Ernst Wichert
Der Bürgermeister von Thorn
Ernst Wichert

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Vierzehntes Kapitel

Letzter Kampf

Am andern Tage war viel Unruhe im Schloß. In der Nacht hatten Boten schlimme Nachrichten gebracht. Der Spittler mußte seine Mannschaft teilen. Nur eine notdürftige Besatzung sollte zurückbleiben, die Reiterei dem Hochmeister das Geleit bis zu einem sichern Ort geben und dann wieder zu ihm stoßen. Er selbst mit dem Fußvolk wollte versuchen, die Verbindung mit Bernhard von Zinnenberg herzustellen. Vielleicht daß der Feind dann aufzuhalten wäre.

Jost, Marcus und Ursula waren zeitig aufgebrochen. Sie mußten eilen, die Straße nach Marienburg noch offen zu finden. Hinter Stuhm zeigte sich's aber bereits, daß sie zu spät gekommen waren. Das Landvolk floh mit seiner geringen Habe nach der Burg. Dorthin wurde das Vieh getrieben, das man auch in den Wäldern nicht mehr für gesichert hielt. Auf Fragen hieß es, ein großer Schwarm Polen und Tattern sei vor Marienburg gerückt und habe dort ein Lager aufgeschlagen. Niemand könne hinaus und hinein. In der Burg Stuhm sei allein noch Rettung zu hoffen.

Gleichwohl setzten die Wanderer ihren Weg fort. Marcus kannte Schleichpfade, auf denen sie nicht fürchten durften, dem Feinde zu begegnen. Aber in geringer Entfernung sahen sie hier und dort Reitertrupps vorüberziehen. Als sie eine halbe Stunde vor der Stadt auf eine Anhöhe am Fluß gelangten, konnte ihnen kein Zweifel bleiben, daß Marienburg von den Polen eingeschlossen sei. So schwand jede Hoffnung, sich unbemerkt durchzudringen und eines der Tore zu gewinnen. Vor diesen gerade lagerten die Haufen der Feinde am dichtesten. Gelang es wirklich, bei der Annäherung die Aufmerksamkeit der Wachen zu täuschen, so würden sie sicher dicht unter den Mauern von den Pfeilen der Bogenschützen erreicht, bevor sich die Zugbrücke gesenkt hatte.

Aber auch hier außen konnte ihres Bleibens nicht lange sein. Die schwarzhaarigen Tattern schwärmten auf ihren kleinen, flinken Pferden nach allen Richtungen über Feld. »Wir dürfen dem greulichen Volk nicht in die Hände fallen«, sagte Jost. »Für Ursula wäre das Schlimmste zu fürchten.«

Marcus stimmte zu. Sie legten sich ins Gras und berieten, was weiter zu tun. Man konnte zurück nach Stuhm; aber die Burg war sicher überfüllt. Ging man die Weichsel aufwärts, so mußte man den nachrückenden Polen begegnen; sollte doch ein großes Heer unterwegs sein. Erreichte man wirklich Thorn, so hatte Marcus Blume sofortige Gefangennahme zu gewärtigen, und auch für Jost war's bedenklich, sich jetzt in seiner Vaterstadt blicken zu lassen. »Wir müssen nach der andern Seite über Elbing hinauszukommen suchen«, meinte Ursula. »Ich wüßte wohl ein Obdach, das uns Sicherheit bieten könnte. Aber ich wag' es kaum zu nennen, da ihr euch so weit nicht werdet zurückziehen wollen.«

»Laß hören«, sagte Jost.

»Unsere Waldhütte ...«

»Hinter Heilsberg. Das ist freilich ein weiter Weg.«

»Und die Unsern bleiben in Sorge um uns«, setzte Marcus hinzu. »Könnt' ich nur meinem Vater eine Nachricht zugehen lassen.«

»Das ist jetzt doch unmöglich«, entgegnete Jost. »Jedenfalls hat Ursula recht, daß wir nur in jener Richtung den Weg offen haben. Versäumen wir nicht die Zeit. Vor Nacht noch müssen wir aus dem Bereich der Tattern sein.«

Sie brachen auf und gingen einige Stunden lang bis zur Dunkelheit. In einem Bauernhause fanden sie zur Nacht ein Unterkommen. Am andern Morgen sagte Just: »Ich hab' mir's überlegt. Das beste ist, wenn wir uns trennen.« Da er Marcus und Ursula bestürzt sah, fuhr er fort: »Fürchtet nichts, ihr beide sollt zusammenbleiben und die Reise ins Ermland fortsetzen. Ich betracht' euch als ein Paar, dem nur noch der Kirche Segen fehlt. Nachdem der Herr Hochmeister gesprochen hat, ist jedes Hindernis eurer Verbindung fortgeräumt. Deine Eltern sind einverstanden, Marcus, und unsere Mutter auch. Leicht werdet ihr einen Priester finden, der euch zusammengibt. Dann seid ihr Mann und Weib und möget euch in der Waldstätte einrichten, bis die Rückkehr nach Marienburg möglich ist. Wollt ihr?«

