Ernst Wichert
Der Bürgermeister von Thorn
Ernst Wichert

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Zweites Kapitel

Die Väter

Auch Bartholomäus Blume war in Elbing. Der Hochmeister selbst hatte gewünscht, daß er nicht fehle, und der Bund besaß keine Handhabe, ihn von der Tagfahrt auszuschließen, zu der jener berief. Er war auch das eine und andere Mal allein zu Schloß geladen worden, um den Hochmeister freundschaftlich zu beraten, wie der Leute Stimmung sei, und ihm vornehmlich hatten die Stände es zu danken, wenn der hohe Herr in letzter Stunde gelindere Saiten auszog und für sie beim Legaten vermittelte. »Es wird zwar geschehen«, sagte er ihm, »was diejenigen wollen, die auch jetzt hier das Wort führen; aber sie selbst wünschen für alle Fälle gedeckt zu sein, daß man ihnen willfahrt. Woher sollten sie auch die Macht nehmen, dem Herrn Legaten zu- oder abzusagen? Mich selbst – ich sag's offen – bekümmert's nicht weniger als die andern, daß wir uns vor ihm verantworten sollen.«

Er sah sich von den Sendeboten der großen Städte und von den Eidechsenrittern gemieden, die ihn doch früher gern an sich gezogen hatten, aber unter den Bürgermeistern der kleinen Städte und den weniger hitzigen Landesrittern hatte er noch immer viel heimlichen Anhang. Es war vielen doch bedenklich geworden, ob man den Bund wider des römischen Stuhles Verbot werde halten können; sie wären gern auf erträgliche Bedingungen mit der Herrschaft zum Frieden gekommen. Schon die häufigen Tagfahrten mit ihren unvermeidlichen Kosten waren ihnen beschwerlich. Bartholomäus Blume meinte sie ermutigen zu müssen und forderte mit den Gleichgesinnten von Neustadt-Thorn und Konitz in großer Versammlung der Prälaten, Gebietiger und Stände vor dem Hochmeister feierlich die Siegel vom Bundesbrief zurück, ließ darüber auch von einem Notar Protest aufsetzen zu jedermanns Kenntnis. Freilich trat auch jetzt niemand weiter öffentlich zu ihm über, aber Tileman vom Wege, der am liebsten sogleich dem Legaten heimgeleuchtet hätte, merkte doch, wie sehr Vorsicht geboten war. Blume schien ihm der gefährlichste Gegner, weil er ihn für den ehrlichsten halten mußte.

Die beiden Männer hatten in Elbing keinen Verkehr miteinander gehabt. Es war nicht Tilemans Art, schonend zu verfahren, und so hatte auch Blume auf früheren Tagfahrten manches harte und derbe Wort von ihm hören müssen, wie er ihn denn unter anderm einen Judas genannt und nach den Silberlingen gefragt, die er aus des Treslers Kasten erhalten. Jetzt begnügte er sich damit, ihn unbeachtet zu lassen, und selbst da, wo Blume recht empfindlich seinen Einfluß bei den kleinen Städten kreuzte, hielt er an sich und sprach von ihm nicht verächtlich. Blume seinerseits grüßte ihn ehrerbietig, so oft er ihm begegnete, und suchte ihm auch bei den oft stürmischen Verhandlungen auf dem Rathause zu beweisen, daß nur die Sache sie trennte. Es kam ihm nicht aus dem Sinn, daß Jost seines Kindes Herz gewonnen hatte. Erschweren wollte er ihm wenigstens nicht durch sein persönliches Verhalten das Bemühen, den starren Mann seinem Wunsch freundlich zu stimmen.

Ob Jost schon gesprochen hatte? In Marienburg hatte er sich seit jenem Herbstabend nicht mehr blicken lassen; auch war keine briefliche Nachricht von ihm in des Bürgermeisters Haus gelangt. So viel war also gewiß, daß er noch nichts Erfreuliches melden konnte. Tileman hatte ihn nach Elbing nicht mitgebracht. Einmal beim Spättrunk im Artushof hörte Blume ihn zu einem Nachbar, dem Danziger Reinhard Nidderhof, sagen, er habe seinen Sohn, da er zu Hause nichts Gutes täte, schon vor Wochen nach Warschau geschickt; er solle dort Holz und Getreide kaufen, sich auch gelegentlich bei Hofe vorstellen und einen Tanz mit dem jungen Fräulein der Königin wagen. »Das wird ihm allerhand dumme Gedanken aus dem Kopf bringen«, setzte er so laut hinzu, daß Blume überzeugt sein mußte, es sei auch für ihn gesagt, der auf der Bank hinter ihm saß. Daraus meinte dieser denn seinen Schluß ziehen zu können. Aber ein mehreres erfuhr er nicht.

In den letzten Tagen war nach scharfem Frostwetter viel Schnee gefallen. Er lag fußhoch auf den Rinnen zwischen den Häusern und war zuletzt auch auf den Spitzdächern haften geblieben, jede Luke wie mit einer weißen Haube deckend, auf der vorn die Eisenstange mit der Kugel oder dem Kreuz oder dem Blechfähnlein wie eine Schmucknadel vorsteckte. Der Schnee lag auch auf den hochragenden Dächern der Kirchen und des Rathauses, die nun gegen das Hellgrau des Himmels kaum zu unterscheiden waren, auf den Steingesimsen über den Türen der Patrizierhäuser und auf den Podesten vor denselben. So reichlich war er gefallen, daß er auch auf den Straßen nicht niedergetreten werden konnte, sondern nur schmale tiefeingesenkte Fußstege die Treppen hinab, an den Häusern entlang und an den Kreuzungsstellen querüber führten. Sie waren mit der Schaufel ausgehoben, und der Schnee türmte sich nun zu beiden Seiten wie ein kleiner Wall. Wehe, wenn rasches Tauwetter eintrat! Jetzt aber schien ein solcher Umschlag nicht befürchtet werden zu müssen, da wieder gelinder Frost herrschte. Man hoffte, der Schnee werde in das neue Jahr hinein liegenbleiben, und freute sich dessen wegen der guten Schlittbahn, die immer rege Zufuhr vom Lande und aus den Wäldern brachte.

