Ernst Wichert
Der Bürgermeister von Thorn
Ernst Wichert

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Zweites Kapitel

Geheime Pläne

Herr Ludwig von Erlichshausen residierte noch in der Marienburg, aber längst schon hätte es seinen eigenen Wünschen mehr entsprochen, sich eine andere, wenn auch viel weniger glänzende Wohnstätte zu suchen. Nun mußte er als des Ordens Haupt ausharren, um seinen Gliedern nichts zu vergeben, und selbst die Beweglichkeit, mit der sonst die Hochmeister auf häufigen Reisen durch das Land ihres Amtes zu walten pflegten, war ihm genommen, jeder selbst kurz vorübergehende Ortswechsel sollte vermieden werden. Die Großgebietiger fürchteten, die Soldhauptleute könnten ihm einmal bei der Rückkehr das Tor verschlossen halten. Es war ein leichtes, ihn nicht einzulassen, aber zehnmal würden die Gewalthaber sich's überlegen, rechneten sie, ihn zum Weggang zu nötigen. Man war noch im Besitz des mittleren Schlosses und wollte ihn festhalten bis aufs letzte.

Welche Tage der Qual! Und sie summten sich jetzt schon zu Jahren. Wie bald war der Jubel über des Kaisers günstige Entscheidung auch in der Marienburg verklungen! Der Hochmeister selbst hatte nie das Angstgefühl loswerden können, daß des Ordens Triumph seine schwerste Niederlage bedeutete. Die vielen Sorgen und Demütigungen hatten seine Gemütsart ganz verändert. Wer ihn vor zwanzig Jahren gekannt hatte in der strotzenden Fülle seiner Lebenskraft und Lebensfreudigkeit, mußte über diesen jähen körperlichen und geistigen Verfall erschrecken. Sein Bart war weiß geworden, sein Auge matt, seine Wange bleich; er ging gebeugt, wie niedergezogen zum Erdboden, und saß zusammengesunken im Lehnstuhl, aufschreckend bei jedem Geräusch und am liebsten die Hände faltend, als konnten nur noch Gebete, nicht mehr Taten nützen. Er war melancholisch und ein Schwarzseher. Immer das Schlimmste erwartete er zu hören, und mit Mißtrauen betrachtete er den, der ihm einmal eine gute Nachricht brachte oder einen freundlichen Erfolg in Aussicht stellte. Täuschungen – Täuschungen! Wartet bis morgen, dann zieht wieder das finstere Gewölk herauf und verdeckt jede Aussicht!

Mitunter durchwandelte er unruhig, wie ein von schweren Träumen Aufgestörter, die großen Prachtzimmer der Hochmeisterwohnung mit gesenktem Kopf und schleppendem Schritt. Er blieb vor den schlanken Granitpfeilern stehen und schien sich zu wundern, daß sie noch das hochaufstrebende Gewölbe trügen; er trat in die Fensternische und schien abwarten zu wollen, bis der Strom aufhören werde zu fließen; er blickte zu den alten Bildwerken aus der Heiligengeschichte auf, mit denen die Bogenausschnitte der Wände geschmückt waren, als wollte er den Märtyrer aussuchen, der mehr gelitten als er. Immer quälte ihn die Erinnerung, daß vor ihm in diesen Räumen so viele mächtigere und glücklichere Herrscher Hof gehalten und den Orden zu Ruhm und Ansehen in der ganzen Christenheit gebracht – Siegfried von Feuchtwangen, der den Hochmeistersitz von Venedig nach der Nogat verlegt und dieses glänzende Haus gebaut; Karl Bessart von Trier, der Pommerellen an den Orden brachte und mit starker Hand gegen die weltliche und kirchliche Macht behauptete, dasselbe Pommerellen, das jetzt verloren war; Winrich von Kniprode, dessen Klugheit und Tapferkeit dem Lande ein dreißigjähriges Wohlsein bereitete und den Deutschen Orden den mächtigsten Fürsten an Einfluß gleichstellte; Konrad von Wallenrod, der an seinem Ehrentisch die Blume der Ritterschaft begrüßen durfte; die beiden Jungingen, Konrad, der die Seeräuber niederwarf und die Neumark dem Orden erwarb, und der ritterliche Ulrich, den auf dem Schlachtfelde zu Tannenberg eines Polen Lanze das edle Herz durchbohrte, daß den Schmerz über des Ordens Niederlage nicht zu überwinden vermocht ... Sie alle standen ihm vor Augen und noch viele mehr, bis auf seinen Vetter Konrad, der weise waltete und den Frieden bewahrte. Selbst jenen Werner von Orseln konnte er beneiden, den nach kurzer kräftiger Regierung eines Meuchelmörders Stahl zum Tode traf, und Heinrich von Plauen, der Undank erntete und als ein Gefangener auf der einsamen Burg Lochstätt endete, dessen ruhmreiche Taten ihm aber die Unsterblichkeit sicherten. Welche Bilder der Vergangenheit! Welches Aufwärtsstreben! Welche gewaltige Anstrengung in der Verteidigung des Erworbenen! Und nun hinab – hinab – unaufhaltsam hinab! In die Ordenschronik sollte eingeschrieben werden: Unter Ludwig von Erlichshausen verlor der Deutsche Orden das Kulmer Land und Pommerellen – die Marienburg – vielleicht ...