Marcus hielt Ursulas Hand. Sie wurde plötzlich heiß und feucht. Ihm schoß das Blut ins Gesicht. Mit fragenden Blicken sah er den Freund an, ob er den Vorschlag ernst nehmen dürfe, und dann wieder schien er zaghaft zu werden, wie ihn Ursula aufgenommen habe. Sie blickte überrascht zur Erde und setzte die kleinen Zähne auf die Lippen. »Nun, ihr närrisches Volk«, rief Jost lachend, »habt ihr Bedenken? Ich meint' euch gut zu raten. Freilich geht's nicht nach der Schnur. Aber die Umstände sind auch absonderlich. Wollt ihr euch lieber als ledige Leute im Lande umtreiben? Das dürft' ich als des Mädchens Bruder gar nicht zulassen. Daß ich aber Ursula begleite und Marcus zurückbleibt – ich denke, das wär' euch beiden nicht genehm.«

Ursula fiel Marcus um den Hals und legte den Kopf an seine Brust. »Nein, nein!« rief sie, »wir trennen uns nicht mehr.« Überglücklich preßte er sie an sich, ihr Mund und Hände mit Küssen bedeckend. »Mein Weib, mein geliebtes Weib!«

Dann ließ er sie plötzlich los. Sich zu Jost wendend, fragte er: »Und du?«

»Um mich sorgt nicht«, erwiderte der Junker. »Ich bleibe hier in der Nähe von Marienburg und passe eine günstige Zeit ab, hineinzuschlüpfen. Dem einzelnen ist's leicht, sich eine Weile versteckt zu halten und solche Gelegenheit zu benutzen. Auch hat's meinetwegen keine große Gefahr. Ich bin ja doch Tilemans vom Wege Sohn und werde so von den Polen behandelt werden, mögen sie nun wissen, daß ich für Marienburg gekämpft habe, oder nicht. Vielleicht kann ich mich gar mit ihrem Beistand in die Stadt einführen. Es ist nötig, daß man im Bürgermeisterhause und bei Frau Regina erfährt, wo ihr geblieben seid.«

Sie wollten es nicht zulassen, daß er ihretwegen sich in Not bringe. Aber er entgegnete lächelnd: »Um euch ist mir's auch am wenigsten zu tun. Seid ihr denn aber in eurem Glück ganz blind, daß ihr nicht merkt, einem andern könnt's auch ans Herz gehen? Mich zieht's nach Marienburg noch aus einem beweglicheren Grunde, als weil ich dem Herrn Hochmeister gegen seine Feinde nach meinen schwachen Kräften helfen will. So gern ich für die deutsche Sache eintrete, seinetwegen hätt' ich doch nicht die Waffen ergriffen gegen meines Vaters Partei. Und auch die Stadt hat mir's nicht angetan, so heldenmütig sie sich auch verteidigt. Ich mag mich nicht besser machen als ich bin, und nicht hochherziger. Es steht ein Stern über Marienburg, der leuchtet mir durch alle Finsternis, daß ich ihm folgen muß. Und auch zwei andere Augen, hoff' ich, schauen zu ihm auf sehnsüchtig und hoffnungsfreudig, daß er mir die rechte Leuchte sei. Er soll sie nicht täuschen. Nach Magdalene ist all mein Sinnen und Trachten. Für sie möcht' ich tausend Tode sterben, könnt' ich in ihren Armen zum ewigen Leben erwachen. Sollt' mir aber Gott das Zeitliche schenken, so will ich nicht verzweifeln, ihre Liebe wiederzugewinnen. Haltet mich deshalb nicht zurück!«

Marcus schüttelte ihm gerührt die Hand. »Du warst und bist geliebt«, sagte er ihm. »Du darfst mutig anfragen.«

»Das ist gewißlich wahr«, rief Ursula. »So viel Tränen Magdalene um dich geweint hat, Bruder, keine Betrübnis hat dein Bild aus ihrem treuen Herzen gelöscht. Gott gebe, daß du nicht lange zu zögern brauchtest, dein Wort zu lösen.«

Dann nahmen sie bewegten Abschied voneinander und zogen die Straße rechts und links. »Grüße mir Vater und Mutter«, rief Marcus – »Mutter und Vater«, rief Ursula, »und die zweite Mutter und Magdalene ...« Er hatte den Arm um ihre Schulter gelegt und so gingen sie, oft zurückschauend und winkend, bis Jost sie aus den Augen verlor.

Er wendete sich wieder Marienburg zu. Zwei Tage lang umkreiste er die Lager der Polen, die Nächte brachte er in der Nähe unter freiem Himmel zu, eine Gelegenheit abzupassen, durch die Wachen zu schlüpfen. Aber bis zum Graben konnte er nicht vordringen. Er sah auf den Tortürmen die Landsknechte Trotzlers und die Bürger und konnte ihnen doch kein Zeichen geben. Es wär' auch nutzlos gewesen. Seinetwegen durften sie keinen Ausfall gegen den überlegenen Feind wagen. Er erfuhr, daß die Hauptmasse des polnischen Heeres im Anrücken sei. Bernhard von Zinnenberg halte sie noch auf, und auch der Ordensspittler suchte ihr den Weg zu sperren. Der König bleibe vorläufig in Thorn, bis die Stadt erobert sei. Das könne nun nicht mehr lange dauern.

