Ernst Wichert
Der Bürgermeister von Thorn
Ernst Wichert

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Fünfzehntes Kapitel

Das Ende

Jost vom Wege hatte sich dem polnischen Hauptmann zu erkennen gegeben. Er bat ihn, nach Thorn reiten zu dürfen, dort den König um Gnade für Bartholomäus Blume anzurufen. »Ihr kommt zu spät««, antwortete derselbe ihm höhnisch, »ich handle nach meiner Vollmacht. Aber für Euch selbst mögt Ihr eine Bitte nötig haben. Eures edlen Vaters wegen will ich Euch nicht zurückhalten. Reitet denn mit meinen Siegesboten.«

Er ließ sie bald hinter sich, ritt Tag und Nacht, bis sein Pferd zusammenbrach. Es geschah glücklicherweise unfern der Stadt. Ein Bauer, der zur Stadt fuhr, nahm ihn auf seinen Wagen. Dort fiel er sogleich in tiefen Schlaf.

Der Bauer hatte Mühe, ihn aufzurütteln, als sie durch das Tor einfuhren. »Ich denk', Ihr seid ein vornehmer Herr«, sagte er, »und werdet Euch in der königlichen Stadt mit so geringem Mann nicht gerne sehen lassen. Ja, die Thorner Herren sind gar stolz geworden, seit sie an des Komturs Stelle das Regiment haben. Freilich noch nicht ganz so sehr als unsere gnädigen Herren auf dem Lande, die sich polnisch kleiden und nennen: die achten den Bauer für einen Hund und richten sich auch darin nach drüben, Gott soll's erbarmen!«

Jost trat in seines Vaters Haus ein. Die Wirtin kam ihm im Flur entgegen und brach gleich in ein Lamento aus, als sie ihn erkannte. »O du mein grundgütiger Himmel«, rief sie, »seid Ihr's wirklich, gnädiger Herr Junker? Es ist wahrlich Zeit, daß Ihr kommt, denn hier wird's bald Matthäi am letzten sein. Euer Herr Vater –«

»Ich muß zu ihm«, unterbrach Jost, »sogleich. Ist er zu Hause?«

»Ach, du mein Gott«, winselte die Alte. »Er kann ja längst nicht mehr hinaus. Der liegt fest auf seinem Lager im allerkläglichsten Zustand, nimmt wenig Nahrung an und spricht oft so lästerlich, daß einem Christenmenschen das Grauen fassen kann. Macht Euch darauf gefaßt, daß er anfangs gar nicht weiß, wer Ihr seid, obgleich er oft nach Euch verlangt und gerufen hat –«

Jost machte sich von ihr los und öffnete die Tür nach dem Zimmer, das sie ihn gewiesen hatte. Es dauerte eine Weile, bis sich sein Auge an das Halbdunkel so weit gewöhnte, daß er auf das Bett zugehen konnte. Er legte die Hand auf die Schulter des Kranken, der röchelnd atmete, und sagte: »Vater!«

Tileman schien zu erschrecken; er wendete den Kopf und sah ihn mit starren Augen an. »Was wollt Ihr«, fragte er mit lallender Zunge. »Ich bin ein armer Mann – ich bin der arme Lazarus ...«

Jost beugte sich über ihn. »Vater –! Kennt Ihr mich nicht? Ich bin Euer Sohn.«

Der Kranke tupfte mit den Fingern über seine Stirn hin. »Mein Sohn – mein Sohn – mein Sohn ... Er ist gefangen von den Kreuzigern, und die Stadt hat ihn gelöst mit meinem ganzen Gut. Ich bin ein armer Mann – kann nichts mehr für ihn tun. Wenn sie ihn töten ...«

»Vater!«

Plötzlich richtete er sich auf und stemmte die Hände hinter sich in die Kissen. »Sein Geist –«

»Er selbst, Vater, er selbst! Lebend, aber voll schweren Kummers. Ich komme von Marienburg – die Stadt ist in der Polen Gewalt –«

»Marienburg ...« Es war, als ob Tileman aus dem Schlaf erwachte und jetzt erst sah und hörte. »Marienburg – in der Polen Gewalt. Und du ...« Er faßte ihn an. »Ja, du bist's ... Und ich erinnere mich, man hat mir gesagt ... Jost, Jost, warum hast du mir das getan?«

»Magdalene Blume ist mein Weib, Vater.«

»Dein Weib –?«

»Und meine Schwester –«

»Ah! Wovon sprichst du?«

»Von Ursula – meiner Mutter Kind. Sie ist hoffentlich Marcus Blume verbunden. Es war so verabredet.«

Tileman keuchte. Er hatte das Kinn mit dem struppigen Bart tief auf die Brust gesenkt und die Zähne verbissen. »Und deine Mutter–?« fragte er, sich überwindend.

