken nach Haus, jagte sie aus ihrer Stube. Sie war schon entkleidet und abgeschminkt, hatte ihr künstliches Gebiß abgelegt. Sie erwischte noch schnell ihren Frisiermantel auf der Flucht. Er verfolgte sie, trieb sie in den Garten unter den großen Kirschbaum. Sie rannten um den Stamm herum, er heulte, stürzte täppisch auf sie los. Sie zitterte vor Angst, warf hastig scheue Blicke in die lauschende Nachbarschaft; sie fand Zeit, den zerknitterten Frisiermantel anzuziehen, so daß wenigstens das unzüchtige Bibbern ihrer Brüste verborgen war. Sie schrie um Hilfe. Niemand kam.

»Du Hündin!« gellte er. »Ich bring Dich um! Du hast mein Herzblut getrunken, Du hast mich an den Rand des Abgrunds gebracht, und nun weidest Du Dich an meinem Elend und lauschst mit teuflischem Entzücken auf das Rasseln des Todes in meiner Kehle, blutdürstiges, unnatürliches, furchtbares Ungeheuer, Du!«

Geschickt hatte sie den Baumstamm als Deckung gegen ihn benutzt. Als ihn nun die Flut der Flüche einen Augenblick ablenkte, floh sie furchtbesessen auf die Straße und suchte Zuflucht in einem Nachbarhaus. In Mistress Tarkintons Armen fand sie Aufnahme. Sie schluchzte hysterisch, die Tränen zogen Bäche über ihr armes, abgeschminktes Gesicht. Die beiden lauschten hinüber in Gants Haus. Sie hörten seine betrunknen Fußtritte, hörten, wie er mit lautem Krach Stühle in Trümmer schlug. Sie hörten seinen wüsten Fluch, als er umfiel.

»Er wird sich töten«, rief sie. »Er weiß ja nicht, was er tut ... Guter Gott!« flennte sie, »nie im Leben hat ein Mann so schreckliche Dinge zu mir gesagt.«

Sie hörten, wie Gant abermals hinfiel. Dann wurde es still drüben im Haus. Sie erhob sich ängstlich.

»Er ist kein böser Mensch«, flüsterte sie.

Im Frühsommer, als Helene heimgekehrt war, wurde Eugen eines Morgens durch schlürfende Schritte und aufgeregte Reden geweckt. Der Lärm kam von der Spielhütte her. Die Spielhütte, ein Beispiel Gantscher Extravaganz, war ein kleines Einzimmerhäuschen aus Holz; sie stand im Garten, unmittelbar hinterm Haus. Gant hatte sie vor Jahren, als die Kinder noch klein waren, gebaut. Nun wurde sie nie mehr benutzt; sie war eine köstliche Zuflucht; in der kühlen, muffigen Luft dort roch es gut nach altem Tannenholz und Schmökern.

Seit ein paar Wochen aber wohnte die kupferhäutige Annie dort. Annie war hübsch und mollig, fünfunddreißig Jahre alt. Sie war mit ihrer Herrin, Mistress Selborne, aus Süd-Carolina heraufgekommen; sie hoffte in dem Kurort eine Stelle für den Sommer zu finden. Sie war eine gute Köchin. Helene – stolz wie sie war – hatte Annie für fünf Dollar die Woche in Dienst genommen.

Gant war an diesem Morgen früher als sonst erwacht, hatte gedankenvoll an die Decke gestarrt, hatte sich angezogen und war zu Annie in die Spielhütte geschlichen. Das laute Protestgezeter der Negerin hatte Helene geweckt. Die Tochter, von Ahnungen erfüllt, war sofort herunter gekommen. In der Waschküche fand sie Gant; er ging händeringend auf und ab. In der Spielhütte fand sie Annie, sie quengelte laut vor sich hin und packte geräuschvoll ihre Siebensachen zusammen.

»Ich sein ein' verheirat' Frau; ich kann kein' Minut' nicht mehr hier bleiben; ich sein ein' verheirat' Frau.«

Helene packte Gant wütend an und schüttelte ihn.

