Ernst Wichert
Der Bürgermeister von Thorn
Ernst Wichert

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Achtes Kapitel

Der Bund

In der Stadt Thorn an der Weichsel, der ältesten, mächtigsten und reichsten des Ordenslandes Preußen, war zu Anfang des Jahres eintausendvierhundertundfünfzig ungewöhnliche Bewegung.

Es war dieses ein Jubeljahr. Papst Nicolaus V. hatte zur Weihnacht die vermauerte Pforte des heiligen Petrus öffnen lassen und jedem, der nach Rom pilgerte und dort reumütig sein Gebet verrichtete, vollen Ablaß seiner Sünden zugesagt. Nun war in der ganzen Christenheit das Verlangen groß, sich solcher Gnaden teilhaft zu machen, und selbst im fernen Preußen rüstete man sich überall zu der weiten und beschwerlichen Reise, für zeitliche Mühen das ewige Heil zu erwerben. In der Stadt Thorn sammelten sich die Pilgerscharen zu gemeinsamem Zug über die Alpen.

So überraschend groß war der Zudrang der Gläubigen zu diesen Pilgerfahrten, daß der Orden ganz ernstlich eine Entvölkerung des Landes befürchtete. Noch berechtigter mochte die Sorge sein, daß viel Geld hinausgetragen würde, nicht nur alle Ersparnisse daraufgehen, sondern auch von den ablaßbegierigen armen Leuten Habseligkeiten weit unter ihrem Wert veräußert werden möchten, um nur die Mittel für die Reise und für die Spenden am Grabe des Apostels aufzubringen. Es war vorherzusehen, daß Scharen von Bettlern ins Land zurückkehren würden. Aber der dringenden Bitte des Ordens, einen Legaten nach Preußen zu schicken, der hier an Ort und Stelle den Ablaß zu spenden ermächtigt würde, hatte sich der Papst nicht willfährig gezeigt, und alle Ermahnungen, den gefahrvollen Weg durch Polen und Mähren zu bedenken, erwiesen sich als fruchtlos. Zu schwer waren die Gemüter bedrückt von den Leiden des letzten Krieges mit Polen, dessen Nachwehen auch die kluge Regierung des jüngst verstorbenen Hochmeisters nicht ganz hatte beseitigen können.

Auf ihn hatte man große Hoffnungen gesetzt, die nun sein unerwartet früher Tod vereitelte. Es gingen Gerüchte um, in seiner letzten Krankheit sei viel Unverantwortliches geschehen, das man geheimhalten möchte und doch nicht könnte. Eine preußische Waidelotin, die ihre Zauberkunst von den heidnischen Vorfahren geerbt, sei zu ihm geführt worden und habe ihm einen Trank gegeben, der das ganze Schloß Marienburg verpestet, so daß noch jetzt nach Monaten niemand die Krankenzelle betreten könne, ohne von einem Schwindel erfaßt zu werden. Der Hochmeister sei so betäubt worden, daß er nicht einmal mehr zur letzten Beichte die Besinnung hätte wiederfinden können. Der Orden habe sich Gott abgewandt und treibe Zauberei, um mit des Teufels Macht seine Herrschaft zu behaupten. Konrad von Erlichshausen aber sei vielen von den Gebietigern ein Dorn im Auge gewesen, weil er's mit dem Lande gehalten und gegen die Untertanen Gerechtigkeit geübt; deshalb sei ihnen sein Tod erwünscht gekommen. Was sie nun aber im Schilde führten, könne man wohl vermuten: dem Lande solle Zwang angetan werden, dazu suchten sie den rechten Mann. Der Unfriede würde wieder einziehen und der Krieg sein Kumpan sein. So meinte jeder zu fühlen, daß etwas Unheilvolles in der Luft läge und sich über das arme Land entladen werde, wenn Gott nicht helfe. Ihn in dieser bevorstehenden großen Not anzurufen, um womöglich durch Erbittung seiner Gnade das Schlimmste, wenn nicht von der Gesamtheit, so doch von sich selbst und den Seinen abzuwenden, war nun allen Schwachen und vornehmlich denen Bedürfnis, die ihre kirchlichen Pflichten in den Wirren der Zeit vernachlässigt und allerhand Sünden auf ihr Haupt gehäuft hatten. Jetzt war die Gelegenheit gegeben, durch einen großen Bußeakt sich von aller Schuld reinzuwaschen und Gottes Beistand zu gewinnen. Wer St. Peter in Rom gesehen, der hoffte wenigstens selig sterben zu können.

