Ernst Wichert
Der Bürgermeister von Thorn
Ernst Wichert

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Fünfzehntes Kapitel

Der Überfall

In dem Walde drei Stunden hinter der mährischen Stadt Brünn hielt am Morgen eines kalten nebligen Wintertages schon seit längerer Zeit eine Schar Reiter nicht weit von der Landstraße. Das dichte, mit Schnee bedeckte Unterholz gab ihr so viel Deckung, daß sie von dem sich kurz vorher biegenden Wege aus nicht leicht anders als aus nächster Nähe bemerkt werden konnte.

Voran saß auf einem schönen, seine Ungeduld nur widerwillig zügelnden Pferde ein Mann, der unter dem offenen Pelzrock einen Kettenpanzer trug. Auch auf die Eisenkappe hatte er eine Pelzmütze gesetzt. Der lange Schnurrbart hing ihm dachartig über den breiten Mund, und die kleinen Augen blitzten unstet nach rechts und links. Ein langes Schwert hing ihm an der Seite. Dicht hinter ihm, nicht mehr als eine halbe Pferdelänge zurück, hielten drei andere Herren zu Roß, ebenfalls in Harnisch, zwei von ihnen wie jener durch Pelzröcke mit weiten Ärmeln und reichlichem Besatz von Schnüren gegen die Kälte geschützt, der dritte in einen weiten Mantel gehüllt, der faltig über dem rechten Arm lag und leicht vors Gesicht gezogen werden konnte. Er hatte einen Filzhut über die Kappe gestülpt, dessen große Krempe das schwarze Pflaster beschattete, das über das eine Auge geklebt war. Etwas weiter zurück hatten sich zwanzig und mehr Reiter in geringerer Kleidung, aber sämtlich bewaffnet, haufenweise zu dreien und vieren in einer grabenartigen Vertiefung aufgestellt.

Sie schienen hier auf jemand zu lauern.

»Zum Teufel!« rief der Anführer ärgerlich, »Ihr habt uns angeführt, Vetter Ostra. Oder sie haben in Brünn Wind bekommen und einen Umweg gemacht, das Zusammentreffen mit uns zu vermeiden.«

»Sie werden spät aus ihrer Herberge aufgebrochen sein«, antwortete der Angeredete – kein anderer als der Deutschordensritter Boppo von Ostra, der aber das schwarze Kreuz nicht blicken ließ –, »oder sie werden unterwegs einen Unfall gehabt haben. Es dauert immer lange, bis ihre schwer beladenen Gefährte in Gang kommen, und eine Achse oder ein Rad ist auf euren mährischen Wegen bald gebrochen.«

»Gleichviel – sie müßten schon hier sein«, bemerkte jener zweifelnd. »Jedenfalls ist das Warten verdammt langweilig. Mir sind schon in den Pelzstiefeln die Füße starr.«

»Der Fang wird die Mühe des Wartens reichlich belohnen«, versicherte Ostra und fügte lachend hinzu: »Wenn sie Euch nur nicht wärmer machen, als Euch lieb ist, Vetter Milotitz! Es sind unter den Krämern auch einige, die das Schwert zu führen wissen. Mit den Eidechsen ist nicht zu spaßen.«

»Pah!« rief der Ritter verächtlich. »Es soll mir recht sein, ein wenig Arbeit zu bekommen. Furchtsames Krämervolk abzufangen, ist nicht gerade meine Sache. Not kennt freilich kein Gebot.«

»Wald und Straße gehören Euch, man muß Euch zollen.«

»Zollen? Hahaha. Ich denke, wir nehmen ihnen einfach fort, was sie ohne Erlaubnis durchführen. Wer die Macht hat, der hat das Recht.« Er warf mit einem Schlage der Hand den Eisreif aus dem langen Schnauzbart und kehrte sich halb zurück. »Sind die Wagen wirklich so schwer beladen, Vetter Ostra?« fragte er.

