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Als der Wagen mit Türk und den jungen Damen vor der Haupttreppe Halt machte, kam Madame Henriksen in der Tür zum Vorschein.

»Aber, mein Gott und Vater, seht den Hund an!« sagte sie und vergaß vollständig, die Damen zu begrüßen.

»Hat er bei dem Wetter während des ganzen Weges da oben gesessen?«

»Ja.«

»Das ist Sünde von euch ...!«

»Ach, er ist ja gut angezogen!«

»Wie geht es mit Onkel?«

»Ja–a–e, ...! Aber laßt doch den Hund hinunter und ins Warme kommen.«

»Madame Henriksen denkt gar nicht an uns andere!« lachte Frederikke.

»Na–e, die Menschen helfen sich schon!«

Fräulein Sophie pfiff Türk von seinem Sitz herunter.

»Das Kontor ist geheizt, wenn ihn das Fräulein da hinein bringen will ...«

»Dürfen wir anderen auch mitkommen?«

»Ja, bitte...«

Madame Henriksen öffnete die Tür zum Kontor. – Es war ein kahler, großer Raum mit sandbestreutem Fußboden, einfachen Holzmöbeln und einem kleinen, schmierigen Wachstuch-Sofa; in einer Ecke bullerte ein eiserner Ofen. Vor dem Fenster hing nur eine Quergardine.

»Wie geht's Onkel?« fragte Fräulein Anna.

»Naa–a–e ....«

»Dürfen wir zu ihm hinein?«

»Ja, die Fräuleins sind doch bestellt... Aber jetzt will ich den Kaffee holen. Und der Hund kann eine Schüssel Milch bekommen.«

»Der will viel lieber Kaffee haben, Madame Henriksen!«

Die Augen der Madame wuchsen:

»Trinkt er Kaffee?«

»Ja ...« lachte Sophie.

»Und dann soll ich vom Herrn Gutsbesitzer grüßen, und da auf dem Brett ständen Zigarren!«

»Danke ...«

Plötzlich rundeten sich die Augen der Frau infolge eines neuen geistesverwirrenden Gedankens:

» Raucht er vielleicht auch, der Hund?«

Die Mädchen brachen in ein Gelächter aus.

»Nein, nein, nein!«

»Ja man konnte es ja nicht wissen, wenn ihr anderen es tut ... aber das nimmt ein schlimmes Ende mit dem Rauchen – Tabak ist was für Männer!«

»Vaters Schwestern rauchten ja auch...« meinte Frederikke.

»Ja aber, was hat es da auch für ein Ende genommen!« sagte die Pompadour. »Aber jetzt gehe ich hinaus nach dem Kaffee.«

Als der Kaffee getrunken war, führte Madame Henriksen die jungen Damen durch zwei eiskalte saalartige Wohnstuben, wo die sparsamen Mahagoni-Möbel steif an den Wänden standen, und wo man auf schmalen »Läufern« im Gänsemarsch vorwärts balancieren mußte.

Fräulein Charlotte faßte Mut und fragte:

»Weshalb wurden die Kragholmer und die von Hvidgaard nicht zu Onkel hineingelassen, Madame Henriksen?«

»Weil der Herr Gutsbesitzer sie nicht sehen wollte,« hieß es kurz. »Und die Fräuleins müssen auch lieber nicht so lange drinnen bleiben; der Herr Gutsbesitzer verträgt es nicht.«

Von den Wohnstuben gelangte man durch das Speisezimmer in einen langen düsteren Korridor mit vielen Türen hinaus. Auf einer Bastmatte vor einer von ihnen lag Rinaldo, Onkel Joachims alter Hühnerhund. Er war so alt, daß man keinen Laut hörte, wenn er kläffte.

»Hier müssen wir hinein,« sagte die Henriksen und strich dem Hund liebkosend über den Rücken, ehe sie die Tür öffnete. »Aber die Fräuleins müssen über ihn hinwegsteigen, denn er kann sich nicht rühren.«

Rinaldo erhob den Kopf, als er den Besuch spürte und markierte ein Kläffen, indem er ein paar Mal den Rachen öffnete und schloß; dann sank er wieder zurück; und die Damen kletterten über ihn hinweg ...

