Ernst Wichert
Der Bürgermeister von Thorn
Ernst Wichert

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Elftes Kapitel

Der Kaiser soll sprechen

Eines Tages noch ziemlich in der Frühe, als Tileman vom Wege in seiner Kontorstube saß und einen Handelsbericht überrechnete, der ihm von Brügge aus geschickt worden war, wurde ihm gemeldet, daß der Bürgermeister von Danzig, Herr Wilhelm Jordan, in der Nacht eingetroffen sei und ihn vorerst zu sprechen wünsche, ehe er aufs Rathaus gehe. Tileman kannte ihn als einen bedächtigen, zuverlässigen Anhänger des Bundes und erklärte sich sofort bereit, ihn zu empfangen oder ihm selbst den Besuch abzustatten, wenn der wohledle Herr sich nicht bemühen wolle. Er konnte sehr höflich sein, wenn er es seinen Zwecken dienlich glaubte.

Jordan folgte dem Boten auf dem Fuße. Er war ein Mann etwa in dem Alter des Thorner Ratsherrn, groß und knochig gebaut, bartlos, aber durch kräftige Augenbrauen und reichliches Haupthaar ausgezeichnet. Das Gesicht mit der starken Hakennase und dem breiten, scharfkantigen Kinn schien wie aus Eisen geschnitten. Er hatte den Danzigern schon gute Dienste getan als Abgesandter nach Lübeck und Stockholm, auch als Hauptmann ihre Schiffe geführt. Es mußte etwas zu bedeuten haben, daß er selbst jetzt nach Thorn kam, mit Tileman vom Wege Rat zu Pflegen.

Mit festen Schritten ging er durch das Zimmer Tileman entgegen, der sogleich aufgestanden war. Wie die beiden Männer einander die Hand schüttelten, wußten sie, daß sie in gutem Einverständnis waren. Danzig und Thorn selbst begrüßten sich so. Tileman bot ihm den Ehrenplatz im großen Lehnsessel. »Willkommen, Herr Wilhelm Jordan«, rief er, »willkommen. Ihr kommt recht zum Frühtrunk und sollt das Beste haben, das mein Keller für so liebe Gäste bereithält.«

Er wollte nach der Tür gehen und seine Befehle erteilen. Aber der lange Arm und die knochige Hand des Gastes hielten ihn zurück. »Laßt, laßt«, hinderte derselbe, »ich habe erst eben meine Biersuppe gegessen, da ich nach der Reise ungewöhnlich lange schlief. Auch fragt sich's, ob das, was ich bringe, eines guten Trunkes wert ist. Könnt' Euch am Ende gar den besten Wein in Essig verwandeln« »Sprecht«, sagte Tileman, »ich will auf nichts Gutes gefaßt sein.« Der Danziger Bürgermeister löste den Riemen von der Tasche, die er am Gürtel trug, und zog einen Umschlag heraus, in dem sich ein doppelt zusammengefaltetes Schreiben mit großen Siegeln befand. »Der römische König hat gesprochen«, bemerkte er, es vorsichtig entfaltend.

Tileman griff danach. »Der römische König –?«

»An den Rat der rechten Stadt Danzig, des preußischen Bundes Haupt, und die anderen Verbündeten in Preußen. Da sehet nun, wie gut der Legat sein Versprechen gehalten hat. Wahrlich, groß war seine Freude über des Landes friedliches Einvernehmen mit dem Orden! Er segnet uns den Frieden, den er nicht mit des Bundes Vernichtung zustande gebracht. Wie er dem Heiligen Vater über den Ausgleich berichtet hat, wissen wir nur zu gut. Doch dies mag so seines geistlichen Amtes sein, und haben wir uns dessen nicht anders versehen. Daß er aber Fürsten und Städte im Reich gegen uns aufhetzt, wie ihre Abmahnungen beweisen, ist ihm noch nicht genug. Der schlaue Fuchs weiß, wie er uns besser treffen kann. Er verbündet sich mit dem blutgierigen Wolf, dem Venningen, der uns gern schon längst mit Haut und Haar gefressen hätte, und bringt mit seinem Geleitbrief die heimtückische Klage gleich vor des Königs Stuhl. Man hört uns nicht und verdammt uns. Da steht's geschrieben und besiegelt.«