»Exdorf hat mir's sagen lassen«, antwortete dieser, »und er weiß es vom Thorner Komtur, der den Sendeboten aufgepaßt hat, als sie mit Pferden und Wagen über die Weichsel setzten. Sie haben eine Anzahl Fäßchen mit Geld bei sich, den Kaiser und seine Kanzlei zu bestechen, ihre Advokaten zu bezahlen und die eigene Zehrung zu berichtigen. Auch führen sie einen Ledersack mit allerhand Kleinodien mit, die für die Kaiserin und andere hohe Damen bestimmt sein sollen. Ihre Sache ist so schlecht, daß sie versuchen müssen, sie zu vergolden. Das ist nicht billig.«

Herr von Milotitz schnalzte mit der Zunge, und dasselbe wohlgefällige Schnalzen ließen dann auch die beiden anderen mährischen Herren vernehmen, die sich bei dem Gespräch nicht beteiligten, aber die Ohren gespitzt hielten.

»Vergeßt aber nicht, Vetter«, fuhr der Ritter von Ostra fort, »was Ihr mir mit Eurem Ehrenwort zugesagt habt. Es soll mir lieb und meinem Orden nicht leid sein, wenn Ihr einen guten Fang macht. Der entgeht Euch aber auch ohnedies nicht. Daß ich Euch riet, an diesem Tage und in dieser Stunde durch diesen Wald zu reiten und die Landstraße zu kreuzen, hat einen Grund für sich. Es ist mir daran gelegen, meinem Orden einen Dienst zu leisten, den man in Preußen groß ankreidet. Meine Freunde dort werden dann weiter für mich sorgen – auch gegen Wunsch und Willen des gestrengen Herrn Hochmeisters, dem mein Lebenswandel zu locker war. Ruft man mich zurück, so soll man mich auch sogleich in das Amt eines Vogtes oder Komturs einsetzen. Hab ich dann weiter Glück, so beerbe ich vielleicht meinen alten Ohm Exdorf, den Oberst-Marschall. Hoffentlich hält er noch ein paar Jährchen vor. Wenn der Teufel in Preußen los ist, wird er sich mit Milchsuppen nicht bewirten lassen; dann braucht man dort Leute, die ihm einzupfeffern verstehen. Hahaha! Dahin geht mein Ehrgeiz – und wer weiß, was noch zu guter Letzt geschieht! Darum sorgt, Vetter, daß dieser Streich gelingt, dem Herrn Deutschmeister kommt's auf den Kasten mit den Dokumenten und Briefschaften an. Er muß verschwinden. Und alle die Buben, die ihn nach Wien bringen wollen, um daraus den Orden anzuklagen, müssen verschwinden. Alle! Es muß so sein, als ob sie sämtlich die Erde eingeschluckt hätte. Versteht, Vetter Milotitz, das ist die Hauptsache! Und reinen Mund halten! Muß gekämpft sein, so darf ich mich nicht beteiligen. Schlimmstenfalls ist's nötig, daß wir mit einem Eide erhärten können, es sei keiner von den Brüdern dabei gewesen. Aber ich will Euch die Landstraße verstellen helfen, so breit ich bin –«

»Still!« befahl Milotitz, nach links horchend. »Sie kommen.« Er wendete sich zurück zu den Knechten. »Aufgepaßt!«

Wirklich ließ sich ein Geräusch wie von knarrenden Achsen und prustenden Pferden vernehmen. Ein langer Zug von Fuhrwerken und Reitern bewegte sich durch den Wald. Es waren die Abgesandten des Bundes, Gabriel von Baisen, Ramschel von Krixen, Hans von Tauer, der Bürgermeister von Culm, Hans Matzkow, und der Bürgermeister von Danzig, Wilhelm Jordan. Tileman war längst allein voraus nach Wien gegangen und betrieb dort rührig des Bundes Angelegenheiten. Er hatte nur seinen Sohn mitgenommen, der kurz vorher von Brügge zurückgekehrt war. Es hieß, er hätte dort Tuche aufgekauft zur Bekleidung der Söldner, die bereits heimlich von der Stadt Thorn angeworben seien. Wilhelm Jordan hielt dieses Gerücht nicht für unglaublich, wie er Tileman vom Wege kannte. Nun meinte er aufpassen zu müssen, daß die Söldner nicht mit Danziger Geld gelöhnt würden.