An dem Tage, an welchem der Herr Hochmeister die Stände entließ, fuhren bei der Herberge, in der Bartholomäus Blume Quartier genommen hatte, dicht hintereinander zwei Schlitten im Hof auf. In dem einen, geräumigeren, saß auf dem hinteren Sitz eine ganz in Pelze gehüllte alte Frau; Marcus Blume lenkte die feurigen Rosse. Der andere, mit den schlechteren Arbeitspferden bespannte, war leer und wurde von einem Knecht geführt. Blume hatte nach Hause gemeldet, daß die Tagfahrt zu Ende gehe und für seine Abholung gesorgt werden solle. Nun wunderte er sich doch, als sein Sohn und die alte Wirtschafterin vom Gütchen bei ihm eintraten. »Was gibt's denn«, fragte er, »sollen in Elbing Einkäufe gemacht werden? Dazu wird der Rest meines Zehrgeldes schwerlich zureichen. Ich war auf so langes Ausbleiben nicht gefaßt und bleibe vielleicht gar meinem Wirt noch ein weniges schuldig.«

»So ist's nicht gemeint«, antwortete Marcus, im Stübchen herumtrappend, um sich die Füße zu erwärmen. »Ich will mit der alten Trine noch weiter – viel weiter. Könnt Ihr's nicht erraten, Vater?«

»Wie sollt' ich?« stutzte der, und merkte doch schon etwas.

»Die Mutter schickt mich«, fuhr Marcus lächelnd fort. »Sie meint, es sei wohl jetzt an der Zeit, die Reise nach Heilsberg und in den großen Wald hinein zu wagen, um das Waldfräulein abzuholen – wenn es mitzukommen Lust hat und Urlaub erhält.«

»Die Mutter schickt dich«, wiederholte der Alte mit befriedigtem Kopfnicken. »Ja, das ist ein anderes. Sie schickt dich. Dann wird's wohl auch gut sein.« Frau Christine zu drängen, wäre, wie er sie kannte, sehr unklug gewesen. Nun sah er, daß sie die Sache in Gedanken behalten und die Entscheidung nach seinem Wunsch getroffen. Es war ihm jetzt auch kein Zweifel, daß sie gern tat, was sie tat, und dem fremden Kinde wie dem eigenen eine gute Mutter zu sein redlich bemüht sein würde.

»Die Wirtschafterin soll mich begleiten«, fuhr Marcus fort, »da Frau Regina doch wohl Bedenken haben möchte, mir allein Ursula anzuvertrauen, obgleich... Sie könnte ganz ruhig sein.«

»Die Mutter wird das wohl überlegt haben«, bemerkte Blume.

»Für Euch, Vater, hat sie den Knecht mit einem zweiten Schlitten geschickt.«

»Es ist gut. Er soll vorläufig ausspannen. Aber ich fahre noch heute.«

»Und soll ich kein Schreiben an die Waldfrau mitbekommen? Die Mutter meinte –«

»Sie hat recht. Wie kann sonst Frau Regina wissen...? Sie hat ganz recht. Es kann sein, daß ihr der Herr Hochmeister schon geschrieben hat, damit sie vorbereitet sein möge. Aber das wäre doch nicht genug. Hm – hm –! Das beste scheint, wir gehen sogleich zusammen aufs Schloß und lassen uns bei dem gnädigen Herrn melden.«

Das geschah denn auch. Bartholomäus Blume stellte seinen Sohn vor, nannte den Zweck ihrer Reise und bat um ein Begleitschreiben für ihn. Der Hochmeister zeigte sich sehr erfreut, klopfte Marcus die Wange und versprach, den Brief sogleich aufzusetzen. Es dauerte eine gute Stunde, bis er damit fertig war, denn er hatte wenig Übung im Schreiben und wollte seinen Schreiber nicht zuziehen. Die beiden Blume warteten indessen im Vorzimmer, wohin er für sie eine Kanne Wein hatte stellen lassen.

Dann wurden sie wieder hereingerufen, und der Herr Hochmeister siegelte in ihrer Gegenwart mit seinem großen Ringe das Wachs. »Gott gebe, daß Ihr merklichen Erfolg habt«, sagte er zu Marcus, der seine Hand küßte und den Brief sorgsam im Futter des Wamses verwahrte. »Einen vertrausameren Boten und Reisemarschall hätt' ich freilich nicht finden können.« Er drohte mit dem Finger. »Bringt Euch nur selbst heil wieder heim.«

»An so etwas denkt unser Marcus nicht«, versicherte der Bürgermeister gutgläubig. »Sonst wär's auch gefährlich, das schöne Fräulein ins Haus zu nehmen. Er ist von ruhiger Art und wohlbedacht. Ich hoffe, Eure Gnade soll ihn so auch bei anderen Diensten kennenlernen.«

