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Auftakt

Grausamer Isidor, weshalb saßest Du die ganze Zeit bei Mutter und plaudertest mit ihr? Merktest Du nicht, daß ich die ganze Zeit vom Fenster aus zu Dir hinüberblickte und immer bleicher wurde, nur vor Sehnsucht, wie eine kleine, kranke Blume, die nach der Sonne verlangt? Ich liebe Dich, Vetter Isidor, ich liebe Dich, daß ich schreien könnte! Weißt Du, was ich des Abends tue, wenn ich ins Bett komme? Ich nehme das Taschentuch, das Du neulich draußen im Entré verlorest und nicht wiederfinden konntest und lege es über mein Gesicht und träume von Dir bis ich einschlafe, es riecht so wundervoll nach Deinem Parfüm, und nun habe ich mir beim Kolonialwarenhändler Ingerslev selbst eine Flasche Violette Russe gekauft.

Ach, kleiner süßer, lieber Vetter Isidor, wenn Du zu uns auf Besuch kommst, dann ist es als ob die Sonne schiene, und ich könnte ruhig die ganze Zeit auf einem Schemel zu Deinen Füßen sitzen und Dich ansehen, ohne müde zu werden; aber das darf ich ja nicht, da Du verheiratet bist. Die Mädels machen sich über mich lustig, weil ich so gern von Dir sprechen möchte, aber nun nenne ich Deinen Namen nie mehr und wenn ich es gar nicht lassen kann, dann gehe ich in eine Ecke und spreche ganz leise vor mich hin: »Isidor, ich liebe Dich!« Und manchmal, wenn Türk und ich unten in meinem Häuschen sind, dann spreche ich laut von Dir, und ich glaube, Türk versteht mich, denn er sieht mir betrübt in die Augen, und dann weine ich, und er leckt mich über das Gesicht; was mache ich mir daraus, ob ich Bandwürmer bekomme; ich würde gerne krank werden und sterben, denn dann würden Dir die andern wohl mein Tagebuch senden, und Du würdest mit Liebe an Deine kleine S. denken, deren Herz gebrochen ist. Aber um eines will ich Dich bitten, Isidor, und das ist, daß Du kein ulkiges Bild von mir zeichnest mit brennendem Herzen oder so etwas darauf, wie Du es immer tust, denn ich liebe Dich so treu, glaube mir, daß man sich darüber nicht lustig machen darf, und kannst Du es nicht lassen, mich zu zeichnen, Isidor, willst Du mir dann vor Gottes Angesicht geloben, es nicht den Schwestern zu zeigen? Ach wie gerne möchte ich doch richtig krank werden, denn dann würde Dir Rositta wohl erlauben, an meinem Bett zu sitzen und meine Hand zu halten, wenn ich sterben müßte, denn darauf kannst Du Dich verlassen, wenn Rositta krank würde und stürbe, und Du Dich dann mit mir verheiratest, dann würde ich Euren Kindern wohl eine gute Mutter sein und ich würde alle Tage mit ihnen auf den Kirchhof gehen und ihnen von ihr erzählen; aber unsere höchsten Wünsche werden ja hier in dieser traurigen Welt niemals erfüllt. Leb' wohl, süßer, kleiner, geliebter Vetter Isidor, nun wollen ich und Türk ein bißchen unten im Strandwald spazieren gehen.

Dein bis in den Tod
S.

Es ist wahr, als Du gegangen warst, legte Mutter die Karten, um zu sehen, ob ich den bekäme, den ich auf der ganzen Welt am liebsten hätte; aber ich bekam ihn nicht. Du kannst mir's glauben, ich habe was geweint!

Natürlich hatte es Mutter auf meine Bitte getan, denn sie weiß natürlich gar nichts.

 

Es war auf dem Rittergute Havslundegaard an einem Spätnachmittag im September.

Die vier Schwestern standen oben im großen Schlafzimmer der Gnädigen im ersten Stock hinter den Gardinen verborgen und lugten hinaus:

»Er kann es nicht! Er tut es nicht!« sagte Anna, die gegen ihre Gewohnheit Feuer und Flamme war.

»Doch, paß' auf, er tut es!« nickte Charlotte.