Die Herren und ihre Begleiter zogen ziemlich sorglos ihre Straße. Sie hatten meist den Harnisch auf den Rüstwagen gelegt und den Pelzkragen hoch aufgeschlagen, so daß sie wenig hörten und sahen, Was seitwärts vorging. Nur zwei bewaffnete Knechte ritten den Wagen voran, und die beiden Eidechsenritter Gabriel von Baisen und Ramschel von Krixen trugen wenigstens Blechhaube, die Brünne und das Schwert am Gurt. Der Weg wurde im Walde so schlecht, daß die vor jeden Wagen gespannten vier Pferde nur mühsam im Schritt vorwärts kamen; die Knechte hieben mit Geschrei auf sie ein. Die beiden Bürgermeister ritten dem Zuge nach.

»Ich wünschte, wir wären aus diesem wilden Lande erst wieder heraus«, sagte Herr Wilhelm Jordan. »Mir gefiel's schon in unserer gestrigen Herberge gar nicht. Auf dem Hof, wo unsere Fuhrwerke standen, lungerte allerhand Gesindel herum. Die Türen waren nicht fest geschlossen, und unsere Nachtwache hat wirklich mit einigen von den schwarzen Kerlen Streit gehabt, die sie zwischen den Rädern ertappte. Die Wirtsleute waren unfreundlich und schienen heimlich mit Aufpassern zu verkehren. Die Landstraßen sollen in ganz Mähren unsicher sein. Ich wollte, unsere Herren hätten sich vom Stadthauptmann eine Bedeckung erbeten.«

»Ja«, stimmte Matzkow zu, »wenigstens durch diesen Wald. Man Weiß nicht, wie weit er sich ausdehnt; wir reiten schon gut eine Stunde darin.«

»Herr Gabriel von Baisen meinte, wir streiften ihn nur und erreichten nach seiner Erkundigung bald ein Dorf«, antwortete Jordan. »Aber auch mir ist er nicht geheuer. Wir sollten wenigstens darauf bestehen, daß unsere reisigen Knechte –«

In diesem Augenblick brachen die Hinterräder eines der Wagen in eine gefrorene Pfütze ein und konnten trotz allen Antreibens der Pferde nicht herausgebracht werden. Es entstand eine Stockung. Gabriel von Baisen wandte sich zurück, um Befehle zu geben. Einige Reiter sprangen ab und legten Hand an. Die Vorderpferde eines anderen Wagens wurden abgespannt, um vorgelegt zu werden. Alles war mit dem Unfall beschäftigt.

Es geschah dies keine fünfzig Schritte von der Stelle, auf der die Wegelagerer hielten. Eine günstigere Gelegenheit zum Überfall konnte sich gar nicht treffen. Herr von Milotitz gab seinen Begleitern einen Wink. Sie brachen vor und hatten in einer Minute die Landstraße erreicht. Sie umzingelten den Haufen. Die Knechte, die noch auf den Pferden saßen, wurden niedergeworfen. Die Herren eilten zum Rüstwagen, ihre Waffen herunterzureißen. Aber den wenigsten gelang das. Die Mähren waren hinter ihnen her, stürzten sich auf sie und nahmen sie zwischen sich. »Ergebt euch«, rief Herr von Milotitz ihnen zu, »oder ihr seid alle des Todes.« Die beiden Bürgermeister machten kehrt, wurden aber rasch eingeholt und gebunden. Nicht besser erging es einigen andern Reitern, die rechtzeitig den Ansturm bemerkt und auf der anderen Seite in den Wald hinein zu entkommen versucht hatten. Die Überraschung war so groß, daß wenige sich ernstlich zur Wehr setzten, die meisten sogleich den Kopf verloren.