Es war, um wahnsinnig zu werden! Konnte denn nicht ein kühner Entschluß, eine waghalsige Tat ... Ah! Da lärmten draußen die Söldner und forderten ihr Geld. Ihm waren die Hände gebunden, die es nicht auf den Tisch zählen konnten. Elendes Geld! Damit siegten die Krämer.

Daß sie reich geworden waren, die von Danzig und Thorn, wem verdankten sie's als dem Orden, der sie mit dem Schwert schützte? Und nun standen sie mit ihren Söldnerhaufen wenige Meilen entfernt und lauerten auf die günstige Zeit, ein billiges Kaufgeschäft abzuschließen. Polen rüstete von neuem. Wie lange noch, und wieder schwärmten die wilden Horden sengend, brennend, mordend durch das unglückliche, schon so arg verwüstete Land. Das Schwert ziehen? Lächerlich! Was konnte der einzelne gegen solche Übermacht? Ausharren – in Schimpf und Schande ausharren, das allein konnte das Unheil hinfristen. Aber mit welchem Herzen –? Und es wollte doch nicht brechen.

Der Deutschmeister, an den er sich oft genug in seiner Not mit dringenden Bitten um Unterstützung aus dem Reich gewandt, hatte ihm doch wenig Trost senden und noch weniger Hilfe schicken können. Er reifte an den Fürstenhöfen herum und hielt sich auch öfters längere Zeit in des Kaisers Nähe auf, ihn zum Kriege mit Polen zu reizen. Aber überall war schon des Ordens Armut bekannt und das Vertrauen gesunken, es könne ihm noch in Erwartung der Wiedererstattung geholfen werden. Die Zeiten waren vorbei, in denen wenigstens ein Gotteslohn mit der Ausrüstung einer Mannschaft zum Kampf gegen die Heiden zu verdienen war oder der vom Hochmeister Deutschen Ordens auf solchen Kriegsreisen erteilte Ritterschlag als eine besondere Ehre galt. So konnte der Deutschmeister nicht viel mehr tun, als seine eigenen Balleyen leeren und alle irgend entbehrlichen Ordensritter nach Preußen senden. Es waren freilich nur wenige, die mit dem Schwert Dienste tun konnten, und auch die Zeiten kehrten nicht wieder, in denen ein tapferer Mann in starker Eisenrüstung auf gepanzertem Pferde eines ganzen Heerhaufens Wert hatte. Ein geschickter Hakenschütze schoß ihn herunter wie einen andern.