Marcus errötete bis zur Stirn hinauf und nestelte geschäftig sein Wams wieder zu. Der Hochmeister meinte, es sei des Lobes wegen, und sagte lächelnd: »Auf solche Empfehlung will ich Euch jederzeit gern annehmen. Ich wollte, unser Orden hätte viele solcher Freunde wie Euren Vater. Aber« – setzte er mit einem Seufzer zu Blume gewendet hinzu: »man gönnt mir wenig Freude. Sind wir bei dieser Tagfahrt noch so leidlich auseinander gekommen, so hab ich doch wenig Hoffnung, daß die nächste gut endet. Ich sag's Euch aber im Vertrauen: der Herr Legat läßt nicht mit sich spaßen. Uns selbst kommt er wenig genehm. Wenn Länder und Städte ihren Vorteil verstehen, so wählen sie den dritten Weg, den er vorgeschlagen. Sprechet zum Guten, wo Ihr könnt, lieber Getreuer.« Er entließ sie mit einem freundlichen »Auf Wiedersehen in Marienburg!«

Bald darauf verließen Vater und Sohn die Stadt durch die entgegengesetzten Tore.

Die Schlittbahn war noch nicht fest eingefahren. Bei jedem Schritt wühlten die Pferde den losen Schnee auf und warfen ihn dem Knecht ins Gesicht und über die Pelzdecke, die Blume eng um Leib und Brust gezogen hatte. Vor dem Kruge zu Altfelde sah er einen Gaul angebunden, der hinten am Sattel einen Mantelsack trug und müde den Kopf hängen ließ. Der Reiter mochte hier des beschwerlichen Weges wegen Rast gemacht haben. Auch der Knecht sah sich um, ob er einen Befehl erhalten werde, anzuhalten. Aber Blume sagte: »Fahr langsam zu, in einer Stunde können wir zu Hause sein. Es ist besser, wenn deine Pferde sich in ihrem Stall ausdampfen.«

Nach einer Weile vernahm er ein Schnaufen hinter sich. »Hallo!« rief die rauhe Stimme eines Mannes, »wartet ein wenig und nehmt mich mit. Das Reiten durch den Schnee ermüdet den Gaul über die Maßen, und ich möcht heute noch Dirschau erreichen. Ihr habt wohl auf Eurem Schlitten noch einen Platz frei. Nehmt mich auf.«

Blume gab dem Knecht einen Schlag auf die Schulter und rief: »Halt an!« Er hatte in dem Reiter Tileman vom Wege erkannt und war nicht wenig verwundert, von ihm angesprochen zu werden. »Grüß Gott, Herr Tileman«, sagte er, schnell zur Seite rückend und die Pelzdecke lockernd. »Ihr reitet nicht gerade den nächsten Weg nach Thorn. Hätt' nicht erwartet, Euch hier zu begegnen. Steigt seitwärts auf die Schlittenkufe ab, so braucht Ihr nicht in den tiefen Schnee zu treten. Er erkältet Euch den Fuß, wenn er nachher unter der warmen Decke schmilzt.«

»Und macht Euch die Decke naß«, antwortete der Thorner grinsend. Er tat aber, wie ihm geraten war, und warf den Zügel dem Knecht zu, der ihn, auf der Deichsel einen Schritt vortretend, in den Halsriemen seines linken Pferdes einband, worauf er sich wieder zurechtsetzte und die Peitsche schwang.

»Ich will vorerst nach Dirschau, wie Ihr schon hörtet«, sagte Tileman, nachdem er sich's auf dem Hintersitz nach Möglichkeit bequem gemacht, »und von da nach Danzig, mit dem Rat zu verhandeln, was weiter geschehen soll. Reimandus Nidderhof und Hans Meideborg sind schon voraus. Hätt' sonst wohl mit ihnen reiten können, hab aber unterwegs noch Geschäfte – vielleicht auch in Marienburg. Wollt sie deshalb nicht aufhalten.«

»So kehrt freundlich bei mir ein«, bat Blume. »Ich hätt' Euch in Elbing nicht das Zumuten gestellt, wäre ich auch von Eurem Plan unterrichtet gewesen. Da Ihr aber mich hier auf der Landstraße selbst angerufen habt und den Platz im Schlitten neben mir nicht verschmäht...«

»Es kann sein, daß ich Euch auch ohnedies in Marienburg aufgesucht hätte«, knurrte Tileman. »Eigentlich war's meine Absicht, auf der Hinreise den Umweg über Eure Stadt zu nehmen, aber die Eidechsen hielten mich zu lange in Rheden auf, wo sie vor der Tagfahrt in großer Zahl berieten. Dann war's zu spät. Es tut mir leid, Barthel. Wer weiß ... Vielleicht hätte ich Euch noch rechtzeitig von der Torheit abgebracht, in Elbing Ländern und Städten öffentlich ins Gesicht zu schlagen. Nun ist's geschehen und wird viel Mühe kosten, ein gutes Einvernehmen wiederherzustellen.«

»Warum verweigertet Ihr uns die Herausgabe der Siegel?«

»Weil wir einen ewigen Bund geschlossen und sie daran gehängt haben. Es steht in keines Gliedes Belieben, sich vom gemeinsamen Körper zu trennen.«

»Das muß ich bestreiten. Wir sind frei zum Bunde getreten und treten frei auch wieder ab.«

»Unsere Meinung ist das nicht und war früher unter dem alten Hochmeister auch nicht die Eure. Entsinnt Euch der Reden, die wir deshalb geführt.«

»Die Dinge lagen damals anders.«

»Ich wüßte wahrlich nicht! Es ist seitdem kein anderes Recht in die Welt gekommen.«