»Sie ist – tot«, antwortete Jost leise.

»Tot –? Paula – ach, Paula ...« Der Kranke ließ sich in die Kissen zurückfallen und wimmerte: »Tot –! Und ich sah sie nicht mehr ...«

Jost erzählte, wie sie den Armen und Kranken eine stets bereite Helferin in der Not gewesen und als eine Heilige verehrt worden sei. »Sie fürchtete den Tod nicht – ich glaub', sie suchte ihn ...«

Tileman faltete die zitternden Hände, »Friede sei ihrer Asche! Ich – zürne ihr – nicht mehr.«

»Bartholomäus Blume, Vater –«

Der Kranke richtete sich wieder auf und ergriff seine Hand. »Bartholomäus Blume – ja! Der ist ein Held. In dieser jämmerlichen Zeit, die uns alle zu Fall gebracht und unter uns selbst erniedrigt, steht er da makellos rein, ein Muster der Treue, ein deutscher Mann.«

»Wenn Ihr ihm dieses Zeugnis gebt, Vater –«

»Ich? Warum nicht ich? Meinst du, ich könnt' solche Hoheit nicht begreifen, weil sie den Gegner ziert, weil ich selbst...? Oh! Wie ich ihn beneide um diesen Ruhm, ganz eins mit sich gewesen zu sein – der Sache gedient zu haben nur der Sache wegen – Liebe und Haß aus reinstem Quell ... Ein Mann, ein Held! Wie sink' ich zu Boden gegen ihn und hab' doch Thorn zur Königin an der Weichsel gemacht und die Hochmeister aus der Marienburg vertrieben. Ach! Wenn nicht Rachsucht in meinem Herzen ... Das Werk bleibt bestehen, aber der Mann, der es vollbrachte, ist klein in seinen eigenen Augen und wird seine Rache nicht rechtfertigen können vor Gott.«

Jost legte den Arm um ihn. »Laßt nun wenigstens dieses Ungerechte nicht geschehen, Vater, bat er. »Bartholomäus Blume ist von den Polen gefangen genommen. Ihr Hauptmann hat ein Gericht über ihn eingesetzt, das ihn zum Tode verurteilen wird. Seine Feinde wollen sich an ihm rächen.«

»Ihn zum Tode –?« rief Tileman. »Das darf der König nicht zulassen. Das wird er nicht –«

»Er wird's, wenn nicht ein Mächtiger ihn um Gnade bittet. Und rasch muß es geschehen – noch in dieser Stunde, Kosczelecz wartet nicht die königliche Bestätigung des Bluturteils ab. Er vollstreckt es, wenn der König nicht rechtzeitig Einhalt gebietet. Vater –! Der König schuldet Euch großen Dank – keinem größeren. Ihr könnt sein Herz zur Gnade bewegen –«

»Ich –?«

»Vielleicht Ihr allein! Erachtet Ihr Euch unwürdig vor Gott, in seines Statthalters Gunst seid Ihr mit Recht so hochgestellt, daß er Euch keine Bitte abschlagen darf. Bittet ihn für des bravsten Mannes Leben, und sein Kind – mein Weib wird Euch segnen!«

Tileman versank in Nachdenken. »Ich ... für Blume ... beim König ...« Seine gekrümmten Finger spielten unruhig auf der Bettdecke. Plötzlich warf er sie zurück. »Ja, ich will's! Das ist meine Buße. Kleide mich an. Zum König!«

Er war so schwach, daß er mehrmals ohnmächtig umsank. Sobald er aber wieder zu sich gekommen war, setzte er alle Willenskraft ein, sein Wort zu lösen. Es wurde ein Tragstuhl gebracht. Man setzte ihn darauf und hüllte ihn in Decken. Vier kräftige Speicherarbeiter trugen ihn, immer zwei und zwei sich abwechselnd. Jost ging an seiner Seite und stützte ihn.