Am dritten Tage war eine ungewöhnliche Bewegung im polnischen Lager zu merken. Die Wachen wurden verstärkt, größere und kleinere Reiterhaufen nach allen Richtungen ausgeschickt. Eilboten kamen zurück; ihre Meldungen mußten sehr beunruhigend wirken. Czerwonka sendete einige Fähnlein Fußvolk vom Schloß zur Verstärkung der aufgeworfenen Schanzen. Endlich, bald nach Mittag, wurde der Grund aller dieser Vorkehrungen klar. Zinnenberg hatte den Polen wenige Stunden entfernt eine Schlacht geliefert, den übermächtigen Feind nicht zurückwerfen können, selbst den Rückzug antreten müssen. Er nahm ihn gegen Marienburg hin. Es war nun gewiß, daß die Stadt eine Belagerung durch das ganze polnische Heer werde auszuhalten haben. Im freien Felde vermochte er ihr fortan wenig zu nützen; aber die Zahl ihrer Verteidiger konnte er mehren und durch seine frischen Streiter die Eingeschlossenen ermutigen. So schickte er nun tausend Mann den siegreichen Polen voraus und hieß sie, sich auf das Lager vor der Stadt werfen, den Durchmarsch zu erzwingen.

Es wurde auf beiden Seiten tapfer gekämpft. Die Polen setzten alles daran, die Zinnenbergischen bis zum Abend aufzuhalten, in der sicheren Erwartung, daß das Hauptheer dann nachgerückt sein würde. Um so eifriger wiederholten diese immer wieder ihre Angriffe. In der Stadt war man aufmerksam geworden; die befreundeten Fahnen wurden erkannt. Die Bürger, von Bartholomäus Blume selbst geführt, brachen aus dem Tor aus, den Polen in den Rücken zu fallen. Sobald Czerwonka dies vom Schloß bemerkte, ließ er gegen die Stadt feuern und ging gegen den Wall am Burggraben vor. Aber Trotzler verteidigte ihn wirksam und warf die Angreifer zurück. Auch die Bürger hielten stand und öffneten den Zinnenbergischen eine Gasse durch die Verschanzungen. Nun stürmten sie mit aller Gewalt an und vereinten sich mit ihnen, die Polen niederwerfend. Jubelnd empfangen, zogen sie in die Stadt ein.

Jost hatte sich unter die Kämpfenden gemischt. Es war ihm gelungen, einen Trupp Landsknechte zu erreichen und sich von ihnen in die Mitte nehmen zu lassen. Die Blechhaube eines gefallenen Polen hatte er unter seinen Hut auf den Kopf gesetzt, seinen Säbel schwang er in der Hand. »Ich bin ein Deutscher«, rief er ihnen zu, »stehe zum Orden – nehmt mich mit euch in die Stadt.« Sie ließen ihn gewähren. Er wurde verwundet, hielt sich aber aufrecht. Er war der ersten einer, der den Marienburger Bürgern die Hand schüttelte. Als Blume ihn erblickte, schrie er laut auf und umarmte ihn stürmisch. Nun war er geborgen.

Er fand die Stadt in der traurigsten Verfassung. Viele Häuser waren eingestürzt, überall Dachziegel auf den Straßen ausgestreut. Das arme Volk drängte sich unter den gewölbten Lauben, die doch noch einigen Schutz gegen die Steinkugeln gewährten. Ganze Familien hausten da beständig. In den Mauergassen lagen gefallene Pferde, die Luft verpestend, Verwundete schleppten sich nach den nächsten Häusern oder den Holzbaracken der Söldner. Weiber und Kinder in schmutzigen Kleidern und mit verhungerten Gesichtern standen um das Feuer der Landsknechte und bettelten um ein Stückchen geröstetes Pferdefleisch. Andere liefen hinter Zinnenbergs Hauptleuten her, laut johlend den Retter in der Not zu begrüßen. Ihnen schwand alle Hoffnung, als sie hörten, daß die Not jetzt erst recht beginnen solle, da viele Tausende von Polen im Anzuge seien. Auch vielen der Bürger, die sich bisher tapfer gewehrt hatten, sank jetzt ganz der Mut. Die Zinnenbergischen brachten nicht Lebensmittel ein; sie sollten von dem geringen Vorrat noch mitzehren. Wehe der armen Stadt!

Im Hause des Bürgermeisters, wohin Jost sich sogleich begab, stürmten die Fragen auf ihn ein, was er von Marcus und Ursula wüßte. Er konnte die Frauen beruhigen. »Sie sind jetzt hoffentlich schon ein glückliches Ehepaar.« Blume war mit dieser Nachricht sehr zufrieden, und auch Frau Christine fand sich darein, nachdem sie erfahren, wie alles zugegangen. »Es ist gut«, sagte sie, »daß Marcus der Stadt hat fernbleiben müssen; so fügt sich's wohl, daß er dem allgemeinen Verderben entgeht. Hier wär' er doch immer in den vordersten Reihen gewesen. Verzeih' mir Gott, daß ich mich davor ängstigte.«

Magdalene verband Josts Wunde, die zum Glück nicht gefährlich war. Er scherzte darüber, aber ihr feines Gesichtchen brachte es nur zu einem gezwungenen Lächeln und ihr lieblicher Mund zu kurz ausweichenden Antworten. »Was habt Ihr denn?« fragte er endlich. »Ist's Euch unlieb, daß ich mich zu Euch durchgekämpft habe, und hätt' ich lieber draußen bleiben sollen?«

Sie fuhr rasch mit den Fingern unter dem Auge hin, wie wenn sie etwas fortwischte. »Ach –!« sagte sie, jeden Gedanken an so etwas abweisend. »Ich dachte, die Mutter würde davon sprechen, aber ihr liegt jetzt nur Marcus im Sinn, und das ist gewiß nicht zu verwundern. So kommt's nun auf mich, Euch etwas recht Trauriges mitzuteilen.«

»Etwas Trauriges?«

Sie nickte. »Ja. Eure liebe Mutter ist inzwischen –« Sie sah ihn mitleidig an. Da sie merkte, daß er erschreckt stutzte, fuhr sie, die Augen senkend, fort: »recht krank geworden.«

Jost ergriff ihre Hand. »Und Ihr seid nicht bei ihr, Magdalene? Nein, sagt mir die ganze schmerzliche Wahrheit: meine Mutter ist ...«

Sie nickte wieder und drückte seine Hand.