»Jeder legt's in seiner Weise aus.«

»Aber wie die Mehrzahl es auslegt, so gilt es.«

»In den Gerichten! Für solche Händel ist noch kein Gericht gesetzt.«

»Der Bund ist ein Gericht über alle seine Glieder!«

»Nicht in dem einen, ob sie ihm angehören wollen oder nicht.«

»In diesem vornehmlich. Aber wie dem sei – er hat die Macht und ist entschlossen, davon Gebrauch zu machen.«

»So müssen wir's leiden, was auch geschehe.« »Ihr handelt unklug, Barthel. Bedenkt, daß ihr Marienburger in diesem Fall gegen uns sein müßt, wenn ihr nicht mit uns seid. Der Orden kann euch nicht schützen, und ihr seid zu schwach, ihm zu helfen.«

»Gott wolle geben, daß wir unsere Kräfte nicht im Kampf zu messen haben.«

»Ja – Gott wolle geben. Wenn aber Unverstand und Hartnäckigkeit auf der andern Seite...« Der Schnee, den die Pferde aufwarfen, flog Tileman ins Gesicht und blieb in seinem struppigen Bart hängen, so daß ihm im Augenblick der Mund geschlossen war. Er zog den Pelzhandschuh ab, um sich zu säubern. »Sprechen wir davon weiter, wenn wir am warmen Ofen sitzen«, sagte er; »hier hat man alle Aufmerksamkeit darauf zu richten, daß man von den Schneekugeln nicht getroffen wird. Auch fahren wir scharf gegen den Wind, und ich muß sorgen, daß ich nicht eine heisere Kehle nach Danzig mitbringe. Ich hoff' Euch noch zu bekehren.«

Blume hatte keine Neigung, auf dieses letzte zu antworten. Er dachte bei sich, das werde schwerlich geschehen können; er dachte aber auch noch manches andere, was er nicht aussprechen mochte, so vornehmlich, was wohl Herrn Tileman vom Wege bewogen, sich zu ihm in den Schlitten zu setzen und ein solches Gespräch anzufangen und seine Bekehrung in Aussicht zu nehmen, da der Protest sie doch anscheinend ganz und für alle Zeit auseinandergebracht hatte. Es lohnte schon, sich darüber ein wenig den Kopf zu zerbrechen: der Grund mußte ein gang absonderlicher sein. Er meinte ihn beinahe erraten zu können; es wurde ihm aber ängstlich zumute, wenn er der Spur nachging, und er kehrte immer wieder lieber um.

»Vorwärts, Jochem!« rief er dem Knecht zu, »schlaf nicht ein!« Bei Tileman entschuldigte er die Pferde. Sie seien aus dem Arbeitsgespann, kräftig und ausdauernd, aber nicht flink. »Marcus ist mit den beiden Braunen unterwegs nach...« Es war, als ob ihm der Wind den Schluß vom Munde weggeblasen hätte.

Der Thorner erkundigte sich nach Marcus und nach Frau Christine und nach Magdalene, immer in längeren Pausen und mit knappen Worten, und Blume antwortete jedesmal mit einem freundlichen Dank, aber wenig eingehend. Es war nur, daß die Unterhaltung nicht ganz stockte. Zu lange dauerte auch die Fahrt nicht mehr. Schon kamen die Türmchen auf der Mauer nah in Sicht, und bald kratzte der Schlitten über das Pflaster unterm Tor, das der Schnee nicht getroffen hatte. Bald hielt er vor des Bürgermeisters Haus.

Tileman vom Wege ließ sich gar nicht erst bitten einzutreten. Das Schellengeläute hatte Magdalene ans Fenster gelockt. Sie mußte wohl etwas sehr Merkwürdiges zu melden gehabt haben, denn gleich darauf erschien auch Frau Christine und blickte ihr über die Schulter, bis die beiden Männer unter die Laube getreten waren.

»Einen schönen guten Tag«, rief Blume in das Stübchen hinein. »Und seht einmal, welchen Gast ich mitbringe.« Er schob den Thorner Bürgermeister vor.

»Verzeiht, werte Frau«, sagte Tileman, ihr die Hand reichend, »daß ich's wage, so unangemeldet bei Euch einzubrechen, wollt' aber doch nicht an Eurem Hause, in dem ich sonst viel Freundschaft erfahren, vorüber, ohn' Euch einen Gruß zu bieten. Euer Mann treibt's freilich jetzt arg, wird mich doch aber hoffentlich bei Euch nicht so schwer verlästert haben, daß Ihr nichts mehr von mir wissen mögt, das wäre mir leid.«

»Legt ab«, bat Frau Christine mit ihrem holdesten Lächeln, »und laßt es Euch bei uns wohl sein. Es ist uns allemal eine große Ehre, wenn Herr Tileman vom Wege uns seinen Besuch schenkt; Ihr dürft aber auch glauben, daß die Freude darüber ebenso groß ist. Von der Männer Streit wissen wir Weibsleute wenig; ich hoffe, sie vergessen ihn auch selbst zuzeiten.«

Sie nahm ihm den Pelzrock und die Handschuhe ab und rief der Magd zu, das Essen zu bereiten, vorerst aber eine Kanne Warmbier auf den Tisch zu stellen. Im stillen überlegte sie schon, was sie etwa noch in der Vorratskammer hätte, die Tafel stattlicher einzurichten. Als eine kluge Frau hatte sie's gleich begriffen, daß es etwas zu bedeuten haben müßte, wenn der Thorner Bürgermeister sich ins Haus einführte, das er so lange gemieden. Die gastlichste Aufnahme war ihm diesmal gewiß.

