Ernst Wichert
Der Bürgermeister von Thorn
Ernst Wichert

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Siebzehntes Kapitel

Die Absage

Wie eine Windsbraut über das schon wild aufgeregte Meer, so jagte von der Weichsel her die Kunde über das Land hin, der Bund sei vom Kaiser verworfen, bis tief in die litauische und masurische Wildnis hineinflutend. Der Wortlaut der Briefe, die schon in Vorbereitung dieses Ereignisses nach Thorn und Danzig geschrieben waren, ging von Mund zu Mund und versetzte die Gemüter jetzt neu in Zorn. Peter Knurr sollte vor dem Kaiser gewagt haben zu sprechen, sie seien alle Heiden gewesen und vom Orden mit dem Schwerte gewonnen, also leibeigene Leute, mehr noch als gekaufte Sklaven. Bischof Franz, die Schlange, habe gesagt: der Bund sei wider Gott, Ehre und Recht, und wie er ihm nie gut gewesen, so wolle er ihm gram sein bis in sein Grab. »Es ist vor dem Kaiser gewiß geworden, daß unsere Herren uns allen nach Leib, Ehre und Gut stehen, seid auf der Hut!« Des Kaisers Briefe würden mißachtet. Sie wollten es durchsetzen, daß das rückständige Geschoß nicht erhoben, das erhobene dem Hochmeister zurückerstattet würde. Das Land solle in schwere Strafe genommen werden. Aber das noch nicht genug! Die Ordensabgesandten hätten vertraulich gesprochen: »Es wird nimmer gut im Lande zu Preußen, ihrer dreihundert springen denn über die Klinge!« Die andern seien schlichte Leute und von diesen verleitet.

Das klang sehr wahrscheinlich und wurde jetzt erst recht geglaubt, nachdem der Kaiser dem Bunde sogar den Beweis abgesprochen hatte. Ihre Klagen sollten nicht untersucht werden, des Ordens Schmähungen aber würden aufs Wort für wahr genommen. »Da sieht man, daß wir auf Gerechtigkeit nicht zu hoffen haben. Papst, Kaiser und Fürsten sind gegen uns – wir müssen uns selbst helfen!« Das war das Stichwort, das Tileman vom Wege ausgab: »Wir müssen uns selbst helfen!« Es hatte mancher ein schlechtes Gewissen, der nun meinte zu den dreihundert zu gehören. Die andern aber beleidigte es, daß man sie für Schafe halten wollte, die blindlings den Hammeln nachliefen. So sah Ludwig von Erlichshausen bald mit Schrecken, daß des Kaisers Spruch den Streit nicht beilegte, sondern erst recht zum Ausbruch brachte. Vergeblich bemühte er sich zu beschwichtigen, Rüstungen in Abrede zu stellen, durch Versprechungen zu gewinnen. Es war, als ob in einem großen, von Menschen gefüllten Hause plötzlich der Ruf »Feuer!« ertönte, sich mit rasender Geschwindigkeit durch die Massen fortsetzte und sie zu wütendem Gestürm gegen die Ausgänge und selbst gegen die Wände trieb. Das Unsinnigste war das Glaubwürdigste. Es schien nur noch einen annehmbaren Rat zu geben: die Kreuziger müssen aus dem Lande fortgejagt werden, dem sie das Verderben sinnen!

In Thorn aber saß jetzt der engere Rat des Bundes Tag und Nacht Zusammen, die Entscheidung vorzubereiten. Hans von Baisen hatte sich entschlossen, des Ordens Sache aufzugeben, die nicht mehr haltbar schien, und seinen gnädigen Herrn zu verraten. Man empfing ihn mit offenen Armen und stellte ihn an die Spitze. Auch Hans von Czegenberg war nun eifrig beim Bunde. Es gab jetzt nur noch ein Für oder Wider. Gabriel von Baisen und Tileman vom Wege hatten auf der Reise böhmische und mährische Söldner angeworben, die ihnen rasch folgten. Der Eidechsenritter Nicolaus von Tergowitz befehligte sie und zog einen Teil von ihnen in die Neustadt, zu deren Hauptmann er ernannt war. Es galt zugleich diese Rivalin niederzuhalten, die ihre Anhänglichkeit an den Orden mit der Selbständigkeit büßen mußte. Der Rat rüstete wie zum Kriege. Er gab den Befehl aus, die Wohlhabenden sollten sich mit Harnisch auf eigene Kosten versehen, die Ärmeren sich die Waffen aus der Zeugkammer des Rathauses abholen. Man fürchtete schon nicht mehr, daß die Handwerker sich gegen den Rat wenden könnten; die Erbitterung gegen den Komtur Albrecht Kalb war allgemein. Auch ohne Führung lief das gemeine Volk fast täglich gegen die Burg an, so daß die Zugänge verrammelt werden mußten. Selbst in der Nacht war die Besatzung nicht vor einem Sturm sicher. Schon ließ Hans von Baisen, als ob die Stadt bedroht sei, Bollwerke und Schirme gegen das Schloß aufbauen und das schwere Geschütz aufstellen. Er verhandelte mit dem polnischen Hauptmann Scharlenski wegen der Hilfeleistung und schickte in die benachbarten Städte, daß man sich bereithalte.

