Ernst Wichert
Der Bürgermeister von Thorn
Ernst Wichert

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Zwölftes Kapitel

Ein Bubenstück

Die Ordensburg Marienwerder liegt hoch auf dem rechten Weichselufer, eine Strecke unterhalb der Stelle, wo der mächtige Strom sich in Weichsel und Nogat scheidet. Das Flußtal ist hier breit. Der Damm zieht sich nahe dem Wasser hin. Zwischen ihm und der Uferhöhe liegt ein fruchtbares Tiefland von vielen Gräben kreuz und quer durchschnitten, bei Hochfluten der Überschwemmung ausgesetzt. Hart an der Uferkante erhebt sich das Schloß, ein Viereck von Gebäuden und Mauern. Von dem vorderen Querhaus läuft gegen den Fluß hin ein gewaltiges Verteidigungswerk aus, wie für die Ewigkeit gebaut. Eine Reihe von massigen Ziegelpfeilern steht hier auf der Ebene auf. Sie tragen zwischen sich je ein Rundbogengewölbe. Darüber erhebt sich, lang vorgestreckt, ein Mauerwerk mit Schießscharten zu beiden Seiten und einer turmartigen Erhöhung auf der Spitze. Der Dansk, wie er in so riesigen und doch gefälligen Formen von keiner zweiten Ordensburg ausgebildet ist, gleicht dem Ansatz einer altrömischen Wasserleitung. Man meint, der kühne Baumeister habe das weite Tal überspannen wollen, aber sich mit einer Andeutung seines Planes begnügen müssen.

Mit seinem rückseitigen Abschluß lehnt das Schloß sich, Mauer an Mauer, gegen den Dom, der es mit seinem Spitzdach und Turm überragt. Weiter zurück, ein wenig tiefer, liegt das Städtchen. Zu der Zeit, als Jost und Ursula sich demselben näherten, war es gleichfalls ummauert. Dem Schloß fehlten zierliche Türmchen nicht, und starke Werke umgaben dasselbe, auch gegen die Landseite hin den Feind abwehrend.

Jost hatte einen Karren ausgerüstet und mit einigen leeren Fäßchen bepackt. Es sollte so aussehen, als ob sie über Land zögen, irgendwo Bier und Lebensmittel einzuhandeln, um diese Ware unterwegs wieder an hungrige und durstige Landsknechte zu verkaufen. Der Gotländer war vorgespannt. Er hatte in Marienburg wenig Pflege erhalten können und sah abgemagert und ruppig aus wie ein rechtes Schottenpferd. Jost hatte einen alten Fuhrmannskittel übergeworfen und einen alten Filzhut auf die Stirn gedrückt. Ursula trug die Kleider einer Bäuerin und suchte ihr Goldhaar unter einem alten Kopftuch zu verstecken. Sie waren unangefochten bis Marienwerder gelangt, hatten ihr Fuhrwerk in einer Herberge eingestellt und klopften nun Einlaß begehrend an das Schloßtor.

Die Trabanten öffneten und ließen sie unter den Torbogen. Hier wurden sie ausgefragt, was ihr Begehr sei. Sie antworteten, sie hätten dem Herrn Hochmeister eine wichtige Nachricht zu bringen und verlangten, vor ihn gefühlt zu werden. Das könne nicht so ohne weiteres geschehen, hieß es; sie müßten erst dem Herrn Hauskomtur gemeldet werden, oder vielmehr dem Ritter, der seine Stelle vertrete, denn das Amt sei zur Zeit unbesetzt. Damit waren sie zufrieden und folgten dem einen auf den Hof. Dort setzten sie sich auf den Brunnenrand, um näheren Bescheid abzuwarten.

Ursula war durstig. Jost ließ den Eimer an der Kette hinab, zog ihn wieder auf und füllte eine Kanne, die auf der Einfassung stand. Während sie trank, fiel das Tuch zurück und ließ eine Weile ihr Gesicht ganz frei. Jost hatte den Hut abgenommen. Sie bemerkten nicht, daß auf der Galerie seitwärts ein Mann in Ordenskleidung erschien, sich über lehnte und nach ihnen ausschaute. Sein rechtes Auge war mit einem dunklen Lappen verhängt, der mit einem Band um die Stirn festgehalten wurde. Das Gesicht drückte Überraschung aus, der Mund zog sich zu einem grinsenden Lachen in die Breite. Der Mann verschwand bald wieder. Es dauerte aber noch einige Zeit, bis der Trabant zurückkam und meldete, der Herr Hauskomtur wolle sie in seinem Gemach sprechen.

Arglos traten sie ein. Wie erschrak aber Ursula, als der Mann, der abgekehrt in der Fensternische stand, sich umwendete und sie spöttisch willkommen hieß. »Herr Ritter von Ostra ...«, sagte sie erbleichend. Sie griff zurück nach der Klinke, aber die schwere Eichentür wollte sich nicht öffnen lassen.