»Du verdorbner alter Kerl!« schrie sie, »was unterstehst Du Dich!«

»Barmherziger Gott!« greinte er und stampfte mit dem Fuß auf wie ein eigensinniges Kind. »Muß das noch auf meine alten Tage über mich kommen?!« Er ging wieder auf und ab und heulte: »Hu-hu-hu-hu! O Jesus, es ist entsetzlich, es ist furchtbar, es ist grausam, daß Du mich so heimsuchst!« Seine Verachtung für die Vernunft war parnassisch: er bezichtigte Gott, daß er ihn bloßgestellt habe, er weinte, weil er ertappt worden war.

Helene eilte zu Annie und versuchte, die Empörte mit großen Gebärden und gutem Zureden zu beschwichtigen.

»Komm doch, Annie, vergiß den Vorfall. Ich gebe Dir einen Dollar mehr die Woche, wenn Du bleibst.«

»Nein, Madam«, erklärte Annie dickköpfig. »Ich kann kein' Minut' nicht mehr hier bleiben. Ich sein in Angst vor der Mann.«

Gant hielt in seinem Auf- und Abgehen inne und lauschte gespannt nach der Spielhütte. Sooft Annie ihre bündige Absage wiederholte, stöhnte er aus der Tiefe seines Herzens auf und begann von neuem mit seiner Klage.

Lukas erschien. Er war barfuß, gebärdete sich zappelig, trat von einem Fuß auf den andern. Er ging hinaus und guckte. Als er die starrsinnige, Hochachtung heischende Miene der Negerin sah, platzte er mit großem Wha-Wha-Wha heraus. Helene erschien vor Gant. Sie hatte sich einen Korb geholt. Nun war sie gründlich verärgert.

»Sie wird es in der ganzen Stadt herumtratschen«, verkündigte sie aufgebracht.

Gant verfiel in langatmiges Stöhnen. Eugen, den der Auftritt zunächst bestürzt hatte, wälzte sich quietschend vor Lachen am Boden. Ben erschien stirnrunzelnd in der Tür und fing an, kurz und verächtlich zu kichern.

»Und natürlich wird sie Mistress Selborne die ganze Geschichte brühwarm erzählen, da kannst Du Gift drauf nehmen«, fuhr Helene fort.

»O Du mein Gott!« flennte Gant, »warum hast Du mir dies auferlegt!«

»Ach, scher Dich zum Teufel mit Deiner Flennerei«, knurrte Helene. Ihr Zorn schlug plötzlich um; sie spürte die Komik der Situation. Sie war erschöpft; sie lächelte ein verwegnes Lächeln.

Eugen heulte vor Lachen, erstickte fast, bekam den Schluckauf.

»Idiot!« fauchte Ben, hob scharf die Hand – ein Lächeln flackerte über seinen Mund – er wandte sich ab.

In diesem Augenblick erschien Annie in der Tür: die tiefgekränkte Hochehrbarkeit in Person.

Lukas sah allen Ernstes erst auf seinen Vater, dann auf die Negerin. Er wurde zappelig, trat von einem Fuß auf den andern.

»Ich sein' ein verheirat' Frau«, sagte Annie. »Ich sein so kein Sach' nicht gewöhnt. Ich will mein' Lohn!«

Lukas explodierte. »Wha-Wha-Wha!« Er stocherte Annie in die gutgepolsterten Rippen. Sie zog ärgerlich vor sich hinbrummend ab.

Und nun lachten die Kinder alle, ein hilfloses, wildes, wahnsinniges Lachen. Und Gant, der Sterbenskranke, schritt auf und ab zwischen ihnen, klagte laut über den erbarmungslosen Gott, stachelte sie vorsichtig zum Lachen, zum Wiederlachen, zum Immerwiederlachen an. Ein schlaues Grinsen spielte um seinen wehleidigen Mund.

Ein Luftzug aus der Küche fuhr in Elizas Kammer.

Eliza rieb sich im Schlaf die Augen, lächelte. Ihre verbrauchten Hände tasteten suchend im Bett. Als sie den Platz neben sich leer fand, erwachte sie. Sie erinnerte sich.

Mein Jüngster, mein Ältester, letzte bittre Frucht meines Leibes, Du Dunkler, so fern, so einsam, wo bist Du? Sie erinnerte sich an sein Gesicht. Todessohn, Teilhaber meiner Gefahr, letzte Prägung aus meinem Fleisch, Du, der Du in mich eingerollt warst, den ich in meinem Schoß wärmte. Fort? Von mir abgeschnitten? Wann? Wo?