Nur Gabriel von Baisen und Ramschel von Krixen nahmen den Kampf auf. Sie zogen ihre Schwerter und hieben auf die Angreifer ein, die sich an sie wagten. Der eine von den mährischen Herren erhielt eine Wunde, die ihn zum Rückzug nötigte; zwei oder drei seiner Begleiter wurden aus dem Sattel geworfen. Baisen suchte sich nach dem Rüstwagen durchzuschlagen, trieb die Räuber mit scharfen Schwerthieben von demselben fort und rief seinen Söldnern zu, die Waffen zu ergreifen und ihm zu folgen. Er sah ein, daß bei der Übermacht des Feindes die Wagen nicht zu retten seien. Vielleicht waren sie später zurückzuerobern, wenn man aus dem nächsten Dorf Hilfe herbeigeholt hätte. Ramschel von Krixen hielt sich tapfer an seiner Seite. Auch Hans von Tauer, der nicht vom Pferde gestiegen war, glückte es, zu seinen Waffen zu gelangen, die er auf einem der vorderen Wagen untergebracht hatte. Er schlug sich zu den Eidechsenrittern durch und half ihnen auf der einen Seite den Zugang zum Rüstwagen verteidigen, bis die noch nicht abgefangenen Söldner ihre Spieße vorgezogen hatten. Nun schloß sich um Baisen ein kleiner Haufe zusammen, der widerstandsfähig war. »Wißt Ihr, wer wir sind?« herrschte der Anführer den Herrn von Milotitz an, der gegenüber die Landstraße besetzt hatte.

»Weiß ich serr gutt«, radebrechte derselbe. »Aber wissen Ihr, wem gehört diese Wald?«

»Wahrscheinlich Euch«, entgegnete Baisen, »das ist aber kein Grund, hier wie Räuber die kaiserliche Heerstraße unsicher zu machen. Ich rat Euch, die Sendeboten an des Kaisers Majestät unangefochten mit ihrer Habe ziehen zu lassen.«

»Nennen Ihr uns Räuber«, schrie der Mähre, »nennen wir Euch Spitzbuben und Verräter an Eure gnädigste Herrn.«

»Hat Euch das einer von den Kreuzigern gelehrt?« zischte Baisen. »Mich dünkt, ich sehe da einen hinter dem Graben lauern, der Grund hat, sein Gesicht zu verstecken. Nehmt Euch in acht. Ihr bekommt's mit dem Kaiser zu tun.«

»Kümmert mich nicht Kaiser und Papst auf meine Grund und Bodden«, gab Milotitz zurück. »Will ich aber höflich die Herren einladen auf meine Schloß mit ganze Dienerschaft. Soll mir sein leid, zu brauche Gewalt, wenn nicht folge freundlich.« Er umritt die Bespannung des Wagens, um ihnen den Weg abzuschneiden.

»Hund von einem Mähren!« schrie Baisen ihn an. »Der Teufel hole deine Gastfreundschaft!« Er spornte sein Pferd und hieb wild mit dem Schwert um sich, die Gasse für die Seinigen frei zu halten. Das gelang. An der Spitze des Wagenzuges hatte eine Reiterschar die Straße gesperrt. Ramschel von Krixen und Hans von Tauer warfen sich gegen sie, während Gabriel von Baisen den nachdringenden Feind aufzuhalten bemüht war, bis die Söldner sich wieder beritten gemacht hatten. So gewann der Haufe die freie Straße. Ein großer Teil der Mähren mußte zurückbleiben, die Gefangenen zu bewachen und die Wagen mit der Beute fortzuschaffen. Aber die Verfolger waren noch immer in der Mehrzahl und ritten unermüdete Pferde. So waren die Preußen wiederholt genötigt, kehrtzumachen und den Kampf aufzunehmen. Doch erreichten sie ohne erheblichen Verlust das Ende des Waldes und dann auch das Dorf hinter demselben.

