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An Minka, die ja die Tochter eines betitelten und wohlhabenden Mannes war, konnte indessen ein ältlicher Bauernknecht nicht so leicht herankommen.

Aber sobald Hans Gutsbesitzerssohn geworden war, spannte er eines Tages an und fuhr ganz insgeheim zum Moorhofe, um einen Stier zu besichtigen, der in der Zeitung zum Verkauf ausgeboten worden war.

Er wurde vom Jägermeister und dessen Frau ganz besonders ehrerbietig aufgenommen. Aber von Minka sah er nichts; und nach ihr fragen wollte er nicht. Da sicherte er sich das Vorkaufsrecht auf den Stier und fuhr wieder nach Hause.

Das nächste Mal, als er nach dem Moor-Hof fuhr, war es gerade an dem Fastnachtssonntag, als Minka zum Kostümfest nach Havslundegaard mußte. Und er kam an, als sie im Begriff war, in den Wagen zu steigen. Also ging die Sache mit dem Stier auch diesmal nicht glatt.

Und als er sich zum dritten Mal einfand, erzählten die Eltern äußerst stolz, daß Fräulein Charlotte von Havslundegaard Minka am vorhergehenden Tage zu einem längeren Besuch abgeholt hatte.

Nun glaubte Hans den Stierhandel nicht gut mehr in die Länge ziehen zu können, und dieser Handel wurde deshalb abgeschlossen.

Aber die Begierde nach Minka saß ihm ständig wie ein Krebsschaden in der Brust und fraß und nagte und ließ ihm keinen Frieden.

Er spannte also nach Verlauf einer Woche wieder an. Fuhr aber diesmal nach Havslunde.

Hans hatte mit Natanael Larsen, dem neuen Verwalter des Hofes, zusammen gedient. Und als Vorwand für den Besuch gab er an, die Konstruktion einer Reihen-Sämaschine besichtigen zu wollen, die er sich vielleicht auch anschaffen würde. ...

Sie saßen im Zimmer des Verwalters und plauderten miteinander.

Lars war ein großer, starkknochiger Kerl von schmieriger und gelblicher Gesichtsfarbe, mit ein Paar stechenden, schamlosen, gelbbraunen Augen von der Sorte, unter deren Blick den Frauenzimmern die Kniee zittern. Er war Predigersohn, aber von »unechter« Geburt, da er aus der Verbindung eines unglücklichen geistlichen Erotomanen und einer Lehrerin namens Ingeborg Larsen abstammte.

Den Namen Natanael hatte ihm die Mutter in Anbetracht seiner theologischen Herkunft gegeben ...

Es war das erste Mal nach der Erbgeschichte, daß Hans und Natanael miteinander plauderten.

»Ja, nun hast du, Schwerenot, den Vogel abgeschossen, Henriksen!« sagte der Verwalter. »Teufel auch, daß man bloß eine Lehrerin zur Mutter gehabt hat, und keine Haushälterin, ha, ha!«

Mamsell Helmer kam herbei mit einer Flasche Bier und einem Bissen Brot. Sie blieb abwartend vor dem Tisch stehen.

Larsen sah sie höhnisch von oben bis unten an.

»Ja, danke, Mamsell,« sagte er dann knurrend, »essen können wir allein! ... Die alte Kruke!« fuhr er fort, als die Mamsell zornsprühend das Zimmer verlassen hatte. »Gut, daß sie zum Mai weg muß, dann wird man doch ihre Zudringlichkeit los! ... Kannst du dir denken,« griente er, »daß sie sich in einer Nacht, gleich nachdem ich hier auf den Hof gekommen war, hol' mich der Teufel, bei mir in der Kammer einfindet und tut, als ob sie nachtwandelte! ... Ha, ha! Aber du kannst glauben, ich hab' sie ein bißchen fix geweckt mit der Wasserkanne da! ... Sie ist nicht mein Typus mit all dem Fleisch; meine soll sich schlängeln können, weißt du!«

»Dann haßt sie dich wohl,« fragte Hans.