Unter diesen Rittern, die zur Ergänzung der Konvente oder mit Botschaften nach Preußen kamen, befand sich auch Boppo von Ostra. Er hatte das ausgelaufene Auge geheilt und durch sein keckes, rühriges Wesen bei dem neuen Deutschmeister, Herrn Ulrich von Lentersheim, einigen Einfluß gewonnen. In seinem Auftrage war er auf gefahrvollen Straßen im Reich und im Auslande viel unterwegs gewesen, für den Orden zu werben, hatte auch auf seinen Rat eine Pilgerfahrt nach Rom unternommen, sich dem Heiligen Vater zu Füßen geworfen und Vergebung aller seiner Sünden erhalten, deren sich eine stattliche Zahl angesummt haben mochte. Nun war er nach Preußen gesendet, um mit den Hauptleuten der deutschen Söldner, namentlich dem Grafen von Gleichen, wegen der geforderten Bürgschaften zu verhandeln und sie zum treuen Ausharren zu mahnen, auch sich dem Herrn Hochmeister zur Verfügung zu stellen. Das traf mit seinen eigenen Wünschen ganz überein. Er konnte endlich seine Zeit gekommen glauben, sich bei ihm wieder herzustellen und seine ehrgeizigen Pläne zur Reife zu bringen.

Er hatte sich Erlichshausen sehr demütig genähert und mit anscheinend aufrichtiger Reue seine Verzeihung erbeten, aber es war ihm doch nicht leicht geworden, dessen Abneigung zu überwinden. Freilich konnte der Hochmeister jetzt in seiner schweren Bedrängnis nicht daran denken, ihn gänzlich abzuweisen, und dazu riet nicht einmal der strenge Spittler; auch mußte er ihn in der Marienburg dulden, wo er mit den Hauptleuten eifrigen Verkehr unterhielt, die er denn auch gelegentlich zu Verhandlungstagen mit den königlichen und Bundeskommissarien in Thorn, seiner ritterlichen Abzeichen entkleidet, begleitete; doch hielt er ihn am liebsten in einiger Entfernung und zeigte sich, wenn dies nicht möglich war, in Worten karg und in Mienen unankömmlich. Jedes andere Vergehen hätte er ihm sicher weniger nachgetragen. Aber Ostra erinnerte ihn immer an eigene Schuld. Mußte er doch an Ursula denken, wenn er ihn sah, und an Marcus Blume, und wie er durch seinen Einspruch dieser beiden ihm so nahen Menschen Glück gestört hatte, und wie er dann nicht einmal in der Lage gewesen war, für das Mädchen nach seinem Vornehmen zu sorgen, sondern Mutter und Kind in diesem Kriegssturm sich selbst hatte überlassen müssen. Das fiel ihm allemal schwer auf sein doch schon genug bekümmertes Herz.

Ostra aber gab sich den Anschein, nichts davon zu merken, und setzte seine Bewerbungen um des gnädigen Herrn Gunst fort. Nun war er vor kurzem wieder heimlich in Thorn gewesen, um Ulrich Czerwonka zu beobachten, der schon kein Hehl mehr daraus machte, daß die Böhmen nach dem Verfalltage die Schlösser dem König einräumen würden, wenn man sich über die Kaufsumme einigen könne. Seine Forderung erschien vorläufig noch den Gegnern unerschwinglich hoch; aber er hatte ein minderes Gebot nicht mehr übermütig abgewiesen und versprochen, die Genehmigung der Seinigen einzuholen.

So ließ denn Ostra nach der Rückkehr den Hochmeister wissen, er hätte ihm über wichtige Dinge Bericht zu erstatten, die auf seine Entschließungen großen Einfluß haben könnten. Erlichshausen wagte nicht, ihn fortzuschicken, aber er wollte mit ihm wenigstens nicht Vertraulichkeiten austauschen und nahm deshalb den Spittler in sein Gemach. War es doch auch seine Pflicht, einen von seinen Räten in allen geschäftlichen Angelegenheiten bei sich zu haben, und daran hielt er sich diesmal gern.

»Gnädigster Herr«, begann Ostra, nachdem er auf einen Wink näher getreten war, »ich komme aus der Höhle des Löwen und kenne seine mörderischen Anschläge. Graf Adolf von Gleichen und Herr Georg von Schliwen hatten in Erfahrung gebracht, daß von den Böhmen hinter ihrem Rücken wegen der Kaufsumme verhandelt werde, und fürchteten, sie könnten sich Sondervorteile ausbedingen wollen. Da sie nun gesonnen sind, treu beim Orden zu bleiben, so lange sie's ohne eigene Gefährdung durchsetzen können –«

»So lange sie's ohne eigene Gefährdung durchsetzen können?« wiederholte der Spittler mit Schärfe.