»Tot!« rief er. »O mein Gott! Wir blieben zu lange aus. Ursula ... sie ahnt nicht –«

»Es ist gut«, sagte Magdalena »sie braucht jetzt mehr als je ein frohes Herz. Wäre sie hiergeblieben, sie hätte nicht helfen können. Es kam so schnell – in wenigen Stunden war's zu Ende. Einen Gruß hat sie mir an ihre Kinder aufgetragen – dann konnte sie nicht mehr sprechen, und ich glaub' auch, die Gedanken waren ihr vergangen. Wir haben sie rasch in die Erde bringen müssen.«

»Zeigt mir ihr Grab«, bat Jost bewegt. »Mußten wir so bald wieder scheiden? Mutter – Mutter!«

»Kommt mit mir«, sagte Magdalene. »Ich hab' ihr ein Plätzchen unfern der Kirchhofsmauer ausgesucht, unter einer alten Linde. Ihre Krone ist jetzt zerschossen, aber sie wird sich gewiß wieder mit frischem Laub füllen und herrlich austreiben. Ich war einmal mit Ursula auf dem Kirchhof – sie sah die Linde und sagte: ›Da möcht' ich wohl einmal begraben sein, und wär's nicht anders, als wenn ich im kühlen Schatten schliefe!‹ Dessen mußt' ich nun gedenken.«

Sie führte ihn hin. Er kniete an dem Erdhügel nieder, auf dem ein erst halb verwelkter Kranz lag, und betete still. Magdalene war hinter den Stamm der Linde getreten, um ihn ganz ungestört zu lassen. Als er aufblickte und sie nicht sah, meinte er, sie sei fortgegangen, seufzte laut und nannte mehrmals ihren Namen mit so innigem Ton, daß sie ihn nie vorher von eines Menschen Mund so weich und warm glaubte aussprechen gehört zu haben. Sie blieb stehen und preßte die Hand aufs Herz und schaute mit den blauen Augen glückstrahlend zum Himmel auf. So stand sie noch, als er vorüberkam. Und nun trat er zu ihr, faßte ihre Hände und rief freudig: »Nein, Ihr habt mich nicht verlassen – Ihr nicht. O laßt mich's Euch an dieser geheiligten Stelle sagen und in dieser feierlichen Stunde, die so voll Schmerz und Wonne zugleich ist. Ich kann die teure Frau nicht verloren haben ohne einen Ersatz fürs Leben, Magdalene, liebe Magdalene – sprecht mich um ihretwillen von meiner Schuld frei und hebt mich wieder auf zu Eurem Herzen. Jetzt erst weiß ich, wie sehr ich Euch liebe.«

Er wollte vor ihr niedersinken, aber sie wehrte ihm und sagte: »Ich wußt es wohl. Oh, nun bist du mein, und alle Irrnis war nur ein böser Traum. Wie bald ist der vergessen!« Sie lehnte den Kopf an seine Schulter. Er umfaßte sie und zog sie sanft zurück zu dem Grabhügel. Dort standen sie lange in inniger Umarmung. Sie sprachen kein Wort weiter, ihr Händedruck sagte genug.

Eine Kugel, die wenige Schritte von ihnen einschlug, scheuchte sie fort. Sie mahnte an die Schrecken, von denen sie umgeben waren. Sie mehrten sich in den folgenden Tagen und Wochen. Immer neue Scharen von polnischem Kriegsvolk zogen vor die Stadt, schlugen ihr Lager unter den Mauern auf, besetzten das Schloß. Sie brachten Geschütz und Belagerungswerkzeug aller Art mit, füllten mit Erdsäcken den Graben, setzten Sturmleitern an. Ihre Wagenburg umschloß dicht die Stadt. Siebzehn Basteien, mit Gräben und Pfahlwerk umgeben, wurden rundum aufgerichtet und mit allem Kriegsbedarf versehen. Sie sorgten, daß sich bald niemand mehr von außen den Mauern nähern konnte.

Der Hochmeister versuchte auf Flußkähnen Lebensmittel in die Stadt hereinzubringen, aber sie wurden von den Danzigern weggenommen. Des Königs Hauptmann, Kosczelecz, forderte wiederholt zur Übergabe auf, aber die Besatzung widerstand allen Drohungen und Lockungen. Die Bürger kämpften mit dem Mut der Verzweiflung Tag und Nacht auf den Mauern, von Blume angefeuert, von Jost geführt. Immer wieder wurden die Leitern abgeworfen, die Gräben geräumt. Auf beiden Seiten gab's viele Tote; die Polen merkten doch den Verlust wenig, während die Reihen der Verteidiger sich schon besorglich lichteten. Um den geringen Vorrat an Nahrungsmitteln zu schonen, wurden alte Leute, kranke Weiber und Kinder, Mägde – eine Schar von Jammergestalten – zu den Toren ausgelassen; unbarmherzig trieben die Polen sie wieder zurück. Widerstand die rebellische Stadt der Waffengewalt, so sollte sie durch Hunger gezwungen werden.