»Ja, aber er kann es doch nicht ... Mutters wegen!«

»Pah!« pustete Frederikke. »Was glaubst du, macht der sich daraus.«

Aber die kleine fünfzehnjährige Sophie, die jüngste, die im Gegensatz zu ihren schlanken blonden Schwestern schwarzhaarig und dunkel war, trat bleich vor Zorn einen Schritt ins Zimmer zurück; ihre Hände waren geballt, und ihre braunen Augen funkelten.

»Tut er das,« sagte sie, »so betrachte ich ihn nicht mehr als meinen Vater!«

»Ha! das wird er wohl ertragen können!« lachte Frederikke.

In diesem Augenblick ertönte es atemlos von Charlotte:

»Da ist der Wagen!«

Und die Mädchen stürzten wieder an die Fenster...

Aber es war nur ein Arbeitswagen, der auf dem gepflasterten Wege zwischen dem Vorwerk und dem Burghof daherrumpelte.

»Weiß eine von euch, wo Mutter steckt?« fragte Sophie dann.

»Sie hat sich wohl in die Kapelle eingeschlossen.«

»Daß sie das Leben aushalten kann!«

»Sie kann es, weil sie eine Heldin ist!«

»Sie lebt für uns Kinder!«

»... Aber da drüben steht sie ja!« rief Frederikke plötzlich.

»Wo? Wo?« ertönte es von den andern.

»Hinter der Gardine in der Plättstube.«

»Ja, wahrhaftig! ... Laßt das – nicht so herüberstarren! ... Ja, es wäre Sünde, wenn sie entdeckte, daß wir sie gesehen haben!« Die Augen der kleinen Sophie flammten.

»Ich könnte Vater totschlagen,« sagte sie.

Frederikke deutete eifrig mit dem Finger hinaus:

»Und seht mal, da steht Olga hinter den Fliederbüschen!«

»Und Ane hat die Brauhaustür angelehnt!« ergänzte Anna.

»Und seht mal, den Gärtner der schleicht drüben unter den Akazienbäumen umher!«

»Und da kommen die drei Alten aus dem Asyl!«

»Die haben keine Angst!«

»Nein, denn die halten es mit Mutter!«

»Das tut wohl der ganze Hof!« nickte Sophie.

Im selben Augenblick erklang das Knallen einer Peitsche und das Stampfen von Pferdehufen.

»Da ist der Wagen!«

Die Mädchen standen einen Augenblick in atemloser Spannung.

»Bei Gott im Himmel, sie sitzt da!« entfuhr es dann Anna.

»Und im Landauer! In Mutters eigenem Wagen!« ergänzte Charlotte.

»Und er ist herabgelassen!« erklang es entrüstet von Frederikke.

Aber die kleine Sophie sprang außer sich auf einen Stuhl:

»Ich reiße das Fenster auf,« sagte sie, ihre Lippen bebten, und die Stimme war belegt von nicht mehr einzudämmendem Weinen. »Ich reiße das Fenster auf und rufe ihr nach: Hündin

»Aber bist du denn verrückt, Mädel!« Anna riß die Schwester vom Stuhl herunter und vom Fenster fort, dessen Flügel sie schon geöffnet und zurückgestoßen hatte, daß sie klirrend gegen die Mauer flogen. »Du weißt doch, daß Mutter das nachher bloß ausbaden muß!«

Sophie riß sich los und wollte wieder vorstürzen, und als sie von den andern zurückgehalten wurde, da warf sie sich mit dem Gesicht nach unten vor ihnen auf den Fußboden und brach in ein hysterisches Schluchzen aus.

Der Landauer hatte indessen das Hauptportal erreicht, und der Kutscher knallte wieder laut mit der Peitsche.

Auf dem Rücksitz des Wagens saß »die Hündin« aufgetakelt und ausstaffiert, einen federgeschmückten Hut mit Rosen und flatternden Bändern auf dem Kopf. Die kleinen, stechenden, schwarzen Augen in dem recht hübschen Gesicht fuhren unablässig an den Fenstern und Türen des Hauptgebäudes hin und her, während die dicken behandschuhten Finger nervös an den Spitzen des übertrieben eleganten Umhanges zupften und ihre fetten, sackigen Wangen röter und röter wurden.