Die Küchentür ging. Ein Lieferjunge schmiß das Wurstpaket auf den Tisch. Eine Negerin schürte das Feuer im Herd. Nun war Eliza wach.

Ben tat es in aller Ruhe, aber ohne die geringste Verstohlenheit. Er gestand nichts, er bestritt nichts. Die Sitzschaukel auf der Veranda knirschte leis, sein dünnes Lachen stieß leis in die Dunkelheit. Mistress Pert lachte liebenswürdig, behaglich. Sie war dreiundvierzig, eine stattliche Frau mit guten Manieren, die ziemlich viel trank. Wenn sie betrunken war, wurde ihre Stimme leis, dunkel und faserig; sie lachte dann mild und ungewiß und ging mit der bedächtigen Schwere der Alkoholiker. Sie war gut angezogen, stand gut im Fleisch, sah aber nicht sinnlich aus. Sie hatte angenehme Gesichtszüge; ihr weiches Haar war braun wie altes Eichenholz. Ihre Augen waren blau und ein wenig verschwommen. Sie lachte mit einem glückselig kullernden Gluckern. Sie war allgemein beliebt in der Familie; Helene nannte sie Fatty.

Ihr Gatte war Handlungsreisender in der Drogenbranche; er bereiste Tennessee, Arkansas und Mississippi. Dreimal im Jahr kam er auf vierzehn Tage nach Altamont. Ihre Tochter Katherine, beinah so alt wie Ben, kam jeden Sommer auf ein paar Wochen nach Dixieland; sie war Volksschullehrerin in einem Dorf in Tennessee. Ben war mit beiden Kavalier.

Mistress Pert gluckte sanft, wenn sie mit ihm sprach. Sie nannte ihn »Old Ben«. Er saß bei ihr auf der Sitzschaukel im Dunkeln, redete ein bißchen, summte ein bißchen vor sich hin, lachte manchmal ein bißchen in dünnem Moll, schwieg lange und rauchte viele Zigaretten in tiefen Lungenzügen. Manchmal brachte er eine Flasche Whisky mit, die tranken die beiden stillschweigend aus. Vielleicht machte sie das ein wenig gesprächiger als sonst. Jedenfalls: laut waren sie nie. Dann und wann standen sie einmal gegen Mitternacht von der Sitzschaukel auf, gingen auf die Straße hinaus und verschwanden unter den laubigen Bäumen. Dann kamen sie beide die ganze Nacht nicht heim.

Eliza, die einen Haufen Wäsche in der Küche bügelte, horchte auf. Sie ging in den ersten Stock und sah in Mistress Perts Zimmer nach. Mit nachdenklich verzognem Mund kam sie wieder herunter.

Sie mußte sich über solche Sachen mit Helene aussprechen. Es bestand ein merkwürdiges, trotziges Mitteilungsbedürfnis zwischen den beiden. Sie lachten und waren bitter zusammen.

»Aber gewiß!« antwortete Helene. »Ich weiß das schon die ganze Zeit.« Trotzdem war sie neugierig und skeptisch in ihrem unschuldigen Kinderglauben. »Glaubst Du, daß er es wirklich mit ihr hat? Sicher nicht, Mama, sie ist ja alt genug, um seine Mutter zu sein.«

Über Elizas weißes, nachdenklich und vorwurfsvoll verzognes Gesicht huschte ein wissendes Lächeln. Um es zu verbergen, wischte sie sich schnell die Nase. Sie kicherte.

»Ich will Dir was sagen«, erklärte sie, »der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Er schlägt seinem Vater nach.« Dann flüsterte sie: »Es steckt im Blut.«

Helene lachte heiser, kratzte sich verlegen am Kinn, sah auf den ungejäteten Garten hinaus.