»Das nenn' ich ein unverhofftes Wiedersehen, mein wertes Fräulein«, rief der Ritter. »Auch wenn Ihr nicht meinen Namen genannt hättet, wär' mir's nicht entgangen, daß ich Euch unvergessen bin. Aber zittert nicht. Die kleine Verdrießlichkeit von damals trag' ich Euch nicht nach. Und mein Auge ... Nun, es ist geheilt, und ich sehe mit dem andern noch scharf genug, daß Eure Schönheit in diesen Jahren nichts verloren hat. Hoffentlich habt Ihr nicht so ein garstiges Tier mit Euch, das keinen Spaß versteht. Wer ist denn diesmal Euer Begleiter auf der Reise über Land?«

Er faßte Jost scharf ins Auge und knurrte etwas in den Bart. »Herr Ritter«, antwortete dieser für Ursula, »ich will nicht wissen, welche Begegnung Ihr schon einmal mit dem Fräulein gehabt und was Euch berechtigt, in solchem Ton daran zu erinnern. Es ist auch gleichgültig. Des Fräuleins Auftrag geht an den Herrn Hochmeister. Seid Ihr sein Hauskomtur, so tut Eure Pflicht und bringt die Meldung unverzüglich an Seine Gnade.«

»Lehrt mich, was meine Pflicht ist«, rief der Ritter übermütig. »Und unverzüglich, sagt Ihr? Es scheint, daß Ihr in diesem Schloß zu befehlen habt.«

»Das scheint nicht, so wenig es auch ist. Aber in diesem Schloß, denk' ich, hat der Herr Hochmeister zu befehlen, und unsere Bitte will nichts anderes erreichen, als ihm zugeführt zu werden, damit er über uns verfüge.«

Der Ritter musterte ihn wieder mit einem über seine Gestalt rasch hingleitenden Blick. »Ihr versteht Eure Worte für einen wandernden Schottenkrämer oder Fuhrmann sonderbar zierlich zu setzen«, sagte er. »Wenn Ihr's überall so geschickt anfangt, wird man Euch nirgends glauben, daß Ihr seid, wofür Ihr Euch ausgebt. Nennt mir Euren Namen.«

»Das ist meine Absicht nicht. Ich bin aber bereit, ihn dem Herrn Hochmeister zu nennen, und er ist wahrlich ein ehrlicher und guter Name. Sagt das dem gnädigen Herrn.«

»Ehrlich – hm, hm!« lärmte Ostra. »Und gut? Kann sein. Es gibt im Lande verschiedene Meinungen über das, was ein guter Name ist. Verschlingt mich nicht mit Euren Augen – ich kann's nicht ändern. Ich sage, es gibt verschiedene Meinungen, und das ist richtig so. Von woher kommt Ihr?«

»Von Marienburg.«

»Schloß oder Stadt?«

»Stadt.«

»Pah! Erlaubt, daß ich daran zweifle.«

»Weshalb wollt Ihr daran zweifeln, Herr Ritter?«

»Weil ... Aber Ihr sagt es. Ihr sagt, daß Ihr von Stadt Marienburg kommt, die dem Orden treu ist, gegen den Bund die Waffen erhoben hat! Ihr sagt es.«

»Und ich sage die Wahrheit, das Fräulein wird mir's bezeugen, daß ich gestern Abend erst von Bartholomäus Blume, dem Bürgermeister, Abschied genommen habe.«

»Und von Marcus, seinem Sohn, nicht wahr? Das Fräulein kennt Marcus Blume sehr gut. Aber ob gestern Abend ... Ich hätte darauf wetten mögen, das Fräulein komme von – Thorn.«

Jost sah verwundert auf. »Weshalb von Thorn?«

»Ah –! Es ist ein lustigeres Leben da als in dem Nest Marienburg. Reichtum in Fülle. Und die Söhne der Ratsherren von Thorn –«

»Wollt Ihr nun beim Herrn Hochmeister anfragen, Herr Ritter?« unterbrach Ursula ungeduldig.

»Hm –! Das will ich«, entgegnete Ostra, listig mit dem linken Auge zwinkernd, »wenn ich erst weiß, wie ich Euch melden soll.«

»Sagt nur, die Ursula vom Walde ... Und bringt ihm diesen Ring, den er selbst einmal getragen hat.«

Sie löste den Ring von einem Halskettchen, das sie aus dem Mieder vorzog, und reichte ihn dem Ritter. Ostra betrachtete ihn mit begehrlichen Blicken. »Wahrhaftig!« rief er, »das ist derselbe Ring ... Nun freilich! Wenn der Herr Hochmeister Euch den gelassen hat, wird er ja wohl auch für Euch nicht allzusehr beschäftigt sein. Ich will hören, was seine Gnade zu befehlen hat. Geduldet Euch hier so lange.«