»Ja, mit Dampf! ... Und ich habe auch all den Mausereien einen Riegel vorgeschoben, an die sie noch aus der Zeit des vorigen Selbstmörders her gewöhnt war. ... daß man so närrisch nach einem Frauenzimmer werden kann, das habe ich nie begreifen können!« fuhr der Verwalter fort – »Herrgott, man kann ja damit zu 'ner anderen hingehen! – Gott weiß übrigens, was die beiden Kumpane zusammen dem Gutsbesitzer gekostet haben!«

»Ist er nicht mehr gut Freund mit ihr?«

»Nee ... und nun steht doch in den Zeitungen, daß er bald Minister werden soll, da muß er ja vorher ausmisten! ... Denn Minister mit Liebsten hat man doch nicht gesehen, hi, hi! ... Aber wir wollen wohl hinüber und uns die Sämaschine ansehen ...«

Als sie schräg durch die Scheune gingen, trafen sie Fräulein Sophie, mit einer Salonpistole in der Hand und von Türk gefolgt.

Sie zuckte vor Unbehagen zusammen, als sie den Verwalter sah. Und Türk wies die Zähne und knurrte.

»Guten Tag, Hans Henriksen,« sagte das Fräulein freundlich und blieb vor ihm stehen. »Wie geht es Ihnen?«

Hans errötete. Er hatte seit Onkel Joachims Tod keinen von der Familie Uldahl gesehen.

»Wie geht es dem alten Rinaldo?« fragte das Fräulein und strich Türk beruhigend über den Rücken, um den gemeinen Augen des Verwalters zu entgehen, die sie umspielten.

»Rinaldo ist tot, Fräulein ... Wir haben ihn an demselben Tage erschossen, an dem der Gutsbesitzer begraben wurde.«

»Können Sie es nicht mit Türk ebenso machen, wenn ich einmal sterbe, Hans Henriksen?«

»Fräulein denken doch wohl nicht so bald daran?«

»Man kann's nicht wissen,« lachte sie.

Der Verwalter drängte sich vor.

»Hat Fräulein Ratten geschossen?« fragte er und deutete auf die Büchse.

Sophie tat, als ob sie ihn nicht hörte.

»Ihr habt wohl nicht Urgroßvaters Elfenbeinstab gefunden?« fragte sie Hans. – »Vater fabelt in seinen Briefen beständig davon.«

»Nein, wir haben ihn nicht gefunden ... Ich glaube, der Herr Gutsbesitzer hat ihn mit ins Grab genommen.«

Sophie lachte:

»Das könnte ihm ähnlich sehen! – – – Na, adieu, Hans Henriksen; und grüßen Sie Ihre Mutter! ...«

»Hochnäsige Bande!« sagte Verwalter Larsen und sah dem Fräulein wütend nach, als es weiter ging, scheinbar ohne seine Gegenwart bemerkt zu haben.

»Ich finde eher, daß sie traurig aussieht ...« meinte Hans.

»Hä, ja!« grinste Nataniel, »sie braucht ein bißchen ... (hier machte er eine obscöne Gebärde) ... Du solltest dich an sie heranmachen, jetzt, wo du selbst ein großes Tier geworden bist!« fuhr er fort –. »Ich sah ihre Beine neulich, als sie über einen Balken in der Tenne fiel ... M – m – m – m! FF! Was sagst du!«

»Wir wollten die Sämaschine besichtigen,« sagte Hans Henriksen kurz.

»Ja ... die steht hier drüben im Wagenschuppen ... Du hast dich wohl jetzt in Watte gewickelt, hi, hi!«

Als sie mit der Besichtigung der Maschine fertig waren und der Wagen wieder angespannt stand, deutete der Verwalter auf den Eleven Jacobsen, der gerade aus dem Kuhstall kam.

»Kennst du den Hänfling?« fragte er.