»Armer, alter Ben«, sagte sie, und Tränen traten ihr in die Augen. »Immerhin, Fatty ist eine Lady. Ich mag sie gern. Mir ist's gleich, ob's die Leute wissen«, fügte sie trotzig hinzu. »Das geht niemanden sonst was an. Und sie benehmen sich still, das muß man zugeben.« Sie schwieg eine Weile, dann bemerkte sie: »Die Frauen sind verrückt auf ihn. Sie haben die Stillen gern, nicht wahr? Ben ist ein Gentleman.«

Eliza schüttelte gewichtig den Kopf. »Ja, ja, was Du nicht sagst«, flüsterte sie und schüttelte wieder den Kopf. »Sie sind immer zehn Jahre älter, mindestens!«

»Armer, alter Ben«, wiederholte Helene.

Eliza schüttelte wieder den Kopf. »Ja, ja«, sagte sie, »ein so stiller, trauriger Mensch, ja, ja ...« Sie wollte sprechen, aber die Worte blieben ihr im Mund stecken. Nun waren auch ihre Augen feucht.

Sie dachten über Söhne, über Liebhaber nach. Sie wurden zutraulich aus lauter Mitteilungsbedürfnis. Sie tranken den Kelch ihrer gemeinsamen Sklaverei und dachten an diese Gantschen Männer, die immer Hunger kennen würden, immer Fremdlinge sein würden im eignen Land, Wanderer, die ihren Weg verloren haben. O verloren.

Frauenhände waren hungrig auf sein sprödes Haar. Frauen, die aufs Zeitungsbüro kamen, um Anzeigen aufzugeben, fragten nach ihm. Die Stirn in ernste Falten gelegt, saß er da und überlas mit monotoner Stimme, was sie geschrieben hatten. Seine hageren, behaarten Handfesseln stießen an die gestärkten Manschetten. In den sehnigen, nervösen, von Nikotin wie altes Elfenbein gefärbten Fingern hielt er den Bleistift. Er stilisierte die Anzeige um. Den Kopf gebeugt, die Stirn noch ernster gerückt, strich er aus, zog er zusammen, stellte er um. Ausdrucksvolle Damenfinger zuckten. »Wie gefällt Ihnen der Wortlaut jetzt?« fragte er. Geistesabwesende Antworten. Augen in sprödes Kraushaar verwirrt. »Sehr viel besser. Danke schön.«

Gesucht: Stirnrunzelnder Mannknabenkopf für verständnisvolle Finger reifer sympathischer Frau. Unglücklich verheiratet. Anschrift: Mrs. B. J. X. Postfach 74. – Acht Cent das Wort bei einmaligem Erscheinen des Inserats. Zärtliches: »Oh, danke schön, Ben.«

Der fette Jack Eaton, Redakteur des Anzeigenteils, kam ins Büro des Lokalredakteurs. »Ben«, sagte er grinsend, »eine von Deinem Harem ist draußen. Sie hätte mir fast den Kopf abgerissen, als ich ihr das Inserat abnehmen wollte. Frag sie doch bitte, ob sie 'nen Freund hat!«

»Oh, nun hör Dir das an, bitte«, kicherte Ben. Er warf die Zigarette weg und ging nach vorn ins Inseratenbüro. Eaton blieb einen Augenblick beim Lokalredakteur, um zu lachen.

O seltner Ben Gant! Im Hochsommer, wenn Dixieland überfüllt war, hausten Ben und Eugen öfters zusammen in Gants Haus. Sie hatten das große Vorderzimmer, in dem sie beide geboren waren. Spät am Abend kam Ben heim. Einen Berg Kissen in den Rücken gestopft, lag er in dem alten breiten Bett und las. Er las laut und stolpernd, aber mit sehr ebenmäßiger, ruhiger Stimme, die Baseballgeschichten von Ring Lardner. Die Aussprache unbekannter Vokabeln machte ihm Schwierigkeiten.

Das flache Verandadach vorm Fenster war noch warm von der Sonne und roch nach Teer. Üppige, spinnwebige Traubenperkel hingen dicht in den breitblättrigen Reben.

Ben las mühsam, hielt einen Augenblick später inne und kicherte. Wie ein Kind, stirnrunzelnd und beflissen, tastete er nach dem Sinn. Frauen liebten seine stirnrunzelnde, langsame Beflissenheit. Schnell war Ben nur in Augenblicken der Wut, und wenn er sein »Oh, nun hör Dir das an, bitte!« zu seinem Engel sprach.


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