Er verließ das Gemach und blieb wohl eine Viertelstunde fort. Indessen klärte Ursula Jost über des Ritters Person auf. »Das ist ein böses Zusammentreffen«, meinte er. »Auch jetzt will der gewalttätige Mensch dir schwerlich wohl. Seine hämischen Reden erwecken wenig Vertrauen. Was wollte er denn mit Thorn? Ein Einäugiger. Ganz recht! Von so einem ist schon viel in Thorn gesprochen zu der Zeit, als der Aufstand war. Wenn er ...? Bedenke, liebe Schwester, ob es nicht geraten ist, das Haus zu verlassen und auf eine bessere Gelegenheit zu warten, den Herrn Hochmeister zu sprechen. Du hättest den Ring nicht aus der Hand geben sollen.«

»Er muß ihn doch vorzeigen«, entgegnete Ursula. »Weiß Herr Ludwig von Erlichshausen erst, wer ihn schickt, so fürcht' ich diesen Buben nicht weiter. Er kann uns nichts Böses tun.«

Als Boppo von Ostra wieder eintrat, begleiteten ihn zwei Trabanten mit langen Spießen. »Der Herr Hochmeister war sehr erfreut, das Fräulein hier zu wissen«, sagte er, sich mit gesuchter Höflichkeit verneigend. »Seine Gnade läßt das Fräulein bitten, mir sogleich zu folgen.«

»Das tu' ich gern«, antwortete Ursula. »Aber gebt mir vorerst den Ring zurück.«

»Der Herr Hochmeister hat ihn an sich behalten«, versicherte Ostra. »Ich hoffe, Ihr sollt ihn aus seiner Hand wieder empfangen.«

»So kommt, Lieber«, wendete sie sich zu Jost.

Ostra trat zwischen beide. »Verzeiht«, sagte er, »Seine Gnade will erst von Euch erfahren, wer Euer Begleiter ist, der sich mir nicht nennt. Er bleibt vorläufig hier.«

»Geh' nicht ohne mich, Ursula«, bat Jost.

Der Ritter zuckte die Achseln. »Also überhaupt nicht.«

Ursula überlegte. »Was kann mir geschehen?« meinte sie. »Der Herr Hochmeister will mich zu sich lassen.« Sie kehrte sich nach der Tür. »Führt mich zu ihm!«

Ostra ließ sie aus. Er folgte. Auch die Trabanten traten hinaus. Aber sie blieben draußen vor der Tür auf der Galerie stehen, sich auf ihre Spieße stützend.

Der Ritter bat das Fräulein voranzugehen – die Treppe hinab und über den Hof nach dem anderen Flügel. Sie gelangten durch den niedrigen Torbogen in einen Flur, zur Treppe, oben in einen Kreuzgang, wieder einige Stufen abwärts in einen schmalen, halbdunklen, gewölbten Raum. Ursula stutzte. »Wir sind gleich zur Stelle«, beruhigte Ostra. »Dort rechts wird's wieder hell.« Wirklich öffnete sich hier die Wand, und Ursula blickte in einen langen Gang hinein, der von beiden Seiten durch schmale Fensteröffnungen Licht erhielt. Gegen das Ende hin verengte er sich. Dort schritten sie an mehreren Türen vorbei, das Fräulein immer eiliger. Die letzte geradeaus öffnete der Ritter und nötigte Ursula zum Eintreten.

Das Gemach war nicht groß; ein Kreuzgewölbe überspannte es. In der sehr dicken Wand gegenüber der Tür befand sich eine tief eingeschnittene Nische und darin ein schmales Fenster, zu dem man über zwei stufenartige Einsenkungen der Mauer gelangen konnte. Ursula glaubte, daß dies endlich das Vorzimmer des Herrn Hochmeisters sei, und trat ein. Kaum aber hatte sie sich in dem Raum umgeschaut, der einer Gefängniszelle ähnlich sah und auch wie eine solche eine niedrige Bettlade und ein paar Holzschemel als einzige Ausstattung enthielt, als sie kehrtmachte und entrüstet rief: »Wohin führt Ihr mich? Ich folge Euch nicht weiter.«

Sie wollte hinaus, aber der Ritter verstellte ihr die Tür. »Es ist auch nicht erforderlich«, antwortete er, »wir sind am Ziel. Mag es Euch gefallen, mein schönes Fräulein, hier einige Zeit zu verweilen, bis der Herr Hochmeister die Gnade haben wird, Euch zu berufen. Das kann nicht sogleich geschehen. Es ist zunächst ein Umstand aufzuklären, der Euch verdächtigt, nicht in guter Absicht in dieses Schloß eingedrungen zu sein.«

»Mich verdächtigt –?« wiederholte Ursula ganz verwirrt. »Wie kann das sein? Habt Ihr dem Herrn Hochmeister nicht den Ring gebracht –?«

»Ich bin für des gnädigsten Herrn Sicherheit in diesem Hause verantwortlich«, entgegnete Ostra, der Antwort auf die Frage ausweichend. »Ich tue, was meine Pflicht ist.«

»Laßt mich hinaus! Laßt mich zu meinem Begleiter!«

»Dieser Begleiter gerade ist's, der Euch verdächtigt.«

»Mein Bruder –?«

»Euer Bruder! Ihr scherzt, schönes Kind. Solcher Brüder habt Ihr wohl noch mehrere – je nach Gelegenheit. Wollt Ihr mir seinen Namen nennen?«

Ursula stand ratlos und schwieg. Sie hatte vielleicht schon zu viel verraten, indem sie Jost ihren Bruder nannte.