So saß sie ein paar Minuten und wartete, immer erregter infolge der Situation.

Das war wieder einer seiner gewöhnlichen närrischen Einfälle, daß sie hier vorrollen und ihn abholen sollte, während er hätte zum Wirtschaftsgebäude fahren und sie mitnehmen müssen. Hier saß sie, allen Leuten auf dem Gut zum Gelächter ...! Und es sähe ihm ähnlich, wenn er selbst hinter dem Fenster stünde und sie auslachte!

In ihrer Erregung kam es ihr vor, als höre sie es ringsum aus den halbdunklen Ecken und Winkeln des Gebäudes murmeln und kichern. Und plötzlich entdeckte sie auf der Bank dort vor dem »Asyl« die drei Alten, die eifrig gestikulierend die Köpfe zusammensteckten und flüsterten.

Satan auch, daß sie nicht kurz und bündig nein gesagt hatte, als er vorschlug, daß der Wagen mit ihr hierauf fahren solle ...!

Die Sonne war allmählich hinter den Linden im Park versunken. Die Schatten auf dem Hofplatz wurden länger und länger. Das große rote Gebäude, das jetzt im Abenddämmer einen fast blauschwarzen Ton bekam, lag wie ausgestorben. Nicht ein Laut war zu hören, nur hin und wieder ertönte ein leises klagendes Pfeifen von den offenstehenden Fenstern im ersten Stock, das vom Zugwind schwach hin und her bewegt wurde ...

Ein Flug Saatkrähen und Raben ließ sich krächzend und lärmend auf dem Turmdach nieder.

Das Frauenzimmer im Wagen fuhr zusammen und richtete seinen derben Körper auf: »Lars, der Herr hat uns gewiß nicht gehört. Knall' noch 'mal mit der Peitsche!«

Der Kutscher rührte sich nicht.

Da stieß sie in rasender Wut mit dem Absatz gegen den Wagenboden, daß es schallte:

»Kann Er nicht hören, Er Schafskopf, wenn man mit ihm redet! Noch 'mal knallen, sag' ich!«

Aber ohne sich zu rühren und ohne Ordre zu parieren brummte der Kutscher träge und widerwillig, als koste es ihm eine Überwindung, den Mund zu öffnen:

»Immer sachte, Mamsellchen Hellmer; der Herr zeigt sich schon, wenn es ihm paßt ...«

 

Bald darauf wurde die Tür geöffnet, und der Gutsbesitzer Herr Niels Uldahl-Ege, trat heraus. Er war ein kleiner, magerer Mann, mit wohlgepflegtem weißem Haar und Bart; hübsch und fein anzusehen, aber mit ein paar großen wasserblauen, unzuverlässigen Augen.

»Ist das eine Art, mich hier den ganzen Hof zum Gelächter sitzen und warten zu lassen!« keifte das Frauenzimmer im Wagen augenblicklich los.

Er blinzelte nervös mit den Augen:

»Na na, Mathilde, du sitzest ja ganz gut ... und ich komme ja schon. Hast du auch den Koffer nicht vergessen?«

»Nein, der steht bei Lars.«

Uldahl sah sich schnell und scheu um. Dann stieg er in den Wagen und setzte sich neben seine Dame. Er nahm dort nicht viel Raum ein.

Plötzlich packte ihn die Mamsell hart am Arm. »Sieh mal, sieh mal,« sagte sie und deutete zu den Fenstern der Plättstube im östlichen Flügel hinüber – »da drüben steht deine Frau! Grüße sie!«

Es blitzte im Blick des Gutsbesitzers böse auf, und er nahm tief und zermoniell seinen Hut ab. Gleichzeitig bekam er einen seiner kleinen pikanten Einfälle: Die liebe Familie sollte noch mehr gedemütigt werden; die Töchter hatte er doch noch so einigermaßen unter der Fuchtel.

»Anna!« rief er zum Fenster des eisten Stockes empor. »Anna und ihr andern Mädels, kommt herunter und sagt hübsch Adieu zu Vater und der guten Mamsell Hellmer!«

Die Mamsell lachte höhnisch.