»Sie behaupten, ein mehreres nicht versprochen zu haben«, antwortete Ostra, »und könnten wohl billigerweise darüber hinaus nicht verpflichtet sein. Verlaßt Euch nicht unbedingt auf sie, gnädigster Herr. Sie werden nach Kräften Widerstand leisten, aber nicht über ihre Kräfte. Sobald sie erkennen sollten, daß sie Euch doch nicht mehr nützen können, sich selbst aber um ihren Anteil bringen, werden sie ... Ich weiß nicht, was sie tun und lassen werden. So viel ist gewiß, daß ich auf ihre Bitten nach Thorn ging, wo sie mich schon früher an einige Leute gewiesen hatten, die dem Orden noch wohlgeneigt sind, und daß ich Ew. Gnaden Vorteil zu bedenken glaubte, wenn ich ihnen gefällig war.«

Der Hochmeister nickte kaum merklich, ohne aufzusehen. Zugleich hob er ein wenig die Hand, die auf dem linken Knie ruhte, im Gelenk und bewegte die Finger nach rechts und links, als wollte er diese halbe Zustimmung wieder zurücknehmen.

»Ew. Gnaden sollen wissen«, fuhr der Ritter fort, »daß der König gern jede Bedingung eingehen möchte, die ihn selbst nichts kostet, daß aber die Bündischen, und vornehmlich die großen Städte, seiner Eile einen Hemmschuh anlegen, da sie bedenken, zuletzt doch wieder allein vor dem Riß stehen zu müssen. So haben sie Herrn Tileman vom Wege vorgeschickt, auf dessen Klugheit und Zähigkeit sie sich verlassen können –«

Erlichshausen zog den Fuß zurück wie in Befürchtung einer unangenehmen Berührung.

»Der hat den Böhmen viermalhunderttausend Mark geboten, worauf Czerwonka ihn ausgelacht, aber den Handel doch nicht abgebrochen, und sind schließlich stehengeblieben bei viermalhundertsechsunddreißigtausend ungarischen Gulden zu ein und einhalb preußischer Mark, zur Hälfte vom König und zur Hälfte vom Bunde zu übernehmen.«

»Wie wißt Ihr das?« fragte Plauen, »da Ihr doch schwerlich bei dieser Abmachung zugegen gewesen?«

Ostra lachte verschmitzt. »Herr Tileman vom Wege ist genötigt gewesen, dem Thorner Rat Bericht zu erstatten«, sagte er, »und darin sitzen trotz aller Säuberung noch immer ein paar geheime Anhänger des Ordens. Und ebenso hat Herr Ulrich Czerwonka den anderen Hauptleuten die Summe melden müssen, und sind durch sie von jedem Haufen einige vertraulich zugezogen, ob man auf solche Bedingung abschließen dürfe. So hat die Heimlichkeit vor mir nicht lange Bestand gehabt; hab auch die Angaben dort und hier vergleichen können. Beide Teile sind noch nicht einig, aber es kann wohl sein, daß sie diesmal einig werden.«

»Viermalhundertsechsunddreißigtausend Gulden –«, rief Erlichshausen, »eine ungeheure Summe!«

»Und doch ein Spottgeld für die Marienburg«, setzte der Spittler hinzu. »Unsere Schuld ist freilich viel größer, und auch nicht den vierten Teil der Vergleichssumme vermöchten wir jetzt aufzubringen.«