»Ihr kennt ihn vielleicht selbst nicht«, fuhr Ostra spöttisch fort. »So will ich Euch sagen, daß man gedacht hat, Euch zu einem frevelhaften Anschlag auf des Herrn Hochmeisters Leben mißbrauchen zu können. Euer Ring sollte dem Sohn seines Todfeindes den Weg zu ihm öffnen –«

»Um Himmels willen!« fiel Ursula entsetzt ein. »Welcher unwürdige Verdacht –«

»Beruhigt Euch nur – ich will darauf schwören, daß Ihr unschuldig seid. Ihr habt keinen willigeren Beschützer als mich – vertraut mir ganz.« Er ergriff ihre Hand und versuchte sie an seine Lippen zu ziehen.

Sie riß sich in furchtbarer Angst los. »Zu Hilfe – zu Hilfe!«

»Euer Geschrei kann Euch nichts nützen«, sagte er, immer die Tür sperrend. »Man hört Euch im Hause nicht. Wenn Ihr Euch aber meinen Wünschen gefügig bezeigen wollt –«

»Zu Hilfe –zu Hilfe!«

Ostra trat rasch zurück und schlug die Tür zu. Es steckte ein Schlüssel im Schloß. Er drehte ihn um und zog ihn ab.

Indem er auf dem Rückwege wieder den Dansk seiner ganzen Länge nach durchschritt, hatte er Zeit zu überlegen, was für Folgen seine rasche Tat haben könnte. »Der Hochmeister darf nichts erfahren ...« murmelte er. »Weshalb auch? Er herbergt wohl hier nicht lange. Kommt's doch heraus, so ist's zu seinem Besten geschehen – vielleicht übereilt, irrtümlich, allzu eigenmächtig, aber zu seinem Besten. Und bis dahin ... Wer rechnet denn noch mit dem nächsten Tage? Ich hoffe, die scheue Taube wird in der Gefangenschaft bald kirre geworden sein. Pah! Man will sein Auge nicht umsonst verloren haben.«

Als er zu Jost zurückkehrte, hatte dieser schon ungeduldig auf die Galerie hinaustreten wollen, war aber durch die Trabanten, die ihre Spieße vor der Tür kreuzten, gehindert worden. Er beschwerte sich nun mit heftigen Worten über diese Unverschämtheit. Östra lachte. »Sie haben getan, was ihnen geheißen war«, sagte er herausfordernd.

»Wie? Bin ich hier ein Gefangener?« rief der Junker unwillig.

»Ihr seid's, Herr Jost vom Wege!« antwortete Ostra.

»Hah –!«

»Hab' ich Euch beim richtigen Namen genannt? Ihr mögt wissen, daß ich einmal heimlich in Thorn gewesen bin und mir die Buben angesehen habe, die den Orden verrieten. Da hat man mir auch den Sohn des Erzschelms Tileman vom Wege gezeigt, und ich hab' sein Gesicht nicht vergessen, wie Ihr merkt.«

»Und wenn ich nun Jost vom Wege bin?«

»So seid Ihr auch der Friedensbrecher, Landverderber und Kirchenschänder, der an der Spitze der bündischen Söldner das Ermland mit Krieg überzogen und seinem rechtmäßigen Herrn, dem Bischof Franziskus, entwendet hat.«

»Herr Ritter –!«

»Seid Ihr's nicht? Leugnet doch, wenn Ihr könnt.«

»Was ich damals getan habe ... Euch schuld' ich keine Rechenschaft dafür.«

»Meinem Orden.«

»So führt mich vor den Herrn Hochmeister –«

»Ihr seid solcher Gnade nicht würdig. Eure Schuld ist offenkundig – erwartet die gerechte Strafe.«

»Aber Ihr wißt nicht ... Ich bin seitdem in der Stadt Marienburg Dienst getreten, für den Herrn Hochmeister, für den Orden zu kämpfen.«

»Wen gedenkt Ihr so frech zu belügen? Ich sag's Euch auf den Kopf: Ihr seid hierhergekommen, den Herrn Hochmeister zu ermorden.«

»Unerhörte Beschuldigung! Wie wagt Ihr –?«

Ostra gab den Trabanten einen Wink. »Greift zu – schafft ihn in den Turm. Sobald er sich widersetzt, legt ihn in Ketten und weist ihm das unterste Verlies an.«

Die Trabanten packten ihn bei den Armen. »Das ist die schnödeste Gewalttat«, schrie Jost. »Ihr werdet sie zu verantworten haben. Ich bring' ein Schreiben an den Herrn Hochmeister –«

»Es ist gefälscht. Durchsucht ihn, nehmt es ihm ab und legt's in meine Hand.«

Jost wehrte sich wie ein Verzweifelter. »Und wo ist Ursula – meine Schwester?«

»Eure Schwester; Hahaha! Da merkt man das abgekartete Spiel. Seid ohne Sorge! Dem artigen Fräulein soll kein Leid geschehen.«

»Fluch über Euch und Eure räuberischen Taten –!«

»Setzt ihm einen Knebel ins Lästermaul! Fort!« Er öffnete die Tür und ließ die Trabanten aus. Sie nahmen Jost mit sich und warfen ihn in den nur wenige Schritte entfernten Turm.