Hier besetzten die Söldner einen Bauernhof und verteidigten das Tor. Gegen dieses richtete sich nun der Ansturm der wütenden Feinde. Immer gefahrvoller wurde die Lage der Angegriffenen. Baisen war der Meinung, man könne sich hier auf die Dauer nicht halten und solle lieber das freie Feld zu gewinnen suchen. Er sprengte vor und gegen Milotitz an, der aber seine Schwerthiebe geschickt abwehrte. Nach wenigen Augenblicken sah er sich umzingelt und mußte umkehren. Ein Schlag von hinten mit dem Streitkolben zerschmetterte seine Blechhaube. Gleich darauf erhielt er von Milotitz einen Hieb ins Gesicht. Doch verlor er die Besinnung nicht. Die Söldner drangen mutig auf die Gegner ein und ließen ihn durchs Tor. Auf dem Hofe sank er blutüberströmt vom Pferde und schleppte sich zur Tür des Hauses. Dort standen die Bauersleute und sahen mit schreckbleichen Gesichtern dem Kampf zu. Sie erbarmten sich des Verwundeten, zogen ihn hinein und reichten ihm Wasser. Seitwärts vom Flur lag eine kleine Tenne mit dem Strohgelaß. Er riß ein Bündel aus dem Fach und warf sich darauf.

Nach einer Viertelstunde kam die Bauerfrau, die ein wenig deutsch sprach, und erzählte, daß die andern Herren bewältigt und nebst den Söldnern abgeführt seien. Herr von Milotitz habe große Mühe mit ihnen gehabt. So hörte nun Baisen seines Gegners Namen. Das Schloß Milotitz liege nicht weit von hier und sei sehr fest. Er sei ein sehr böser, gewalttätiger Herr und von seinen Bauern gehaßt. Das war wohl auch der Grund, weshalb Baisen nicht verraten wurde.

Man hatte ihn nicht ganz vergessen oder sich seiner wieder erinnert. Nach einigen Stunden kehrten vier von den Mährischen zurück, pochten ans Tor und verlangten Einlaß. Während der Bauer mit ihnen verhandelte, warf eilig die Frau einen Haufen Stroh über den Verwundeten, so daß er ganz bedeckt war. Die Reiter wollten nicht glauben, daß er sich längst schon aus dem Staube gemacht habe, und durchsuchten das Haus, fanden ihn aber nicht und entfernten sich fluchend.

Zum Glück kamen gegen Abend einige Bürger aus Brünn mit einem Fuhrwerk vorüber. Die Frau ging hinaus und bat sie, den Ritter mitzunehmen, der im Dorf nicht sicher sei. Sie wußten, daß die preußischen Sendeboten am Morgen von ihrer Stadt abgeritten Waren, und zweifelten nicht, daß an ihnen die Gewalttat verübt wurde. Darüber erschraken sie sehr. Einer von ihnen trat ins Haus und sprach mit Baisen. »Nehmt mich mit Euch«, bat derselbe, »der Kaiser wird es Euch vergelten. Laßt Ihr mich aber hier elend im Stich, so wird Eure Bürgerschaft in Verdacht kommen, den Friedensbrechern Vorschub geleistet zu haben.«

So luden sie ihn nun auf ihren Wagen und brachten ihn nach Znaim, meldeten auch auf dem Rathause, was geschehen war. Nun wurde ein Ratsherr zu Baisen geschickt, der ihn in sein Haus aufnehmen mußte und auf der Stadt Kosten verpflegen sollte. Man wußte von dem preußischen Bunde und wünschte ihm guten Erfolg beim Kaiser. »Setzt Ihr's gegen Eure Herren durch«, sagte der Mann, »so kommt vielleicht auch unsere Zeit. Wir sind noch mehr beladen als Ihr.« Baisen wünschte nur eiligst nach Wien geschafft zu werden. Der Ratsherr selbst brachte ihn dorthin und setzte ihn bei der Herberge ab, in der, wie Baisen wußte, Tileman vom Wege Quartier genommen hatte.

Tileman fuhr sich mit beiden Händen in den Bart, als er den Bericht des Überfalls empfing. Sein Gesicht verzerrte sich. »Das ist nicht eines Raubritters Werk«, schrie er im Zorn auf, »sondern da haben unsere, gnädigen Herren die Hand im Spiel, die den Kaiser glauben machen wollen, der gesetzte Rechtstag sei vom Bunde nicht beschickt worden, damit er uns in contumacium aburteile. Wär's aber nicht so, so soll uns dieses Bubenstück gleichwohl gegen sie zum besten dienen. Es wird ihnen schwerlich gelingen, sich ganz zu reinigen. Gott ist mit uns! Dessen zum Zeugnis seid Ihr hier, edler Herr. Wundersam ist Eure Errettung aus Gefahr der Gefangenschaft und des Todes. Offenkundig war's darauf abgesehen, die ganze Gesandtschaft hinter Schloß und Riegel zu bringen, bis der Prozeß verloren. Nun ist ihnen doch einer entwischt, der die Schandtat ans Licht bringt.«