Auch Magdalene durchzuckte es freudig, als Herr Tileman nun zu ihr trat und viel vertraulicher, als es sonst seine Art gewesen war, ihr die gerötete Wange klopfte. »Ei – ei!« sagte er schmunzelnd, »wie schön Ihr in diesem letzten Jahr geworden seid, Jungfrau! Es ist meinen alten Augen ein rechtes Labsal, Euch zu sehen.« Er drehte sie an den Schultern herum. »Die blonden Zöpfe sind noch gut zwei Handbreit länger ausgewachsen, und schlank seid Ihr geworden, daß man Euch meint umspannen zu können. Werdet nur nicht gar zu luftig!«

Solche Schmeichelei hatte er ihr noch nie gesagt. War sie vorher schon rot, so wallte ihr nun erst recht das Blut durch die Adern. Jost hat gesprochen, dachte sie bei sich, und er ist uns nicht entgegen. Sie bückte sich, ihm die Hand zu küssen, aber er ließ es nicht zu. Ihr zitterten die Knie. »Das Mädel ist frisch und gesund«, sagte Blume, »und dabei, wollt' ich, möcht's bleiben.«

Frau Christine schlug ein Kreuz. »Unverrufen«, fügte sie hinzu. »Das Gesicht ist nicht immer so rosig, wie gerade jetzt, da Ihr sie so gütig beschämt. Manchmal sieht sie recht bleich aus und läßt den Kopf hängen wie ein Schneeglöckchen. Dann hab' ich meine liebe Mühe, sie zu erheitern.«

»Mutter –!« schalt Magdalene.

Herr Tileman aber lachte. »Wer weiß, was sie zu solcher Zeit im Sinn hat? Ich hab' mir sagen lassen, bei jungen Mädchen sitzt der Kopf nahe dem Herzen – hahaha!«

Magdalene versteckte sich hinter ihrer Mutter. Komm, komm«, sagte Frau Christine, »und hilf mir in der Wirtschaft. Der Herr Gevatter weiß allzu gut Bescheid.«

Auf die Tafel wurde auch eine Flasche rheinischer Wein gestellt, wie nur bei den feierlichsten Gelegenheiten. Es gab eine Biersuppe, Hammelfleisch mit Klößen, Schinken mit Backobst und zum Nachtisch eine süße und gewürzige Krude, die eiligst vom Ratsapotheker geholt war, der solches Backwerk zum Verkauf fertigte. Das Gespräch hielt sich von den politischen Streitpunkten möglichst fern. Frau Christine teilte mit, was sich neues »bei Hofe« ereignet hatte, so wenig es auch war, und der Gast erzählte von den winterlichen Vergnüglichkeiten in Thorn und in was für absonderlichen Moden die polnischen Edelfrauen und Fräulein erschienen seien. Er war auch vor nicht langer Zeit auf einem Hansatag zu Lübeck gewesen, allerhand schlimme Händel zu vergleichen. Man hörte gern zu, wie es in der freien Reichsstadt an der Ostsee zuging, um deren Gunst sich viel Fürsten und Herren bemühten. Die großen Städte in Preußen gehörten zur Hansa, und der Orden fördert gern ihre Handelsinteressen schon des eigenen Nutzens wegen. »Die Lübecker neiden schon den Danzigern den Verdienst«, sagte er, »aber die lassen sich nicht mehr ducken. Wir haben selbst unsere liebe Not mit ihnen, daß sie uns nicht über den Kopf wachsen.«

»Da seht Ihr's«, bemerkte Bartholomäus, »wie gute Frucht den Städten das einträchtige Handeln mit dem Orden bringt.«

Der Thorner warf das Kinn auf. »Da wäscht eine Hand die andere. Warum sollen wir da draußen nicht freundschaftlich zusammengehen, solange eine solche Stärkung beiden Teilen dienlich ist? Dort läßt uns der Herr Hochmeister gern die Führung. Stützen wir uns auf sein Schwert, so entgeht ihm doch der klingende Lohn nicht. Ihr hier in Marienburg, denk' ich, wißt am besten, welche Vorräte von Getreide und anderen Waren der Großschäffer jährlich zur Ausfuhr anhäuft und was er an Tuchen, Laken, Pelzen und Eisenzeug für die Brüder aus dem Erlös ins Land zurückbringt. Das entgeht dem Kaufmann. Aber wir murren schon nicht, solange er sich in Grenzen hält und nicht unbillige Vorrechte fordert. Wir Thorner gönnen auch Danzig seinen Verdienst, nur daß es unser Niederlagerecht respektiere und uns nicht von der See abschneide.«

»Ihr gönnt jedem, was er haben kann«, rief Blume lachend, »man muß Euch nur erst satt werden lassen. Und so denken die andern auch. Gebt acht, es kommt noch einmal zwischen Thorn und Danzig zu einem harten Strauß. Wehe dem, der dann unterliegt, wenn nicht der Obrigkeit starke Hand das Gleichgewicht erhält.«

Tileman trank sein Glas aus und stellte es umgekehrt auf den Tisch. »Wer mag so weit in die Zukunft sehen«, sagte er. »Für jetzt haben wir beide genug zu tun, daß der Obrigkeit Hand nicht zu stark werde. Sie könnte uns sonst leicht einen solchen Frieden auflegen, der keinem Teil gefiele. Aber das ist kein Gespräch für die Frauen. Laßt uns aufstehen und noch ein Stündlein in Eurem Stübchen verbringen. Es wäre auch sonst noch dies und das zu erörtern, worüber wir nicht einerlei Meinung sind.«