Nun begab Ritter Ostra sich nach dem Remter. Dort saßen einige von den Brüdern mit den gerade im Schloß anwesenden Söldnerhauptleuten an dem langen Tisch und becherten. An einem der Fenster arbeitete ein Schreiber. Die Tür zum anstoßenden Gemach stand auf. Es war für den Hochmeister eingerichtet worden. Herr Ludwig von Erlichshausen spielte dort mit dem Hauptmann von Tettau Schach. Er hatte in einem Polsterstuhl Platz genommen und die Füße mit den langspitzigen Schuhen auf ein Kissen gestellt. Sein Bart war ganz weiß geworden; die knochigen Finger zitterten, wenn sie eine Figur erhoben. Er sah schwermütig auf, als er Schritte vernahm. Sobald er Ostra erkannte, zuckte der Mundwinkel verdrießlich. »Was bringst du?« fragte er mürrisch. »Kam endlich Botschaft vom Spittler?«

Der Ritter verneigte sich tief. »Nein, gnädigster Herr.«

»Oder von Zinnenberg?«

»Ebensowenig.«

»Was stört Ihr uns also im Spiel«, fragte Tettau ärgerlich. Er zog einen Läufer. »Schach dem König!«

Der Hochmeister blickte mit müden Augen flüchtig über das Brett. »Ihr habt die Partie gewonnen.«

»Noch nicht, gnädiger Herr. Opfert den Turm.«

»Es ist eine Galgenfrist. Nein, nein! Ich habe meine Gedanken nicht beisammen gehabt. Oh –! Ich bin ein kranker Mann.« Er wendete sich wieder zu Ostra. »Sprich also.«

»Gnädigster Herr, ich hoffe mir Euren Dank verdient zu haben. Mir ist soeben ein guter Fang gelungen.«

»Den will ich dir nach seinem Wert lohnen, wie ich kann. Wer ist gefangen?«

»Jost vom Wege, Tilemans einziger Sohn.«

Der Hauptmann von Tettau sprang auf. »Jost vom Wege?«

Auch der Hochmeister sah ihn verwundert an.

»Wie ich sage, gnädigster Herr. Er hatte sich, als Schottenkrämer verkleidet, mit einer Bauerndirne hier eingeschlichen –«

»Um zu kundschaften«, unterbrach Tettau.

»Vielleicht in noch sträflicherer Absicht. Meines gnädigsten Herrn teures Leben –«

»Oh, das nicht, das nicht«, wehrte Erlichshausen ab. »So verrucht ist auch unser verbittertster Gegner nicht. Und er ...«

»Diesen meineidigen Schurken ist nicht zu trauen«, meinte Ostra. »Sie wissen Ew. Gnaden wieder an der Weichsel und fürchten, daß ihnen das Ränkespiel gründlich verdorben werden könnte. Da scheuen sie vor solchem Mittel nicht zurück, durch einen Dolchstoß Euch in Eurem Siegeslauf niederzuwerfen.«

»Nein, nein! Tilemans Sohn ...! Es wäre zu furchtbar.«

»Wie dem nun sei, ich hoffe durch meine Wachsamkeit großes Unheil abgewendet zu haben.«

»Laßt den Buben auf der Stelle hängen!« rief Tettau.

»Laßt ihn hängen!« wiederholten die andern Hauptleute, die auf das laute Gespräch eingetreten waren.

»Keine übereilte Tat!« wendete der Hochmeister erschreckt ein. »Tilemans Sohn! Das hieße Rache nehmen um einen teuren Preis. Nie mehr könnten wir unsere Gegner versöhnen. Bedenkt, ihr Herren, daß wir den Frieden erstreben. Die Gefahr ist abgewendet, der Spion unschädlich gemacht ...«

Es wurden erregte Worte hin und her gewechselt. »Gestattet mir einen Vorschlag, gnädigster Herr«, sagte Ostra endlich, als er merkte, daß der Hochmeister zu einem Befehl nach dem Rat der Hauptleute nicht zu vermögen sein würde. »Der Bube mag den schnellsten Tod verdient haben. Was kann es uns nützen, daß wir dem tausendköpfigen Drachen einen Kopf abhacken, und nicht einmal den gefährlichsten? Der Gefangene ist uns mehr wert. Nicht er – sein Vater ist der mächtige Mann, der den Bund nach seinem Willen lenkt, dessen Rat selbst der König von Polen nicht unbeachtet lassen darf. Er möge erfahren, daß sein Sohn als Kundschafter gefangen ist und am Galgen steht. Wir bestimmen das Lösegeld.«

»Aber nicht unerschwinglich hoch.«

»Gewiß nicht, das wär' Torheit. Fordern wir für seinen Sohn – die Stadt Marienburg. Das liegt uns jetzt am nächsten.«

Der Hochmeister zog mit starkem Ruck die Finger der rechten Hand zusammen, die auf dem Schachtisch lag. Die Augenbrauen hoben sich. Aber die Spannung ging rasch vorüber. Ein ungläubiges Lächeln flog über das bleiche Gesicht und blieb im Mundwinkel hängen. »Den Preis kann er nicht zahlen«, sagte er.