»Nein ...«

»Das ist ein reiner Amor! Der nimmt uns allen andern die Luft weg!«

»So – o– e ...«

»Ja ... Und selbst unser Fräulein Frederikke ist verrückt nach ihm. Aber er sieht kaum mehr nach ihr hin, seit diese Moor-Minka hier zu Besuch ist.«

Die Zügel zuckten unwillkürlich in Hans Henriksens Hand, daß die Pferde tanzten.

»Hoa – hoa, so, so ...!« beruhigte er sie.

»Aber sie ist doch wirklich ein appetitliches Futterpäckchen,« fuhr der Verwalter fort und schmatzte. »Die möchte ich wahrhaftig lieber bei mir im Bett haben als einen Floh! ... Kennst du sie?«

»Nein!« sagte Hans, und das Blut stieg ihm zu Kopf. »Du etwa?«

»Nee ...!«

»Dann solltest du nicht so frei über sie sprechen, find' ich.«

»Na – e, Teufel, Teufel!« höhnte der andere. »Wenn sie hier herumrennt und mit unserm Fräulein Charlotte eine Liebschaft hat, dann verdient sie es, zum Donnerwetter, nicht besser!«

»Liebschaft ...?«

»Ja, gewiß Liebschaft. Sie schlafen zusammen, und sie fahren zusammen aus, und sie baden zusammen ... Das sieht doch ein Blinder! Aber es ist doch eine Sünde und Schande für uns Mannsleute, denn wir möchten doch auch gern ein bißchen von diesem süßen, süßen, süßen Siehstduwohl haben!« Er wand wollüstig seinen langen mageren Körper. »Ha – ha. Wie?«

Aber Hans Henriksen sagte plötzlich Adieu und sprang auf den Wagen. Er konnte kaum seine Lust bändigen, dem Verwalter mit seinem Peitschenstiel mitten in die gelbe Fratze zu schlagen.

»Adieu!« wiederholte er und erhob zugleich die Peitsche wie zum Gruß.

»Aber du hältst ja den Schaft nach oben, Mensch!« lachte der Andere. »Was Teufel, ist mit dir los, daß du plötzlich so eilig hast! Reitet dich der Satan?«

Hans gab den Pferden die Zügel, ohne zu antworten.

Aber hinter seinem Rücken hörte er Natanaels böses Kichern ...

Eine Meile von Havslunde traf Hans Henriksen Franz Uldahl aus Kragholm. Er kam breit und zufrieden auf seinem dicken Paßgänger angeritten.

»Guten Tag, guten Tag!« rief der Kragholmer und nickte dem jungen Mann freundlich zu.

Herr Franz war ja im Augenblick nicht unter Frau Karens Kontrolle und da ging das Herz mit ihm durch.

 