»Hach, die werden sich schön hüten!«

Niels Uldahls Gesicht wurde dunkelrot.

»Anna!« brüllte er dann, außerstande sich zu beherrschen, »komm' augenblicklich herunter und bring' deine Schwestern mit!«

Aber jetzt drehte der Kutscher sich halb auf dem Sitz um, erhob die Peitsche und sagte mit seiner bedächtigen Stimme:

»Mit Verlaub, gnädiger Herr, die Fräuleins sind gewiß weggegangen – spazieren.«

»So–e? Hast du sie gesehen?«

»Ja ...«

»Wo sind sie hingegangen?«

»Sie sind vor einem halben Stündchen nach dem Strandwalde zu gegangen.«

Uldahl wußte, daß Lars log; aber er war froh, daß er die Sache nicht weiter zu verfolgen brauchte.

»Das hättest du ja gleich sagen können, du Schafskopf! ... Fahr' los! ... zur Station ... Aber ein bißchen fix!«

Lars zog die Zügel an und der Wagen schwenkte vor der Tür ab.

Als sie an der Bank vor dem »Asyl« vorüberfuhren, schielte Mamsell Hellmer hinüber um zu sehen, ob die Alten aufstehen und grüßen würden. Aber sie waren verschwunden. Die Bank stand leer.

Da räkelte sie sich in dem weichen Landauer bequem zurück.

»Jetzt hätten wir nur noch Vergnügen vor uns!«

Auch Niels Uldahl lehnte sich erleichtert gegen die Wagenpolster:

»Jetzt wollen wir heraus und uns einmal gründlich amüsieren, Mathildchen!«

»Hündin!« erklang es da plötzlich über den Hofplatz wie ein Schrei von einer lauten und gellenden Mädchenstimme – »jetzt fährt Gutsbesitzer Uldahl-Ege fort mit seiner ...«

Ein Fenster wurde klirrend zugeschlagen. Es klang, als würde die Stimme gleichsam von dem Ton abgehackt.

 

Es war, als ob man auf Havslundegaard zu neuem Leben erwachte, wenn der Gutsbesitzer verreist war.

Sogar die drei Alten drüben im »Asyl« wurden gleichsam jünger und sicherer. Sie gingen gerader über den Hofplatz, wenn sie zu den Mahlzeiten in die Herrschaftsküche mußten. Und sie lugten nicht scheu und gedrückt zum Turmzimmer im Parterre hinüber, wo der »Brotherr« residierte.

Nicht daß er ihnen etwa irgendwie zu nahe gekommen wäre; im Gegenteil, er gab ihnen alles, was ihre alten Herzen begehrten: Essen, Kleidung, Obdach und Brennholz. Aber es ging eine böse und schwere Luft von ihm aus. Mamsell Ingwersen behauptete, daß ihr Asthma sich verschlimmere, wenn der Herr zu Hause wäre. Sie sagte, seine Nähe sei zu fühlen, wie wenn im Sommer ein Gewitter unten hinter dem Strandwald läge und brütete, ehe es losbräche; man wüßte nie, was daraus werden könne. – Aber war er dann vom Hofe abwesend, nur für einen Nachmittag in die Stadt gefahren, gleich war auch der Druck gehoben und das Asthma besser.

Mamsell Ingwersen war 80 Jahre und hatte der Familie Uldahl seit ihrem achten Jahre gedient.

Sie hatte die ganze Weltgeschichte erlebt, sagte sie; hatte als Gänsemädchen bei dem Vater des Staatsrats auf Egesborg begonnen und als Kammerjungfer der Staatsrätin geendigt. Und saß jetzt als Stiftsdame auf Havslunde.

Infolge dieses ihres Alters und ihrer Carrière war Mamsell Ingwersen natürlich aus eigener Machtvollkommenheit die vornehmste im Asyl.