Und der Hunger war ein furchtbarer Mitstreiter auf seiten der Belagerer. Er quälte vom Morgen bis zum Abend, und oft genug auch vom Abend bis Morgen, wenn der Nachtdienst geleistet werden mußte oder der Schlaf nicht kommen wollte; er erschlaffte die Muskeln und die Sinne; er machte mutlos und verzagt, gleichgültig gegen Schrecknisse noch schlimmerer Art, die den Besiegten drohten. Wenn diese nagende Pein nur endet! Führt uns hinaus gegen den Feind! Mag er uns überfallen – zehn gegen einen – und niederschlagen, daß keiner am Leben bleibt. So ist's aus. Wollen wir warten, bis Spieß und Schwert dem Arm entfällt und wir nicht einmal mehr rühmlichen Tod finden können? So murrten die Tapfersten, die noch aufrecht standen. Die aber schon krank und elend am Boden lagen, stöhnten: Was nützt weitere Verteidigung? Es ist keine Hoffnung auf Entsatz. Ergeben wir uns, öffnen wir die Tore, retten wir wenigstens das nackte Leben, da uns doch mehr nicht geblieben ist.

Auch die Söldner wurden schwierig. Sollen wir jämmerlich verhungern? riefen sie. Dazu haben wir uns nicht anwerben lassen. Wir wollen versuchen uns durchzuschlagen. Mag die Stadt dann abwarten, bis sie ein Schutthaufen und Leichenfeld geworden!

Bartholomäus Blume vernahm die Stimmen, wenn er die Vertrauensmänner der Gewerke auf dem Rathause versammelte, wenn er die Verteilung der Lebensmittel leitete, wenn er die Krankenhäuser besuchte, wenn er die Wehrgänge abschritt und die Mannschaften in den Tortürmen musterte. Aber er hielt stand. »Noch sind wir nicht am Ende«, sagte er wieder und wieder. »In wenigen Tagen kann viel Unerwartetes geschehen – Gottes Wege sind oft wunderbar. Hat nicht bisher vergeblich der Feind unsere Mauern berannt? Noch wanken sie nicht. Es ist uns eine Unehre, die Fahne zu senken, ehe sie der Hand entfällt. Vertraut mir, ihr Wackern! Retten wir nicht die Stadt, so schafft uns doch jeder Kampftag bessere Bedingungen. Vertraut mir, wie ihr mir vertraut habt, auch in diesem Letzten. Ich will euch ehrlich sagen, wann unsere Zeit gekommen ist.«

Eines Morgens, nachdem in der Nacht wieder ein Sturm abgeschlagen, aber der Turm, gegen den er sich richtete, in den Graben gefallen war, trat Jost, der tapferste Verteidiger, den Bürgermeister mit einer Bitte an. »Unser Leben steht in Gottes Hand«, sagte er, »allezeit. Wir sollen nicht darum zagen. Aber menschlich ist's wohl, wenn wir in Stunden der Gefahr bedenken, wie nahe vielleicht der Tod ist und was wir dem Leben noch schuldig sind, so kurz oder lang es währen mag. Nun hab' ich noch ein heiliges Versprechen einzulösen, an das mich nicht nur mein Gewissen mahnt, sondern viel mehr noch des Herzens Stimme, und ich weiß nicht, wieviel Zeit mir bleibt. So sehet denn nicht an der Gegenwart Not und der Zukunft Ungewißheit – gebt mir Magdalene zum Weibe. Ihrer Einwilligung bin ich sicher.«

Das kam Blume nicht überraschend. Würde Frau Christine ihm's nicht gesteckt haben, wie die jungen Leute miteinander stünden, seine Augen hätten's ihm verraten müssen, so oft er sie zusammen sah. Deshalb sprach er nun auch keine Weigerung aus, sondern meinte nur, er wolle es mit seiner Eheliebsten überlegen, ob sie bei rechter Sorge für ihr Kind solchen Herzenswunsch erfüllen könnten, da doch vielleicht alle Vernunft dagegen spräche. Und er verschwieg auch wirklich in dem stillen Schlafkämmerlein alle die Gründe nicht, die diese Verbindung jetzt widerrieten. Aber Frau Christine antwortete: »Es läßt sich das mit der Klugheit nicht entscheiden, Lieber. Denn wir leben nicht unsern gewöhnlichen Tag und können die Dinge nicht abmessen nach unserer vertrauten Erfahrung. Sollte Gott es so bestimmt haben, daß unser Kind früh eine Witwe würde, so könnte doch die Trauer um den Geliebten nicht geringer sein. Ich kenne Magdalene: sie wird dankbar sein auch für kurzes Glück und standhaft Leid ertragen.«

Er war gern einverstanden. Zu Magdalene sagte er, ihre gerötete Wange streichelnd: »Es ist mir wie einem, der auf den Abschied bedacht sein muß und den Seinen noch recht etwas Liebes erweisen möchte, indem er sein Haus bestellt. Es mag töricht scheinen, daß ich euch nachgebe, aber versagen kann ich mir's nicht, euch auch einmal glücklich zu sehen, ehe vielleicht ...«

Sie küßte ihm dieses schmerzliche Vielleicht von den Lippen fort.