Der Stadt Thorn war dieser Zufluß von Fremden gar nicht unerwünscht. Tage-, manchmal wochenlang mußten die Pilger sich dort aufhalten, bis alle Vorkehrungen zur weiten Reise getroffen waren und die einzelnen Züge sich geordnet hatten. Hier, dicht an der Grenze der Heimat, war einzukaufen, was unterwegs in den unwirtlichen Ländern der Slawen nicht für alles Gold zu haben war. Kleinere Gesellschaften vereinigten ihre Mittel, kauften ein Fuhrwerk an und beluden es mit Lebensmitteln, Schuhwerk, Mänteln und Schlafdecken. Wußten sie doch voraus, daß sie viele Monate unterwegs sein würden. Nach Thorn brachte noch jeder etwas mit, hier rechnete noch niemand allzu ängstlich. Die Klöster der Franziskaner und Dominikaner sowie das Nonnenkloster ordinis St. Benedicti zum Heiligen Geist herbergten viele der Ärmeren, aber ihre Gastzellen und selbst die offenen Kreuzgänge zeigten sich unzureichend für den immer breiteren Zustrom, so daß die Bürgerhäuser ihn ableiten mußten. Geschah nun auch manches für die Pilger aus Frömmigkeit zur Ehre Gottes allein, so war man in der großen Handelsstadt doch immer geneigt, seinen Vorteil zu bedenken und auch von frommen Werken seinen Verdienst einzuziehen. Warum sollte das Jubeljahr, das so reichlich des Papstes Säckel füllte, nicht auch der Stadt Thorn ein gesegnetes sein?

Ihr erster Bürgermeister, Herr Tileman vom Wege, hatte in seinem Hause am Markt freilich andere Sorgen, als wie die Romfahrer ein gutes Unterkommen fänden, wennschon er seine alte Haushälterin Renate, eine fromme Wittib, nicht hinderte, die leeren Räume des oberen Geschosses zu Gastzimmern für vornehmere Leute einzurichten, was ihr zu einem schönen Dank meist auch noch schönere Trinkgelder zubrachte. Seit dem Tode seiner Frau war sein großes Haus, früher eines der gastlichsten in der Reihe der hochgiebeligen Patrizierhäuser, klösterlich still geworden. Nicht mehr leuchteten die Wachskerzen von den Doppelhaltern an den getäfelten Wänden des Saales den festlich geputzten Tänzern und Tänzerinnen, nicht mehr beluden zahlreiche Diener die schweren Eichentische mit Schüsseln und Kannen, nicht mehr spielten die Musikanten in der Nische hinter dem Balkon lustig auf. Jahrelang hatte kein menschlicher Fuß diese Räume betreten, bis Jost erwachsen war und mitunter seine Zechgenossen dahin führte. Er selbst hatte sein Stübchen unter dem Dach im Giebel mit freundlicher Aussicht über den Markt und das stattliche Rathaus, dessen alter, noch vom ersten Bau erhaltener Turm hoch aufragte. Herrn Tilemans Geschäftsstube lag im Erdgeschoß und dahinter auch sein Wohn- und Schlafzimmer, enge und ziemlich düstere Räume, da sie durch die kleinen Fenster vom Hof her ihr Licht erhielten, neben Kammern, die zur Aufbewahrung von Warenvorräten dienten. Frau Renate bewohnte das Hangestübchen im Flur, wohin vom Ansatz der großen Treppe einige Stufen seitwärts führten. Sie übersah von hier aus am besten das Haus und hatte es auch nicht weit bis zur Küche im ersten Stock, die einst für größere Verhältnisse eingerichtet war und jetzt von einer alten Magd besorgt wurde.