»Wollt Ihr wirklich heut' schon wieder fort, Herr Bürgermeister?« fragte Frau Christine. »Oben im Giebel steht allezeit ein aufgemachtes Bett für einen lieben Gast bereit.«

»Ich muß Euch diesmal schon danken, werte Frau«, antwortete er, ihr die Hand schüttelnd, »meine Reise hat Eile. Aber ich hoffe, es war nicht das letztemal, daß ich an Eurem Tisch saß, so eifrig auch der Alte hier darauf bedacht ist, das Tuch zwischen uns durchzuschneiden. Sorgt bitte dafür, daß er nicht allzu hartnäckig werde.«

So liebenswürdig hatte er sich noch nie um sie bemüht. Sie knickste ganz verschämt und schielte dabei zu Magdalene hinüber, die den einen ihrer langen Zöpfe über die Schulter genommen hatte und mit den in Verlegenheit spielenden Fingerchen breit auszupfte. Gleich darauf sagte sie ihrem Vater etwas ins Ohr. »Gewiß, gewiß«, antwortete er, »der Schlitten soll nach einer Stunde wieder angespannt werden, den Herrn Bürgermeister nach Dirschau zu bringen. Gewiß.«

Tileman klopfte ihr die Backe. »Ich nehm's an«, sagte er, »weil Ihr mir's zugedacht habt, liebe Jungfer. Wer weiß...? Aber ich will nicht plauderhaft sein. Ade und Gott behüt' Euch. Noch eins, habt Ihr etwas an meinen Jost zu bestellen? Er muß in nächster Zeit von Warschau zurückkehren.«

»Einen herzlichen Gruß«, antwortete sie rasch, über und über errötend. Sich nach den Eltern umschauend, setzte sie dann schüchtern hinzu: »Das wird wohl erlaubt sein – – durch den Vater!«

Die beiden Männer gingen hinab. Frau Christine schickte ihnen durch die Jungmagd einen Nachtrunk dorthin. Mutter und Tochter hatten dann noch lange miteinander zu zischeln. Es konnte ja gar nicht anders sein: Herr Tileman vom Wege wußte von seines Sohnes Heimlichkeit und wollte ihm nicht entgegenstehen.

Der Thorner Bürgermeister aber, nachdem er im Lehnsessel Platz genommen und sich behaglich ausgestreckt hatte, knurrte, als ob er um eine Einleitung des weiteren Gesprächs verlegen wäre, ein »Hm – hm« und »Ja – ja« vor sich hin, zupfte seinen Bart und begann endlich, die Hand fest auf die Tischplatte legend: »Warum soll ich länger krumm herumgehen, da ich zuletzt doch mit der Sprache heraus muß? Lieber Gevatter, es hat Euch scheinen müssen, daß ich in letzter Zeit sehr erzürnt auf Euch war. Und ich bin's auch wirklich gewesen und bin's im Grunde noch jetzt, da Ihr Euch von der gemeinsamen Sache so garstig abgekehrt habt. So mag es Euch nun mit Recht verwundern, daß ich Euch gleichsam nachlaufe und wie einen lieben Freund anspreche. Aber ... ich will's Euch nicht vorenthalten: es geschieht meines Sohnes wegen, der mir schon vor Monaten mit einem ganz absonderlichen Anliegen gekommen ist, von dessen Erfüllung doch, wie er behauptet, seine ganze Seligkeit abhängt. Seine ganze Seligkeit! Das ist ein bißchen viel, und wie ich ihn kenne ... Aber mag sein. Ich bin noch nicht zu alt, um begreifen zu können, daß das so einem jungen Fant im Augenblick volle Wahrheit ist. Als ich in seinen Jahren war...« Er strich mit der Hand an den Augen vorüber, wie wenn er etwas fortscheuchen wollte. »Mag sein. Man kommt auch über das hinweg. Aber die ganze Seligkeit war's wirklich.«

»Ich merke wohl, Ihr wißt von dem, was mein Kind angeht«, sagte Blume ernst. »Dann wißt Ihr auch, wie wir damals Euren Sohn beschieden haben: nur mit Eurer Genehmigung dürfte das Verlöbnis eingegangen werden. Das war freilich für mich so gewiß als nie, aber ich wollt ihn nicht ohne alle Hoffnung lassen, da er sich's selbst doch zutraute, den Vater zu bewegen. Ist das nun geschehen?«

Tileman zischte durch die Zähne. »Ja und nein«, antwortete er nach einer Weile. »Ihr mögt Euch vorstellen, Herr Gevatter, daß ich von solcher Eröffnung wenig erbaut war. Denn ohne Euch nahetreten zu wollen – mein Sohn und Eure Tochter geben in der Welt Augen ein ungleiches Paar. Bin ich gleich ein Bürger wie Ihr, so hab ich doch aus meiner Heimat ein adlig Wappen mitgebracht, das so alt ist als irgendeines anderen Geschlechtes Wappen in diesem Lande, und die im Rat der Alten Stadt Thorn sitzen, haben Grund, auf diesen Vorzug stolz zu sein und ihre Familien in vornehmer Abgeschlossenheit zu halten. Wollt Ihr's ein Vorurteil nennen, so gibt's doch keinen Stand, der davon frei bliebe. Kam's an Euch, Ihr dächtet wie ich. Darum geriet ich anfangs auch in großen Zorn und sagt' ihm auf den Kopf, daraus könne nichts werden und er solle sich's ein für allemal aus dem Sinn schlagen. Bald aber sollt' ich erfahren, daß er sich's schwerer zu Gemüt genommen, als ich meinte. So mit einem streng abweisenden Wort macht' ich ihn nicht still. Er kam wieder und wieder; es gab lauten Streit zwischen uns, und am Ende hat er mir gedroht... Das will ich nicht wiederholen. Der Trotzkopf! Ich mußt' ihm doch so viel zugestehen, daß ich mir's zu überlegen versprach. Es ist schon so viel Unglück in meinem Hause – das mocht' ich nicht mehren durch halsstarriges Versagen. Und wenn ich nun Eure Magdalene sehe, so begreif' ich's wohl, daß mein Junge ganz toll verliebt und zu allerhand Torheit fähig ist. Deshalb möcht' ich nun doch das letzte Wort noch nicht gesprochen haben.«