Nur mit halbem Ohr hatte Tileman zugehört. Er war in das kaiserliche Schreiben vertieft und zog den Mund schief, bald spöttisch lächelnd, bald die Lippen zusammenkneifend. Da stand freilich mit dürren Worten des Kaisers Gebot, den Bund schlechterdings abzutun, ihren Streit beizulegen und dem Orden Gehorsam zu leisten, anderfalls es nötig sein werde, wider sie nach Reichsrechten zu verfahren. »Ja, ja«, sagte Tileman bitter, »man hört uns nicht und verdammt uns. Die Buben haben ihre Zeit gut gewählt zu des Königs Romfahrt. Für die Kaiserkrone aus des Papstes Hand ist dies eine gar geringe Gefälligkeit. Aber nur zu, nur zu! Häuft das Maß, bis es übergeht. Es soll euch wohl bekommen.«

Diese Exklamationen waren nicht nach Jordans Geschmack. »Was soll jetzt geschehen?« fragte er. »Wir können dieses kaiserliche Schreiben unmöglich unterdrücken. Versuchten wir's, so würde von der anderen Seite bald dafür gesorgt sein, daß es jeder Bauer und Kleinkrämer auswendig wüßte. Denn daß dem Herrn Hochmeister Abschrift davon gegeben, dürfen wir für gewiß halten. Ein großer Teil der Bundesverwandten wird aber schon gar schwierig. Des Papstes Drohung mit Bann und Interdikt, der Kurfürsten und anderer Herren Mahnschreiben zur Unterwerfung hat ihren Eifer sehr gekühlt. Die kleinen Städte, wennschon sie uns laut noch ihre Treue verkünden, überlegen doch im stillen, auf welcher Seite die größere Macht ist, und werden an uns irre. Was aber am bedenklichsten: auch Ritter und Knechte des Landes kommen ins Schwanken, beschuldigen uns arger Ränke und ziehen ihre Siegel zurück. Das hat guten Grund, weil Hans von Baisen ein verstecktes Spiel spielt und Hans von Czegenberg kürzlich sein Partner geworden ist. Helfe mir Gott, ich halte sie für Erzschelme, die den Mantel nach dem Winde tragen und heimlich für des Ordens Sache arbeiten, unter dem Vorwand, Frieden stiften zu wollen. Wird nun Kaiser Friedrichs Schreiben bekannt, so sehe ich schon, wie sie die Köpfe ducken, die jetzt noch aufrecht gerichtet sind. Leicht kann's so geschehen, daß die großen Städte mit den Eidechsen allein bleiben.«

»Das wäre das schlimmste noch nicht«, rief Tileman, die Faust auf des Kaisers Brief setzend. »Wir haben einen großen Anhang, aber er lähmt uns mehr, als er uns kräftigt. Es ist überall schwer, viel Köpfe unter einen Hut zu bringen, aber hier in Preußen am meisten; dahin sind aus allen Reichslanden vor ein- und zweihundert Jahren die Allerhärtesten zusammengekommen, und das wirkt noch nach. Da müssen wenige den Zügel fest in der Hand haben und beständig die Sporen einsetzen, wenn das Rößlein scharf geradeaus aufs Ziel gehen soll. Die großen Städte und die Eidechsen – die wissen wenigstens, was sie wollen. Entledigt sie aller Rücksicht auf die schwächeren Genossen, und sie werden nicht lange im Zweifel sein, welchen Weg sie einzuschlagen haben.«

Jordan legte das Kinn in die Hand und sah ihn von unten her mit einem forschenden Blick an. »Und kennt Ihr selbst den Weg?« fragte er.