Und nun kam Gabriel von Baisen aus Polen zurück, wohin er mit anderen Gesandten heimlich geschickt war, des Königs Meinung auszuforschen. Sofort wurde der engere Bund aufs Rathaus berufen, den Bericht entgegenzunehmen und weitere Beschlüsse zu fassen. Keiner fehlte. Man tagte in einem gewölbten Gemach bei verschlossener Tür. Hans von Baisen führte den Vorsitz; neben ihm saßen Hans von Czegenberg und Tileman vom Wege. Wilhelm Jordan war von Danzig, Hans Matzkow von Kulm gekommen. Gabriel von Baisen stand auf und sagte: »Liebe Herren, unsere Sache steht gut. Der König ist uns wohlgeneigt. Er hat auf unser Anerbieten einen Rat der vornehmsten Prälaten und Woiwoden berufen, ihm auch gelehrte Doktoren der Universität Krakau beigefügt. Der Herr Bischof von Krakau, der uns sehr gewogen, hat ihnen aus Landeschroniken klärlich nachgewiesen, daß Preußen einst durch Verrat und Treulosigkeit an die Kreuzherren abgefallen sei, wie der deutsche Orden sich denn auch nur durch Gewalt und Friedensbruch behauptet habe. So haben sie ihr Gutachten dahin abgegeben, der König habe zum Lande Preußen vollkommenes Recht. Das wollen wir so genau nicht ansehen, liebe Herren, sondern für wahr nehmen und bedenken, daß der König ein christlicher Regent ist und einen Grund der Rechtfertigung gegen Papst und Kaiser und gegen das Reich haben muß, darauf er seine Hilfe stützen kann. Die hat er uns freilich noch nicht mit aller Sicherheit zugesagt, wie wir ja auch selbst nicht ganze Vollmacht hatten, uns verbindlich zu machen. Seine Schlußrede aber lautete dahin: er wolle abwarten, ob der Bund insgesamt der Krone Polen das Land Preußen feierlich antrage. Geschehe das, so wolle er's freundlich bedenken.«

»Das ist wahrlich so viel, als der König irgend versprechen konnte, wenn er geneigt war uns anzunehmen«, bemerkte sein Bruder Hans, »denn er wußte wohl, daß die Vorfrage an ihn gestellt sei auf Ja und Nein. Hatte er Bedenken, sich auf das Wagnis einzulassen und Polen vielleicht in einen Krieg mit dem Reich zu verwickeln, so mußte er antworten: Nein. Weil er aber nicht mit Nein antwortete, so bedurfte es seines Ja vorerst noch nicht. Es ist uns gewiß, sobald wir's in aller Form nachsuchen werden. Und das kann sofort geschehen. Wir haben des Bundes Vollmacht – laßt uns darauf handeln. Es ist keine Zeit zu versäumen.«

Die Mehrzahl schien damit ganz einverstanden zu sein, wie sich aus dem Beifall ergab, der dem Schluß seiner Rede folgte. Besonders die Eidechsen stimmten laut zu. Wilhelm Jordan aber zeigte ein bedenkliches Gesicht und sagte: »übereilet nichts, edle Herren. Es kann wohl sein, daß für uns eine Nötigung entsteht, uns darein zu werfen, da wir einmal so weit gegangen sind. Aber vergesset nicht, daß wir mit dem Orden alle die Jahre um gewisse Freiheiten kämpfen, die uns über alles teuer sind, daß wir lieber mit Kaiser und Papst in Streit geraten, als sie missen mögen. Darum mag man billig fragen, ob uns mit einem andern Herrn gedient sein kann, der doch immer seine Herrschaft, nicht unsere Freiheit im Auge hat. Sehet auf die Eidgenossen im Schweizerlande. Sie haben sich von ihren Tyrannen mit Waffengewalt befreit, nicht um einen anderen Herrn anzunehmen, sondern in ihrer Freiheit zu verbleiben. Was aber die kleinen Waldstädte und armen Bauern durchsetzen konnten, das, sollt' ich meinen, müßte den großen Handelsstädten Preußens und so viel angesehenen und starken Rittern und Knechten des Landes auch gelingen. Lasset uns zum mindesten erst sorglich bedenken, was wir für uns selbst tun können, und bei den Unsrigen nachfragen, ob sie sich's zutrauen, eine Eidgenossenschaft zu gründen, die niemand über sich hat. Ist's euch nur darum, den Herrn zu wechseln, so könnt' euch leicht des Herrn Königs Freiheit noch weniger gefallen als des Herrn Hochmeisters!«

»Und was für Freiheit haben wir noch vom Hochmeister?« fragte Ramschel von Krixen.

»Die Freiheit, mit Heuleitern zu fischen«, antwortete Augustin von der Schewe spöttisch und schüttelte vor Lachen seinen Wanst, da er die andern und den Danziger Bürgermeister selbst durch seine treffende Bemerkung nicht wenig belustigt sah.