Und so wurde denn der Sonntag, an dem die Waffen zu ruhen pflegten, zur Hochzeit bestimmt. In der Stadt war's bekanntgeworden, was sich ereignen sollte; und so schwer auf allen die Trübsal lastete, dessen wurden sie doch froh. Als daher die Glocken zur Kirche läuteten, belebten sich die Straßen um dieselbe. Wer nicht den Dienst auf der Mauer hatte oder krank daniederlag, suchte ein Festkleid hervor und stellte sich auf den Weg von des Bürgermeisters Wohnung bis zum Gotteshause. Da sie nicht Tannen hatten, pflückten sie Gras in ihren Höfen und von den Gräbern auf dem Friedhof und plünderten die Linden, dem jungen Paar etwas Grünes auszustreuen. Das alles geschah ganz unvorbereitet, nur den nächsten Freunden war die Hochzeit angesagt worden. Als nun Blume und Frau Christine Jost und Magdalene zur Kirche geleiteten, freuten sie sich um so mehr solcher Teilnahme, grüßten dankbar und blieben öfters stehen, den guten Leuten die Hand zu drücken. »Wenn wir uns mit Gottes Hilfe der Feinde erwehren«, sagte Blume, »so soll mir das Hochzeitsfest nicht erspart sein, liebe Gevattern, und nachträglich die ganze Stadt aufs Rathaus geladen werden.«

Magdalene hatte allen Putz verschmäht; sie trug ein einfaches weißes Kleid ohne Ketten und Spangen. Nur ein Kränzlein hatte sie sich von ihrem Myrtenbäumchen gewunden, das gerade wundersam in Blüten stand, und sich's auf das blonde Haar gesetzt. Sie hatte es auch leiden müssen, daß die Mutter ihren eigenen wohlbewahrten Brautschleier aus der Lade vorbrachte und ihr anheftete. Wie schön sie aussah und wie heiter sie an der Hand des Junkers schritt!

Als nun die Messe beendet war, traten sie vor den Altar, knieten nieder, wechselten die Ringe und empfingen des Priesters Segen, der ihren Mut lobte, aller Gefahr zu trotzen und gleichsam im Angesicht des Todes den Bund fürs Leben zu schließen. Da wurden viele Augen feucht, und viele Lippen murmelten Gebete für ihr Heil. Sie aber umarmten einander vor der ganzen Gemeine und schritten so durch die Kirche, nicht mit gesenkten Blicken, sondern froh ausschauend, als wüßten sie von keiner Not.

Das Hochzeitsmahl war dürftig genug – weit kärglicher, als der Stadt Ordnung es dem geringsten Mann gestattete. Es fehlte doch nicht ganz an Gästen. Trotzler war eingeladen, Engelbrecht und Reinke. Der Keller gab die beiden letzten Flaschen Wein her. Das Gespräch war wenig hochzeitlich. Wie hätten diese Männer eine Stunde beisammen sitzen können, ohne der Stadt Schicksal zu bedenken? Sie wußten, daß es sich in wenigen Tagen entscheiden mußte.

Indessen ratschlagten im kleinen Remter des Schlosses die Hauptleute Kosczelcecz und Czerwonka, wie endlich der Trotz der Bürger zu bändigen und der Widerstand der Stadt zu brechen sei. »Der Herr König wird ungeduldig«, sagte der Pole. »Wie ist's auch zu begreifen, daß eine kleine Stadt sich so lange gegen eine starke, wohlbesetzte Burg und ein Belagerungsheer von vielen Tausenden hält? Man wird uns der Nachlässigkeit zeihen. Aber bei der heiligen Mutter, wir Polen tun unsere Pflicht! Der Teufel muß ihre Mauern gefeit haben.«

»Lassen wir's im Schloß vielleicht an der nötigen Unterstützung fehlen?« fragte Czerwonka bissig. »Ich merke wohl, ihr Polen möchtet es uns in die Schuhe schieben, daß die Sache nicht den gewünschten Fortgang hat. Wenn ihr nichts ausrichtet, wird's heißen, wir hätten die Stadt schonen wollen. Aber den Bündischen ist's so gut Ehrensache als dem König, endlich hier die Herren zu sein. Ob der Teufel den Marienburgern hilft, weiß ich nicht. Aber das weiß ich, daß ich in meinem langen Kriegsleben solche Hartnäckigkeit in einer Platzesverteidigung noch nicht angetroffen habe. Vor diesem Blume zieh' ich den Hut ab.«

»Er ist ein Eidbrüchiger und Verräter«, rief Kosczelecz, »und kämpft wie ein Verzweifelter um Tod und Leben.«

»Mag sein!« sagte der Böhme. »Aber daß die Bürger ihm folgen und die Soldhauptleute ihn nicht verlassen ... Ah! Laßt gut sein, er ist ein Mann!«

»Wir müssen etwas Gemeinsames unternehmen«, zischelte Kosczelecz, näher rückend. »So geht's nicht weiter!«

»Ich will gern hören. Wie ist Euer Plan?«

»Die Stadt muß sich unterwerfen. Richten wir gemeinsam ein Schreiben an die Bürgerschaft, in dem sie mit Mord und Plünderung bedroht wird, wenn wir sie mit den Waffen bewältigen. Und das muß ein Wort sein! Wir geben ihr nur vierundzwanzig Stunden Bedenkzeit.«