Drinnen in seinem Schlafzimmer saß Onkel Joachim halbaufgerichtet in seinem Bett, von vielen Kissen gestützt. Sein derber Körper war fürchterlich abgemagert und zeichnete sich knochig und eckig unter dem Hemde ab. Das Gesicht war graugelb, und das weiße Kopf- und Barthaar zottig und ungekämmt.

Die vier Schwestern blieben erschrocken dicht an der Tür stehen, während unwillkürlich eine nach der Hand der anderen tastete.

Joachim blickte blinzelnd zu ihnen hinüber; seine Augen waren sozusagen ausgeblichen.

»Ist das der Vierklee ...?« fragte er.

»Ja ...«

»Ho, ho,« lachte er hohl, »das bedeutet Glück ...! Kommt näher, Mädels!« Seine Stimme hatte doch noch einen Teil ihres alten Klanges bewahrt.

Die Mädchen näherten sich, doch ständig zu einem Klumpen zusammengedrückt.

»Seid ihr alle miteinander da? Ich sehe so schlecht.«

»Ja, wir sind alle hier...« Anna sprach: »Wie geht es dir, Onkel?«

»Danke scheen! Faul!« sagte der Alte. »Kommt ganz hierher!«

Die jungen Mädchen glitten zum Bett hin.

Joachim streckte die Hand aus und erwischte eine von ihnen.

»Wer ist das?«

»Sophie ...«

»Ich glaube, du heulst, Mädel? Sehe ich aus, als ob ich sterben müßte?«

»Ja,« sagte Sophie und brach in lautes Schluchzen aus.

Er schleuderte gleichsam zornig ihre Hand von sich ... In diesem Augenblick begann ein Telephon-Apparat zu läuten, der auf dem Tisch neben dem Bett stand.

»Henriksen!« sagte der Alte polternd, »frage, was los ist.«

Die Pompadour, die lautlos im Zimmer herumgepusselt hatte, hielt den Hörer ans Ohr.

»Jawohl, ja ... jaa ... ich werde den Herrn Gutsbesitzer gleich fragen! – Kaufmann Nielsen erkundigt sich, ob wir die Rapskuchen holen können.«

»Nein,« sagte der Alte, »morgen müssen wir Rüben einfahren ...«

»Der Herr Gutsbesitzer würden ihm einen Gefallen tun, sagte er ...«

»Soo–e? Sagen Sie, daß wir Freitag kommen werden! ... Und läuten Sie ab.«

»Ja....«

»Wer ist das nun?« fragte er und packte eines der anderen Mädels.

»Frederikke....«

»Heulst du auch?«

»Nee ... Du wirst schon wieder gesund werden, Onkel.«

»Quatsch! Natürlich werde ich es nicht! ... Gib mir 'nen Kuß!«

Frederikke beugte sich hinab und küßte ihn.

»Das bleibt wohl der letzte Schmatz unter diesem König!« murmelte er.

»Jetzt müssen die Fräuleins gehen ...« sagte Madame Henriksen ruhig, aber bestimmt. »Der Herr Doktor hat gesagt, der Herr Gutsbesitzer dürfen nicht zu viel reden!«

Die Mädchen verzogen sich nach der Tür hin:

»Adieu, Onkel Joachim ... und gute Besserung ...«

»Adieu, Mädels! Ihr erbt jede 30 000 Kronen von mir ... das wolltet Ihr doch bloß wissen? Aber Ihr gebt eurem Windbeutel von Vater keinen Pfennig davon ab, wenn er jetzt bald pleite macht! Hört Ihr?«

»Ja ...« sagte Anna erschreckt.