Hinter ihr an Jahren und Rang kam gleich Mamsell Rottböl. Sie war nur 70 Jahre alt und hatte vier Kinder gehabt, die alle gestorben waren. Da hat man sich eben auch das versucht, sagte sie. Sie hatte sich und die Kinder mit Nähen ernährt. Von den Vätern sah sie nämlich nie etwas nach den Katastrophen. Aber sie nähte und nähte. Der »Nähfinger« an ihrer linken Hand war noch ganz schwarz und voller schwarzer Pünktchen von der Nadel. Und die Kinder hatte sie aufgezogen und wollte gerade ein wenig Freude und anderen Nutzen von ihnen haben. Aber da gingen sie hin und starben, eines nach dem anderen, ehe sie noch ihr zwanzigstes Jahr erreicht hatten. Mamsell Rottböl wurde ein bißchen dumm im Kopf von diesen häufigen Todesfällen und sollte ins Armenhaus. Aber da ersparte ihr die brave Frau Uhldahl diese Schmach und gab ihr einen Platz im Asyl.

Am niedrigsten im Range stand Madame Lurvadt. Sie war 65 und war standesamtlich verheiratet gewesen; worauf sie sich bei gewissen Wortwechseln mit der Rottböl etwas einbildete. Im übrigen hatte sie keinen besonderen Grund auf ihre Ehe zu pochen. Sie war auf den Hof gekommen, um im Garten zu arbeiten, aber da ihr Mann sie schließlich mit Schlägen traktierte und dann auf den Boden warf, während er selbst mit seinen unzüchtigen Weibsleuten im Erdgeschoß rumorte, so hatte Frau Uldahl in ihrer Herzensgüte sich ihrer angenommen und dem Tyrannen verboten, wieder seinen Fuß auf die Schwelle von Havslunde zu setzen.

Die drei Damen waren also die ehrwürdigen Bewohnerinnen des Asyls.

 

»Ingwersen! Seid Ihr zu Bett?«

Es wurde angeklopft, die Tür öffnete sich und Frederikke steckte ihren blondlockigen Kopf hinein. Die Asylstube sah um diese Abendstunde seltsam geheimnisvoll aus, groß und nur von einer kleinen Lampe mit niedrigem Fuß erhellt, die auf einem Tisch in der Ecke bei den Fenstern stand. Der erste Eindruck, den der Raum machte, war, daß er zur Leichenstube »bezogen« worden sei. Die weißen Gardinen vor den Fenstern, die weißen Mauern, die weiße Decke und die weißen Betten. Und dann im Halbdunkel inmitten all dieses Weißen die drei dunkelgekleideten Weibchen auf ihren weichen lautlosen Filzschuhen herumwackelnd.

»Ich sollte fragen, ob ihr Lust hättet, mit uns anderen Kaffee zu trinken?«

»Ja, aber, Herrje, Frederikchen, wir wollten ja eben schlafen gehen ...!« ertönte es erschreckt von der Ingwersen.

»Ja, wir wollten eben schlafen gehen, Frederikchen«, ... repetierte die Rottböl.

Sie hatten alle drei die Hauben abgenommen und saßen jetzt jede auf einem Stuhl mit den Haarnadeln im Munde und flochten die »Rattenschwänzchen« für die Nacht.

Aber Madame Lurvadt, das junge Blut, brachte geschwind ihre Kopfbekleidung wieder an der richtigen Stelle an, stopfte die Flechten in die Höhe und sagte:

»Können wir so gehen?«

»Ja gewiß könnt ihr! Beeilt euch nur! Dann laufe ich hinüber und sage, daß ihr kommt ...«

Der Wahrheit die Ehre – die Alten hatten seit dem Abendessen auf diese Einladung gewartet. Es pflegte stets drüben im Herrschaftsflügel eine Kaffeefête stattzufinden, wenn der Herr verreist war ... Aber zuletzt hatten sie die Hoffnung für diesen Tag ganz aufgegeben; und ohne sich einander mitzuteilen, hatten sie alle drei denselben Gedanken gehabt: daß die Fräuleins es natürlich nicht fertig brächten, heute eine Fête zu geben, nach dem Tort, der ihrer Mutter angetan worden war, daß Mamsell Hellmer ihnen allen vor der Nase im Wagen der Frau vorgefahren kam ...

Und nun war doch Fräulein Frederikke gekommen und hatte sie eingeladen!

Fröhlich und eilig hatten sie die Hauben aufgesetzt, die Tücher über die Köpfe gezogen und das Blendlaternchen angezündet.