Am schnellsten gewann Hans von Baisen seine ernste Haltung wieder. »Sei dem, wie ihm wolle«, sagte er, »zweierlei ist für mich über allem Zweifel. Das erste: daß unser Herr Hochmeister oder ein Nachfolger an seiner Stelle uns nicht gerecht werden kann, auch wenn wir unsere Wünsche und Ziele viel mehr beschränken, als jetzt selbst dem Zahmsten im Bunde nützlich und zulässig scheint. Das andere: daß wir uns unserer Herren nicht aus eigener Kraft auf die Dauer erwehren und ein selbständiges Gemeinwesen ohne Oberhaupt erhalten können, also nur zu wählen haben, ob wir uns der Krone Polen auf gute Bedingungen antragen oder gewaltsam unter ihre Botmäßigkeit gebracht sein wollen. Was das erste betrifft, so darf ich wohl ein Wort mitreden, da ich in dreier Hochmeister Rat gewesen bin und viel heimliche Sachen des Ordens gekannt habe. Gott weiß, daß ich nicht trachtete, an ihnen zum Schelm zu werden, und auch Herrn Ludwig von Erlichshausen allezeit aus treuem Herzen zum Besten riet, wie er sich Land und Leute erhielte, so klug ich's vermochte. Weshalb ich denn auch oft genug angefeindet und ein Mantelträger oder gar ein Abtrünniger und Verräter genannt bin und mag an diesem Tisch niemand sitzen, der mich nicht einmal laut oder leise verunglimpft hätte. Das soll keinem verdacht sein. Diesen Schluß aber zieh' ich aus alledem, daß niemand lebt, der mehr ernstlich bemüht gewesen ist als ich, einen friedlichen Zustand zwischen dem Orden und dem Lande aufzurichten und zu stützen. Nicht leichtfertig hab' ich das Werk aufgegeben, sondern daran weiter gearbeitet, so lang auch nur Hoffnung war, daß der Frieden auf gemessene Zeit, zwei Jahre oder eins, erhalten werden könnte. Wir sind nicht weiter als zu Heinrichs von Plauen Zeit und können nimmermehr weiter kommen: der Hochmeister entschließe sich, ein Fürst des Landes Preußen zu sein – dann kann er dem Lande gerecht werden, indem er selbst des Ordens Herrschaft bricht; oder der Bund entschließe sich zur Unterwerfung – dann wird das Land den Frieden haben in der Knechtschaft des Ordens. Beides ist unmöglich, und weil ich das erkannt habe, steh' ich hier.«

»Und das andere –«, fragte Wilhelm Jordan, »das meinen Vorschlag angeht –?«

Hans von Baisen lächelte kaum merklich. »Liebe Herren«, sagte er mit leiser Stimme und sich ein wenig vorbeugend, um noch heimlicher sprechen zu können, »geht bei euch selbst zu Rate, ob einer dem andern ausreichend traut, daß er ihn an die Spitze des selbständigen Gemeinwesens stellen und sich ihm unterordnen möchte, daß er so viel Macht hätte, als alle Obrigkeit braucht. Ich spreche nicht von den Personen. Aber da sind die großen Grundherren und die Städte; stehen sie auch gegen den Orden gemeinsam, so gehen ihre Wünsche doch weit auseinander, und was dem einen Teil für sich nützlich scheint, dünkt den andern für sich schädlich. Und da sind die großen Städte und die kleinen, die ziehen nimmer an einem Strang. Und da sind unter den großen Städten selbst zwei übermächtig und bewachen einander mit Argusaugen, daß ihrem Handel nicht Abbruch geschehe, da jede doch nur auf der andern Kosten scheint gewinnen zu können. Nie wird Danzig Thorn an der Spitze leiden und nie Thorn Danzig. Wir können also nur das Land zerreißen oder uns einen Herrn suchen, der Macht über uns hat, jeden bei seiner Freiheit zu erhalten. Das ist meine ehrliche Meinung. Wer's besser weiß, mag es sagen.«

Diese Rede brachte alle Anwesenden in sichtliche Unruhe, so daß sie sich aus ihren Sesseln hin und her bewegten, anlehnten oder auf den Tisch stützten, die Augen im Kreise herumgehen ließen und durch knurrende Laute ihr Unbehagen zu erkennen gaben. Offen zu widersprechen wagten sie doch nicht: es war keiner, der sich nicht getroffen fühlte. Nur Tileman vom Wege hielt sich unbeweglich; ihn schien nichts zu überraschen und nichts unangenehm zu berühren, was Baisen sprach, aber er gab auch kein Zeichen der Zustimmung. Er wartete eine Weile, ob ein anderer das Wort nehmen wolle. Da aber endlich alle auf ihn sahen, erhob er sich langsam und sagte mit scharfer Betonung: »Ihr Herren, wir mögen daran glauben wollen oder nicht, Herr Hans von Baisen wird recht behalten: wir müssen einen fremden Herrn annehmen, damit wir alle bei unserer Freiheit bleiben. Dies ist der Grund. Und weil er's ist und kein ander Ziel und Zweck des Kampfes, so kann ich auch Herrn Wilhelm Jordan nicht unrecht geben, daß wir uns vor Übereilung zu hüten haben. Das meine ich freilich anders als er. Zu schnell können wir in dieser eiligen Sache nicht verfahren. Aber es scheint mir, wir dürfen uns nicht dem neuen Herrn antragen, damit er uns von dem alten befreie; sondern wir müssen uns durch eigene Kraft von dem alten befreien, damit wir uns dem neuen auf unsere eigene Bedingung antragen können! Darum tut es vor allem not, daß wir in dem einen einig sind: Los vom Orden! Sind wir darin einig, wie ich hoffe, so ist kein Tag zu zögern. Der Wortkampf muß ein Ende haben, der Waffenkampf beginnen! Jede verlorene Stunde schwächt uns und stärkt unsere Gegner. Ich höre, daß den Kreuzherren wegen ihres Sieges am Kaiserhofe schon bange wird. Vergeblich hat der Spittler sein Te deum laudamus gerufen. Der Herr Hochmeister soll mildere Saiten aufziehen und noch einmal die Friedensmusika aufspielen lassen wollen. Der Marschall und zwei andere Gebietiger sind unterwegs hierher, die Unruhen zu untersuchen und die Schwankenden mit Versprechungen zu ködern. Es kommt ihnen nur darauf an, Zeit zu gewinnen, ihre geworbenen Söldner ins Land zu ziehen und ihre Schlösser besser zu befestigen. Das dürfen wir nicht abwarten. Wir wissen, in wie elendem Zustande die Häuser jetzt sind: die junge Mannschaft vom Lande, die sie verteidigen sollte, ist überall fortgelaufen; es fehlt an Schießbedarf und Vorrat an Lebensmitteln. Die Unsrigen sind mutig, die Kreuziger verzagt. In Tagen können wir jetzt gewinnen, was wir später in Monaten und Jahren nicht erkämpfen. Wohlan denn! Brechen wir los, lieber heut als morgen. Schicken wir dem Herrn Hochmeister und seinem Orden den Absagebrief! Und dann gegen die Burgen angerannt, daß wir sie in der ersten Überraschung alle zugleich im Sturm nehmen. Als Herren des Landes mögen wir die Krone Polen zum Beistand anrufen. So helfen wir dem König selbst zur Rechtfertigung gegen Papst und Kaiser, uns aber zu einem Paktum, das uns und unsern Kindern die Freiheit sichert.«