Auf dem Markt blieben die Leute stehen und schauten ihm verwundert nach. »Herr Tileman vom Wege – der todkranke Ratsherr –? Will auch der nicht versäumen, beim Herrn König seinen Glückwunsch anzubringen? Dann muß es seine Richtigkeit haben mit Marienburg.«

Die Boten waren in des Königs Herberge angekommen. Aus den Fenstern des Hauses wurden Stangen mit vergoldeten Knöpfen und angehängten Bannern gesteckt. Die Zinkenisten waren berufen und bliesen auf dem Podest. Ein Herold ging nach dem Rathaus und überbrachte die frohe Meldung, daß Marienburg dem König übergeben sei. Nun wehten bald auch hier die Fahnen auf allen Türmen. Der Rat versammelte sich und eilte, der Majestät von Polen zu gratulieren. Viele Bürger schlossen sich an, die Straße stand voll Menschen. Hochrufe tönten unaufhörlich zu den Fenstern hinauf, bis der König sich sehen ließ und dankte. Kaum konnten die Trabanten für die Würdenträger der Stadt und die polnischen Hofbeamten, die aus ihren Herbergen herbeikamen, den Weg zur Treppe frei halten.

Als Tileman anlangte, hatte der Rat soeben Audienz erhalten. Er ließ einen der Bürgermeister herausbitten und brachte durch ihn die Meldung an den König. Seiner Krankheit wolle der gnädige Herr es zugute halten, wenn er sich im Stuhl ins Zimmer tragen lasse und nicht aufstehe. Sein Gesuch sei sehr dringend und könne nicht verschoben werden. Es war allgemeines Erstaunen unter den Ratsherren, als der Bürgermeister diese Rede an den König richtete; niemand hatte geglaubt, daß Tileman vom Wege noch jemals sein Haus verlassen werde.

Der König, der diesen Besuch als eine besondere Aufmerksamkeit für seine Person betrachtete, gab geschmeichelt sofort Befehl, daß der Kranke hereingetragen werde. Er ging ihm sogar einige Schritte entgegen, reichte ihm sehr gnädig die Hand zum Kusse und sprach seine Freude darüber aus, ihm, dem unermüdlichen Vorkämpfer der Krone Polens, den Fall Marienburgs mit eigenem Munde bestätigen zu können.

Tileman neigte den Kopf. »Großmächtigster, durchlauchtigster König, gnädigster Herr«, begann er, wegen Luftmangels oft aussetzend, »Ew. Majestät dank' ich vorerst für die Huld – den kranken und durch mancherlei Leiden geschwächten Mann – anhören zu wollen und dabei der sonst schuldigen Form zu entledigen. Ich will mich – der Kürze befleißigen und in der Rede geradeaus gehen – damit nicht ein böser Anfall – mir ewig das Wort vom Munde abschneidet. Wahrlich – ich fühle mein Ende nahe. Ew. Majestät ist bekannt, daß ich einer der ältesten im Bunde bin, der nicht zum geringsten auf meinen Rat – das Land Preußen der Krone Polen angeboten hat – und es war auch meine Meinung von je, daß sie sich dessen mit großer Kraft unterwinde, was sie uns zugefügt, damit dieser schreckliche Krieg – bald beendet sei und das Land sich – unter Ew. Majestät mächtigem Zepter und gnädigstem Schutz – wieder des Friedens erfreue. Darum hör' ich gern, daß die Stadt Marienburg – endlich zu Fall gebracht ist, und hoffe mir davon, daß der Feind – seine Ohnmacht erkennt und sich Eurer Gnade unterwirft. Um so größer schätz' ich den Sieg, um so ruhmreicher – die Verteidigung war, und so kommt mein Glückwunsch – aus aufrichtigem Herzen. Da aber des Kampfes Preis – der Friede sein soll, den doch nur des Siegers weise Mäßigung dauernd herbeiführen kann, so wag' ich Ew. Majestät zugleich ehrfurchtsvoll mit der Bitte anzutreten, zu solchem Ziel Gnade vor Recht ergehen zu lassen und der schwergeprüften Stadt – Verzeihung nicht zu versagen. Bin ich dessen gewiß, gnädigster Herr, so will ich – ruhigen Gemütes hinüberfahren und dort oben auch meiner Missetaten Verzeihung hoffen.«