»Gebt gleichwohl noch nicht jede Hoffnung auf, gnädigster Herr«, nahm Ostra, gegen den Hochmeister gewendet, wieder das Wort. »Des Ordens Sache steht drüben nicht so schlecht. Die Eidechsen allerdings, die sich für ihren Verrat mit Woywodschaften und Kastelaneien haben belohnen lassen, und die Räte in den großen Städten, die der Kaufmannschaft allein das Regiment zu sichern gedenken, halten zum König und sind entschlossen, mit ihm durch Dick und Dünn zu gehen. Aber sie sind der Zahl nach doch nur ein klein Häuflein. In den Zünften regt sich schon lange die Unzufriedenheit. Da sind wenige, die sich nicht mit Seufzen erinnern, wie gut sie es unter dem Orden gehabt und wie wenig sie ihm zu steuern pflichtig waren, während jetzt wegen der gewaltigen Kriegslasten die Teuerung überhand nimmt, und ist noch immer kein Ende solcher Drangsal abzusehen. So erbittert sind sie über die Herren, die des Ordens Schlösser gebrochen und diese Feindschaft angestiftet haben, daß sie schon öffentlich auf allen Straßen ihren Verdruß laut werden lassen und die Ratmannen beschimpfen, wenn sie sich zeigen. Vornehmlich die Handwerker und kleinen Leute aus der Neustadt äußern sich so wild, die doch nur gezwungen vom Orden gekommen ist und zu großem Ärger aller ihrer Bürger jede Selbständigkeit verloren hat. Es darf nur ein Funke hineinfallen, und das Pulverfaß fliegt auf. Hier aber spielt der Rat mit einem Feuerbrand. der tausend Funken sprühen wird. Denn das Geld für die Schlösser kann nur durch einen neuen allgemeinen Schoß aufgebracht werden, und dazu müssen die Gemeinen ihre Zustimmung geben. Wie ich die Stimmung in Thorn kenne – und in Danzig soll sie noch erregter sein –, wird eher ein Aufstand losbrechen, als daß man sich willig gibt. Wären die Leute aber noch zage, so lange sie sich selbst überlassen sind, so bedarf's doch nur der geringsten Aufmunterung Ew. Gnaden, um sie gesamt für den Orden in Harnisch zu bringen.«

Erlichshausen schüttelte das schwere Haupt. »Wir haben schon einmal solche Hoffnung gehegt«, sagte er mit matter Stimme, »und viel Unheil über unsere treuesten Anhänger gebracht, ohne doch für uns etwas erreichen zu können.« Er wendete sich zu Planen zurück, der hinter seinem Sessel stand, und sprach das Folgende mehr zu ihm als zu Ostra, für den es doch bestimmt war. »Ich hatte gutes Zutrauen zu Georg von Korith, der mir erzählte, er sei in Thorn gewesen und bei Niclas Helwig in der Kulmer Straße abgestiegen, wie meist die vom Lande, und hätte ihn im Gespräch als einen Anhänger des Ordens befunden, der unter anderm auch gesagt hat, die Stadt Thorn würde wohl zum Hochmeister zurückkehren, wenn sie nicht dessen Rache fürchtete; es gehe das Gerede, daß er köpfen und morden würde, wenn er sie wiederbekomme. Auf dieses schrieb ich einen Brief an die Gemeine Thorn und ließ ihn Helwig durch den Komtur von Mewe zugehen. Den trug Helwig Wohl acht Tage lang mit sich umher in großen Ängsten und beichtete zuletzt dem Lesemeister der Franziskaner in der Marienkirche sein Geheimnis. Der riet ihm, sich dem Pfarrer Andreas anzuvertrauen, der des Ordens sei, und sind durch diesen auch am Abend mehrere Bürger versammelt worden. Sie einigten sich, uns aufzufordern, mit Heeresmacht vor die Stadt zu kommen, die größere Liebe zu uns habe als zum Könige. Man wolle dann den Rat gefangennehmen und uns überantworten. Als aber das Ordensheer vor die Stadt rückte, fand es die Tore verschlossen – die Verschwörung war entdeckt, die Anstifter büßten sie mit dem Leben, Pfarrer Andreas wurde aus der Stadt vertrieben.«

»Er ist aber noch im Lande«, sagte Ostra, »und hält sich verborgen auf dem Herrensitz eines andern Mannes, den die Thorner auch ausgetrieben, ihres früheren Ratmanns Götze Rubit. Bei ihm hab ich kürzlich übernachtet und auch einige von den Putten angetroffen, die dem Rat nichts Gutes gönnen, denn ein Werner von Putten war unter denen gewesen, die er auf dem Markte hatte hinrichten lassen.«