Regelmäßig schon früh des Morgens ging Herr Tileman vom Wege nach dem Rathause hinüber und brachte dort einige Stunden zu. Er nahm dort als »regierender« Bürgermeister die Meldungen der Polizeiherren der vier Quartiere entgegen, in welche die Stadt eingeteilt war. Sie hatten über nächtliche Unruhen und Vorfälle bei den Torwachen zu berichten. Dann fand sich auch der zweite Bürgermeister und ein Teil des aus zwölf Personen bestehenden Rats ein, um vorzutragen, was sie anging. Kamen Boten mit Briefen aus den kleinen Städten oder aus Danzig an, so wurden sie abgefertigt oder angewiesen, bis nach der nächsten Ratssitzung zu warten. Es mußte dann für Herberge und Verpflegung gesorgt werden. Der Verkehr war meist lebhaft, da Thorn als das Haupt der preußischen Städte galt, auch ein wichtiges Mitglied der Hansa war und Handelsverbindungen weit nach Polen hinein sowie über Danzig mit Dänemark, Holland und England unterhielt. Die Stadt hatte das Stapelrecht für alle auf der Weichsel anlangenden Waren und hütete es eifersüchtig als die Quelle ihres Reichtums gegen jeden Eingriff seitens der polnischen Magnaten, die gern unter allerhand Vorwand Befreiungen beanspruchten, wie der Danziger, die schon lange danach strebten, die Verladung zur See allein in die Hand zu bekommen. Es gab dann auch oft genug Schälung mit der Neustadt Thorn, die vom Orden abhängiger war, ihre eigene Verwaltung hatte und als Konkurrentin im Handel mißtrauisch beobachtet wurde. Beide Städte waren durch Mauer und Graben voneinander abgesperrt, doch so, daß zwei befestigte Tore für gewöhnlich den Durchgang gestatteten.

Zwischen den Städten nach dem Strom hin lag die Ordensburg, eine Festung für sich, das Haus auf dem Hügel von dreifacher Mauer gedeckt, an den Ecken mit Türmen versehen. Dort befehligte der Komtur Albrecht Kalb und wachte mit Strenge darüber, daß die Rechte der Herrschaft nicht verletzt würden. Den Alt-Thornern bereitete das Schloß viel Verdruß, es mahnte sie fortwährend, daß sie einen Herrn über sich hätten, der sie allenfalls auch mit Waffengewalt zum Gehorsam zwingen könnte. Es fehlte daher nie an Reibungen zwischen dem Komtur und dem Rat der Stadt, da beide nicht Fußbreit weichen wollten, wenn über Machtbefugnisse Streit war. Dann gingen scharfe Briefe hin und her, oder Abgesandte beider Teile verhandelten miteinander. Kam man nicht zum Ausgleich, so gingen Boten mit Beschwerden nach der Marienburg ab, und die Spannung verstärkte sich; jeder suchte dem andern Ungelegenheiten zu bereiten, um ihn mürbe zu machen. Mitunter kam auch der Komtur selbst in die Stadt geritten, auf dem Rathause einen wichtigen Befehl seiner Oberen zu überbringen oder eine arg verfahrene Sache durch persönlichen Eingriff wieder ins rechte Gleise zu bringen. Dann war Herr Tileman vom Wege gerade der rechte Mann, jeden vermeinten Angriff auf die Gerechtsame der Stadt mit schneidigen Worten abzuschlagen und dem wenig redegewandten Ritter heimzuleuchten. An solchen Gefechten hatte er seine Freude, und Herr Albrecht Kalb fürchtete ihn als einen Gegner, der stets gewaffnet dastand und sich selten eine Blöße gab.