Der Thorner wich ihm nicht aus. Aber er saß eine Weile schweigend und überlegend, zugleich den Mann musternd, den er sich gegenüber hatte. Bald blitzten seine Augen, bald schien ihr Feuer erloschen oder eine Schirmwand vorgezogen. Endlich faßte er seine Hand und sagte: »Darf ich Euch in allem vertrauen?«

»Ihr dürft's«, antwortete der Bürgermeister zuversichtlich. »Was mir nicht gefällt, das will ich nicht gehört haben.«

»Gut denn! So sag' ich Euch meine Meinung unverhohlen. Ich hab' mich vor kurzem selbst in den Eidechsenbund aufnehmen lassen, um stets alle seine Geheimnisse zu wissen und jederzeit mit im Rat zu sein. Da täuscht sich niemand mehr, daß wir mit dem Orden gute Eintracht halten und unser Recht bewahren können. Sondern wie zwei Ringer stehen wir, die einander mit den Augen messen, ob sich einer eine Blöße gebe, daß der andere zuspringe und ihn niederwerfe. Der Orden kann uns nicht gerecht werden: er muß herrschen oder untergehen. Es ist eine Kluft zwischen uns, die kann kein guter Wille hüben und drüben füllen. Aber denen, die den Tag der Entscheidung hinausschieben wollen, scheint's nützlich, Sparren darüber zu legen und Reisig darauf zu werfen, daß man sie nicht sehe. Eitle Mühe! Die Brücke trägt kaum die Leisetreter hier und dort. Der Weg führt nicht da hinüber, sondern seitab. Nur eins kann uns helfen: daß wir uns Polen in die Arme werfen!«

Jordan zuckte mit den Wimpern und Mundwinkeln. Da war das Wort ausgesprochen, das so viele in Gedanken hatten und doch sorglich hüteten. Ein gefährliches Wort! Es erschreckte ihn nicht, aber es verursachte ihm eine unangenehme Empfindung. Sie drückte sich selbst auf seinem eisernen Gesicht aus. Unwillkürlich sah er sich nach der Tür um, ob sie fest geschlossen sei. Seine Finger spielten unruhig auf der Tischplatte. »Es kann sein, daß Ihr schließlich recht behaltet«, sagte er verdrießlich, »aber es ist noch nicht an der Zeit, Euch recht zu geben. Wenn die Eidechsen sich so kampfmutig zeigen – ich zweifle, daß die großen Städte gesonnen sind, für die Rüstung zu sorgen. Noch ist nicht das letzte versucht, den Frieden zu bewahren. Der Kaiser hat gesprochen, ohne uns gehört zu haben. Er soll uns hören!«

»Und glaubt Ihr, er wird dann anders sprechen? Erklärt nicht der Papst der Kirche Recht für verletzt? Und zittern nicht die Kurfürsten und Fürsten und alle Herrlein, es könnten auch bei ihnen die Untertanen einen Bund eingehen gegen Gewalt? Hätten wir auch noch mehr Klagen und Beschwerden, Kaiserliche Majestät wird ihr Ohr verschließen, weil sie's nach der andern Seite allzusehr offen haben muß. Wenn wir tun wollten, was doch nicht ungetan bleiben darf, wir kämen rascher und sicherer zum Ziel. Aber wir kennen unsere Leute, und darum stimm' ich Euch trotzdem zu: der Rechtsgang ist unvermeidlich. Der Kaiser muß als Schiedsrichter sprechen zwischen dem Lande und dem Orden. Wie sein Spruch fällt, der eine oder andere Teil wird ihn nicht als gerecht annehmen. Und darum können wir ihn nicht entbehren.«

Der Danziger Bürgermeister nickte. »Und wird der Bund sich entschließen, den Kaiser anzurufen? Nach diesem Schreiben ...«

»Es soll uns dazu nützen. Nicht demütig wollen wir's hinnehmen, sondern mit einem Schrei des Unwillens über unserer Gegner hinterlistige Machenschaft. Der Kaiser ist hintergangen, belogen! Da steckt wieder kein anderer dahinter als der Ermländer Bischof, der saubere Prälat! Und wäre der Orden unschuldig an diesem kaiserlichen Verbot. Heimlich hat er uns angeklagt und verschwärzt, da er doch dem Legaten öffentlich bezeugt hat, es sei fürder kein Streit zwischen uns und alles in guter Eintracht verglichen. So bringen wir's vor die nächste Tagfahrt und setzen sie uns selbst, wenn der Hochmeister widerstrebt. Es wird großer Lärm sein über solche Ungerechtigkeit. Dann bringen wir des Kaisers Brief vor ihn selbst und seinen Orden mit solchem Begehren, daß er sich verantworte oder uns schütze gegen so boshafte und heimtückische Anklage. Weigert er's, so wissen wir gesamt, woran wir sind. Dann wird nicht ein einziger von den Bundesverwandten raten, Kaiser Friedrich unbeschickt zu lassen. Was aber einmütiglich beschlossen ist, das wird auch einmütiglich durchgeführt werden müssen.«