»Aber wir sind ohne Geld«, klagte Baisen. »Achtzehntausend Gulden haben sie uns abgenommen und alle Kleinodien, die der durchlauchtigsten Kaiserin, Frau Eleonore von Portugal, verehrt werden sollten. Und was schlimmer ist, der Kasten mit den Privilegien, Dokumenten und Machtbriefen ist geraubt. Wie können wir uns nun verteidigen?«

»Sie sollen den Raub herausgeben«, rief Tileman, »sofern noch kaiserliche Gerechtigkeit gilt! Nein, wahrlich, sie haben in ihr eigen Fleisch geschnitten und mögen daran verbluten. Ich war schon recht verzagt in der letzten Zeit, da ich Wohl merkte, daß die Ordensgesandten hier unter den großen Herren an des Kaisers Hof viel Freunde fanden und des Großmächtigen Ohr durch die Pfaffen zu gewinnen wußten, die ihre Instruktionen von Rom haben. Jetzt wollen wir wohl noch einmal obenauf kommen, daß sie sich verwundern sollen. Heißa! Ich bin fröhlich und guter Dinge. Pflegt Eure Wunde, edler Ritter, und laßt mich indessen handeln auf meinen und Euren Namen. Mit diesem Pfande will ich wuchern, daß ein Jude in mir seinen Meister erkennen soll!«

Er beriet sich auch sogleich mit Martin Mayer, des Bundes Prokurator, und gab ihm eine Klageschrift in die Feder, die gesalzen und gepfeffert war. Sein Sohn mußte sich aufs Pferd werfen und sie nach Wiener-Neustadt bringen, wo Friedrich III. residierte. Er sollte gut aufmerken, was vom Schloß aus geschehen würde. Jost war diese Sendung nur genehm. Man lebte sehr lustig in Neustadt, wo Kavaliere aus aller Herren Länder zusammentrafen und vergnügt werden mußten. In Alt-Wien ging's ihm zu ehrbar zu. Er wollte nicht zu sich selbst kommen. »Füllt mir den Beutel mit Gold, Vater«, sagte er, »es geht da gar vornehm her, und man soll wissen, daß ich Euer Bote bin.« Der Alte zog den Mund schief, griff aber doch in seine Kassette. »Bist du schon wieder am Rande?« knurrte er. »Ich hab Schulden machen müssen, die mir schwerlich der Bund erstatten wird. Du brauchst das Zehnfache zum Leben als ich.« »Und doch ist's erbärmlich genug«, antwortete Jost; »man muß sich's etwas kosten lassen, es bei sich in Vergessenheit zu bringen.« Er sah übel aus; die Kleider schlotterten ihm um den Leib, der Gurt war ihm zu weit geworden, das Gesicht zeigte eine grünliche Farbe.

In Wiener-Neustadt versetzte dieser Brief den Kaiser und seinen Geheimen Rat in große Aufregung. Es wurde nach den Ordensgesandten geschickt. Der Spittler Reuß von Plauen und der Leiper Vogt Georg von Eglofstein erschienen im Schloß und verbargen nicht ihre Bestürzung. Sie wüßten von diesem Überfall nichts, versicherten sie, und wollten dies mit einem Eide bekräftigen. Auch werde ihr Orden der Mitwisserschaft offenbar bübisch beschuldigt. Sie hätten es nicht zu verantworten, wenn ein räuberischer Angriff die Sendboten des Bundes hindere, rechtzeitig vor dem Kaiser zu erscheinen, sofern überhaupt die Tatsache wahr und nicht Verschleif des Prozesses durch ein lügnerisches Vorgeben beabsichtigt sei. Sie wollten gern nach Marienburg mit Eilboten berichten und alle schuldige Nachfrage halten, bäten aber inständigst, der Kaiser wolle den Rechtstag nicht verschieben, da der Fall sonnenklar liege und es keines Beweises aus Urkunden mehr bedürfe.

