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Frau Karen Uldahl, verheiratet mit Niels Uldahls jüngerem Bruder Franz, war das einzige Mitglied der Familie, dessen Herz der Frau Line verschlossen blieb ...

Frau Karen war ein langes bleiches, glatthaariges Geschöpf von recht hübschem Gesicht, aber von hartem und kaltem Charakter. – Und ihre Ehe mit Franz sollte sie keineswegs sanfter stimmen.

Die Ingwersen erzählte, daß der alte Staatsrat sie zuerst zur Tierbändigerin seines ältesten Sohnes ausersehen hatte. Aber als Niels von der Absicht seines Vaters hörte, erklärte er kurz und gut, er hätte sich nie etwas daraus gemacht, Entengerippe zu knabbern.

Dann wurde das Mädchen auf Franz' Conto hinübertransportiert, der im ganzen ein frommeres und zugänglicheres Gemüt hatte, und der außerdem gerade damals matt und abgearbeitet von einer seiner berühmten Exkursionen nach Hause gekehrt und deshalb vollkommen widerstandsunfähig war.

»Verheiratest du dich mit Karen Heinemann, so will ich dir noch einmal verzeihen,« sagte der Staatsrat zu ihm. »Heiratest du sie nicht, dann magst du, hol' mich der Teufel, sehen, wie du fertig wirst.«

Und Franz, der groß und fett und erloschen auf einem Stuhl drinnen im Kontor auf Egesborg saß, nickte schlapp zu allem, was der Alte sagte und schrieb darauf nach Diktat ein einigermaßen glühendes Bewerbungsschreiben an die Dame.

Und einen Monat darauf waren sie Eheleute und erhielten als Brautgeschenk eine Verschreibung auf das Gut Kragholm.

»Jetzt mußt du dich um Franz bekümmern,« sagte der Staatsrat zur Braut, »ich habe wahrhaftig genug mit den andern zu tun.« Und Frau Karen zeigte sich im Laufe der Jahre dieser ihrer Mission gewachsen.

Mit Franz Uldahls eigenartigen und berühmten Exzessen verhielt es sich folgendermaßen:

Er konnte sich jahrelang, wie das hantierlichste und friedlichste Wesen betragen, das fröhlich und umgänglich seine Landmannsarbeit tat. Aber dann eines schönen Tages fuhr der Teufel in ihn, und er verließ Hof und Heim und trieb sich mit allerhand Pack und Auswurf beiderlei Geschlechts im Lande umher und kam erst nach ein oder zwei Monaten nach Hause geschlichen, fast ohne Kleider auf dem Leibe und in einem geistigen und körperlichen Zustande, der ihn auf lange Zeit zu jeder menschlichen Beschäftigung unfähig machte. – Man fand ihn gewöhnlich morgens steifgefroren auf einem Grabenrande in der Nähe des Hofes sitzen oder halbtot unten zwischen den Heuschobern liegen. Und er wurde dann in sein Bett hineingetragen und gewaschen und gereinigt und geputzt und gepflegt, bis er nach Verlauf vieler Wochen wieder so weit restituiert war, daß er sich unter Menschen zeigen konnte. – In der Zwischenzeit ergoß sich ein Strom unbezahlter Rechnungen aus allen Schenken und Kneipen des Landes über Egesborg. Der Staatsrat bezahlte sie die ersten Male pflichtschuldigst. Als aber nach einer solchen Tournee sogar Forderungen aus ganz entfernten Gegenden wie Holstein, Lauenburg und Dittmarschen einliefen, riß dem alten Herrn die Geduld und er schwur seinen Lieblingseid und sagte: Will er heraus, dann soll er, hole mich Seine schwarze Majestät, auch heraus kommen. Worauf er den Sohn auf einem Frachtdampfer nach Tasmania oder van Dimensland schickte.

Aber nach sieben Monaten retournierte Franz wieder zum väterlichen Hof, von Heimweh erfüllt, nackt bis zum Gürtel.

Diese Spritztour kostete dem Staatsrat runde 8000 Kronen und er spekulierte von nun an nur darauf, die Verantwortung von sich abzuwälzen und den Sohn energisch zu verheiraten.

Was also endlich geglückt war.

 

Frau Franz Uldahls Haß auf Frau Line schrieb sich zunächst und vornehmlich daher, daß es ihr geglückt war, Niels dermaßen an sich zu fesseln und zu binden, daß er sie zu seiner Gattin und dadurch, was alle damals vermuteten, zur Herrscherin des Familiengutes machte, während Karen selbst sich damit begnügen mußte, auf einem Filialgut zu residieren.

Und dazu kam noch ferner, daß Frau Line, sobald sie den Schwiegereltern vorgestellt worden war, diese völlig für sich gewann und die andere von dem Platz verdrängte, den sie bisher unbestritten als vertraute Ratgeberin und Vermittlerin zwischen den beiden Alten eingenommen hatte.

Der Staatsrat und seine Frau hatten nämlich seit undenkbaren Zeiten in einer Art von bewaffneter Neutralität gelebt, hervorgerufen von seiner Schürzenjägerei und ihrer Kreolinnen-Eifersucht. (Sie war in Spanisch-Amerika geboren.)