Das ist ja das Entsetzliche, Isidor, daß ich nie über das sprechen kann, was mich am meisten erfüllt. Als Du gestern hier wärest, wollte ich Dir etwas sagen und Dich um Rat fragen, aber ich konnte es nicht über meine Lippen bringen, es saß mir wie ein dicker Klumpen im Halse. Aber nun will ich es schreiben, dann bekommst Du es einst zu lesen, und dann wirst Du an Deine kleine Freundin denken, wenn sie einst tot ist. Es ist der neue Verwalter, Isidor, der mir solche Angst einjagt! Und hauptsächlich über ihn wollte ich mit Dir sprechen. Wenn ich ihn nur sehe, muß ich zittern; es sind seine Augen! Ich weiß nicht, wie ich es Dir erklären soll; aber es ist, als stünde man ganz nackt da, wenn er einen ansieht! Er kann noch so höflich und freundlich sein, aber man ist doch immer nahe daran, zu schreien: »Ach sehen Sie mich nicht mit den Augen an!« Und dann hat er auch so ein scheußliches schmutziges Lächeln! Die Schwestern und die Mädchen hier sagen dasselbe, aber sie werden nur wütend auf ihn und nicht ängstlich wie ich. Frederikke sagte neulich, sie schlüge Larsen nochmal eines Tages mitten ins Gesicht; aber ich habe meist Lust, vor ihm davonzulaufen und mich vor ihm zu verstecken. Und trotzdem, Isidor, und das ist das Fürchterliche und das Herbwürdigende für mich, ich fühle auch das Verlangen, mich ihm um den Hals zu werfen und laut aufzuschreien: »Hier bin ich, mache mit mir, was Du willst und laß mich dann zufrieden!« Und glaubst Du, mehrere Male bin ich nahe daran gewesen, es zu tun! Aber wenn ich es nun tue, Isidor, wenn ich es nun tue, was dann? Ja, dann muß ich mich selbst nachher umbringen, denn die Schande kann ich nicht überleben! Und einer von der Familie muß ja hier auf Havslunde sterben, sagt Mamsell Ingwersen, wie die beiden vorigen Besitzer. Da laß es nur mich sein, die ich die Unglücklichste bin. Aber jetzt höre nur: ich fiel neulich, als ich unten in der Dreschtenne herumlief und mit Türk spielte, und als ich aufstehen wollte, stand der Verwalter plötzlich über mich gebeugt und berührte mich, um mir zu helfen, und seine Augen, ach, hättest Du nur seine Augen gesehen! Ich wäre beinahe ohnmächtig geworden, als ich seine Hände an meinem Körper fühlte, und wäre Türk nicht in diesem Augenblick dazugesprungen und hätte ihn weggerissen, so weiß ich nicht, was geschehen wäre, denn, Isidor, Isidor, es ist entsetzlich, was ich Dir jetzt sage, aber es ist wahr! Ich lag und wünschte, daß er mich so richtig in seine Arme schließen und an sich pressen möchte. Aber Gott sei Dank, daß Türk ihn fortriß, denn da sprang ich auf und flüchtete. Aber ist es nicht entsetzlich, Vetter Isidor, daß der Mensch eine solche geheime Macht über mich erlangt hat, daß ich fast an weiter nichts denken kann, als an ihn? Ich sehe ihn überall und träume von ihm des Nachts, ach, wie ist das doch fürchterlich! Und mit niemand kann ich sprechen, und niemand mich anvertrauen, denn was würdet Ihr von mir denken, wenn ich Euch all das Garstige erzählte, mit dem ich mich in Gedanken herumtrage! Und da gibt es noch viel mehr, als das mit dem Verwalter' denn Frederikke läuft umher und gibt sich Stelldicheins mit dem Eleven Jacobsen, und Charlotte und Minka vom Moor sind »Liebesleute«, sagt das Stubenmädchen Olga; und Anna, ja, mit Anna steht es fast am schlimmsten. Und es ist schrecklich, es zu sagen, aber ich habe entdeckt, daß sie sich manchmal in die Speisekammer schleicht und von dem Wirtschafts-Madeira trinkt. Und dann schließt sie sich ein und liegt viele Stunden auf ihrem Bett und schläft! Wie traurig bin ich doch darüber, daß Mutter in eine solche alte verdorbene Familie hineingeraten ist, sie, die es hätte so schön haben können unter den gesunden und forschen Menschen, von denen sie herkommt; aber gut ist es doch, daß sie gewiß von alledem garnichts sieht, sie glaubt, daß alles ist, wie es sein soll, und wenn sie mit der Wirtschaft fertig ist, sitzt sie mit ihren Karten und mit Vaters alten Briefen aus der Zeit, als er und sie noch einander liebten. Ich bin die Einzige, die sieht, wie schlecht es um uns alle steht; aber das ist wohl so eine Bürde, die mir Gott auferlegt hat, weil ich nicht mehr an ihn glaube;

ach, Isidor, Isidor, Du mußt mir helfen, sonst weiß ich
nicht, was daraus werden soll!
           Dein bis in den Tod                      S.