Der Kaiser setzte aber doch einen anderen Termin, nachdem Gabriel von Baisen den Calumnieneid geleistet. Auch ergab sich aus Erkundigungen in Brünn als richtig, daß die Bundesgesandten ihrer ganzen Habe beraubt und nach Schloß Milotitz geschleppt seien. Vergeblich hatte sich bereits die Stadt für sie verwandt. Des Kaisers Befehl der Freilassung blieb unbeachtet, so zornig er sich darüber ausließ, daß sein Geleitbrief mißachtet sei. Um jeden Vorwurf der Beteiligung abzuweisen, erbot sich Bischof Franz von Ermland, an König Ladislaus von Ungarn zu schreiben, damit er seinen Untertan, den von Milotitz, anweise, die Gefangenen freizulassen oder Exekution gegen ihn verfüge. Sobald die Kunde nach Preußen gekommen war, konnte der Hochmeister nur mit Mühe einen allgemeinen Aufstand hindern. Man glaubte seiner Versicherung nicht, daß der Orden unschuldig sei. Hans von Baisen ging die Stadt Breslau mit Bitten an, ihren Einfluß für den Bund zu verwenden. Auch der König von Böhmen wurde angerufen und tat, was in seiner Macht stand. Darüber verlief die Frist von zwölf Wochen und sechs Tagen; sie wurde vom Kaiser nochmals verlängert. Endlich, auf Andrängen von allen Seiten und in der Befürchtung, ihn könnte doch bei längerer Weigerung eine empfindliche Strafe treffen, ließ Herr von Milotitz sich bewegen, die Gefangenen freizugeben. Ihre Briefschaften durften sie mitnehmen. Den größten Teil des geraubten Geldes behielt er aber, den Besitz ableugnend. In recht kläglichem Zustande langten die beiden Bürgermeister und Hans von Tauer in Wien an, schon froh, Leben und Freiheit gerettet zu haben.

Nun wurde eifrig mit Meister Martin Mayer, dem Rechtsgelehrten, das urkundliche Material durchgesehen und der Gang des Prozesses beraten. »Es muß unsere ganze Sorge und Mühe sein«, sagte derselbe, »den Herrn Kaiser und seine Räte zu bewegen, daß sie euch den Beweis eurer Beschwerden zulassen. So nur gelangt ihr zum Beweise der Notwendigkeit des Bundes und hebet den Präjudizialeinwand hinweg, daß ein solcher Bund an sich von Unkräften sei. Darauf werden die Gegner sich mit aller Macht werfen. Läßt der Richter den Beweis der Ursachen des Bundes zu, so muß er auch prüfen, ob solche stark genug gewesen, zu dessen Errichtung zu nötigen. Damit konzediert er von sich selbst seine Zulässigkeit. War der Bund aber zulässig, so mögen die Ursachen nach den erbrachten Beweisen geleugnet oder für zu gering erachtet werden, das berührt die Hauptsache wenig. Dieser Bund mag ohne zureichenden Grund errichtet sein, so hindert nichts, auf zureichenden Grund einen neuen zu errichten.«

»Ihr habt recht, Meister Martin«, entgegnete Tileman, »das ist der Sache Kern, und darauf gründen wir unsere Hoffnung. Wir in Preußen sind's nicht allein, die über ihre Herrschaft zu klagen haben: wir sehen und hören wohl, daß es in vielen Ländern im Reich noch trauriger zugeht, des Bürgers Recht mit Füßen getreten und der Freie auf dem Lande mit Daumschrauben gepeinigt wird, daß er von seinem verbrieften Recht lasse. Kommen wir zum Beweise, so mögen auch andere zum Beweise kommen, wenn sie sich gegen Gewalt vereinen. So wird unser Prozeß von Nutzen fürs ganze Reich, indem er die Bedrängten überall ermutigt. Die spätesten Geschlechter sollen uns dankbar sein.«