Diese Rede schlug ein wie der Blitz und zündete in allen Gemütern. Die meisten waren aufgesprungen, reckten die Hälse und hoben die Arme in die Luft. »Los vom Orden!« schrien sie. »Ja, ja –! schreibt den Absagebrief des Bundes – wir sagen unsern Herren ab – wir brechen die Zwingfesten – wir treiben die Kreuziger aus dem Lande! Schreibt den Absagebrief sogleich!«

Hans von Baisen gebot Stille. »Bedenken wir, was wir tun«, mahnte er. »Man wird uns das Recht zu solcher Absage bestreiten. Wir müssen bereit sein, alle Folgen auf uns zu nehmen. Wer für die Absage stimmt, der stimmt für den Krieg, und die Besiegten wird man als Hochverräter richten.«

»Krieg, Krieg!« riefen sie, »wir werden siegen, wir müssen siegen! Laßt abstimmen!«

»Wer stimmt für die Absage?« fragte Baisen, »der hebe den rechten Arm. Die Arme der Eidechsenritter flogen in die Höhe. Bedächtiger folgten die Bürgermeister, aber sie folgten.

»Einstimmig«, erklärte Baisen. »Gebe Gott, zu gutem Ende.«

»Das legt seine Gnade in unsere Hand«, bemerkte Tileman.

Nun wurde der Stadtschreiber von Thorn hineingerufen, auf seinen Eid verwiesen und aufgefordert zu schreiben, was ihm gesagt werde. Die Hand zitterte ihm anfangs, als er die Worte aufs Papier brachte: »Unseren Dienst, als es jetzund gewandt ist. Zuvor, ehrwürdiger Herr Hochmeister! Nach Eurer Erwählung zu einem Hochmeister habt Ihr von uns gefordert die Huldigung, dazu wir uns willig ergaben, sofern uns Ew. Ehrwürden bei unsern alten Rechten und Freiheiten wollte lassen, und eine gemeine Tagfahrt halten zu richten Gewalt und Unrecht, welches wir vielmal gefordert, uns aber nie geschehen. Darüber hat Eure Ehrwürden uns lassen schänden, lästern, Unehren und Meineid und Verräterei zugelegt und uns für eigen gesprochen, so doch unsere Väter und Vorfahren dem Orden je und allewegs getreue Dienste getan haben. Dies alles nicht angesehen, habt Ihr viel lästerliche Schriften von uns Kaisern, Königen, Fürsten, Herren, Gemeinden und Städten übergeben, Hilfe und Beistand bei ihnen wider uns gesucht ... So sagen wir Ritterschaft und Städte des Bundes in Preußen Ew. Ehrwürdigkeit Huldigung und alle Pflicht von der Huldigung auf und wollen damit uns und allen, die uns beistehen, an Ehren und Schimpf gegen Euch und Euren Orden verwahret haben und des Unrechts, der Gewalt und der Leibeigenschaft mit der Hilfe Gottes erwehren.«

Hans von Baisen ließ die Schrift verlesen. Sie fand vollen Beifall. »Wer soll den Brief namens des Bundes unterschreiben?« fragte er.

»Hans von Baisen«, antwortete Tileman vom Wege ohne Besinnen. Er wollte ihn für den Bund fest an die Kette nehmen.

Das merkte der Ritter wohl und wechselte einen Augenblick die Farbe. Da die andern ihm aber zuriefen: »Tut's, tut's – Euer Name gilt dem Orden am meisten, und Ihr seid des Bundes Haupt« – da faßte er sich schnell und sagte: »Ich will's auf euer Gebot tun.«

Er nahm die Feder aus des Ratssekretarius Hand, hielt sie eine kleine Weile über dem Blatt, als ob er das Letzte noch bedenken wollte, und setzte dann seinen Namen unter die Schrift. »Ihr habt's gewollt«, sagte er. »Wer wird den Brief siegeln?«

Eine Minute lang herrschte tiefes Schweigen. Tileman sah den Danziger Bürgermeister an, ob er sprechen wolle. Da Jordan aber den Blick senkte, sagte er: »Die Stadt Thorn, der preußischen Städte Haupt.«

»So sei es«, entschied Baisen.