»Das lohn' Euch Gott«, sagte Blume, die Hand auf die seine legend, »daß Ihr so gütig der Kinder Herzensglück bedenkt. Freilich sind wir nur schlichte Leute und haben auch an Gütern nicht viel zu bieten. Aber an Bravheit steht unser Mädel wahrlich hinter keinem hochgeborenen Fräulein zurück, und so bescheiden bin ich nicht, daß ich's zu gering erachtete für irgendeines braven Mannes Weib. Es mag Euch hart ankommen, lieber Herr, Euren Stolz zu demütigen, aber glaubt mir, nicht weniger bedenklich bin auch ich, für mein liebes Kind eine Gnade anzunehmen. Was Ihr gern tut, das soll Euch gern gedankt werden.«

»Ich will tun, was ich kann«, entgegnete Tileman, »und wenn ich's tue, weil ich's tun kann, soll es auch gern getan sein. So viel und nicht mehr verlang' ich auch von der anderen Seite. Hört mich an, Herr Barthel, und nehmt meine Worte für so ernst, als sie gesprochen sind. Eure Magdalene gefällt mir wohl, und es soll mir genügen, daß sie sehr ehrsamer Bürgersleute Kind ist und an Ausstattung mitbringt, was in solchem Fall üblich; es soll jederman wissen, daß sie meine Schwiegertochter ist, und sich danach richten. In dem also, was mich allein angeht, findet Ihr mich nachgiebig und billig, wie Ihr's wünschen möget. Aber es gibt etwas darüber, damit kann ich nicht paktieren. Sondern das muß mir voll gewährt werden.« Er hielt in der Rede ein und sah seinem Gegenüber scharf in die Augen. »Ich kann mich nicht einem Manne verschwägern, der bundbrüchig und aller meiner Streitgenossen erklärter Gegner ist.«

Die Stirn Blumes verfinsterte sich. »Dann hebt Ihr alles wieder auf, was Ihr großmütig zugestanden habt, Herr Tileman – alles.«

»Nein, Barthel, es bleibt bestehen. Ich will's Euch nicht zurechnen, was Ihr getan habt, Euch in solche Gegnerschaft zu setzen. Das einzige, das ich von Euch fordere und fordern muß, ist dies: daß Ihr auf nächster Tagfahrt so öffentlich, als auf der letzten Euer Protest lautete, vor dem Herrn Hochmeister, seinen Prälaten und Gebietigern und vor Ländern und Städten erklärt, Euer Austritt aus dem Bunde sei Euch und Eurer Stadt leid geworden –«

Blume erhob sich hastig und stützte die Hand auf den Tisch.

»Hättet Euch auch überzeugt«, fuhr Tileman vom Wege, ihm abwinkend, fort, »daß solcher Austritt und Rückforderung der Siegel nach den Satzungen des Bundes unzulässig und daß sie in Wahrheit nichts enthielten, was gegen des Herrn Hochmeisters Person, gegen seinen Orden und gegen die heilige Kirche gemünzt sei.«

»So war's gemeint!« rief Blume mit bebender Stimme. »Erkaufen wollt Ihr mich –«

»Ruhig, Barthel, ruhig!« mahnte der Thorner. »Was Ihr erklären sollt, dürft Ihr als ein ehrlicher Mann erklären, denn es ist nach dem Rechten. Seid Ihr vorhin im Irrtum gewesen, das mag Euch niemand vorwerfen, denn schwache Menschen sind wir alle, und es ist wohl verständlich, daß ihr Marienburger hier vom Hauptschloß großen Druck erfahren habt und ängstlich geworden seid, die gute Sache ferner zu vertreten. Nun seht Ihr aber ein, wieviel ungerechten Schaden Ihr dadurch ihr zufügt, daß Ihr die Einigkeit stört und auch andere zum Abfall verleitet. So wird größere Freude sein im Bunde über Eure Rückkehr, als wenn Ihr nie wankend geworden wäret.«

Blume schüttelte das lange Haar, das Haupt hoch aufgerichtet. »Nie wird das geschehen, Herr Tileman vom Wege«, sagte er fest, »nie – nie! Und wenn ich mein liebes Kind –«

»Verschwört Euch nicht«, fiel der andere ein. »Das ist eine Sache, die reifliches Bedenken fordert, nicht so im Eifer abgemacht werden darf.« Lächelnd fügte er hinzu: »Ich meine, sie geht auch nicht nur den Rat Eurer Stadt an, von dem Ihr wenig Widerspruch zu erwarten habt, sondern vielleicht mehr noch Euren Hausrat, in dem die kluge Frau Christine eine wichtige Stimme hat. Deshalb entscheidet Euch nicht, bevor Ihr dort angefragt und eine Antwort erhalten habt. Ich will Euch nicht übereilen, Gevatter. Ihr habt Zeit bis zur nächsten Tagfahrt.«

