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Als Hans Henriksen am nächsten Morgen früh auf Ravnsholt einrollte, stand seine Mutter auf der Treppe vor dem Hauptportal, streng und unabweisbar wie ein Schicksal.

Er duckte sich unter ihrem Blick und beeilte sich, die Pferde auszuspannen und sie in den Stall zu führen.

Aber als er zurückkam, um die Peitsche an ihrem Platz im Entree anzuhängen, stand die Pompadour noch da:

»Ich habe etwas mit dir zu besprechen,« sagte sie ruhig und ging ins Kontor.

Hans folgte ihr.

»Wenn jetzt etwa Minka herhalten soll,« dachte er und ballte die Hände in den Hosentaschen, »dann werde ich ihr schon eine Antwort geben!«

Aber Madame Henriksen erwähnte die Schwiegertochter gar nicht.

Sie setzte sich schweigend und verschlossen in Onkel Joachims Lehnstuhl hinter dem Geldschrank.

Der Sohn nahm auf dem Sofa Platz ... Alle Töne des Hofbetriebes waren in der Stille deutlich zu hören.

»Rückst du nun bald mit der Sprache heraus!« fuhr Hans plötzlich auf, so nervös wurde er davon, daß er hier sitzen und warten mußte, was nun eigentlich käme.

Die Pompadour tat als ob sie seine Erregung nicht bemerkte.

»Gestern Abend, nachdem du fortgefahren warst, waren ein paar Männer hier –«, begann sie bedächtig. »Sie wollten gerne gleich mit dir sprechen. Aber ich sagte du seiest über Land, und sie könnten dich erst im Laufe des Vormittags sprechen.«

Hans warf der Mutter einen lauernden Blick zu:

Was sollte das nun heißen? Weshalb redete sie nicht gleich geradezu von Minka.

»Was wollten sie von mir,« fragte er.

»Das wirst du wohl erfahren, wenn sie sich jetzt einfinden.«

»Wer war es?«

»Es waren der Ortsschulze und der Müller und ein paar andere von Niels Havslundes Wahlkommission.«

»Ja, er hat ja sein Mandat niedergelegt ...«

»Das hat er wohl, ja ...?«

Neue Pause, in der die beiden leeren Blickes vor sich hinstarrten.

»Haben sie dir nicht auseinander gesetzt, was sie wollten?« fragte Hans dann.

»Ja–e ... aber es ist nicht meine Art, mich in Anderer Angelegenheit zu mischen.«

»Nein, für gewöhnlich nicht!« erklang es scharf. Um was handelte es sich also?«

»Ja, sie kommen wohl bald, dann hörst du es ja selbst.« Hans erhob sich schroff ...

»Ja, dann gehe ich hinaus und sehe nach den Leuten. Sie haben doch alle ihre Arbeit gekriegt?«

»Ja, das haben ich und Anders vor ein paar Stunden besorgt,« lächelte die Pompadour böse. »Man konnte ja nicht wissen, wann es dir beliebte, zurückzukommen.«

Hans schlug mit der Faust auf den Tisch. Nun waren sie endlich da, wo er hin wollte.

»Minka ist meine Frau!« sagte er, »und wenn du sie vom Hofe jagst, dann muß ich wohl ...«

Aber die Mutter unterbrach ihn, ständig gleich ruhig.

»Sie wollten übrigens, der Ortsschulze und der Müller und die anderen,« begann sie, als ob sie seine zornigen Worte garnicht gehört hätte. – »Sie wollten sich übrigens erkundigen, ob du bereit wärest, dich jetzt bei der Ersatzwahl für Niels Havslunde zu stellen ... Sie wollten jetzt lieber einen aus unserem Stand drinnen haben. Und sie meinten, sie könnten für deine Wahl garantieren, da du ein so großes Ansehen hier in der Gegend genössest, sagten sie, und so tüchtig wärest.«

Hans hatte sich wieder gesetzt. Er war ganz bleich geworden vor Überraschung.

»Das kann ich mir nicht übernehmen ...« murmelte er. »Da hab' ich kein Verständnis für ...«

»Das müssen die anderen doch wohl glauben, da sie zu dir kommen!« meinte die Pompadour.