»Auf Götze Rubit ist wenig Verlaß«, nahm der Spittler das Wort. »Er hat den Mantel nach dem Winde gehängt und mit jedem Part falsches Spiel gespielt. Das ist leicht zu beweisen. Zuerst war er ein eifriger Anhänger des Bundes, hatte der Stadt viel Geld vorgestreckt und war vom Rat nach Straßburg geschickt, das Schloß für ihn zu halten. Da nun aber der Rat Schwierigkeiten machte, ihn wegen seiner Auslagen zu befriedigen, knüpfte er mit unseren Söldnerhauptleuten Verhandlungen an, ihnen das Schloß zu übergeben. Was doch nicht geschehen konnte, da er scharf von der Bürgerschaft überwacht wurde, die zum König hielt. Die Unsern mußten abziehen. Bald darauf wollte der König selbst Straßburg in seine Gewalt bringen und ließ Rubit das Geld anbieten, was er auch gern genommen hätte, obgleich er dem Bunde geschworen, keinen Polen einzulassen. Dahinter kam der Thorner Rat und schickte den Ratmann Johann Ziegenhals ab, ihn der Hauptmannschaft zu entsetzen. Das gelang auch mit großer Mühe, und wurde Götz Rubit als Gefangener nach Thorn eingebracht, wo ihm der Prozeß gemacht werden sollte. Auf des Königs Bitte schenkten sie ihm dann aber das Leben und ließen ihn frei, doch daß er die Stadt verlassen mußte. So sehet Ihr, wie unzuverlässig er ist.«

»Er hat mir's in wichtigen Punkten anders dargestellt«, entgegnete Ostra. »Tileman vom Wege hab ihn in die ganze Verlegenheit gebracht, da er ihm das Geld ohne sichere Verschiebung abgeschwindelt, so daß er lieber gewünscht, er hätte zu der Zeit die Sucht gehabt. Er sei immer dem Orden ergeben geblieben und hätte gern das Haus Straßburg an ihn zurückgebracht, was doch nicht möglich gewesen. Mit dem König hätte er verhandelt, um Zeit zu gewinnen und jedenfalls den Thornern das Schloß zu entwinden. Von Ziegenhals bewältigt, sei er von dessen Trabanten, die ihn in seinem Gemach bewachen sollten, beschossen worden, habe ihm auch am Morgen einen Pfeil vorgezeigt. Sie hatten ihm offenbar wider alles Recht ans Leben gewollt. Um sein Geld sei er geprellt, vergesse das aber den Thornern nimmer. Die von Putten bestätigten, daß in der Stadt der Widerwille gegen den Rat groß sei, der sich nur durch des Königs Gnade zu bereichern trachte, die anderen Bürger aber ausschließe. Die alten Geschlechter und die Handwerker seien auf des Ordens Seite und warteten nur sehnlichst auf den Tag, an dem sie losbrechen könnten. Gnädigster Herr, sehet nicht so sehr auf den Mann als auf die Sache. Mag Rubit auch von Rachsucht getrieben sein, so wird er Euch doch gute Dienste leisten. Ich selbst aber will mich erbieten, für Euch zu handeln, wie ich mich großen Dankes gegen Euch schuldig weiß, und keine Gefahr scheuen, mich in die Stadt einzuschleichen und das Feuer zu schüren, damit ich Eure Gnade wiedergewinne, die ich wahrlich zu schwerem Kummer eingebüßt.«

Er beugte dabei das Knie und wollte den Saum des hochmeisterlichen Gewandes küssen. Erlichshausen aber reichte ihm die Hand zum Kusse, sagte, er Wolle alles bedenken, und entließ ihn sehr gnädig, während der Spittler geärgert sich nach dem Fenster abwandte. Er konnte es Ostra nicht vergessen, daß er nur durch Exdorfs Ränke schmählichem Gefängnis entzogen war.