Isidor, wenn Du das nächste Mal herkommst, dann küsse mich nur ruhig; aber Du mußt mich nicht vorher danach fragen – denn dann sage ich bloß: Nein.                     Deine                        S.

Jeder, der die häuslichen Verhältnisse auf Kragholm einigermaßen kannte, mußte sich wundern, wenn er sah, wie Franz Uldahl im Laufe der Jahre stets an Fülle und Umfang zugenommen hatte.

Man wußte, daß Frau Karen ein streng ökonomisches Regiment führte; und die Dienstboten klagten stets über das Essen. Aber sie schlug ihre Klagen mit dem Hinweis darauf nieder, daß die Herrschaft keineswegs üppiger lebe.

Und das Taschengeld, das sie ihrem Mann überließ, konnte ihn nicht fett machen. Das reichte gerade zu Tabak und Zahnpulver aus.

Und trotzdem wurde er runder und vergnügter mit jedem Jahre, das verstrich. Das Lächeln wich ihm nicht von Lippen und Augen; und des Nachts lag er und gluckerte mit seinem unterseeischen Gelächter, das nun in ein kondensiertes Kichern ausgeartet war, dessen Stärke Frau Karen veranlassen konnte, ihn mit einer wütenden Klaue am Nachthemd zu packen und zu zerren, bis er erwachte und sich ärgerlich aufrichtete.

»Worüber liegst du denn da und lachst, Franz! Eine scheußliche Gewohnheit, die du dir zugelegt hast. Mir kommt kein Schlaf in die Augen!«

»Lachen? Ich lache doch nicht.«

»Was sind es dann für Laute, die du hervorbringst?«

»Das muß mein Asthma sein,« brummte er. »Das ist immer am schlimmsten, wenn ich ins Bett komme.«

Onkel Franz hatte nämlich begonnen, an Atemnot zu leiden, behauptete er, und er machte deshalb täglich lange Spazierritte, wie das Wetter auch war, um frische Luft und Bewegung zu haben.

Er ritt gewöhnlich um einhalb zwei Uhr, unmittelbar nach dem Mittagskaffee, fort und konnte dann an die vier, fünf Stunden wegbleiben. Zweimal wöchentlich, Mittwoch und Sonnabend, fuhr er in die Stadt zu irgend etwas, was er »landwirtschaftliche Sitzungen« nannte und wovon er erst spät nachts heimkehrte. Und Frau Karen machte ihm niemals Vorwürfe deswegen, da dies jetzt seine einzige Form der Ausschweifung war.

In den letzten zehn Jahren hatte er den Kreisbezirk nicht mehr verlassen; ein paar mit seiner Frau unternommene Reisen in die Hauptstadt ausgenommen ... Und nun sollten sie also bald Silberhochzeit feiern ...

Es liegt ein Krug, der Herritslev-Krug heißt er, gut zwei Meilen von Kragholm entfernt und ungefähr in der Mitte zwischen Hvidgaard und Groß-Ravnsborg.

Der Krug gehörte damals einer Witwe, Sidsel Christoffersen, die ihres vortrefflichen Essens wegen weit und breit berühmt war ...

Als der Hofjägermeister Palle und seine Mona eines Nachmittags dort vorbeiritten, kam es dem Hofjägermeister vor, als sehe er einen Schimmer von Franz' strahlendem Antlitz, während sie die Fenster passierten.

»Mona!« sagte er und hielt das Pferd an – »Hast du den Kragholmer gesehen! Paß auf, Madame Christoffersen mästet ihn, hol' mich der Teufel! Wir müssen hinein!«

Und sie brachten schleunigst ihre Pferde in den Stall und gingen in die Krugstube.

Und ganz richtig, sie fanden Franz Uldahl drinnen!

Aber er saß friedfertig an dem gescheuerten Tannenholztisch und genoß eine Tasse Kaffee mit einem Stück Weißbrot von der Nacht.