Der Sekretarius siegelte und schloß den Brief.

Er wurde einem gemeinen Boten übergeben, der ihn nach der Marienburg bringen und dem Hochmeister über zwei Tage aushändigen solle. –

Als Tileman nach Hause kam, ging er nach der Kammer seines Sohnes hinauf und fand ihn auch da. Er faßte seine Hand und sagte: »Nun ist die Zeit gekommen, wo du dich als ein Mann beweisen, deiner Vaterstadt und dem Lande Dienst tun kannst, die mit Ehren vergolten werden. Bisher bist du nur auf deines Leibes Wohlsein bedacht gewesen und hast deine meisten Tage in Müßiggang verbracht oder dir selbst Ärgernis gegeben, weil sich nicht alles nach deinem Sinne fügte. Jetzt fordere ich ernste Dinge von dir, meinem einzigen Sohn und Erben, damit du dir Vertrauen gewinnst bei den Bürgern und an meine Stelle trittst, wenn ich unvermutet abgerufen werden sollte.«

»Vater –!« rief Jost überrascht, sich die Augen reibend, als erwachte er aus dem Schlaf, »was ist geschehen?«

»Frage lieber, was geschehen soll. Wisse denn, daß nach zwei Tagen die Burg Thorn berannt werden wird –«

»Ah –! Das gönne ich dem hochnäsigen Herrn Komtur. Und ich darf dabei sein?«

»Ich werde dich an die Spitze der Thorner jungen Mannschaft stellen als ihr Hauptmann. Liegt dein Harnisch bereit, wie der Rat befahl?«

»Der Waffenschmied reinigt ihn von den Rostflecken.«

»Nimm ihn noch heut in Empfang. Und laß dir eine Schärpe von roter Seide anfertigen, daß man dich von weithin als den Führer erkenne.«

»Ich werde sie mit Stolz tragen, Vater.«

»Gut! Und richte es wohl ein, daß du einer der ersten auf der Mauer bist. Die Gefahr kann nicht groß sein, denn die Besatzung des Hauses ist schwach.«

»Und wenn sie noch so groß wäre – ich achte mein Leben wenig.«

»Das ist töricht. Du wirst noch mehr Gelegenheit haben, dir Ruhm zu erwerben, wenn du es nicht leichtsinnig in die Schanze schlägst. Auch die Marienburg muß unser sein!«

Jost starrte ihn an. »Die Marienburg?«

»Sonst ist's nichts ...« sagte der Alte. »Mit einem Schlage ...« Er strich sich mit der Hand über das Gesicht und den kurzen Bart. »Der Tag wird's bringen. Vorerst Hab ich eiligen Auftrag für dich, der Klugheit und Unerschrockenheit fordert.«

»Sprecht, Herr Vater, sprecht! Ich brenne darauf –«

»Ruhig! Es handelt sich nicht nur um ein lustiges Abenteuer. Ich will dir ein Geheimnis anvertrauen. Der Oberst-Marschall, Herr Kilian von Exdorf, ist von der Marienburg unterwegs nach Thorn; er hat den Komtur von Danzig, Niclas Pustar, und den von Graudenz, Wilhelm von Helfenstein, mit sich und begehrt von der Stadt freies Geleit. Das muß ihm zugesagt werden, damit er sich ganz sicher glaubt, denn vor übermorgen darf es nicht offenbar werden, was wir betreiben. Sie dürfen aber nicht frei in die Stadt. Ich will dich nun mit einem Schreiben an den Bundesritter Otto von Machwitz schicken, der die böhmischen Söldner draußen befehligt. Suche ihn auf. Er soll es so einrichten, daß der Stadtbote mit dem Geleitbrief die Herren nicht trifft, so daß sie sich näher an die Stadt heranziehen und im Rücken abgeschnitten werden. Dann haltet sie hin, daß sie nicht zum Vogt von Leipe um Hilfe schicken, und nehmt sie nach zwei Tagen gefangen. Solche Geiseln sind Goldes wert.«

Jost schien Bedenken zu haben. »Die Herren reisen aber im Vertrauen.–«

»Sie haben nicht Treu und Glauben gehalten«, rief Tileman, »so sind wir ihnen nichts schuldig. Das ist für den Überfall bei Brünn und gilt als erlaubte List im Kriege.«

»Im Kriege, Vater –?«

Tileman biß die Lippe. »Ich sagte dir, sie sollen zwei Tage hingehalten werden. Bringst du sie dann gefangen ein, so ist dein Glück gemacht. Im übrigen – frage nicht weiter und handle.«