»Und wenn sie fest bleibt?«

»So rüsten wir indessen den Sturm von zwei Seiten zugleich. Es ist mir von einem Danziger, dessen Vater von hier stammt, hinterbracht worden, daß die Stadtmauer an der Nogat auf einem großen Bogen ruht. Der muß sich leicht durchgraben lassen – dann ziehen wir wie durch ein Tor in die Stadt ein.«

Czerwonka horchte auf. »Wenn das die Wahrheit ist –«

»Man wird bald genug dahinter kommen. Von dort ist ein Angriff noch nicht versucht. Er wird auch schwerlich erwartet, da man sich auf den Schutz durch den Strom verläßt. Ich werfe mich mit ganzer Macht gegen diese schwache Stelle. Sorgt dafür, daß die Bürger an der Verteidigung gehindert werden, indem Ihr ihnen ebenfalls mit ganzer Macht in den Rücken fallt.«

»Einverstanden!« rief Czerwonka. »Gebt mir Nachricht, sobald Ihr angreift. Ich hab' auch ein Plänchen, das guten Erfolg verspricht, wenn ich mich auf Euren Beistand verlassen kann.«

»Was habt Ihr vor?«

»Wartet nur ab. Die Sache muß ganz geheim betrieben werden. Ich bin zur Stelle, wenn Ihr mich braucht. Es ist Zeit, ein Ende zu machen.« –

Bartholomäus Blume gewahrte bald zu seinem Schrecken, was im Werk sei. Trotzler stürzte aufs Rathaus. »Man greift von der Nogatseite an. Das ganze Lager scheint im Aufbruch dahin. Will man uns täuschen und an anderer Stelle, vom Schloß her überraschen? Ich muß rundum die Türme besetzt halten, kann wenig Volk entbehren. Schafft Eure ganze Mannschaft auf den gefährdeten Punkt.«

Das geschah. Der Bürgermeister leitete selbst die Verteidigung. Tausende drängten zugleich an, warfen sich unter Sturmdächern gegen die Mauer. Ein Hagel von Pfeilen und Bolzen empfing die Polen, tat ihnen aber wenig Schaden. Sie setzten keine Leitern an, gruben sich in die Erde ein und warfen einen Wall auf. Was war das? Wollten sie die Mauer so zum Einsturz bringen? Aber ihre Fundamente lagen tief, und sie mußten fürchten, selbst verschüttet zu werden. Vom Wehrgang aus waren die Nächststehenden nicht zu treffen. Es wurden Steine auf die Mauerkrone geschafft und hinabgewälzt, Gefäße mit siedendem Pech und Öl ausgegossen, Feuerbrände auf die Schirmdächer geworfen. Aber wenn der Feind auch für kurze Zeit zurückwich, immer wieder füllten sich die gelichteten Reihen. Es gelang ihm, den Graben mit starken Balken zu überdecken und Erde darauf zu werfen. Nun hatte er unter der Mauer Schutz. »Das Gewölbe wird freigelegt!« rief Blume, der den teuflischen Plan erkannte. »Wir sind verraten. Gnad' uns Gott!«

Nur ein siegreicher Ausfall konnte helfen. Trotzler war bereit. Aber die Basteien sperrten die Tore. Ehe auch nur eins dieser Werke mit Sturm genommen und der Weg zum Fluß frei gemacht war, mußte die Minierarbeit beendet, der Feind in die Stadt gedrungen sein.

Ihm hier beim Durchbruch der Scheidewand den kräftigsten Widerstand entgegenzusetzen, mußte jetzt die Hauptaufgabe der Verteidiger werden. Blume ließ an der gefährdeten Stelle hinter der Mauer einen Steinwall aufführen, weiter zurück die Dächer von den Häusern abtragen und sie selbst mit Schutt und Erde füllen, auch durch Schanzen mit der Mauer verbinden. Drang der Feind ein, so stürzte der Steinwall auf ihn; war dieses Hindernis fortgeräumt, so mußte eine zweite Mauer genommen werden. Das sollte viel Menschenleben kosten.

Da kam eine neue Schreckenskunde von der Schloßseite her. Dort war der Parchan mit Kriegsvolk gefüllt, wie man vom Turm der Stadtkirche deutlich wahrnahm. Es wurde ein Angriff auf den Wall erwartet. Aber er unterblieb lange. Irgend etwas Geheimes wurde von dort aus betrieben. Und nun war kein Zweifel mehr: Ulrich Czerwonka hatte einen unterirdischen Gang graben und mit Pfählen und Brettern absteifen lassen. Er war unter dem Graben weg nach der Stadt geführt. Deutlich hörte man schon diesseits des Walles unter der Straße das Rasseln der Schippen und das Klopfen der Hämmer. In wenigen Stunden mußte sich die Erde öffnen und eine Schar in Eisenharnisch auslassen, mit der der Kampf innerhalb der Stadt aufzunehmen war, während die Polen durch das Mauergewölbe vorstürmten und die Geschütze vom Schloß her donnerten.