Als sich nun der Hochmeister mit ihm allein sah, fragte er unschlüssig: »Was dünket Euch nun von alledem, Bruder Plauen? Mir will scheinen, der Mann hat guten Willen, uns zu dienen.« »Es mag sein«, antwortete der Spittler, »wenn er sich selbst damit dient. Er ist jetzt gar verändert in seinem Wesen, kommt mir aber nicht vertrauenswürdiger vor, als da er des Landes verwiesen wurde wegen sehr unritterlicher Gewalttat.«

»Er hat sich's eine Lehre sein lassen. Auch sind einige Jahre darüber vergangen, in denen er sich unter des Deutschmeisters Aufsicht wohl gebessert haben kann.«

»Dieser Ostra war's, der den Mähren Milotitz anstiftete, hinter Brünn die Bundesabgesandten gefangenzunehmen, wovon unserm Orden viel Verdrießlichkeit erwachsen ist.«

»Das geschah doch in bester Meinung, Bruder Plauen, und waren damals unter den Gebietigern nicht wenige, die wünschten, der Fang wäre geglückt und Baisen nicht entkommen. Wie dem sei, der Ritter berichtet uns von Thorn und Danzig, was doch nicht unbeachtet bleiben sollte. Es stimmt mit andern Berichten überein. Wie soll uns auch geholfen werden, da die Freunde uns verlassen und verraten, als durch der Gegner Uneinigkeit?«

Der Spittler trat vor und ließ eine Weile das große blaue Auge auf seinem bekümmerten Gesicht ruhen. »Es ist leider so«, sagte er, »wir haben von unsern böhmischen Hauptleuten das Schlimmste zu erwarten, und Graf Gleichen wird sie nicht hindern, so gut er uns gesinnt ist. Es trifft auch zu, daß unsere Gegner in nicht viel geringerer Not sind. Der König zögert, mit einem ausreichenden Heer wirksame Hilfe zu bringen, die polnischen Herren möchten große Beute machen, aber wenig wagen, die Städte haben sich in Schulden gestürzt und können doch den Heißhunger nicht befriedigen, des Kaisers Acht und des Papstes Bann sind nicht ganz stumpfe Waffen. Die neue Steuer muß den Gemeinen unerträglich scheinen und sie zum Aufstand gegen ihre Zwingherren treiben. So hab ich's selbst schon bedacht, ob wir die Lage der Dinge zu einem Wagnis benutzen, das uns mit einem Schlage obenauf bringen kann. Nicht durch unzuverlässige und ränkesüchtige Leute eine Verschwörung anzuzetteln, wäre mein Rat, die leicht mißlingt und uns in Geschrei bringt, sondern auf das erste Zeichen des Entgegenkommens mit Offenheit für die Gemeinen Partei zu ergreifen, sie als des Ordens niemals aufgegebene Untertanen zu den Waffen zu rufen, und zugleich mit unserer ganzen Mannschaft und den deutschen Söldnern, die heute noch willig sind, vor die Mauern der Stadt Thorn zu rücken. Tun die innen dann, durch unser Heer ermutigt, ihre Pflicht, so werden wir Sieger sein, bevor die Böhmen ihren Verrat ausgeführt haben, und niemand darf uns selbst einer unehrlichen Tat beschuldigen. Aber mit den Waffen in der Hand müssen wir Thorn einnehmen, für das Recht unserer Bürger gegen ihre aufrührerischen Ratsherren eintretend, und so auch Danzig unterwerfen. Dann nur werden wir die Macht gewinnen, auch der böhmischen Söldner Herr zu werden.«

»Und wenn der Handstreich mißlingt, nachdem wir unsern Plan so offenkundig gemacht –?« gab Erlichshausen zu bedenken. »Wenn die Gemeinen nicht für uns aufstehen, weil unser Häuflein ihnen zu schwach dünkt, da sie doch übersehen, was wir zu ihrem Beistand tun können –? Wenn die Böhmen uns in den Rücken fallen –? Sind die Gemeinen im Aufruhr, so haben sie Wohl selbst die Macht, den Rat zu überwinden, und bleibt ihnen dann nichts übrig, als sich uns in die Arme zu werfen. Mißglückt ihr Anschlag, so stehen wir, wie wir standen, und haben nicht vergeblich den letzten Anker über Bord geworfen.«

»So treiben wir steuerlos weiter auf einer wilden See«, sagte der Spittler. »Schlägt das Wetter irgendwo um, wir werden keinen Vorteil davon haben.«

Der Hochmeister hatte den Ellenbogen aufgestützt und ließ die Fingerspitzen über die blaugeäderten Schläfen hin- und hergleiten, immer und immer wieder. Es war dies ein Mittel, seine Kopfnerven ein wenig zu beruhigen; jede Aufregung verursachte ihm einen wütenden Kopfschmerz. Der Spittler suchte ihn durch eindringliche Vorstellungen zu einem Entschluß zu ermutigen, versetzte ihn aber nur in beängstigende Unruhe.