Noch vor Nacht ritt Jost vom Wege durchs Kulmer Tor aus der Stadt. –

Der Komtur Albrecht Kalb sah mit wachsender Sorge die Vorbereitungen zur Belagerung der Burg. Vergeblich hatte er wieder und wieder gewarnt und den Hochmeister um Verstärkung angefleht. Die Landwehr, die er einberufen, war ungehorsam ausgeblieben oder wieder entlaufen. Die Dienerschaft zeigte sich unzuverlässig und verkehrte heimlich mit den Bürgern. Nur zwölf Ritter hatte er in seinem Konvent, mehrere davon alt, siech und krank. Bei der Musterung fand er nur Steinbüchsen, einige Tonnen Pulver und etwa vierzig Schock Pfeile zu den Armbrüsten vor, die aber nur zum kleinen Teil bedient werden konnten. Wie sollte das Haus mit seinen Vorwerken gegen ernstlichen Angriff verteidigt werden? Immer drohender stiegen die Erdwälle an. Vom Turm aus konnte er deutlich sehen, wie sie mit schweren Geschützen armiert und die Kugeln dazu in den Winkeln der Verschanzungen aufgehäuft wurden. Er ließ auf dem Rathause anfragen, was das bedeuten solle, und erhielt die übermütige Antwort: das sei so der Länder und Städte Belieben. Nun wußte er, daß er aufs Schlimmste gefaßt sein mußte, und bereitete die Neustädter Bürger, die mit ihrer Habe vor dem Zorn der Altstädter in die Vorburg geflüchtet waren, auf den nahen Kampf vor. Die Weiber und Kinder jammerten; die Männer schauten düster drein. »Ist das Schloß zu halten«, fragten sie, »wenn wir gesamt die Waffen ergreifen?« Der Komtur war zu ehrlich, sie zu täuschen. Nun wollten sie ihr Schicksal nicht erschweren, indem sie sich zur Wehr setzten. Wußten sie doch, daß an ihnen der Abfall von Neustadt-Thorn vom Bunde gerächt werden würde.

Ein Teil von ihnen hielt's für geraten, sich lieber gleich der Gnade der Angreifer zu überantworten. Die Altstädter ließen sie aus dem Schloßtor und fingen sie ab. Es dürfe jeder aus der Burg, der wolle, sagten die Anführer, aber niemand hinein. Sie litten nicht, daß die Leute des Komturs in der Stadt Einkäufe machten und Vorräte ins Schloß schafften. Selbst Briefe durften nicht hinaus und hinein, der Bürgermeister Rutger von Birken hätte sie denn vorher gelesen. Das Schloß war schon vollständig belagert.

Als die im engeren Bunde dann der Meinung waren, der Absagebrief könnte dem Herrn Hochmeister jetzt Wohl schon ausgehändigt sein, schickte Rutger einen der jüngeren Ratsherren auf die Brücke, den Komtur zur Übergabe des Schlosses aufzufordern. Herr Albrecht Kalb erschien in voller Rüstung auf der Mauer und nahm sein Begehr entgegen. Noch aber meinte der tapfere Mann widerstehen zu müssen; er hoffte, daß der Entsatz unterwegs sei. Wie könnte der Orden das Haus Thorn aufgeben? Deshalb war seine Antwort: »Wir haben unserm Orden kein Haus gewonnen und wollen auch keins übergeben!«

»So tragt denn die Folgen«, rief ihm der Ratsherr zu.

In der Stadt entstand ein großer Lärm. Jost vom Wege brachte die gefangenen Gebietiger unter Bedeckung der böhmischen Söldner ein. Sie hatten sich, als sie die Straße gesperrt fanden, auf das Haus Papau geflüchtet. Die wenigen Ritter dort mußten jedoch die Verteidigung für ganz aussichtslos halten und ergaben sich mit ihnen. Nun wurden sie, an der Spitze der alte und kranke Marschall, durch die Stadt geführt und dem Hohn des gemeinen Volkes preisgegeben, das sie unter Schimpfreden und Flüchen nach ihrem Gefängnis geleitete und mit Kot bewarf. Das sei für Brünn. Exdorf biß die Zähne zusammen. Das Bubenstück war mit einem Bubenstück vergolten.

Tileman belobte seinen Sohn. Jost hatte ausgekundschaftet, daß keine Streitmacht des Ordens im Anzüge sei. Deshalb sollte noch denselben Abend mit dem Angriff auf das Schloß begonnen werden. Der Alte erbat sich für Jost den Oberbefehl in der Altstädter Schanze als Lohn für die Gefangennahme der Gebietiger. Drüben in dem Neustädter Erdwerk kommandierte Tergowitz. Nach einigen Stunden war alles zur Beschießung bereit. Von zwei Seiten zugleich donnerten die schweren Geschütze gegen das feste Schloß bis nach Mitternacht. Die Vorburg geriet in Brand. Hochauf schlugen die Flammen zum schwarzen Nachthimmel und beleuchteten grell die roten Mauern und Türme des hohen Hauses, in dessen Dach die Steinkugeln mit weithin schallendem Gepolter einschlugen. Schwach nur wurde das Feuer erwidert. Da scharte Jost die bewaffneten Bürger um sich und machte mit Sturmleitern einen Angriff gegen die Vorburg. Er gelang. Die wenigen Trabanten des Ordens, die noch kampffähig waren und Widerstand leisteten, wurden niedergehauen; andere suchten über die Mauer zu entkommen. Nun trennte die Angreifer nur noch ein trockener Graben vom eigentlichen Hause, das die Ritter verteidigten.