Boten so die laufenden Geschäfte täglich schon genug zu tun, so kam in diesen strengen Zeitläuften noch manches Außerordentliche hinzu. Es galt, die großen Städte in Einigkeit zu erhalten, sich des Beistandes der kleinen zu versichern, mit den Ritterschaften der benachbarten Gebiete in steter Fühlung zu bleiben, den Eidechsenbund, jene alte, dem Orden verhaßte Verbindung der Ritter und Knechte im Kulmer Lande, zu festestem Zusammenschluß anzuspornen. Jetzt oder nie war es an der Zeit, dem Orden mit vereinten Kräften die Bewilligung von Rechten abzuringen, um die ein Menschenalter hindurch gekämpft war, ohne daß sich der eine oder andere Teil des Sieges rühmen durfte. Hans von Baisen, reich begütert, schon unter dem Hochmeister Heinrich von Plauen Vorschneider an der Fürstentafel, dann als Botschafter nach England an König Heinrich IV. geschickt, eine bedeutende Schadenssumme einzukassieren, von König Johann von Portugal als Schildträger des Infanten Eduard nach der Schlacht bei Ceuta, wo er tapfer gegen die Ungläubigen kämpfte, zum Ritter geschlagen, später des Hochmeisters geschworener Rat und einflußreicher Vermittler in Landesstreitigkeiten, jetzt an einem Fußleiden krank, aber noch immer voll geistiger Rührigkeit, reiste ab und zu, sich mit Tileman vom Wege ins Einvernehmen zu setzen, oder schickte seinen Bruder Gabriel, den Eidechsenritter, und seine anderen Brüder Stibor und Sander mit Aufträgen nach Thorn. Auch der Landesritter Hans von Czegenberg, ein Hauptführer des Bundes, erschien häufig dort. Die Eidechsenritter Augustin von der Schewe, Jon von Eichholz, Michael von Buchwalde, Georg von Kuthenau und viele andere aus dem Kulmer und Osterodeschen Gebiet hielten Zusammenkünfte und zogen Tileman vom Wege als Berater zu. Auf Tagfahrten in den kleinen Städten wurden die Getreuen des Bundes aus der Nachbarschaft versammelt, von allen Neuigkeiten unterrichtet und zu festem Zusammenhalt ermahnt. Man wollte dem neuen Hochmeister, wer er auch sei, nicht huldigen, er hätte denn vorher alle Beschwerden abgestellt und den allgemeinen Richttag bewilligt. Dazu fand sich Bartholomäus Blume ein, immer beschwichtigend und zum Frieden mahnend. Der Geist der Widersetzlichkeit, der aus den Führern des Bundes sprach, gefiel ihm nicht. Er beschloß, sich nicht mitreißen zu lassen, überall aufzumerken, wohin das Schiff gesteuert werde, und sich von abenteuerlichen Fahrten fernzuhalten.

Es hatte Tileman und seinen Gesinnungsgenossen wenig zugesagt, daß die Ordensgebietiger einen Monat nach des Hochmeisters Tode zögerten, den Statthalter zu ernennen. Sie argwöhnten, der Orden wolle ihnen damit zu verstehen geben, er erachte sich selbst als den Landesherrn und brauche solche Würde der Untertanen wegen nicht einzusehen, da sie doch nur den Hochmeister als ihren Landesfürsten anerkennen und deshalb dessen Stellvertreter bis zur neuen Wahl nicht für entbehrlich halten wollten. Endlich wurde Richtenberg ernannt. Es hieß, der Wahltag sei ausgeschrieben, aber wieder bis Ende März verschoben, da die auswärtigen Würdenträger nicht so schnell im Winter heranreisen könnten. Dann wurde die Ankunft des Deutschmeisters Jobst von Venningen in der Marienburg gemeldet. Wer ihn gesehen hatte, schilderte ihn als einen Mann mit auffallend strengem und finsterem Gesicht, von dem nichts Freundliches zu erwarten sei. Auch der alte und gebrechliche Landmeister von Livland, Herr Heidenreich Finke von Overberg, durch schwere Krankheit hingehalten, langte dort an, um bei dem wichtigen Wahlakt nicht zu fehlen. Darüber war man froh, denn er galt als ein sehr verständiger und wohlwollender Herr, der in Livland bei den Untertanen viel Liebe hatte. Er würde es, hoffte man, zu Gewalttätigkeiten gegen den Bund nicht kommen lassen.

Tileman vom Wege hatte ein aufmerksames Auge auf alles, was in der Marienburg geschah. Es war ihm gelungen, mit einigen von den unzufriedenen Ordensbrüdern geheime Verbindung anzuknüpfen und sie sich durch reichliche Geschenke geneigt zu machen.