»Ihr habt meine ganze Zustimmung«, erklärte Jordan. »Bringen wir die Sache vor den Kaiser. Ich hoffe, daß er uns ein gerechter Richter sein wird, wie unsere Sache gerecht ist.«

Tileman zog eine Grimasse des Zweifels. »Wir halten sie dafür, also ist sie's«, sagte er. »Des Kaisers Gerechtigkeit in Ehren. Aber Ihr kennt unserer Bauern Sprichwort: Wer god schmärt, der god fährt. Es soll sich auch in der Wiener Hofburg bewähren. Darum muß noch viel mehr geschehen, als ich vorhin geraten. Wie der Kaiser auf des einen Teils Anbringen den Bund verdammt hat, so kann er wohl auch auf des andern Teils überzeugendes Vorstellen« – er machte die Gebärde des Geldzählens aus der rechten Hand in die linke – »vorläufig zu einem anderen Schluß kommen und einseitig den Bund anerkennen. Ob er's dann auch mit gewundenen und gar zweideutigen Worten tue, soll's uns nicht verdrießen. Das wichtigste ist, daß wir den Unsern ein Dokument mit kaiserlicher Unterschrift und Siegel vorlegen können, daraus sie neuen Mut schöpfen. Deshalb öffnet den Beutel, ihr Danziger, und gebt mit vollen Händen. Es bringt sich euch zehnfach wieder ein.«

Der Bürgermeister zog sauer lächelnd ein wenig die Schulter auf. »Ihr Thorner habt das Stapelrecht und möchtet zuerst an die Reihe kommen.«

»Es ist lange nicht so einträglich als Euer Seegeschäft und will täglich gegen Beeinträchtigung der Neider gehütet sein. Aber ich will gern für Thorn einstehen, daß es nach Kräften beitrage, und mich auch bei Elbing, Braunsberg und Königsberg um eine stattliche Beihilfe bemühen. Jetzt gilt's, nicht kläglich abzuwägen, ob ein Schock Groschen unnütz ausgeworfen sei und hätte gespart werden können. Die Freiheit, um die wir streiten, ist vieltausendfach mal mehr wert. Wollen wir des Kaisers Ohr haben, so müssen wir in seiner Kanzlei die Goldstücke lieblich klingen lassen. Ich kenne der Welt Lauf.«

»Ist es nicht aber billig, lieber Gevatter, daß der ganze Bund trage, was zu seinem Nutzen verwandt wird? Ich fürchte, man ist in den großen Städten bedenklich, solche Last allein auf sich zu nehmen – schon damit kein Präjudiz für künftige Fälle geschaffen werde.« Tileman schlug auf den Tisch. »Zum Teufel mit solcher Vorsicht; sie macht uns die Beine lahm, ehe wir noch den ersten Schritt getan haben. Ist einer so voll Einfalt, nicht zu wissen, daß ein solcher Rechtshandel Geld kostet, viel Geld? Sagen die von den kleinen Städten und vom Lande also ja, so gestehen sie zugleich auch die Kosten zu. Sie werden künftig verteilt und ohne Murren getragen werden. Oder auch mit Murren, was uns doch nicht beschwert. Kommen wir ihnen aber jetzt wie der Küster mit dem Klingelbeutel vor der Predigt, so werden wir lauter verdrießliche Gesichter sehen und wohl gar hören müssen, wir sollen's in Wien bleiben lassen, überhaupt mein' ich, paßt sich eine solche heimliche Sache nicht zur Beratung in corpore. Viel Köpfe, viel Sinne! Wir wollen's ihnen klarmachen, daß sie viel Zeit und Geld verderben, wenn sie überall zugezogen sein wollen, und daß sie gut tun, einen engeren Rat zu wählen, zu dem sie Vertrauen haben. Es ist nicht zweifelhaft, auf wen die Wahl fällt, dann haben wir freie Hand und doch den Haufen hinter uns.«