Am Morgen mußte Herr Albrecht Kalb wohl einsehen, daß keine Hilfe mehr zu erwarten, das Schloß rettungslos verloren sei. Deshalb schrieb er einen Brief an die »ehrbaren, gestrengen, wohltüchtigen und festen, vorsichtigen und wohlweisen lieben Herren Ritter und Knechte, Bürgermeister und Ratmannen jetzund von Land und Städten hier zu Thorn versammelt«, er bäte einige von ihnen, in den Konvent zu kommen, wegen der Übergabe unter Zusicherung freien Abzuges zu verhandeln. Das geschah. Die Bedingung wurde zugestanden, doch sollten die vom Bunde Abgefallenen ausgeschlossen sein. Dann wolle er sich lieber mit den Brüdern unter den Trümmern der Burg begraben lassen, antwortete der Komtur. Nun gaben die Bündischen nach. Schweren Gemüts räumten die wenigen Ritter das Schloß und begaben sich in das Barfüßlerkloster. In vierzehn Tagen sollten sie die Stadt verlassen dürfen, mußten aber geloben, sich nicht nach der Marienburg zu begeben. Dorthin berichtete der Komtur mit tiefem Schmerz seinem Meister den Fall des Hauses. »Hätte Euer Gnaden größeren Fleiß getan und das Haus besser bemannt, unserthalben sollt' es nicht übergeben sein!«

An der Spitze des Hauptturms aber leuchtete am Abend nach der Übergabe ein helles Feuer auf. Das war das verabredete Zeichen, überall loszuschlagen. Die nächsten Schlösser wurden von den Bündischen und ihren Söldnern überrumpelt oder im Sturm genommen. Und wieder flammte an der Turmspitze das Signal weiter ins Land hinaus. In wenigen Tagen waren alle festen Häuser im Kulmer Lande in des Bundes Gewalt. Es fielen die Schlösser von Danzig und Elbing, der Spittler Reuß von Plauen mußte nach tapferer Gegenwehr Preußisch-Holland, das er persönlich verteidigte, der Übermacht weichend, mit den Brüdern verlassen. Vergeblich hatte er den Hochmeister beschworen, ihm zu gestatten, die für den Orden geworbenen Söldner mit ins Land bringen zu dürfen. Nun kamen sie zu spät. Nach den ersten Erfolgen des Bundes gingen alle ehrbaren Leute, die noch geschwankt hatten, zu ihm über. In wenigen Wochen hatte der Orden fast seine sämtlichen Burgen verloren. Nur die Marienburg mit wenigen anderen hielt dem Ansturm stand.

Und nun berieten die Obersten des Bundes, was mit den eroberten Schlössern geschehen solle. »Wir wollen sie selbst mit unserer Mannschaft besetzen und gegen jedermann behüten«, sagten die Landesritter. Das war denen von den kleinen Städten bedenklich; sie fürchteten, unter noch schlimmere Herren zu kommen, als die Brüder vom Deutschen Orden gewesen waren. »Laßt uns die Burgen dem König übergeben«, schlugen sie vor, »damit er uns besser gegen die Kreuziger verteidige.« Ihnen stimmten auch viele von den Ländern bei, die Verdacht hatten, die Eidechsen wollten sich zu Zwingherren aufwerfen. »Wir brechen die Schlösser!« rief Tileman vom Wege, die Faust auf den Tisch setzend. »Kein Stein soll auf dem andern bleiben! Thorn, Danzig, Elbing sind darüber eins. Will der Bauer den Storch nicht länger auf dem Dache leiden, so wirft er ihm das Nest herunter. So tun wir's auch. Jetzt freilich sind wir stark genug, die Häuser zu besetzen, und möchten sie wohl auch gegen den Orden halten. Aber wer weiß, ob sich die Stadt allemal auf ihren Hauptmann verlassen kann, dem sie ein festes Schloß anvertraut? Wir wollen niemand in Versuchung führe«. Und wäre auch von daher keine Gefahr – vergeht nicht, daß wir einen Mächtigeren zum Schutz anrufen als den Orden! Den König von Polen könnt's Wohl gelüsten, die Häuser mit seinen Leuten zu besetzen und sie stärker auszubauen, als sie je gewesen. Dann mögen wir zusehen, wie wir unsere Freiheit behüten. Er soll unser Herr sein auf unsere Bedingung, nicht nach seiner Gnade. Bevor wir ihm das Land antragen, wollen wir sicher sein vor Schaden. Die Burg, die an der Stadt Mauern stehen bleibt, ist ihr eine ewige Drohung; die Burg, die einmal gebrochen ist, baut er nicht wieder auf. Darum brechen wir sie, da wir die Macht dazu haben!«

Der Thorner Rat trat ihm bei. So wurden denn eiligst die Zimmerleute und Maurer und Dachdecker und viele Tagelöhner zu diesem Vernichtungswerk gedungen und in die Burg geführt. »Schade um die schönen festen Mauern – schade um die prächtigen Gewölbe – schade um das gewaltige Dachgebälke«, sagte da mancher zu seinem Nachbar. Den guten Handwerkern war's nicht ganz geheuer bei dem Gedanken, daß sie zerstören sollten, was einst mit so viel Fleiß und Kunst aufgebaut worden. Sie hatten auch eine dunkle Ahnung, daß es sich für sie wenig schickte, in den Jubel über das Ungemach des Ordens einzustimmen, und daß sie helfen sollten, die Hand ihres besten Freundes zu lähmen, der sie bisher stets gegen Anmaßung und Willkür des Rates in Schutz genommen hatte. Wenn hier kein festes Schloß mehr stand, dessen Hauptmann sich Gehorsam erzwingen konnte, wie sollten fortan Streitigkeiten unter den Mächtigen und Schwachen in der Bürgerschaft ausgetragen werden? Die Herren wollten keinen Herrn über sich haben. Jawohl, das war verständlich. Aber die Gemeinen, die am Stadtregiment nicht teilhatten ... Sie legten sich das nicht deutlich zurecht. Wie sollten sie auch? Sie waren als Handwerker gedungen und wurden aus dem Stadtsäckel gut bezahlt. Aber es lag wie ein Alpdruck auf ihnen, daß sie nicht heiter an die Arbeit gehen konnten und sich scheu im Burghof, in den Galerien, Remtern und Zellen der Brüder vom deutschen Hause umschauten, als sollten sie ein Unrecht begehen oder etwas Törichtes beginnen.

