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Auf Hvidgaard.

Es war fünf Uhr. Die Sonne war seit einer Stunde zum Vorschein gekommen ... Die Knechte kamen, noch geduckt vom Schlaf, langsam unten aus dem Vorwerk angetrabt, um ihr erstes Frühstück in der Gesindestube herunter zu schlingen.

... Die Schwäne platschten schon im Wallgraben umher. Und um die Fontäne im Burghofe spazierten die Pfauen und schlugen Räder und stießen ihre mißtönigen Schreie aus ...

»Haltet's Maul,« sagte ein Kerl im Vorbeigehen, dem noch die gewöhnliche Morgenverstimmung in den Gliedern steckte, und stieß mit dem Fuß wütend einen Stein mitten unter sie ...

Auf seinem einsamen Lager in dem großen nach dem Garten zu gelegenen Schlafzimmer lag Hofjägermeister Palle und schlummerte.

Der Sonnenschimmer auf den Fensterscheiben hatte nicht vermocht, ihn zu wecken, auch nicht der Laut des erwachenden Hofes. Spät war er nämlich zur Ruhe gegangen, und Stunde auf Stunde hatten Entbehrung und Sehnsucht ihn wach gehalten.

Erst gegen Morgen hatte der Schlaf sich seiner erbarmt – wie es heißt.

Aber dann träumte er ...

Und immer wieder träumte er denselben bittersüßen Traum von seiner Gattin Mona:

Sie lag neben ihm, die Arme hatte sie um seinen Hals geschlungen, und ihr Körper brannte an dem seinen ... Aber wenn er sie dann an sich ziehen wollte, um sie ganz zu umarmen, entschwand sie ihm und er erwachte beschämt und war einsam wie zuvor ...

So glitten seine Witwer-Nächte dahin. – – –

Alvilda hieß eines der Hausmädchen auf dem Hofe, ein großes und kräftiges Weibsbild von zwanzig und einigen Jahren ...

Palle und Mona hatten sich oft darüber amüsiert, wie entzückt das Mädchen die männliche Schönheit ihres Brotherrn angaffte. Sie konnte mitten in ihrer Arbeit am Mittagstisch innehalten, um ihn anzuglotzen, lahm vor Ehrfurcht. Er war ihr eine Offenbarung, eine Gottheit, vor der sie einen bebenden Drang empfand, sich zu demütigen; in tiefster Untertänigkeit hätte sie sich an sein Lager führen lassen, um nach beendigtem Opferfeste knieend seinen Fuß auf ihren Nacken zu setzen und ihm für das zu danken, was er ihr gegeben ... Denn sie war das Weib in Reinkultur, die Henne von Gottes Gnaden, die in grenzenlosem Unterwerfungsdrange sich zur Erde neigt, wenn sie auf ihrem Wege ihm begegnet, dem Einzigen, Einen: dem Mann, dem Geliebten, dem Hahn!

Solange Frau Mona lebte, hatte Palle Uldahl für andere Frauen keinen Gedanken gehabt. Sie konnten lockend und aufreizend in ihrer reifen Schönheit sein, wie es seiner Zeit Frau Line auf Havslundegaard gewesen ... Oder sie konnten lebhaft, sinnenerregend jung sein, wie die kleine Minka vom Moorhofe ... Palle sah sie freilich mit Wohlgefallen an; aber er begehrte sie nicht. Er wußte, kein Weib konnte ihm einen wonnigeren und mannigfaltigeren Rausch schenken als er ihn in Mona-Lisas Armen genoß ...

Aber da, eines Tages war das Märchen also aus, und er war allein zurückgelassen.

Und da ergriff ihn die Reue über ein vergeudetes Leben und trieb ihn ruhelos in Hvidgaards leeren Stuben umher.

Er hatte schwer gesündigt, gegen sich selbst und Mona!

Ihr Tod hatte seinen Blick geklärt und er erkannte nun klar, daß es eigentlich gar nicht Monas Körper war, der ihn hauptsächlich gefesselt hatte; es war ihre Seele! Ihre reiche, mannigfache Seele war es, die seine Tage mit den reich wechselnden Tränen und Sonnenblicken eines Aprils erfüllt hatte! ... Ach, weshalb kam einem die goldene Erkenntnis der Wahrheit immer erst, wenn es zu spät war!

Und er beschloß, den ganzen Rest seines Lebens zu benutzen, um diese Sünde zu sühnen. Er wollte Mona-Lisa einen Tempel in seiner Brust errichten, ein Heiligtum, in dem ihm ihre verklärten Züge ewig entgegenleuchten sollten; einen Altar wollte er ihr errichten, vor dem er ihrem gesegneten Gedächtnis opfern würde.

Wie sie seine erste eigentliche Liebe gewesen, sollte sie auch seine letzte sein. Nie sollte ein anderes Weib Mona-Lisas Bild aus seinem Herzen und seinen Armen verdrängen!

So schwor er.

Und es war, als ob seine Sehnsucht nach der großen Heimgegangenen dadurch Tag für Tag gleichsam geläutert, reiner, zarter, geistiger würde ...

Die Uhr schlug sieben. Es klopfte still an die Tür, und das Stubenmädchen Alvilda trat ein mit einem Tablett, auf dem der Morgenimbiß des Hofjägermeisters stand: sechs Setzeier, vier Scheiben Schinken, Brot, Butter und Kaffee, alles was sie auf dem Tisch vor seinem Bett anbrachte.

Palle fuhr auf, heiß vom Schlafen und Träumen:

» Mona ...!« stotterte er und breitete entzückt die Arme aus ...

Und erst neun Monate später wurde ihm sein Irrtum klar.


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