»Da trefft Ihr das Rechte«, rief Jordan erfreut. »Ja, ja, ein engerer Rat ist dem Bunde vonnöten. Ich stehe gut dafür, daß man auf solche Bedingungen in Danzig alles bewilligt, was wir fordern.«

»Und zu dem engeren Rat gehört noch ein engster«, sagte Tileman, listig mit den Augen blinzelnd. »In dem haben Danzig und Thorn und einige von den Eidechsen, auf die voll Verlaß ist, Sitz und Stimme. Er ist nicht gewählt und nicht bestätigt. Aber er ist da als eine Macht, die durch sich selbst gilt. Schlagt ein, Herr Wilhelm Jordan! Und wenn es Euch genehm ist – es halten sich gerade zwei von den Eidechsen in der Stadt auf, an die zu denken wäre: Herr Augustin von der Schewe und Herr Gabriel von Baisen, des lahmen Hansens Bruder. Ich will sie in mein Haus berufen. Sind wir einig über das, was geschehen muß, so wird's geschehen.«

Der Danziger gab nach einigem überlegen seine Genehmigung. Er fühlte, daß ihn Tileman weiter fortzog, als er hatte gehen wollen. Aber die stille Befürchtung, daß man andernfalls auch ohne ihn einen Beschluß fassen würde, nötigte ihn halb wider Willen zu folgen. Während der Hausherr nach der Herberge der Eidechsenritter schickte und zugleich den Imbiß bestellte, schritt er im Zimmer auf und ab. Der Kopf war ihm heiß. »Er ist der rechte Mann zur Tat«, murmelte er.

Als Tileman zurückkam, brachte Jordan das Gespräch auf seinen Sohn. »Ist's denn wahr, was man erzählt?« fragte er. »Die Marienburger verbreiten gar wunderliche Gerüchte. Er soll ganz und gar den Verstand verloren haben.«

»Den hat er verloren, als er nach Marienburg zur Freischaft ging«, antwortete Tileman, gezwungen lachend. »Mit meiner Einwilligung ist's freilich geschehen, aber daß es so kommen würde über kurz oder lang, wußt' ich voraus. Nur daß sich so rasch die Vernunft wiederfinden würde, hat mich selbst überrascht. Er meinte, daß es ihm ans Leben gehe, wenn er Blumes hübsches Töchterlein nicht zur Frau erhielte. Je mehr ich dämmte, desto höher wuchs die Flut seiner leidenschaftlichen Bitten und Drohungen, bis zuletzt mein ganges Haus in Gefahr stand, umgerissen zu werden. Da ließ ich dem wilden Strom den Lauf. Wie er sich aber in die Niederung ausbreitete, war seine Gewalt bald von selbst gebrochen. Lahm und matt spülte er ans Ziel.«

Jordan schien diese Auskunft nicht befriedigend zu finden. »Es ist doch bedauerlich«, meinte er, »daß Bartholomäus Blume so gekränkt wurde. Sagt was Ihr wollt von ihm, aber für einen achtbaren Mann werdet Ihr ihn halten müssen. Nun erhebt sich ein Geschrei, daß wir unsere Gegner nicht mit ehrlichen Waffen bekämpfen, sondern boshaft verunglimpfen. Das ist nicht gut.«

»Das ist nicht gut«, wiederholte Tileman. »Aber macht mir keinen Vorwurf. Weil ich Blume für einen achtbaren Mann hielt, so gab ich meine Einwilligung zum Verlöbnis, wie schwer mir's auch ankam. Und weil ich ihn nicht gekränkt wissen wollte, so hab' ich Jost nach der Rückkehr ernstlich gemahnt, sein gegebenes Wort zu halten, wie gern ich ihn auch wieder frei sah. Aber es war mit ihm nichts zu richten. Er könne nicht, antwortete er, es möge geschehen, was da wolle, und dabei blieb er, trotz aller Vermahnungen. Es hat ihn selbst arg mitgenommen, so daß er wochenlang fieberte, wie ein Einsiedler hauste und wenig Nahrung zu sich nahm. So hab' ich's zuletzt für geraten erachtet, ihn eine Weile außer Landes zu schicken, damit er andere Gesichter sehe und eine Beschäftigung habe. Er sitzt jetzt in Brügge und besorgt den Einkauf flandrischer Tuche, die für den polnischen Hof bestimmt sind.«