König Kasimir hatte anfangs mit wohlwollendem Lächeln zugehört. Dann war sein Gesicht ernst geworden; die Bitte schien ihn peinlich zu berühren. »Lieber Getreuer«, antwortete er, »wir glauben in diesen Jahren unserer Herrschaft bewiesen zu haben, daß eher zu große Milde als Grausamkeit unser Fehler ist, und hätten deshalb wohl auch diesmal gutes Vertrauen erwarten können. Seid unbesorgt. Unser Feldhauptmann hat, wie er mir schreibt, einen Vertrag geschlossen, der allen gegen volle Unterwerfung unsre Gnade in reichstem Maße und fast überschwenglich verbürgt. Wir wollen die Tapferkeit ehren und den Verführten ein milder Richter sein. Deshalb bestätigen wir gern das Paktum und hoffen, von den Begnadeten nicht mit Undank belohnt zu werden.«

»Eure Majestät spricht von den Verführten«, nahm Tileman wieder das Wort. »Daraus erkenn' ich, daß nach Eurer Majestät Willen etliche – ausgeschlossen sein sollen, die man als die Verführer bezeichnet und will bluten lassen. O gnädigster Herr, bedenkt, daß sie – vielleicht die Würdigsten sind der Verzeihung –«

»Was sprecht Ihr da?« unterbrach ihn der König mit sichtlichem Unmut.

»Es sind überall die Hochstehenden«, fuhr Tileman unbeirrt fort, »die vermöge ihres Amtes voraustreten müssen mit Rat und Tat. Ihr Schicksal ist's, daß sie sich schuldig machen müssen – nicht ihres Herzens Bosheit. Was ihre Tugend ist, wird ihr Verderben. So kenn' ich einen Mann, der vor vielen Tausenden sich bewährt hat in der Treue. Und wahrlich – nicht geringer mag Eure Majestät ihn schätzen, weil diese Treue – dem Feinde galt, der schon halb – am Boden lag, niedergeworfen von Eurem mächtigen Arm. Ich bitt' Eure Majestät Großherzigkeit für dieses Mannes Leben.«

Der König kniff die Lippen. »Ihr meint ...«

»Bartholomäus Blume.«

»Ah –!« Der König stieß einen Laut des Unwillens aus. »Den Namen hätt' ich von Euch nicht hören sollen, Tileman. Euer leidender Zustand scheint Euch den Geist zu verwirren. Wie könntet Ihr sonst eintreten für den Meineidigen und Friedensbrecher? Ihr rühmt ihn wegen seiner Treue. Die hätten wir ihm nicht minder hoch gerechnet, wenn er darin gegen uns gestanden wäre bis zum letzten. Ihr scheint aber zu vergessen, daß er schwach geworden ist und uns den Eid geleistet hat. Schuldete er uns weniger Treue? Er hat den Eid gebrochen und viele Schwachmütige zum Eidbruch verführt! Dafür büßt er nach der Gerechtigkeit.«

Die Umstehenden gaben ihre Zustimmung zu erkennen. Rutger von Birken und Johann von Loë traten zu Tileman und suchten ihn zu hindern, noch weiter zu sprechen. Er aber wies sie mit der Hand fort, unterdrückte gewaltsam den Krampfhusten, der ihn befiel, und sagte, sich neigend: »Büßt Bartholomäus Blume dafür nach der Gerechtigkeit, so sind hier wenige im Gemach, die sich nicht gleich schuldig gemacht. Wir alle haben dem Herrn Hochmeister den Eid der Huldigung geleistet und sind von ihm abgefallen zu Eurer Majestät. Ist das um großer Ursachen willen geschehen, die uns rechtfertigen, so hat Bartholomäus Blume dem Zwang nachgegeben, der mächtiger ist als die Überzeugung. Er ist schuldig, aber keiner verdient's mehr, daß die Gnade ihn löse.«