»Weshalb nicht?« fragte Ostra. »Wir fordern nicht das Schloß, das erobert sein will. Die Stadt gehört dem Orden; sie wehrt sich gegen den Bund. Tileman hat sie nicht herauszugeben – nur freizulassen, nur nicht weiter zu bedrängen. Das zu bewirken, steht vielleicht doch in seiner Macht. Die Belagerung darf nur lässig betrieben, nach einiger Zeit als aussichtslos eingestellt werden.«

»Man könnt's so an ihn bringen«, meinte Erlichshausen wenig zuversichtlich, aber doch nicht mehr abweisend. »Und wenn's dort zum Schlimmsten kommen sollte, was Gott verhüte ... Ich muß für meine treuen Anhänger sorgen – Blume und seine Kumpane. Wenn ihnen ein Haar gekrümmt werden sollte ...«

»So büßt dafür Jost vom Wege mit dem Leben«, vollendete Ostra die Drohung, die dem Hochmeister schwer schien über die Lippen gehen zu wollen.

Der hohe Herr nickte schwermütig.

»So gibt Ew. Gnaden mir Vollmacht, zu handeln?«

»Ja ... Doch daß ich mir die letzte Entscheidung über den Gefangenen vorbehalte. Vergiß es nicht, Bruder Ostra. Mein Schreiber soll dir helfen. Und wenn du's klug durchführst – sollst du unseres Ordens Komtur werden. Schon jetzt ernenn ich dich zu meinem Hauskomtur in Marienwerder – vorbehaltlich des Kapitels Zustimmung. Ich will's mit dem Spittler bereden.«

Ostra verneigte sich befriedigt und küßte des Meisters Hand. Dann trat er zum Schreiber und gab ihm Anweisung. Der Brief sollte sofort aufgesetzt, mit dem hochmeisterlichen Handsiegel beglaubigt und durch einen Eilboten abgesendet werden.

Darauf begab er sich durch die Mauerpforte nach dem Friedhof am Dom. Dort wohnte in einem kleinen Häuschen der Totengräber. Sein Weib verrichtete mancherlei Dienste im Schloß und war Ostra als eine schweigsame Person bekannt. Es hing von ihm ab, wie er die Alte beschäftigen und lohnen wollte. Das wußte sie, und sie zeigte sich ihm deshalb ganz ergeben. Ihr vertraute er sich an. Er habe ein junges Fräulein im Schloß, sagte er ihr, wovon niemand wissen dürfe. Es sei vorläufig im Wachtzimmer auf dem Dansk einquartiert, bis der Hochmeister abziehen werde. Sie sollte für das Fräulein sorgen, daß es ihm an Aufwartung und guter Pflege nicht fehle. »Haltet aber das Gemach verschlossen«, fügte er hinzu, indem er ihr den Schlüssel aushändigte, »und laßt Euch durch Geschrei und Bitten nicht etwa bewegen, das dumme Ding auszulassen, das etwas verdreht im Kopf und widerhaarig ist. Sprecht nur das Nötigste und laßt Euch auf keinerlei Verhandlung ein. Gibt's aber doch Lärm und fragt einer, dem Ihr nicht ausweichen könnt, wen Ihr da hütet, so antwortet, das sei die verdächtige Dirne, die mit Jost vom Wege gefangengenommen ist. So mag's dann auch der Herr Hochmeister erfahren, es liegt nichts daran.« Er steckte ihr einen Goldgulden in die Hand und klopfte ihr vertraulich die Schulter. –

Der Bote hatte große Mühe, in Thorn bei Tileman vom Wege vorgelassen zu werden. Der Ratsherr sei krank, hieß es in seinem Hause, und sehe niemand. Erst auf die Andeutung, daß es sich um seinen Sohn handle, wurde er von der Haushälterin in das Zimmer gefühlt, dessen Fenster verhängt waren und in dem der Kranke zusammengekrümmt auf seinem Schmerzenslager die ewig langen Tage und Nächte zubrachte. »Was ist's mit meinem Sohn?« fragte er mit ächzendem Laut. »Ich sah ihn lange nicht – er hat sich von mir abgewandt – ist in die Fremde gegangen – ich weiß nicht wohin. Erinnert er sich endlich – seines alten Vaters? Will er vor seinem Tode ... Ach, ach! Er schafft mir bitteres Leid.«

»Euer Sohn ist in Marienwerder gefangen, edler Herr«, sagte der Bote.

»Gefangen –?« schrie Tileman auf und riß sich vom Kissen in die Höhe.