»Lurvadt, puste!« kommandierte die Ingwersen.

Und die Lurvadt pustete die Lampe aus, sie hatte am meisten Atem.

Und mit Pantinen über den Filzschuhen balancierten nun »die Asyle« im Gänsemarsch über den dunklen Hofplatz.

Die Ingwersen mit der Blendlaterne an der Tête.

Diese Kaffeefêten, mit denen die Abreise des Gutsherrn gefeiert wurde, fanden in der Küche statt. Zehn Stühle wurden um den großen, weißgescheuerten Mitteltisch aufgestellt, einer an jedem Ende und vier an jeder Seite. Man hatte seinen bestimmten Platz: Frau Uldahl saß am oberen Tischende; dann kamen die »Fräuleins« und die Mädchen mit den Alten in ihrer Mitte, und ganz unten saß, als einziger Herr, Türk auf seiner Bank neben Fräulein Sophie. – Zwei große Messingkaffeekannen und Schalen mit selbstbereitetem Gebäck aus den Blechdosen in der Speisekammer gingen die Reihe herum. Und wenn die erste Tasse geleert war, steckten die Fräuleins ihre Pfeifen an, und das Vergnügen ging los.

Sobald die »Asyle« heute Abend in die Küche kamen, sahen sie, daß für die Frau kein Stuhl bereitgestellt worden war.

»Mutter hat Kopfschmerzen,« sagte Anna.

»Wir sollten grüßen,« fügte Charlotte hinzu.

Doch die übrigen Stühle standen auf ihren Plätzen. Die große Hängelampe über dem Tisch leuchtete mit festlichem Glanz. Die Tassen waren herumgestellt; und von den ockergelben Wänden strahlten die blanken Kupfergeräte.

»Lurvadt, puste!« sagte die Ingwersen.

Und die Lurvadt pustete gehorsam die Handlaterne aus.

Die Köchin Ane kam vom Herd mit den gefüllten Kaffeekannen.

»Da!« sagte sie. »Bitte schön! Hier ist das Labsal!«

Aber doch dachten sie alle dasselbe, daß gewiß heute Abend aus dem Vergnügen nicht viel werden würde, da Frau Line nicht hier war ...

»Wollen wir uns jetzt heransetzen?«

Charlotte faßte Mamsell Ingwersen unter und führte sie zu Tisch. Die anderen folgten schweigend nach. Der Kaffee wurde eingeschenkt und das Backwerk herumgereicht.

»Sophie! Du vergißt ja an Türk!« sagte Anna.

Aber Sophie blieb unbeweglich sitzen. Ihre Augen waren rot vom Weinen, und die Muskeln um ihre Lippen bebten.

Die Alten schielten hilflos zu ihr hinüber ...

Da stand Frederikke auf und lief zu Türk, der in seinem Korb hinter dem Herde lag – er war ein großer weiß- und braungefleckter Bernhardinerhund mit ein paar tief melancholischen Augen.

»Sieh' an, hier liegt der Pascha und macht sich breit!« sagte sie. »Schämt er sich nicht? Alle Damen sind schon zu Tisch gegangen!«

Türk hob den Kopf, sah sie mit einem ersterbenden Blick an und leckte ihr die Hand.

»Ja, schon gut,« lachte sie und rüttelte ihn am Ohr. »Aber komm jetzt!«

Das Geflecht des Korbes knackte und krachte unter den schwänzelnden Bewegungen des Hundes, aber aufstehen tat er nicht.

»Willst du aufstehen, du Schlafmütze, sonst werf' ich dich heraus! Du sollst doch an den Tisch und Kaffee kriegen!«

Wieder schrie und knackte der Korb; aber Türk blieb wo er war.

»Er ist doch nicht etwa krank?« tönte es von der Ingwersen.

Das Fräulein legte sachverständlich eine Hand auf die Schnauze des Tieres ... sie war kalt und feucht, wie es sich für eine Hundeschnauze gehörte.