»Meint Ihr?« fragte der König, im Kreise umblickend. Er glaubte von den Gesichtern der Ratsherren zu lesen, daß sie von Nachgiebigkeit abrieten. Deshalb glättete sich die Falte auf seiner Stirn und verzog sich der Mund zu einem fast spöttischen Lächeln. »Verzeiht, daß ich Euch nicht beitrete«, fuhr er fort. »Man soll wissen, daß ich der Herr bin im Lande und Abfall nicht ungestraft lasse. Das Land wird mir danken, wenn ich niemand ermutige, solchem Beispiel von Pflichtvergessenheit zu folgen. Es geschehe nach dem Rechten!«

Tileman streckte flehend die Hände aus. »Gnade – Gnade! Wenn dankenswert war, was ich je für Eure Majestät getan –«

»Ihr erinnert zur Unzeit daran.«

»Bei Gott! Ich könnte bereuen ...«

Ein zorniger Blick des Königs legte ihm Schweigen auf. »Ich merke, Ihr seid schwach geworden und verleugnet Eure Grundsätze. Wie war's doch, als die Gemeine der Stadt Thorn vom Rat abfiel und sich zum Orden wandte? Da waren Euch siebzig Köpfe nicht zu viel, die Schuld zu sühnen, und Ihr beeiltet Euch sehr, sie fallen zu lassen, eh' ich Einspruch zu erheben vermochte, wie ich gern gewollt. Seid Ihr nun so blutscheu, daß ein einziger Euch schreckt?«

Er sprach mit hochaufgerichtetem Kinn über ihn hinweg und sah nicht, daß Tileman im Stuhl zusammensank, wie von einem Faustschlage getroffen. Erst der röchelnde Ton machte ihn aufmerksam. Die Ratsherren sprangen hinzu, suchten ihn aufzurichten. Es war vergeblich. »Bringt den kranken Mann zu Bett«, sagte der König anscheinend mitleidig, »er hat sich zu viel zugemutet.«

Rutger von Birken zog ihm die Decke über den Kopf. »Greift an!« Zwei von den jüngeren Ratsherren trugen ihn hinaus und übergaben ihn Jost vom Wege. »O mein Vater!« schrie dieser auf, am Stuhl niedersinkend und die herabhängende, bläulich gefärbte Hand fassend. Er glaubte einen schwachen Druck zu fühlen. »Nach Hause – eiligst nach Hause!«

Als die Träger dort anlangten, war Tileman vom Wege bereits verschieden.


Jost beeilte das Begräbnis. Die Stadt richtete es ihrem großen Bürger pomphaft aus. Der König selbst erschien als Leidtragender am Sarge. Dem Sohne versicherte er aufs gnädigste, daß er ihm des Vaters wegen die Streitgenossenschaft mit den Marienburgern verzeihe und ein huldvoller König sein wolle. Zu seinem Kanzler sagte er: »Ich wollt', er hätte noch andere mitgenommen, die allzu zuversichtlich auf unsern Dank meinen Anspruch zu haben. Er drückt die königlichen Schultern. Eigensinnige Köpfe! Es ist noch viel zu tun, bis in diesem Lande die Krone Polen in Wahrheit Herrscherin ist. Das kommende Geschlecht aber wird sich beugen.«

Der Kanzler verneigte sich tief. »Eure Majestät bring' ich dann eine gute Nachricht«, erwiderte er. »Der Gubernator Hans von Baisen ist kürzlich auf seinem Gute der Krankheit erlegen.«

Kasimir senkte die Augen. »Wir wollen ihn nach Gebühr betrauern und die Wahl seines Nachfolgers nicht übereilen.« –

Als Jost nach Marienburg zurückkehrte, kamen ihm Frau Christine und Magdalene in schwarzen Kleidern entgegen. Bartholomäus Blume war aus des Gerichtes eiligen Spruch durch das Schwert vom Leben zum Tode gebracht worden. Das geschah auf dem runden Turm an der südlichen Ecke der äußeren Stadtbefriedigung, und er hieß fortan Blumsturm. Sein Körper war in vier Teile zerrissen worden. Die hingen noch jetzt als schaudervolle Warnungszeichen an den Toren der Stadt und des Schlosses. Sein Vermögen hatte das Gericht dem König zugesprochen. Mit Blume waren seine zwei Kumpane hingerichtet. Die Stadt schien wie ausgestorben.