»Was ist denn aber der Grund dieses plötzlichen Umschlagens«, fragte der Bürgermeister. »Man schwatzt darüber allerhand, dem ich doch geringen Glauben beimessen möchte. Bei Blume soll sich seit dem Winter ein junges Frauenzimmer aufgehalten haben, dessen rechte Herkunft niemand kennt. Es heißt, daß der Herr Hochmeister dabei seine Hand im Spiel gehabt, auch seitdem im Hause heimlich verkehrt und selbst öffentlich das sehr schöne Fräulein ausgezeichnet habe. Das soll nun gerade zu der Zeit verschwunden sein, da Euer Sohn –«

»Ich weiß davon nichts«, fiel Tileman barsch ein. »Im übrigen mag es sich wohl so verhalten. Herr Ludwig von Erlichshausen ist nie ein Heiliger gewesen. Es sollt' mich nicht wundern, wenn er's als Hochmeister so weiter triebe, wie er's als Ordensritter getrieben hat. Aber ich weiß auch davon nichts – will nichts wissen.«

Jordan schüttelte den Kopf. »Ihr vergeßt, daß es Barthel Blume ist, der das Fräulein beherbergte. Solchem Umgang hätt' er nie Vorschub geleistet. Eher war's glaublich, daß der Hochmeister sich einer alten Verpflichtung erinnert hätte... Die Herren vom schwarzen Kreuz haben manchmal – Nichten, für die sie ritterlich sorgen.«

»Es mag so sein oder nicht sein«, grinste Tileman, »was geht das Jost an?«

»Nichts für ungut, lieber Gevatter«, lenkte Jordan ein. »Man schildert das Fräulein als sehr absonderlich und behauptet, es hätte den bösen Blick. Schon mancher Bürgerssohn von Marienburg sei durch ihn ins Unglück gebracht worden. Nun habe auch Euer Jost an sich erfahren ... Aber man begreift ja, wie die Fabel entstanden ist. Laßt's Euch nicht anfechten.«

Tileman knurrte etwas Unverständliches in den Bart. Es ärgerte ihn, daß Wilhelm Jordan eine Art Verhör mit ihm anstellte, vielleicht nicht einmal aus eigener Bewegung, sondern von seinen Kollegen im Danziger Rat angestiftet. Man kümmerte sich gern um des lieben Nächsten häusliche Angelegenheiten und übte Zensur. Er hatte dem Sohn, der von einer »schönen Teufelin« sprach, auf den Kopf gesagt: Wie ein Besessener handelst du und beträgst du dich! Er kannte Jost als leichtsinnig und dachte an irgendein galantes Abenteuer, das ihn von Magdalene abgezogen. Er forschte absichtlich nicht naher nach. Nun war zu seinem nicht geringen Verdruß etwas davon unter die Leute gekommen und nach solcher Gerüchte Art mit bunten Lappen behängt herumgetragen worden. Daß man den verhaßten Hochmeister hineinzog, ärgerte ihn noch am meisten: das Märchen konnte absichtlich so gewendet sein, um Jost verächtlich und ihn selbst lächerlich zu machen. Darum meinte er das Gerede gar nicht an sich kommen lassen zu dürfen. Je schroffer er den eisten Versuch abwies, desto nachdrücklicher verschaffte er sich für alle Zeit Ruhe. Es war gut, daß die beiden Eidechsenritter eintraten und dem Gespräch über diese verdrießlichen Dinge ein Ende machten. Tileman übernahm sogleich wieder die Führung, indem er des Kaisers Schreiben vorlas und den neuen Feldzugsplan entwickelte. Er fand bei diesen Gästen großen Beifall. »Er faßt den Stier bei den Hörnern«, sagte Gabriel von Baisen, sich im Sessel streckend und mit den großen klugen Augen dem Bürgermeister von Danzig zuwinkend, »so kann's gelingen, ihn zahm zu machen. Seid Ihr derselben Meinung? Wir müssen den Kaiser umzustimmen suchen, koste es, was es wolle. Und wenn's nicht gelingt, dann –« er schluckte den richtigen Schlußsatz herunter und ließ die Rede in ein frommes: »Dann helfe uns Gott« auslaufen.