»Und hört noch einen Augenblick zu ...« fuhr der Alte fort, und es legte sich ein böses und triumphierendes Lächeln um seinen Mund, »bestellt ihm von mir, daß es gar keinen Zweck hätte, wenn er nach dem Elfenbeinstock herumschnuppert, den nehme ich mit mir in den Sarg, hä!«

 

Als die jungen Damen wieder gut verpackt auf ihren Plätzen im Char-à-banc saßen, fragte Fräulein Charlotte:

»Was fehlt Onkel eigentlich, Madame Henriksen?«

»Sie nennen es Leberkrebs!«

»Meint der Doktor, daß es gefährlich ist?«

»Das meint er wohl, ...« und Türk, der wieder auf dem Bock thronte, einen Blick zuwerfend, fügte die Madame hinzu: »Nur gut, daß der Wind sich ein bißchen gelegt hat ... des Hundes wegen!«

 

Hofjägermeister Palle Uldahl war ein Vetter des Staatsrates. Die Familie hatte während zweier Generationen auf ihren Plantagen zu St. Croix in der guten alten Zeit ein bedeutendes Vermögen verdient. Palle war bei den Verwandten seiner Mutter in Dänemark erzogen worden; und als er 18–20 Jahre alt war, verkaufte der Vater, Jacob Reinhold, der inzwischen Witwer geworden war, seine Besitzungen, zog in die Heimat zurück, und kaufte auf Niels Uldahls Rat das Rittergut Hvidgaard, ein paar Meilen nördlich von Havslundegaard gelegen.

»Es wäre schön, daß die Familie sich konzentriere,« meinte Niels, »das stärke sie und verleihe ihr einen Halt gegen die überhandnehmende Bauernmacht.«

Aber nach einem Jahre gerieten er und Jacob Reinhold wegen einer Riesendame auf dem Markte der Stadt in Streitigkeiten und verfeindeten sich auf Lebenszeit.

Palle, der inzwischen die Landwirtschaft erlernt hatte, kam nun als eine Art Ober-Inspektor nach Hause auf Hvidgaard. Eine Reihe von Jahren hindurch ging es ausgezeichnet, denn Vater und Sohn hatten einander sehr lieb und waren stets vortrefflich miteinander ausgekommen. Aber da kam einmal eine Kunstreitergesellschaft in die nächste Provinzstadt. Alle Uldahls der Umgegend fanden sich zur Premiere ein. Auch Vater und Sohn von Hvidgaard. Aber von dieser Abendstunde an war es mit dem Frieden zwischen ihnen auch für immer vorbei.

 

Mona Lisa hieß sie auf dem Programm. Und sie war ein Teufel von einer Schulreiterin, schlank und katzenhaft geschmeidig in ihren fleischfarbenen Trikots. Sprühend schwarzhaarig, und mit gelbbraunen Salamanderaugen. Und vor allem konnte sie, wenn das Pferd zum Sortie über die Barrière setzte, während sie auf seinem Rücken lag, einen Schrei ausstoßen, daß die männlichen Zuschauer mit den Beinen zappelten; als wollten sie ihr nachsetzen ...

Auch die beiden Uldahls aus Hvidgaard zappelten, aber sie beherrschten sich, indem sie einander scheu anblickten, ohne zu sprechen. – Aber am nächsten Abend waren sie wieder im Zirkus und am nächsten wieder, solange die Gesellschaft in der Stadt Vorstellungen gab.

Doch saßen sie nicht mehr wie am ersten Abend nebeneinander. Und sie fuhren nicht mehr zusammen hin und zurück. Sie wichen einander aus und schielten sich böse an.

Und so geschah es, dem Bericht der Ingwersen zufolge, daß, als die Kunstreiter ihr Auftreten abgeschlossen und sich eingeschifft hatten, um in andere Gegenden zu ziehen, Palle Uldahl, sobald das Schiff ein Stück in den Fjord hinaus gelangt war, plötzlich aus der Kajüte auftauchte und auf Mona Lisa zuschritt und sie bat, seine Frau zu werden. Und ehe sie noch antworten konnte, sahen sie den alten Jacob Reinhold draußen auf Achterdeck stehen und sie beide anstarren, kreideweiß im Gesicht ... und ringsum auf Deck sahen Niels von Havslundegaard, Franz von Kragholm und der alte Joachim von Ravnsholt aus ihren einzelnen Verstecken hervor ...

Da brach Mona in ein dröhnendes Gelächter aus und fiel Palle um den Hals. –

Ein halbes Jahr darauf starb Jacob Reinhold, und die beiden jungen Leute hielten ihren Einzug auf Hvidgaard...

Aber Kinder bekamen sie keine, denn: auf der Landstraße wächst kein Gras, sagt die alte Mamsell Ingwersen.


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