»Er hat mutig und gottergeben seinen letzten Gang angetreten«, sagte die Bürgermeisterin, ihren Tränen den Lauf lassend. »Kein treuerer Mann hat je gelebt. Er hat die Schuld der Stadt auf sich allein genommen und gebüßt.«

»Es wird eine Zeit kommen, die seines vergossenen Blutes gedenkt«, rief Jost. »Sein Heldenkampf ist nicht umsonst gewesen. Schon ziehen die Polen ab. Die Hälfte seines Besitzes ist dem Deutschen Orden gerettet und auch hier im Weichsellande wird man nicht ganz vergessen, wofür ein deutscher Mann in den Tod gegangen ist!« Magdalene schmiegte sich an ihn. »Er hat in der letzten Minute seine Kinder gesegnet«, sagte sie.


Marcus und Ursula hatten den Wald unangefochten erreicht. In der Kapelle schlossen sie ihren Bund vor dem Kaplan und zwei Zeugen. Dann suchten sie die Hütte auf. Sie war nicht völlig zerstört. Marcus zog Arbeiter von den Waldleuten heran und besserte notdürftig das Dach und die Umzäunung aus. Von den Beutnern, die sich Ursula für die Wohltaten ihrer Mutter gern dankbar bewiesen, erhielten sie Lebensmittel, die Jäger brachten Wild, an Waldbeeren fehlte es nicht. So verbrachten sie in der Abgeschiedenheit einige glückselige Wochen.

Hätte sie nur nicht immer wieder aus ihrem holden Liebestraum der Gedanke aufschrecken müssen, welche Leiden zu derselben Zeit Marienburg zu bestehen hatte! Oft sprachen sie davon und vergaßen dann alles Küssen und Herzen. Sie gingen nach Heilsberg in der Hoffnung, von dem Schicksal ihrer Stadt etwas zu erfahren. Aber es hieß nur immer, es komme keine Botschaft von dort, das Polenheer rücke aber nicht weiter vor und müsse daher wohl von den tapferen Marienburgern aufgehalten werden. Wehe dem Lande, wenn dieser starke Wall brechen sollte!

Immer quälender wurde Marcus seine Untätigkeit. »Ich halt's so nicht länger aus«, gestand er eines Tages Ursula. »Ich will zusehen, ob ich dem Herrn Hochmeister eine Mannschaft anwerben und auch zubringen kann. Und wär's ein Häuflein von zwanzig oder dreißig Köpfen, es soll ihm wohl nützen. Bereitet er, wie ich hoffe, den Entsatz von Marienburg vor, so wird es mir wohl vergönnt sein, für meine Vaterstadt auch außerhalb ihrer Mauern zu kämpfen.«

Diesen Plan billigte Ursula ohne Bedenken. Nun sprach Marcus mit den Söhnen der Holzschläger und Kohlenbrenner, der Beutner und Bauern im Walde und in der Umgegend von Heilsberg, stellte ihnen beweglich Marienburgs Not vor Augen und beschwor sie, dem Meister zu Hilfe zu ziehen. Viele erklärten sich bereit. Es kam eine ansehnliche Schar zusammen. Marcus ließ eiserne Spitzen schmieden und auf Stangen nageln, damit jeder einen Spieß habe, bis er aus der Rüstkammer eines Ordensschlosses besser bewaffnet werden könne. Ursula stickte mit groben Fäden in ein Leinentuch das Bild der Jungfrau Maria. Es wurde als Fahne vorangetragen.

Marcus traf unterwegs den Spittler von Plauen und schloß sich ihm an. Von ihm mußte er jedoch mit Betrübnis erfahren, daß Marienburg schon übergeben und sein edler Vater als ein Opfer der Rache des Feindes gefallen sei. Das polnische Heer hatte trotz des Sieges nicht gewagt, weiter ins Land vorzudringen, sondern war eilig abgezogen, nur eine starke Besatzung im Schloß zurücklassend. Marcus begab sich in die Stadt und suchte seine Mutter auf. Er fand sie im Hospital, da das Haus und Landgut ihr genommen war. Daß er lebte und Ursula sein Weib nannte, war nun ihr ganzer Trost.