Jordan nickte zustimmend. »Sollen wir euren Bruder Hans in den engeren Rat ziehen?« fragte er.

»Laßt ihn vorläufig aus«, antwortete Gabriel. »Ich will auf seine Redlichkeit schwören, so unvernünftig man ihn setzt auch verdächtigt. Aber es ist für ihn noch nicht die Zeit gekommen, sich offen auf unsere Seite zu stellen. Laßt ihn aus vorläufig, er ist uns jetzt noch nützlicher draußen.«

»Für Hans von Czegenberg möcht ich ebenso gutstehen«, sagte Augustin von der Schewe, den dicken Kopf aus den breiten Schultern hebend, »kenn' ich ihn doch von Kindesbeinen an und weiß, daß kein Falsch an ihm ist. Er mag bedenken, ob er nicht schon zu viel auf seine Kappe genommen habe. Wenn wir vorwärts gehen, wird er nicht zurückbleiben. Die Hauptsache ist, daß die großen Städte das Geld aufbringen, denn bei uns ist's immer knapp, wie Ihr wißt. Dafür wollen wir Ritter willig in erster Reihe stehen, wenn's doch einmal zum Schlagen kommen müßt'. Jeder nach seiner Fähigkeit, ihr Herren.«

Man einigte sich bald über alle Maßregeln. »Noch eins«, rief Tileman vom Wege, als man schon aufgestanden war, »und nicht das Geringste! Es wird Zeit, die Böcke von den Lämmern zu sondern. Deshalb muß die Losung ausgegeben werden: Freund oder Feind! Wer nicht für uns ist in diesen ernsten Zeitläuften, der ist wider uns. Und sollten die Hündischen auch allewege danach handeln und in all ihrem Tun und Lassen keine andere Rücksicht anerkennen als die eine, daß der Bund zu Kräften komme und bei Kräften bleibe. Es soll fortan keine Gemeinschaft sein zwischen denen im Bunde und denen außerhalb, weder im Handel und Wandel, noch im geselligen Verkehr. Sondern man soll ihnen überall Widerpart halten, kein Geschäft mit ihnen treiben, allen Umgang mit ihnen meiden, gehörten sie gleich zur nächsten Blutsverwandtschaft oder Freundschaft, und sie in ihrem Erwerb schädigen, so viel es geschehen kann ohne des offenbaren Landrechts Verletzung. Sprecht mir nicht von christlicher Duldung und Nächstenliebe. Stehen wir miteinander im Kampf, so mag auch des Kampfes Gesetz entscheiden. Wir mögen keinem aufspielen, der nicht mit uns tanzen will; die wir aber in die Ecke drücken, die sollen es auch spüren in allen Knochen und die Engel im Himmel singen hören.«

Es wurde nun bald mit aller Kraft die Lärmtrommel im ganzen Lande gerührt, als sei der Friede vom andern Teil schmählich gebrochen und der Bund aufs schändlichste beim Papst und Kaiser verleumdet. Tagfahrt folgte auf Tagfahrt, bald im engeren Kreise, bald von Ländern und Städten gesamt, meist mit Wechsel des Orts, damit hier- und dorthin keinem die Reise zu beschwerlich wurde. Die Ordensbeamten hatten nur immer aufzupassen, was in ihren Gebieten geschah, und nach Marienburg zu berichten. »Meineidige Schalke« schimpften die Bündischen die Ausgetretenen, jagten ihnen das Gesinde ab, verachteten ihre Siegel; und »bündische Hunde« tönte es von der anderen Seite zurück. Es wurde eine Deputation an den Hochmeister geschickt, er solle den Bund gegen den Kaiser vertreten. Das lehnte er ab und mahnte zum Gehorsam. Er meinte aus Seiner Majestät Schreiben zu erkennen, daß der Orden auswärts noch Freunde habe, die ihn schützen würden. Seinen Gebietigern war der Kamm gewachsen, jetzt dürfe man nur noch volle Unterwerfung annehmen. An dieser Nuß würden sich die Landesverräter die Zähne ausbeißen, meinten sie.