»Dieser Brief wird Euch nähere Auskunft geben.«

»Der Brief –! Er schreibt ihn?«

»Nein, der Herr Hochmeister, dessen Gefangener er in der Burg Marienwerder ist.«

»Ludwig von Erlichshausen? Mein Todfeind?«

»Mein gnädigster Herr.«

»O dann ...« Der Kopf sank ihm zurück.

»Lest den Brief und gebt mir Antwort.«

»Kennt Ihr seinen Inhalt?«

»Nein. Nur daß es sich um Euren Sohn handelt, weiß ich. Er hat sich in die Burg eingeschlichen und ist gefangen. Ich soll's Euch sagen, damit Ihr des Briefes wegen Vorsicht beobachtet. Er geht nur Euch an.«

»Des Hochmeisters Brief ...« Der Kranke stöhnte leise und warf sich dann unruhig auf dem Lager hin und her, oft mit der knochigen Hand nach der Stirn greifend, auf der die Schweißtropfen perlten.

»Wollt Ihr mir den Brief abnehmen, edler Herr?« fragte der Bote nach einer Weile.

»Nein!« rief Tileman. »Ich empfange nicht heimliche Briefe vom Feinde.«

»Aber bedenkt –«

»Es ist nichts zu bedenken. Mein Sohn ... Und wenn der Gefangene mein Sohn ist – ich will keine Heimlichkeiten haben. Schickt nach Rutger von Birken, dem Bürgermeister. Er soll herkommen mit zwei Ratsherren und den Brief lesen.«

»Ihr solltet doch erst sehen –«

»Gehorcht! Das ist ein Bubenstück, ich weiß es. Was von da herkommt ... Ich will sicher gehen. Hab' ich so lange in Ehren ... Gehorcht! Weil's mein Sohn ist, glaubt er ... Aber gerade weil's mein Sohn ist –! Nein! Beruft den Bürgermeister. Des Herrn Hochmeisters Brief kann nur den Rat angehen.«

Man mußte ihm den Willen tun. Während der Bote nach dem Rathaus ging, ließ Tileman sich anziehen, einen Pelzrock überwerfen und auf einen Lehnstuhl leiten. Er ächzte vor Schmerzen, aber er überwand sie. Er ließ den Vorhang vom Fenster ein wenig heben. Nun das Licht auf sein Gesicht fiel, zeigte sich erst die Verwüstung in ihrer ganzen Schreckbarkeit. Wie vergilbtes Pergament lag die Haut über der eckigen Stirn. Weit die Schläfen hinauf war das Haar ausgefallen, nur zwischen ihnen ein struppiger Büschel stehengeblieben. Unter den Backenknochen höhlte sich die Wange. Der Mund war schief gezogen, der lange nicht geschorene Bart umgab in ungleichen Zotteln das Kinn, das fortwährend schmerzlich zuckte. Die gekrümmten Hände zitterten. Er lehnte den Kopf zurück und atmete kurz und hastig.

Die Herren hatten einen kurzen Gang über den Marktplatz. Rutger von Birken begrüßte den alten Freund mit Herzlichkeit. »Macht's kurz, liebe Gevattern«, bat Tileman keuchend. »Ich kann euch nicht lange zu Diensten sein. Was schreibt der Herr Hochmeister meines Sohnes wegen?«

»Lest zunächst selbst den Brief«, antwortete der Bürgermeister. »Wir wissen es Euch Dank genug, daß Ihr uns zugezogen habt. Wollt Ihr hinterher unsere Meinung erfahren, so soll sie Euch nicht vorenthalten werden, und gedenken wir Euch freundschaftlich zu raten.«

Wahrend Tileman das Siegel löste und das Band entfernte, fuhr er fort: »Es nimmt uns wunder, daß Jost vom Herrn Hochmeister gefangen sein soll, da uns doch vor kurzem vom Schloß Marienburg Nachricht kam, er sei in der Stadt gesehen worden und hätte mit den Bürgern oder mit Trotzlers Söldnern gekämpft. Wäre das die Wahrheit, so müßte man eher glauben, der Herr Hochmeister sei ihm zu Dank verpflichtet. Daß er sein Gefangener sein soll –«

»Er ist's«, rief Tileman. Die Hand, die das Blatt hielt, sank ihm auf den Schoß.

»Und man will ihn henken, wenn ich nicht ... Oh! Das ist eine Verruchtheit schlimmster Art. Mein Sohn – mein Sohn! Lest, was man mir zumutet – lest! Ich bin ein unglücklicher Mann und Vater. Aber lest! Was da steht, ist mir keine Schande. Ihnen aber ... Ich bitt' euch, lest!«

»So ist's ein Irrtum gewesen, wie ich gleich vermutete«, sagte Birken. »Wie hätt' Euer Jost sich so weit verirren können, mit unsern Feinden ...« Er überflog das Schreiben und gab seine Entrüstung in Lauten und Zeichen des Unwillens zu erkennen. »Das hattet Ihr nicht verdient«, rief er.