Endlich kletterte ein Dachdecker in die Spitze des höchsten Eckturms hinauf, deckte einige Pfannen ab, kroch durch die Öffnung hinaus und mühte sich, die eiserne Stange mit dem Knopf und dem Fähnlein zu lösen. Man sah ihn von der Stadt aus in der luftigen Höhe hantieren; alles Volk lief zusammen, ihn zu beobachten, und füllte bald den Platz vor den Schloßmauern. So hatten vielleicht die Thorner Bürger vor zweihundert Jahren zugeschaut, als die Spitze aufgesetzt und das Werk gekrönt wurde, von dem sie sich einen starken Schutz gegen Angriffe der feindlichen Stammpreußen verhoffen durften. Wie so ganz andere Empfindungen erregte das jetzige Schauspiel. Nun hatte der waghalsige Mensch da oben die Bolzen ausgezogen – nun hob er die Stange – nun sank sie um und schlug polternd auf die Dachziegel auf – nun glitt sie hinab. »Kopf weg!« schrie er. Tausend Stimmen antworteten mit einem lauten »Hurra!« Knopf und Fähnlein drehten sich zwei-, dreimal umeinander, dann verschwanden sie hinter dem Dach des Schlosses. In der nächsten Sekunde klang das Eisen auf dem Steinpflaster des Burghofs. Der Knopf zersprang, alte Münzen fielen heraus. Das verrostete Blechfähnlein mit dem eingeschnittenen Bilde der Heiligen Jungfrau brach mitten durch.

Dann folgten die buntglasierten Mönche und Nonnen, bis der Dachstuhl des Turmes ganz abgedeckt war. Die Zimmerleute eilten hinauf und lösten das Gebälk aus seinen Fugen. Die Maurer arbeiteten mit Brecheisen, die festgefügten Ziegel zu lockern. Die Steine wurden hinabgeworfen. So wurden auch die andern Türme, die Dächer, die Gewölbe, die Mauern des Schlosses gebrochen, die Keller mit den zerschlagenen Ziegeln gefüllt. Es war eine schwere Arbeit, denn das Haus schien für die Ewigkeit gebaut. Sie dauerte viele Wochen lang. Dann aber war das Zerstörungswerk auch vollständig nach dem Herzen Tilemans vom Wege: kein Stein blieb auf dem andern. Wo das Ordensschloß gestanden hatte, türmte sich jetzt ein riesiger Schutthaufen. Er sollte nach des Rates Beschluß nicht abgetragen werden, sondern für alle Zeit unberührt bleiben, die verfluchte Stätte wüst liegen, ein Wahrzeichen für die künftigen Geschlechter, daß ihre Vorfahren die Zwingburg gebrochen und sich die Freiheit erkämpft hatten!

Das Haus Thorn war das erste gewesen, das der Deutsche Orden im Lande Preußen zur Unterjochung der Heiden und zum Schutz seiner deutschen Einzöglinge errichtet hatte – es war das erste, das beim Verfall seiner Macht in Trümmer ging.

So brachen auch die Danziger und Elbinger ihrer Herren Schlösser. Und so gründlich gingen sie zu Werke, daß kaum noch die Stelle bekannt blieb, auf der sie gestanden hatten.

Unterdessen waren die Sendboten des Bundes nach Krakau zum König von Polen abgereist, ihm das Land Preußen »als dem rechten Erbherrn« anzubieten. An der Spitze stand Hans von Baisen, jetzt dem Orden der Verhaßteste, »der lahme Basilisk«.

König Kasimir hatte soeben seine Hochzeit mit Elisabeth, Kaiser Albrechts Tochter, gefeiert. Er nahm des Bundes Antrag freundlich auf, obgleich er noch nicht einmal die mit Glückwünschen zum Fest erschienenen Abgesandten des Hochmeisters verabschiedet hatte, ließ ihre Bedingungen von einem Kronrat untersuchen – alle Zölle sollten aufgehoben, die gebrochenen Burgen nie wieder aufgebaut werden, die Güter des Ordens denen verbleiben, die sie sich im Kampf angeeignet –, und zögerte nicht lange mit einer gnädigen Antwort.

Er erklärte dem Deutschen Orden den Krieg und ernannte Hans von Baisen zu seinem Stellvertreter – zum »Gubernator des Landes Preußen«, das der Krone Polen für ewige Zeit inkorporiert worden.

Zur selben Zeit war zu Thorn bei der Ratskehr Tileman vom Wege wieder zum regierenden Bürgermeister erwählt worden.

Er hatte, als König Kasimir mit großem Gefolge dorthin kam, die Huldigung der Stände anzunehmen, die von Ländern und Städten zahlreich erschienen waren, die Ehre, der erste zu sein, der ihm den Eid leistete.

Er sprach ihn ohne Zittern der Stimme. Aber das Herz zitterte ihm vor freudiger Genugtuung: »Die Schmach, die Ludwig von Erlichshausen mir angetan, ist an seinem ganzen Orden gerächt!« –


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