Jost vom Wege war mit Magdalene nach Thorn gegangen. Dort versilberte er seines Vaters Nachlaß, um dann nach der Heimat seiner Familie, Westfalen, zurückzukehren. Er erwarb in Dortmund das Bürgerrecht, wo sein Geschlecht noch lange blühte.

Marcus Blume trat in des Hochmeisters Dienst und wurde, nachdem er sich längere Zeit für ihn im Felde herumgeschlagen, dessen Schäffer in Königsberg. Hier gewann er bald bei den Kaufleuten der drei Städte Vertrauen und wußte durch die treue Verwaltung seines Amtes manche Not seines gnädigen Herrn zu mildern. Seiner Mutter wegen durfte er außer Sorge sein. Der König hatte das ganze Besitztum Blumes dem Woywoden von Pommerellen, Herrn Otto von Machwitz, als Lohn für große Verdienste geschenkt. Dieser war edel genug, einen Teil der Witwe zurückzugeben. Von Marienburg wollte sie sich nicht trennen. Hochgeachtet von den Bürgern, die in ihr das Andenken Blumes ehrten, ist sie dort auch gestorben. Von dem Erbe, so gering es war, konnte Marcus eine Anzahl wüste Huben in der Nähe des Frischen Haffes ankaufen. Er baute darauf ein Häuschen und zog mit Weib und Kind aufs Land. Seinem Fleiß und eisernen Willen gelang es, den Acker wieder fruchttragend zu machen und den Wald in ein nutzenbringendes Forstrevier umzuwandeln. Seine Ehe blieb die glücklichste. Mit seiner Schwester wechselte er von Zeit zu Zeit, wenn sich eine günstige Gelegenheit über Lübeck ergab, einen Brief, der dann von hier und dort einen Bericht über die häuslichen Erlebnisse abstattete. Sie nahmen in Aussicht, daß die Kinder einmal einander aufsuchen und die Familienverbindung neu befestigen sollten.

Dreizehn Jahre dauerte der furchtbare Krieg, der das Land verwüstete und von mehr als zwanzigtausend blühenden Dörfern wenig mehr als dreitausend übrigließ, die Städte verarmte, die Kirchen in Ruinen verwandelte, fruchtbare Gefilde in Wildnis verödete, in der noch nach Jahrhunderten die ehemaligen Ackerfurchen erkennbar waren. Er endete erst mit der gänzlichen Erschöpfung beider Teile, Ihr Besitzstand war nach der Eroberung Marienburgs wenig verändert worden. Der Deutsche Orden behielt, was er zähe behauptet hatte, mußte aber im Frieden zu Thorn die Lehnoberhoheit der Krone Polen anerkennen. Der Hochmeister wurde polnischer Reichsfürst und sollte auf dem Reichstage zur Linken des Königs sitzen.

Ludwig von Erlichshausen achtete diese Ehre gering gegen den Verlust der selbständigen Herrschermacht. In tiefster Armut, oft in Sorge um die nächste Mahlzeit, starb er bald nach dem Friedensschluß im Schloß zu Königsberg, das nun Hochmeistersitz geworden war, an gebrochenem Herzen. Sein Nachfolger wurde der tapfere Heinrich Reutz von Plauen, dem der Orden es verdankte, daß er nicht ganz des Landes vertrieben war.

Ehre seinem Andenken! Er bewahrte die deutsche Nordostmark vor dem Schicksal des Weichsellandes, unter polnischer Mißwirtschaft langsam dem Deutschtum abzusterben, das ihm seine Blüte gegeben hatte. Ein König von Preußen war's, der nach dreihundert Jahren dem Verderb Einhalt tat und das alte Ordensland wieder unter seinem Zepter vereinte.

Die Marienburg aber, einst der Hochmeister stolze Residenz und wegen ihrer Herrlichkeit in allen Ländern gepriesen, dann in traurigem Verfall, der Amtssitz eines polnischen Starosten, zuletzt nur noch eine Ruine, spiegelt sich wider im Nogatstrom mit ihren Türmen und Zinnen in alter Pracht. Die Stadt hat noch ihre Lauben erhalten, und wer zwischen ihnen hin über den Marktplatz nach dem Rathause wandert, vergißt sicher nicht ehrfurchtsvoll aufzublicken zu der Gestalt von Erz, in deren Sockel der Name Bartholomäus Blume eingemeißelt ist.


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