Sie wohnten in der ganzen letzten Hälfte ihrer Ehe jeder in einer besonderen Etage des Hauptgebäudes auf Egesborg, wie Niels und Line jetzt auf Havslundegaard. Und die Reichsarchiveuse Ingwersen berichtete, daß die beiden, wenn sie sich zufällig auf Treppen und Gängen trafen, sich geradezu die Zunge zeigen und aufeinander losfahren konnten, daß sie und der Diener herzueilen und sie trennen und jeden hinter seine Tür transportieren mußten ...

Statt nun als Friedensstifterin zu wirken, hatte Frau Karen, sobald sie festen Fuß auf Egesborg gefaßt, im Gegenteil ihren Vorteil darin gesehen, diese beiden jähzornigen alten Menschen gegeneinander aufzuhetzen. Einschmeichelnd und katzenfreundlich, wie sie sein konnte, wußte sie sich bei ihnen lieb Kind zu machen, tadelte ihn, wenn sie mit ihr sprach und umgekehrt. Und sie brachte es zuletzt dahin, daß die beiden es nicht einmal ertragen konnten, einander nennen zu hören. Und gleichzeitig ließ sie sich von ihnen beiden Geschenke und Bestechungsgelder für ihre aufopfernde und uneigennützige Handlungsweise aufdrängen.

Aber da kam Frau Line und verdarb ihr diese einbringenden Transaktionen vollständig.

Sie wandte nämlich in ihrer naiven Gradlinigkeit eine ganz entgegengesetzte Methode den Schwiegereltern gegenüber an, indem sie milde und sanftmütig alles tat, um eine Versöhnung zwischen ihnen zustande zu bringen.

Und es glückte ihr wirklich auch zum Teil, indem die Alten allerdings stets für sich wohnen blieben, aber doch in ihren letzten Lebensjahren einander passieren konnten, ohne hörbar zu zischen und die Mahlzeiten gemeinsam einnehmen konnten, ohne einander Eierschalen und Heringsgräten an den Kopf zu werfen.

Aber ein Übergewicht hatte Frau Karen über Frau Line. Sie blieb kinderlos und konnte so besser über ihre Zeit disponieren und von Hause fern sein, und als der alte Staatsrat krank wurde und sterben mußte, konnte sie sich deshalb völlig für ihn opfern, wie es heißt. Sie fuhr augenblicklich nach Egesborg und blieb bei ihm und pflegte ihn so sorglich, daß sie, als er endlich heimgegangen war, ein Papier mit seiner Unterschrift vorzeigen konnte, des Inhalts, daß er ihr und Franz die 75 000 Kronen, die von ihm als zweite Hypothek auf ihrem Hofe standen, gutgeschrieben hatte.

Die Staatsrätin überlebte ihren Mann nur ein halbes Jahr. Auch ihre letzten Stunden wurden von Frau Karens geschäftigen Händen gelindert. Und der Ingwersen zufolge war die alte Dame kaum in ihren Laken kalt geworden, als die sorgliche Schwiegertochter ihre Schubfächer und Behälter mit großer Aufmerksamkeit und reicher Ausbeute zu ordnen begann ...

Beim Begräbnis der Staatsrätin fanden sich die beiden ausländischen Schwager im eigenen und in ihrer Kinder Namen ein. Und schon eine Stunde nachdem die Schollen auf den Sarg gefallen, stand die Luft um das Trauergefolge herum in Flammen. Niels wollte sich, als der Älteste, nun in den Besitz des Stammgutes setzen.

»Nicht ehe du uns unser Erbteil ausgezahlt hast!« sagten die anderen.

»Wollt ihr mich ruinieren?« schrie Niels. Und der Bankier sprach französisch, der Graf polnisch, Niels und Frau Karen dänisch, und es war keine Einigung zu erzielen. Franz und Frau Line gingen jeder aus seiner Tür ihrer Wege hinab in den Garten, wo sie sich begegneten und sehr friedlich miteinander sprachen.

Das Ende des ganzen Erbschaftskrawalls war, daß Egesborg verkauft wurde und die vier Erben jeder mit einer reichlichen halben Million in der Tasche heimwärts zogen.

Worauf Niels Thorsminde verkaufte und Havslundegaard erwarb, das einige hundert Tonnen Land größer war. Das Gut war ein sogenannter Pleitehof. Die beiden letzten Besitzer hatten aus Mangel an Subsistenzmitteln Selbstmord begangen.

Aber Niels hatte ja Geld genug und ließ einen Turm auf den Hauptflügel setzen – nun hatte er doch etwas, wovon er herabspringen konnte, sagte man in der Umgegend.

Und hier in Havslunde hinein zog also Niels Uldahl mit seiner Frau und seinen Kindern; während er gleichzeitig auf das Kräftigste verbot, daß in seiner Umgebung jemals das Wort Egesborg genannt würde – – umsomehr, als der Hof von einem steinreichen Bauern und Pferdehändler namens Sören Knudsen gekauft worden war.


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