Von Mund zu Mund lief die Nachricht mit Blitzeseile durch die Stadt, die Wehrgänge entlang, in die Türme. Entsetzen erfaßte die Bürger, Verwirrung bemächtigte sich der Söldner. Die eben noch geschworen hatten, den letzten Blutstropfen an die Verteidigung der Stadt zu wenden, verloren plötzlich den Mut, rotteten sich zusammen, versagten den Führern den Gehorsam. Jammernd und wehklagend zogen die Weiber mit den Kindern auf dem Arm oder an der Hand durch die Straßen vor das Rathaus, die Türen belagernd. »Wir sind alle des Todes«, schrien sie, »die Polen lassen nichts lebendiges am Leben, sie haben ein Gelübde getan. Unsere Väter, unsere Männer, unsere Brüder, unsere Söhne sind verloren. Fluch den Kreuzigern, die uns in dieses Unglück gestürzt! Für sie haben wir gehungert und gedürstet, unsere Habe eingebüßt, das Furchtbarste gelitten. Wo ist nun ihre Hilfe? Die nicht von der Pest hingestreckt worden, frißt des Feindes Schwert. Werft die Waffen fort, laßt uns den König um Gnade anrufen. Uns hilft nichts als Gnade!«

Frau Magdalene erschien unter ihnen, beschwor sie, in die Häuser zu gehen, von diesem Geschrei abzulassen, das die Männer um alle Besinnung bringen müßte. »Auch ich hab' unter ihnen einen, den ich liebe mehr als mich selbst«, sagte sie, »und er steht vornan auf der Mauer in jedem Kampf. Das Herz wird mir brechen, wenn ich ihn verliere. Aber ich halt' ihn nicht zurück und wehre der Sorge, daß sie mich nicht schwach macht. Fort, Unsinnige!« Es nützte doch nur wenig gegen das Toben der Verzweiflung. »Euer Vater trägt die Schuld, daß es so weit mit uns gekommen ist. Nun mag er sich demütigen. Von ihm fordern wir Errettung aus dieser Not.«

Hauptmann Trotzler kam zu Blume. Seine Stirn war blutig, sein Blick finster. »Wir sind am Ende«, rief er, »meine Söldner geben den ungleichen Kampf auf. Dringt der Feind von zwei Seiten in die Stadt ein, so ist jeder weitere Widerstand vergeblich. Das wissen sie, und das wissen die Zinnenbergschen auch. Sie sind in den Ring zusammengetreten und halten Beratung. Es ist ihnen nur noch um ehrenvollen Abzug zu tun. Verlaßt Euch nicht weiter auf unseren Beistand und handelt, wie es Eure Pflicht ist gegen die Stadt.«

Aus des Bürgermeisters Brust drang ein ächzender Ton. Er hob die Hand zum Himmel auf und ließ sie matt sinken. »So ist es denn Zeit«, sagte er schmerzlich. »Kommt! Es soll geschehen, was muß.«

Noch war die Stadt nicht erobert, noch wußten die Feinde nicht, wie nahe sie schon dem Ziel waren. Die Übergabe konnte unter Bedingungen angeboten werden. Dazu entschloß sich Blume. Er gab dem Rat und der Bürgerschaft die Verhandlung frei; ihm selbst mochte geschehen, was wolle. So zog denn eine Deputation mit weißer Fahne hinaus, die Unterwerfung anzubieten. Czerwonka kam vom Schloß in des polnischen Hauptmanns Zelt, mit ihm Stibor von Baisen an des Gubernators Statt. So stark war der Wunsch, den Kampf zu beenden, und so groß die Achtung vor den Verteidigern, daß man nicht lange feilschte und weitgehende Zugeständnisse machte. Allen, die an der Stadt Übergabe in des Ordens Gewalt nicht schuldig, wurde Sicherheit des Lebens und Eigentums zugesagt, den Bürgern die Bestätigung ihrer Freiheiten durch den König verbürgt. Wer Marienburg verlassen wollte, möchte sich mit seiner ganzen Habe wenden, wohin es ihm gefiele; in anderen Städten des Königs solle er volles Bürgerrecht genießen.

Dieser Vertrag wurde von beiden Seiten besiegelt. Dann öffneten sich die Tore Marienburgs, und die Polen zogen ein.

Die Besatzung war in den Vertrag nicht eingeschlossen worden. Sie suchte sich den Abmarsch zu erzwingen. Dabei fielen Augustin von Trotzler, drei Ordensritter und mehrere Kriegsleute den Polen in die Hände; sie wurden gefangen und in den Kerker geworfen. Darin sind sie elend umgekommen.

Allen, die an der Stadt Übergabe in des Ordens Gewalt nicht schuldig, war das Leben zugesichert. Die Schuldigen sollten den Frevel mit dem Tode büßen, das stand unausgesprochen dahinter. Und der Schuldigste der Schuldigen war Bartholomäus Blume.

Er wußte, was ihm bevorstand. Während die Straßen sich mit den siegreichen Feinden füllten und die Trompeten schmetterten, nahm er in seinem Hause bewegten Abschied von Weib und Kind. »Mein Leben ist doch schön gewesen in eurer Liebe«, sagte er, »und daß es so endet, ist sein bester Ruhm. Ich hoffe, Gott wird mir gnädig sein.« Frau Christine weinte nicht. Die Tränen strömten rückwärts in ihr tapferes Herz. Auf das legte sie seine Hand, und er nickte ihr freundlich zu: »Ich weiß – ich weiß. Wir beide verstehen einander.«

Kosczelecz nahm ihn gefangen und stellte ihn vor ein Gericht seiner Feinde. Der Form sollte ein Genüge geschehen.


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