»Ja–e, das müssen sie wohl ... Und was meinst du, Mutter?«

Sie warf ihm von der Seite einen scharfen Blick zu:

»Hä ...! Fragst du danach, was ich sage ...?«

»Das habe ich ja immer getan!«

»Ach, jawohl, natürlich! ... Ja, dann meine ich, daß du das Anerbieten annehmen und Dankeschön sagen solltest. Es ist doch immer eine Art Weg, wie man zu Ehren kommt, und ein Stolz für dich und uns andere ... Ein Mensch kann viel ausrichten, wenn er sich's nur vornimmt. Sieh mal an, wie sein du als Vorsitzender vom Gemeinderat deine Sache machst; und da hast du auch gedacht, du könntest es dir nicht übernehmen. Denkst du, wir hätten hier gesessen, wo wir jetzt sitzen, wenn ich es alle Minute mit der Angst gekriegt hätte?«

Ehe Hans antworten konnte, kam Anders, der jüngste der Söhne, schnell vom Entree herein.

»Na, da seid ihr!« sagte er. »Der Ortsschulze und der Müller und die anderen sind durch den Garten hereingekommen und wollen mit dir reden, Hans.«

»Ich werde sie gleich holen ...« sagte die Pompadour und stand auf.

Und indem sie an Hans vorüberging, fügte sie hinzu: »Denke jetzt an das, was ich dir geraten habe!«

Als die Mutter aus der Tür war, fragte Anders hastig, und er errötete dabei:

»Hast du nun, Minka gefunden?«

Hans blickte ihn zornig an:

»Ja, sie war auf dem Moorhof, natürlich: wo sollte sie sonst sein.«

Anders' Augen strahlten vor Freude.

»Ach, Gott sei Dank!« sagte er. Darauf fuhr er fort:

»Ich hätte mich gestern Abend aufgemacht und hätte euch gesucht, aber Mutter wollte es nicht.«

»Was hätte das auch für einen Zweck gehabt! ...« murmelte Hans und wandte ihm den Rücken ...

Jetzt kam Madame Henriksen mit den Männern. Und gleich darauf verließen sie und Anders die Stube. Hans sah ihnen lange nach, als sich die Tür schloß.

Aber als die Deputation Ravnsholt wieder verließ, hatte Hans Henriksen das Versprechen abgegeben, sich bei der bevorstehenden Ersatzwahl als Reichstagsabgeordneter für Niels Uldahl zu stellen.

Mit Instruktionen aus dem Hauptquartier ausgerüstet, begann Hans Henriksen jetzt Wahlversammlungen abzuhalten. Anfangs ging es ein bißchen ungeschickt, aber bald lernte er den Kniff und die Phrasen und konnte, die Parole mit der nötigen Routine herausschleudern. Da er außerdem ein wohlbegabter Mann war und die Zuhörer sich überdies freuten, einen ihresgleichen auf der Rednertribüne zu sehen, so gelang es ihm bald, bei ihnen Gehör zu finden. Und schon bei der vierten Versammlung konnte der Sieg als gesichert gelten ...

Was auch viel dazu beitrug, die Stimmung bei den Bauern zu erhöhen, war, daß Madame Henriksen sich meist bei den Sitzungen einfand.

Dem Ortsschulzen gebührte die Ehre, diesen wirksamen Trick ausgeheckt zu haben. Er brachte die Pompadour auf einen in die Augen fallenden Platz oben in der Nähe der Tribüne an. Und wenn sie da saß, gerade und stattlich, und ihre klugen Augen über die Versammlung hinwandern ließ, so erblickte man in ihr gleichsam ein Symbol der wachsenden Machtfülle des Bauernstandes ...

Was hatte nicht dieses ruhige und bedächtige Weib durchzusetzen vermocht! Als arme Witwe mit drei unversorgten Kindern war sie auf Ravnsholt eingezogen, ganz einfach als Dienstbote! Und nun saß sie nicht allein als frank und freie Besitzerin des Hofes und all seiner Herrlichkeiten da, sondern auch die Kinder hatte sie verstanden vorwärtszubringen. Hans, ihren Ältesten, hatte sie mit dem einzigen Kinde des wohlhabenden Jägermeisters Thorsen verheiratet. Jeppe, den zweiten hatte sie auf Kragholm untergebracht. Und man versicherte sich's untereinander, daß sie schon für ihren jüngsten Sohn Anders Havslundegaard im Auge habe, wenn jetzt Niels Uldahl in nicht allzulanger Zeit abdanken müsse.