»Nee, der ist bloß faul ... Ach, Ane, du bist so kräftig, komm und wirf ihn heraus.«

Ane kam eilends herbei und packte zu ... Türk machte sich gleichsam schwer und sandte ihr einen vorwurfsvollen trostlosen Blick zu. Aber sie stieß nur immer drauf los und brachte den Korb auf die Schmalseite. Der Hund machte einen Satz nach vorn, um nicht herauszukugeln und gleichzeitig hörte man einen rasselnden und gellenden Laut, der ihm sozusagen über den Fußboden nachhüpfte.

Die Köchin ließ den Korb los und schlug die Händen zusammen:

»Ach, so liegt die Sache!« sagte sie. »Er ist wieder auf Liebschaft ausgewesen!«

Die ganze Gesellschaft brach in ein Gelächter aus. Selbst Fräulein Sophie lachte.

»Aber Hund ...!« sagte sie.

Türk stand vollständig gelähmt mitten im Zimmer. Den Kopf verbarg er fast zwischen den Vorderpfoten und der Schwanz hing beschämt zu Boden ... Und an diesem Schwanz baumelte, mit einem Stück Bindfaden festgebunden eine alte, gichtbrüchige und zerbeulte Blechkasserolle – an diesem Orte ein Symbol der Ausschweifung und des Leichtsinns.

»Pfui–i! So ein scheußlicher, alter Bummler!« sagte Frederikke mit erhobenem Zeigefinger.

Und all die andern Frauen sagten ebenfalls: Pfui–ii!

Aber bald darauf saß der Verbrecher auf seiner Bank am Tischende neben Fräulein Sophie und schlabberte schuldlos: holöp holöp! Kaffee und Backwerk hinunter, was in einem Spülnapf auf einem Stück Wachstuch vor ihm serviert wurde.

Die Fräuleins zündeten ihre Pfeifen an und das Plaudern und Scherzen begann.

Und plötzlich ergriff Fräulein Frederikke die Kasserolle, die obdachlos an der Erde zu ihren Füßen lag.

»So eine müßte man Vater anbinden«, sagte sie, und setzte den Gegenstand schallend auf den Tisch inmitten des Kaffeeservice.

6.10.

Weshalb bist Du solange nicht hier gewesen, Isidor? Ich sah, daß Post-Ole heute einen Brief von dir an Mutter hatte; was habt Ihr Euch beide zu schreiben? Etwa über das Entsetzliche von Vater mit Mamsell Hellmer? Ja, die arme, arme Mutter, wäre ich an ihrer Stelle, so würde ich mich scheiden lassen und mit uns allen meiner Wege gehen; aber das will sie nicht, und ich finde sie faßt das Ganze allzu ruhig auf; aber das kommt wohl daher, weil sie es gewöhnt ist. Ach, wenn ich sehe, wie Ihr, Du und das »Reseda« miteinander lebt, und wie gut Du gegen Paul und Jürgen bist, so finde ich, daß mein ganzes Leben verfehlt ist, weil ich keine richtige Kindheit gehabt habe. Anna und Charlotte sagen, sie können sich noch auf die Zeit besinnen, da Vater und Mutter gut Freund waren, aber das kann ich nicht; und wenn ich nicht Dich hätte, an den ich denken könnte, Vetter Isidor, und dann Türk, und dann Mutter natürlich und die Schwestern. Aber vor allem doch Dich! Dann machte ich mir gar nichts aus dem Leben. Ich weiß sehr wohl, es ist eine Sünde gegen Mutter, so zu denken; aber da es niemand weiß, so tut es ja nichts. Meinetwegen könnten sie alle miteinander sterben, Isidor, alle miteinander, nur Du nicht! Das ist mein voller Ernst, bei Gott! Und weißt Du, was mir eingefallen ist? Es ist mir eingefallen, das Schöne in unserem Verhältnis ist gerade, daß ich Dich nicht bekommen kann, daß Du nicht die geringste Ahnung davon hast, wie unsäglich, unfaßbar heiß ich Dich liebe! Es ist, als ob ich Dir näher käme, gerade, weil ich Dir so fern stehe; aber das kann gewiß nur ein Weib verstehen.

Dein bis in den Tod
S.

Du weißt nicht, wo das Stück Radiergummi geblieben ist, das auf Deinem Schreibzeug lag; es hängt an einer schwarzseidenen Schnur auf meiner Brust.


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