»Sie wissen, daß ich nur den einen Sohn habe«, jammerte Tileman, »meine ganze Hoffnung einst, meines Herzens einzige Freude. Aber daß ich seinetwegen ein Verräter an meinem Lande werden könnte ...! Es ist gut, ihr Herren, es ist gut. Ihr seid unterrichtet. Seht euch nun vor, daß ich nicht die Stadt schädige, mein Fleisch und Blut loszukaufen. Seht euch vor!«

»Wir kennen Euch auch ohnedies gut genug«, antwortete der Bürgermeister, und seine Kumpane stimmten laut zu. »Dieser neuen Probe Eurer redlichen Gesinnung gegen die Stadt hätt' es wahrlich nicht bedurft. Aber wir danken Euch und hoffen, der Herr Hochmeister werde so grimmig nicht verfahren, als er sich hier den Anschein gibt. Das wär' gemeine Rache, nicht Gerechtigkeit. So liederlich kann er seinen Namen nicht für ewige Zeit verunglimpfen wollen.«

Tileman seufzte aus tiefster Brust. »Und wenn es ihm nun nach Rache gelüstete? Rache um Rache! Ah –! Was wißt ihr ...? All unser Tun – was ist das? Wie es sich vor der Welt darstellt, ist es groß oder klein, lächerlich oder erhaben, und so wird's eingezeichnet in die Chroniken. Wer die geheimen Triebfedern kennte ... Lassen wir das! Ich bin gefaßt auf alles.«

»Wollt Ihr gestatten, daß der Rat dem Herrn Hochmeister für Euch antwortet?« fragte Rutger von Birken mitleidig.

»Was wollt ihr antworten?« rief Tileman. »Daß ihr Marienburg preisgeben wollt für meines Sohnes Leben?«

»Nein. Aber die Stadt Thorn kann ein Lösegeld bieten –«

»Ein Lösegeld! Ja, wenn's damit getan wäre! Bietet mein ganzes Vermögen – nichts ausgenommen. Ich will die Stadt um eine Stelle im Hospital bitten, meine letzten Tage da zu verbringen, und hinterher um ein Armenbegräbnis. Aber es ist nicht einmal genug, die Habgier zu reizen. Viele sind reich geworden durch diesen Wandel der Dinge, zu denen ich geholfen habe – ich aber arm. Auch die über mich den Stab brechen, müssen mir nachsagen, daß ich mir keinen Lohn genommen!«

Der Bürgermeister legte ihm die Hand auf die Schulter. »Wie sprecht Ihr so?« sagte er vorwurfsvoll. »Habt Ihr's nötig, uns zu erinnern, daß Ihr allezeit reichlich von dem Eurigen gegeben und nichts zu Eurer Entschädigung genommen habt? Die Stadt Thorn ist hoch in Eurer Schuld. Jetzt hat sie vielleicht Gelegenheit, einen Teil davon abzutragen. Deshalb eben biet' ich Euch ihre Vermittlung an. Was in unsern Kräften steht, Euren Sohn zu lösen –«

»Was in euren Kräften steht –« fiel Tileman ein, »ja, ja! Darüber kann niemand. Ich darf euch nicht bitten, liebe Herren: laßt's sein! Wenn ich selbst gefangen wär', lieber die Zunge wollt ich mir abbeißen, als euch anrufen: kauft mich los. Aber mein Sohn ... Wir leben nicht mehr in der Römer Zeiten. Unmenschliches soll niemand sich zumuten. Tut deshalb, was euch gut dünkt. Ich fürchte, die Stadt legt umsonst meiner Habe ein Gebot zu. Rache – Rache ... und Vergeltung ...«

Seine Sprache wurde unverständlich, der Kopf fiel auf die Brust, der ganze Körper sank im Stuhl zusammen. Sie richteten ihn aus seiner Ohnmacht auf und trugen ihn aufs Bett. Dann übergaben sie ihn der Hauswirtin.

Sofort wurde eine Ratssitzung gehalten. Jost war unbeliebt. Mancher äußerte sich, es sei unerklärlich, wie er nach Marienwerder gekommen sei und was er dort gewollt habe, wenn es ihm doch an Mannschaft fehlte, sich der Burg und des Hochmeisters zu bemächtigen. Auch die Gerüchte wurden wieder erwähnt, daß er in Marienburg mitgefochten habe. Doch beschloß man, sich zu Ehren Tilemans der Sache nachdrücklich anzunehmen.

So erhielt denn der Bote das Ratsschreiben auf den Rückweg mit.

Zugleich ging ein Schreiben an Ulrich Czerwonka ab. Er solle, wenn es irgend in seiner Macht stehe, die Stadt Marienburg zum Gehorsam zurückbringen, bevor der König ins Land käme. Thorns Dank könnte ihm dafür gewiß sein. Auch ließ der Rat einfließen, daß Jost vom Wege gefangengenommen sei. Käm's ihm von anderer Seite zu Ohren, so solle er sich nicht beirren lassen. »Wegen des Lösegeldes unterhandeln wir selbst.«


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