Drei Söhne und einen Herrensitz für jeden, das war, als ob man von den starken Rittersfrauen des Mittelalters hörte.

Und die Bauern rieben sich die Hände und grienten breit:

He, he! So würden alle die »Gutsbesitzer« im ganzen Lande allmählich von ihren Erbsitzen heruntergefegt werden, und »wi sülwst« an ihrer Stelle hinaufklettern!

... »Lang lebe unser neuer Reichtagskandidat!« riefen sie, »der Mann aus unserer Mitte!«

Und eines Tages schlug dann der Ortsschulze geradezu vor, daß man auch Madame Henriksen ein Hurra spendieren solle.

... »Indem ich,« motivierte er diesen Vorschlag, »gleichsam in diesem einen Weibe, die, trotzdem sie sich durch ihre eigene Tüchtigkeit und Klugheit das Recht verschafft hat, einen seinen und vornehmen Namen zu tragen, es doch vorgezogen hat, wie wir andern ihren eigenen schlichten Bauernnamen zu behalten, ... und das ist es, was man im höchsten Sinne Bauernkultur nennen kann, daß man sich seines einfältigen Namens nicht schämt! ... Also, was ich sagen wollte: indem ich also gleichsam in ihr alle die starken und tüchtigen Frauen des freien und fortgeschrittenen Bauernstandes einbegreifen will, möchte ich die Versammlung bitten, mit mir ein Hoch auszubringen auf die Mutter unseres Reichstagskandidaten, Madame Henriksen, die Hofbesitzerin auf Ravnsholt und Kragholm ... und wir können, weiß Gott, auch gleich Havslundegaard mitnehmen, soviel ich gehört habe! ... Sie lebe hoch!«

Und die Hurrarufe dröhnten um die Pompadour herum, deren Gesicht ein wenig bleicher wurde, die aber im übrigen die Huldigung des Volkes entgegennahm, ohne eine Miene zu verziehen. Nur hatte sie sich, sobald der Ortsschulze seine Rede begann, erhoben. Geschah es nun, um ihm eine Ehre zu erzeigen, oder damit die Anwesenden sie besser sehen konnten ... –

 

So oft es sich in dieser vielbeschäftigten Zeit tun ließ, fuhr Hans Henriksen nach dem Moor-Hofe und blieb die Nacht über bei seiner Frau.

Nichts konnte nämlich die kleine Frau Minka von ihrem einmal gefaßten Entschluß abbringen, jemals wieder ihre Füße über die Schwelle von Ravnsholt zu setzen.

Und was Madame Henriksen anlangte, so schien sie die Schwiegertochter völlig aus ihrem Bewußtsein gestrichen zu haben. Es war, als hatte die Heirat des Sohnes niemals stattgefunden. Hans hatte ein paarmal versucht, die Mutter zu einer Aussprache über diese Angelegenheit zu bewegen; er fand die Situation peinlich und lächerlich. Aber sie hatte ihm den Rücken gewandt und hartnäckig geschwiegen.

Und als er hitzig und laut geworden war, und sie hatte zwingen wollen, war sie ruhig von ihrem Platz aufgestanden und hatte das Zimmer verlassen ...

Da lernte endlich auch Hans über diesen Punkt zu schweigen. Und nun war es auf Ravnsholt, als wären die Tage nie gewesen, da zwei Frauenwillen dort einen gewitterschwülen Kampf auf Leben und Tod kämpften.

Die Privatzimmer, die für die Eheleute hergerichtet worden waren, standen abgeschlossen da.

Minka vom Moor war ausgelöscht. Keiner nannte mehr ihren Namen.

Ausgenommen Anders, der jüngste.

Er konnte zuweilen fragen, während das Blut ihm in die Wangen schoß:

»Wie geht es Minka?«

»Gut!« sagte Hans kurz und begann von etwas anderem zu sprechen.

Dann kam der Wahltag, und Hans Henriksen siegte wie vorauszusehen war, mit großer Majorität.


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