Den sechs Sendboten, die vom Tage zu Marienwerder zu ihm gekommen waren, sagte Erlichshausen: »Wir haben seit etlichen Jahren untereinander ohne Richter schriftlich und mündlich Klage und Antwort aufgenommen, sind aber dadurch nicht zu Ruhe und Frieden gekommen, denn was uns Recht dünkte, schien euch Unrecht. Niemand ist in eigener Sache unparteiischer Richter. Fasset also alle eure Klagen wider uns zusammen, wie wir desgleichen die wider euch. Wir wollen dann beide vor einen gebührlichen Richter treten. Was dieser als Recht ausspricht, wollen wir euch fest und unverbrüchlich halten.« Sie sollten den Richter selbst wählen. Aber den Bündischen schien's nun nicht geraten, sich einer solchen Entscheidung blindlings zu unterwerfen. Sie antworteten mit einer neuen heftigeren Beschwerde über die Bedrängnis und Verfolgung, die ihnen auf des Ordens Anlaß von Papst, Kaiser und Fürsten werde. Der Herr Hochmeister könne es ihnen nicht verdenken, wenn sie sich darüber an gebührenden Orten verantworteten. Sie schickten ihm diese Schrift recht despektierlich durch einen schlechten Boten zu. Nun wußte er, daß sie entschlossen waren, unter allen Umständen ihre Drohung wahr zu machen und beim Kaiser Klage zu führen. Es war nötig, ihnen an dieser hohen Stelle zuvorzukommen.

Wenn nur nicht des Treßlers Kasten ewig leer gewesen wäre. Eine Gesandtschaft an den Kaiser war kostspielig, und Erlichshausen wußte nur zu gut, daß Bestechung auf Bestechung gesetzt werden müßte. Des Ordens Mittel waren gänzlich erschöpft. Es wurde an die Komture und Vögte geschrieben, sie möchten aus ihren Kassen beisteuern, soviel sie irgend könnten, aber manchem von ihnen waren schon zwanzig oder dreißig Gulden zuviel. Der Ordensmarschall selbst, Herr Kilian von Exdorf, der sonst doch einer der Eifrigsten gegen den Bund war, entschuldigte sich, daß er sich schon gar nicht getraue, seine Amtleute zur Beihilfe aufzufordern: »sie möchten ihm alle ihre Ämter aufsagen.«

Endlich war eine notdürftige Summe aufgebracht. Sie nötigte zur äußersten Beschränkung. Der Hochmeister wählte den Vogt von Leipe, Herrn Georg von Eglofstein, zu seinem Botschafter und ermahnte ihn zur größten Sparsamkeit. Neben seinen Empfehlungsschreiben und Machtbriefen erhielt er aus dem Ordensarchiv wichtige Dokumente mit, aus ihnen die Ungerechtigkeit der Klagen des Bundes zu erweisen. »Gnädigster Herr«, sagte er beim Abschied, »gehen wir lieber gleich selbst zum Angriff vor. Gebet mir bestimmte Weisung, ob ich die Kaiserliche Majestät um einen Richterspruch angehen darf. Nicht anders bringen wir die Sache zum Ende.«

»Wir wollen uns dieser Notwendigkeit fügen, wiewohl mit schwerem Herzen«, entgegnete Erlichshausen. »Handelt, wir Ihr meint zu des Kaisers Gerechtigkeit Vertrauen haben zu können. Lasset aber, wenn's sein kann, ein Türlein offen, durch das wir schlüpfen mögen, wenn man uns wider Versehen hart bedrängt. Hütet Euch, offen anzuerkennen, der Kaiser sei von Rechts wegen unseres Ordens Richter, wiewohl er ihn jetzt dafür annimmt, damit wir nicht des römischen Stuhles Verdacht erregen. Ich sehe dort allein noch die Hand, die uns halten könnte, wenn uns der Kaiser wider Erwarten fallen lassen wollte.«

Eglofstein hatte an dieser gewundenen Erklärung wenig Gefallen. Er wäre gern geradeaus aufs Ziel losgegangen, da er von des Ordens Recht überzeugt war und den Gegner verachtete. Als er schon abgereist war, hielten die Gebietiger es für nützlich, ihm den Pfleger von Rastenburg, Herrn Wolfgang Sauer, nachzusenden, damit er ihn in seinen Bemühungen unterstütze, eigentlich aber beaufsichtige. Sie wollten doppelten Bericht haben, um sich danach entschließen zu können.


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