»Bruder Plauen«, sagte er endlich, »ich kenne Eure Denkart genau und möchte Wohl in den meisten Fällen im voraus erraten können, worauf Ihr zielen werdet. Ihr seid nicht nur im Orden, wie so viele von den Brüdern, sondern Ihr seid ein lebendiges Stück von ihm, und es kränkt Euch in tiefster Seele seine jetzige Erniedrigung. Da möchtet Ihr nun irgend etwas Heldenmütiges unternehmen, ihn bei Euch selbst aufzurichten und den Zeitgenossen noch einmal als ein hellaufleuchtendes Gestirn erscheinen zu lassen – sei's auch im Verlöschen. Es soll etwas Großes geschehen – etwas weit über unsere Kraft; und alles, was noch geschieht, soll geschehen in diesem Geiste des Opfers, entweder ruhmvoll unterzugehen oder eine Wendung des Geschicks zu erzwingen. Ihr steht mit solcher Gesinnung allein und findet nicht einmal viele, die sie zu schätzen wissen wie ich. Lieber Getreuer, wenn ich die Hoffnung hätte, Ihr würdet an meine Stelle gewählt, längst schon hätte ich mein drückendes Amt niedergelegt und eine Klosterzelle aufgesucht. Aber die Zeit ist noch nicht reif, des Elends noch nicht genug; ich kenne die Jammerseligkeit der Menschen, von denen diese Dinge abhängen. Sie werden Euch nicht wählen, denn sie ängstigen sich noch mehr vor Euch, daß Ihr ihnen den Kampf aus Leben und Tod zumuten möchtet, als vor dem Feinde, der sie doch schonen könnte. Oder meint Ihr's anders?«

Plauen schwieg, düster vor sich hinsehend. Du selbst ängstigst dich so vor mir, dachte er, und bist doch noch der Edelsten einer. Aber wenn du wolltest ... Das lieh sich nicht aussprechen.

Es war, als ob der Hochmeister etwas von seinen Gedanken erriet. »Wenn eine ritterliche Tat nützen könnte –«, fuhr er fort, das Haupt aufrichtend. »Bei unsrer lieben Frau! Es fehlt mir nicht an persönlichem Mut. Setzt mich auf ein Pferd, panzert mir Stirn und Brust, legt mir die Lanze in den Arm und laßt mich an der Spitze eines Häufleins von Tapferen einreiten gegen den Feind. Ob ich dann auch gewissem Tod entgegenginge und der erste wäre, der fiele – das wollt' ich nicht achten. Aber so endete schon ein Hochmeister vor mir, Ulrich von Jungingen, und der Welt Urteil hat über ihn den Stab gebrochen. So soll ein Hochmeister nicht enden, nur seinen Kummer und seine Ehre bedenkend. Und wie anders die Zeit damals und heute! Was damals noch als Heldentum bewundert werden konnte, würde heute Narrheit scheinen. Glaubt mir, Bruder Plauen, das ist mein größter Schmerz, daß der Hochmeister den Ritter vergessen muß!«

Er stand auf, drückte ihm die Hand und wandte sich zur Seite ab, seine Bewegung zu verbergen. Die Augen waren ihm feucht geworden. Der Spittler fühlte kein Mitleid mit ihm; er hörte nur Worte von hohlem Klang. Vergeblich war all sein Mühen, dem Meister das Steuerruder in die Hand zu drücken; er ließ das Wrack auf den Wellen treiben, mochte es nun einen Nothafen finden oder an der nächsten Klippe zerschellen.

Denselben Abend noch berief Erlichshausen den Ritter von Ostra zu sich und blieb diesmal eine Stunde mit ihm allein. Er gab ihm nichts Schriftliches, er erteilte ihm nicht einmal mündlich eine bestimmte Weisung. – Ostra wußte doch, was von ihm erwartet wurde und gewagt werden durfte. In der Nacht ließ er sein Pferd satteln und ritt ins Kulmer Land.


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