Sein Sohn, der immer zwischen Thorn und Marienburg unterwegs war, kundschaftete sie aus und erstattete Bericht. Waren diese Nachrichten auch unsicher und ungenau, so stellten sie doch außer Zweifel, daß im Orden selbst, vornehmlich auf Betrieb des Deutschmeisters, etwas eingeleitet wurde, dem künftigen Hochmeister im voraus die Hand zu binden. Die Gebietiger seien über eine Art von Wahlkapitulation einig geworden, hieß es; danach solle der neue Meister verpflichtet sein, gleich viele Personen von den streitenden Landsmannschaften in seinen innersten und äußersten Rat aufzunehmen, jedem Gebietiger die Anstellung seiner Hauskomture und Amtsleute frei zu überlassen, auch keinen Ordensbruder in die Eisen zu schlagen oder in den Turm zu weisen und Zeugnis weltlicher Leute gegen ihn zu gestatten. Vor allem habe er darauf zu bestehen, daß das Land nicht ihm allein, sondern dem ganzen Orden huldige. Es sei nicht ausdrücklich in die Artikel gesetzt, solle ihm aber ernstlich aufgetragen werden, den Bund nicht ferner zu dulden, sondern für dessen schleunige Abstellung, in Güte oder mit Gewalt, zu sorgen. Venningen mache aus seiner Hoffnung kein Hehl und lasse es jeden wissen, der ihn anhören wolle, daß solches Treiben der Untertanen allen Kurfürsten und Fürsten des Reichs bedenklich und unleidlich erscheine und der Papst auf Anrufen nicht anstehen werde, es zu verdammen. Tileman erfuhr da nur, was er nicht anders vorausgesetzt hatte.

»Man will mit uns zu keinem Vergleich kommen«, sagte er, »sondern uns ganz unterdrücken. Aber wir wissen nun, von woher der Wind weht, und werden danach die Segel stellen.« Es war keine Zeit zu verlieren. Insgeheim wurden die Angesehensten des Bundes zu einer Tagfahrt berufen. Man beschloß, um so fester zusammenzuhalten und die Huldigung nur mit demselben Eide zu leisten, den man Konrad von Erlichshausen geschworen hatte.

Doch zeigten sich hier schon einige von den Gliedern nicht mehr ganz zuverlässig. Bartholomäus Blume mahnte dringend, erst abzuwarten, wer zum Hochmeister gewählt werden würde und welche Botschaft von ihm an das Land ergehen werde, nicht aber im voraus feindliche Stellung zu nehmen. Man solle Rittern, Knechten und Städten nicht mit Recht vorwerfen dürfen, sich zum Widerstand gerüstet zu haben, ehe ihnen noch von dem neuen Herrn auf ihre Beschwerden geantwortet worden. »Sehet zu«, sagte er, »daß ihr nicht Mißtrauen säet und Haß erntet. Ihr wollet zwar den Hochmeister als euren Fürsten annehmen, aber den Orden nicht als eure Herrschaft anerkennen. Er ist's aber doch nach päpstlichen und kaiserlichen Briefen und wird in solchen Unterschied nie willigen können. Unser Streit ist ein Streit der Untertanen mit ihrem Herrn und muß so ausgefochten werden. Beschließt ihr nun, eurem Herrn nicht zu huldigen, er endige denn vorher den Streit nach eurem Willen, so nenne ich das eine Absage, zu der ihr kein Recht habt. So weit gehe ich nimmer mit euch, und es sind noch andere, die denken wie ich. Soll der Bund halten, so mag man seinen Gliedern nichts Unbilliges zumuten.«

Darüber entstand Lärm in der Versammlung, und Tileman antwortete bissig: »Wir danken Euch, Herr Bartholomäus, daß Ihr uns so aufrichtig Eure Meinung gesagt habt. Wundert Euch denn nicht, daß auch wir kein Blatt vor den Mund nehmen. Wir wissen wohl, daß man Euch aufs Schloß geladen und mit viel guten Worten gestreichelt hat. Der gestrenge Herr Deutschmeister ist Euch gar zärtlich ums Kinn gegangen und Herr Heidenreich Finke von seinem Krankenstuhl aufgestanden, Euch die Hand zu reichen. Da singt Ihr nun das Lied, das sie Euch gelehrt haben, findet auch vielleicht einige Gimpel, die's nachpfeifen. Aber gebt wohl acht! Wenn Ihr den Bund sprengen wollt, so müsset Ihr besser Pulver unterlegen. Denn was die Mehrheit beschließt, das gilt, und dem hat sich die Minderheit zu fügen. Der Stadt Marienburg Siegel hängt an dem Bundesbrief. Versucht es abzureißen! Ich denke, wir sind nicht Kinder, die das Spiel werfen, wenn's nicht nach ihrem Willen geht.«