Aber davon soll man ja nicht besonders viel Talg auf den Leib kriegen.

Der Tag der Silberhochzeit rückte heran.

Es waren an die fünfzig Einladungen ergangen, und da mehrere der Gäste von weit herkommen sollten, waren alle Fremdenzimmer auf Kragholm instand gebracht worden. Frau Karen hatte beschlossen, diesen Meilenstein in einer Weise zu feiern, welche der Welt einen gehörigen Eindruck davon geben konnte, ein wie glückliches Zusammenleben sie und Franz trotz alledem in diesen – ach, allzu schnell verronnenen – fünfundzwanzig Jahren geführt hatten. –

Zehn Tage vor der Festlichkeit fuhr das Brautpaar nach Kopenhagen, um einzukaufen. Nichts sollte gespart werden. Karen goß gleichsam Geld aus. Eine große Kiste nach der andern, bis zum Deckel mit Delikatessen angefüllt, traf in Kragholm ein. Und als alles wohl besorgt war, setzten Mann und Frau sich getrost in den Zug, der sie heimwärts führte.

Aber da geschah es in der Nähe von Samsö, daß Frau Karen mit ihrem Franz sprechen wollte und er nirgends zu finden war. Sie suchte auf dem ganzen Schiff herum und fragte und fragte, aber er war nicht da. Er hatte sie in Kallundborg getreulich an Bord geleitet und auf einem Sofa in der Damenkajüte angebracht. Aber seit dem Augenblick an war jede Spur von ihm verwischt ...

Nach Kragholm heimgekehrt, wartete und wartete die Braut. Aber der Traute kam nicht. Und es waren nur noch drei Tage bis zum Fest.

Da vergoß Frau Karen, wohl zum ersten Mal in ihrem Leben, aufrichtige Tränen, und zwischen zwei ungeheuren Füllhörnern sitzend, depeschierte sie an die Gäste, die Uldahls und die Heinemanns, daß sie nicht kommen möchten, das Fest sei aufgegeben, Franz' Atemnot hätte sich verschlimmert.

Aber die Delikatessenkisten ließ sie nach Kopenhagen zurückgehen, da die Sachen, Gott sei Dank, auf Jahresrechnung genommen waren.

Dies war der unwiderruflich letzte Ausflug des Kragholmer Mannes.

Und als er vierzehn Tage später von irgend wo unten aus Hinterpommern her retournierte und in einer Abendstunde in einem Heuschober vor der Scheune aufgefunden und zu Bett gebracht wurde, verhuzelt, kleinmütig und schlapp, war das Lächeln völlig aus seinem Gesicht verschwunden und seine Augen waren wie die des Hundes Türk zu Tode betrübt.

»Wie konntest du das tun, Franz?« fragte seine tiefgekränkte Gattin.

»Möw, möw ...« brummelte Franz und kroch tiefer unter die Decke. »Laß mich zufrieden!«

Aber Frau Karen nusselte und pusselte nach Frauenart um ihn herum, pökelte ihn in schmerzlich-vorwurfsvolle Sorgfalt ein und ließ ihm keine Ruhe. Während sie doch gleichzeitig die Freude hatte, zu konstatieren, daß er seinen mystischen Lachanfällen nicht mehr nachgab, weder bei Tag noch bei Nacht. Und sie faßte im Herzen die Hoffnung, daß der Gedanke an diesen Silberhochzeits-Possen seine verborgene Munterkeit hervorgerufen hätte, und daß er jetzt für immer geheilt sei ...

Aber als Franz Uldahl drei Wochen später die Folgen seiner Hochzeitsreise überwunden hatte, nahm er seine Spazierritte von neuem auf und gewann allmählich seine ehemalige Fülle wieder.

Und in einer Nacht wurde Frau Karen dadurch aus ihrem Schlummer geweckt, daß er wieder lag und kicherte, listiger als je zuvor.

Und da soll sie zum zweiten Male wahrhafte Tränen vergossen haben.


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