»Ich fordere sie nicht«, antwortete Blume. »Ihr kennt meine Art schlecht. In allem, was das Haus angeht, laß' ich mir gern von meinem Weib raten, wie das eines christlichen Ehemanns Pflicht ist. Wenn aber die Stadt oder das Land ... Nein, nein! Ihr kennt auch Christine schlecht. Nie würde sie sich solcher Dinge vermessen.«

»Es geht das Haus an«, sagte Tileman scharf betonend. »Ihr mögt Euch sperren, wie Ihr wollt, das werdet Ihr müssen gelten lassen. Zur Beruhigung Eures Gewissens will ich Euch aber in gutem Vertrauen noch eins mitteilen. Man wirft unserm Bunde vor, daß er ein Bund gegen Gewalt sei, also Gewalt mit Gewalt abzutreiben bereitstehe. Weil es nun aber gegen göttliches und weltliches Gesetz sei, daß die Untertanen gegen ihre Herrschaft Gewalt gebrauchen, so wäre der Bund verwerflich und nicht zu leiden. Nun seid Ihr selbst zwar zehn Jahre lang der Meinung gewesen, es sei nichts Unrechtes in unsern Brief gesetzt –«

»Weil ich diesen Punkt so nicht auslegte. Gott mag mich strafen, wenn ich jemals an Gewalt gegen meine verordnete Obrigkeit gedacht habe!«

»Und dazu zwang Euch des Briefes Fassung auch nicht. Weil aber doch jetzt ein groß Geschrei erhoben ist und leicht noch mehr Schwachmütige dahin neigen können, wir hätten uns allerhand Hintertüren offen lassen wollen, so hab' ich in Elbing ganz still mit einigen Führern des Bundes beraten, wie wir solchen Verdacht mundtot machen können, und sind einig geworden, den Brief dahin zu deklarieren, daß wir gegen Gewalt der Herrschaft nicht wider sie mit Gewalt vorzugehen gemeint sind, sondern, wenn dem einen und andern sein Recht im Lande nicht würde, alle für einen Klage führen wollen an der Stelle, die der Herr Hochmeister nebst seinem Orden und die Herren Prälaten als einen Richter erkennen müssen: bei Kaiser und Papst. Ich hoffe, darauf werden wir einig im Bunde, und deshalb geschieht's auch, daß ich jetzt nach Danzig reise, dieses wichtigen Gliedes Vollwort zu erbitten. Für Thorn glaub' ich mich verbürgen zu können. Nach solcher Deklaration aber weiß ich nicht, was Euch hindern kann, Euer Verbleiben im Bunde zu melden. Nicht Ihr, dürft Ihr sagen, seid zu unserer Meinung bekehrt, sondern wir sind's zu der Euren.«

»Doch schwerlich in meinem Sinn«, entgegnete Blume. »Was heute so deklariert wird, kann morgen anders deklariert werden. Ich verstehe Eure Klugheit: Ihr wollt den Herrn Legaten loswerden und deshalb den Orden in Sicherheit wiegen, daß er Euch dazu helfe. Um Kaiser und Papst ist es Euch nicht zu tun, sondern um den Richttag im Lande, der das letzte Wort haben soll über Herrschaft und Untersassen. Das mag dem Land vorteilig sein oder nicht, ich laß es dahingestellt. Der Bund aber will's durchsetzen auch gegen des andern Teils Bewilligung, Ihr täuscht Euch nicht: das kann schließlich nur mit Gewalt geschehen. Und weil ich das weiß und meinen gelobten Eid auf alle Fälle halten will, darum hab' ich dem Bund abgesagt, nun es noch im Frieden hat geschehen können. Daran halt' ich fest und müßt' auch in Euren Augen ein Elender sein, wenn ich um Weib und Kind, Hab und Gut meinem Herrn die Treue bräche, wie ich sie verstehe. Darauf leb' und sterb' ich.«

Nun stand auch der Thorner Bürgermeister auf, ging um ihn herum bis zur Wand, dann nochmals die Diele hinab und zurück bis in die Gegend der Tür. Er horchte hinaus. »Mir ist's so, als ob ich die Schellen des Schlittens vernehme«, sagte er. »Helft mir zu Pelz und Kogel. Nach Dirschau komme ich doch schon in der Dunkelheit.«

Der Wirt ging hinaus und kam nach einer kurzen Weile mit der Meldung wieder, es sei alles zur Abfahrt bereit. Tileman vom Wege trat in den Flur. Frau Christine kam die Treppe hinunter, blieb auf dem Absatz stehen und winkte einen freundlichen Gruß zu. »Ich will nicht in Sorgen scheiden«, rief er hinauf, »da ich mir hier zwei gute Sachwalter weiß. Lasset Euch berichten, werte Frau, was wir verhandelt haben, und sorgt dafür, daß ich recht bald wieder froh bei Euch einkehren darf.«

Unter der Haustür nahm er Blumes Hand und sagte: »Gesteht es selbst, ich kann nicht anders. Der Preis, den ich setze, ist nicht zu hoch. Zahlt ihn, und Ihr werdet nicht nur ein guter Vater, sondern auch ein guter Bürger sein. Damit Gott befohlen und auf Wiedersehen in Elbing!«

Eine Minute später hatte sich der Schlitten schon in Bewegung gesetzt.

Bartholomäus Blume aber kehrte sorgenschwer ins Haus zurück. Mann und Frau hatten miteinander ein langes Gespräch, und am Abend nach der gewohnten Zeit ging Magdalene mit verweinten Augen zu Bett.


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