»Das ist mir zu hoch«, bemerkte Gabriel von Baisen. »Greif ich ins Feuer, so will ich auch die Kastanien für mich selbst herausholen. Verbrenne ich mir die Finger, so kümmert's mich wenig, daß sie einem andern schmecken. Ich hoffe aber, unsere Beschwerden werden als gewichtig erkannt und dürfen nicht abgewiesen werden. Des Ordens Ungerechtigkeit schreit laut genug zum Himmel; des Kaisers Ohr kann nicht taub dagegen bleiben.«

Der Prokurator zog den Kopf zwischen die Schultern. »Daß ich euch die Wahrheit nicht vorenthalte, werte Herren, da wir hier unter uns sind«, sagte er mit bedenklicher Miene, »die Klagen, die ihr in Artikel gebracht habt und über die bisher schriftlich zwischen beiden Teilen verhandelt worden, erscheinen mir gar sehr in allen Winkeln zusammengesucht, teils von beträchtlichem Alter und gleichsam verjährt, wie die Danziger Mordtat unter dem Hochmeister Heinrich von Plauen, den ihr doch sonst als einen tüchtigen Herrn lobt, teils de jure tertii, wie die Beschwerde, daß er von seinen Gebietigern zu Unrecht abgesetzt worden, teils zweifelhaften Grundes, wie daß der Orden den Pfundzoll erhebe und zu seinem Nutzen selbst Kaufmannschaft treibe, teils von zu geringem Belang, um den Bund gegen Gewalt zu rechtfertigen, wie das, was ihr wegen Verschlechterung der Münze, Verkürzung des Maßes und Belästigung durch die Ordensmühlen vorgebracht habt. Ganz Unbedeutendes nicht zu erwähnen. Ich gestehe, daß ich ein reichlicheres Material und bessere Beweismittel erwartet hatte. Eure Herren haben sich manches zuschulden kommen lassen; stündet ihr aber unter anderer Obrigkeit wie die im Reich, ihr hättet leicht mehr zu klagen gefunden.«

»So sind wir weniger geduldig, das Unrecht hinzunehmen«, rief Ramschel von Krixen. »Auch haben wir ein gut Beispiel an denen in Polen. Es ist uns nicht einleuchtend, daß der preußische Adel geringere Freiheit haben soll als der polnische. Unsere Herrschaft nimmt sich zu sehr der Bauern und kleinen Leute an.«

»Und der Handwerker in den Städten«, setzte Hans Matzkow hinzu. »Die Gemeine wird gegen den Rat gehetzt und zu unbilligen Forderungen verleitet.«

»Man könnte wohl auch die Beschwerden vermehren und besser fundieren«, äußerte Wilhelm Jordan. »Es ist mir gleich so erschienen, als gingen wir nicht gerüstet genug in den Streit vor dem Kaiser. Was übrigens der Danziger Klagen über die Ermordung der Bürgermeister und auch den Pfundzoll betrifft –«

»Gebt Euch keine Mühe, Gevatter«, fiel Tileman vom Wege ein, »Meister Martin Mayer zu belehren. Er wird vor dem Kaiser ohnedies anders sprechen und auch das kleinste Lichtlein zur Flamme anblasen. Ich denke, wir wissen am besten, daß wir das Wichtigste und Beweglichste ungeschrieben lassen mußten. Damit können wir auch weiter nicht vorkommen. Man mag zwischen den Zeilen lesen, wenn man sonst Neigung hat, der Sache auf den Grund zu gehen. Man lasse uns beweisen, was wir vorbringen – der Lärm wird groß genug sein und durchs ganze Reich hallen. Will man uns aber ohne Beweis richten ...« Er brach ab und schaute im Kreise herum, ob er das letzte Wort sprechen dürfe. Jordan zog die Augenbrauen auf, als ob er ihm einen Wink geben wollte zu schweigen, und Gabriel von Baisen lachte gar zu übermütig. Er hielt an sich. »Es ist alles eins«, murmelte er in den Bart, niemand verständlich. Dann fuhr er laut fort: »Vergeßt nur nicht zu betonen, daß der Kaiser ein gewillkürter Richter ist. Es könnte später nötig sein, ihn daran zu erinnern.«


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