Dafür ward ihm viel Beifall, Blume aber entfärbte sich und entgegnete ernst: »Daß ich aufs Schloß geladen bin, hab ich niemand verheimlicht, und was da gesprochen worden, ist nichts Unrechtes. Ihr wisset selbst, Herr Tileman, daß es mit der Klugheit nicht besteht, solche Ladung auszuschlagen, sie gefalle oder gefalle nicht. Aus meiner Gesinnung hab ich auch vorher kein Hehl gemacht, meine auch jetzt nicht anders zu sprechen als früher. Was aber Eure Drohung betrifft – die Stadt Marienburg ist frei zum Bunde getreten, und ich sage nicht, daß sie ihr Siegel zurückfordert. Sollte sie aber in Zukunft dazu genötigt sein, um ehrlich in ihrer Pflicht zu bleiben, so wird hoffentlich auch dann ihr Wille frei sein, und stände ihre eine Stimme gegen alle. So allein stehen wir aber nicht, wenn man erst merkt, daß Ihr hinter dem Berge haltet.«

Der Thorner Bürgermeister hielt es für geraten einzulenken, um die Einigkeit nicht zu stören, reichte ihm die Hand und sagte lachend: »Es ist nicht so gemeint, Barthel. Wir kennen Euch als ehrlich und treu. Ihr liebt's aber, in Euren Gedanken die Dinge gleich auf die Spitze zu treiben, als müßten sie durchaus da hinauf, wenn sie einen Anlauf nehmen. Wer bescheiden fordert, wird noch bescheidener abgefunden; kann man das Ganze nicht haben, begnügt man sich zuletzt wohl auch mit einer Abschlagzahlung. Ein Tor aber ist, wer die Hände in den Schoß legt, während der Gegner rüstet. Es sind im Bunde einige, die gern im Trüben fischen möchten. Hütet Euch vor ihrer Gesellschaft; sie könnt' Euch leicht in schlechten Ruf bringen, den Ihr doch nicht verdient.«

Er sah sich bei diesen Worten im Kreise der Anwesenden um, und sein Blick blieb eine Weile auf Herrn Martin Vogel, dem Bürgermeister der Neustadt Thorn, haften. Er hatte ihn wohl nicht mit Unrecht im Verdacht, nur allzu willig den Einflüsterungen des Komturs Albrecht Kalb Gehör zu geben, der ihm und seiner Stadt goldene Berge versprechen mochte, wenn es gelänge, die Altstadt Thorn zu demütigen. Er hatte Blume in letzter Zeit viel mit diesem als ränkesüchtig bekannten Manne verkehren gesehen. In der Tat wartete Vogel nur auf die günstige Gelegenheit zum Abfall vom Bunde, dem seine Gemeine unter dem Zwange der übermächtigen Nachbarstadt beigetreten war, und hielt sie für gegeben, wenn Marienburg den Anfang machte.

War sonach das Verhältnis zwischen Tileman vom Wege und Bartholomäus Blume gespannt, so hatte auch die Freundschaft zwischen ihren Söhnen einen merklichen Riß bekommen. Jost, obgleich selbst immer auf geheimen Wegen in seines Vaters Auftrag, verzieh es Marcus nicht, daß dieser sich des fremden Mädchens wegen in Schweigen hüllte, und Marcus konnte ihm seine Dreistigkeit bei Ursula nicht vergessen. Seine leichtfertige Sprache verletzte ihn um so mehr, als er ihn doch seiner Schwester sehr ergeben geglaubt hatte. Er hatte auf Jost ein Auge und meinte zu bemerken, daß Magdalene ihm gleichgültiger geworden war. Sie selbst hatte ihm's längst verziehen, daß er sich einen Augenblick durch die märchenhafte Erscheinung des Waldfräuleins fesseln und zu einer Torheit verleiten ließ. Daß der Eindruck tiefer gegangen sei, daß ihr eigenes Bild in seinem Herzen wohl gar dadurch ausgelöscht sein könnte, war ihr ein unfaßlicher Gedanke. Eher meinte sie selbst etwas versehen, ihn unwissentlich durch irgendein unbedachtes Wort gekränkt zu haben. Frau Blume, die allezeit ihres Mannes gute Vertraute war, sagte: »Der Sohn folgt nur des Vaters Weisung. Herr Tileman vom Wege hat mit Barthel einen Strauß der öffentlichen Händel wegen und will freie Hand haben, die alte Freundschaft abzubrechen, wie es ihm beliebt. Da soll ihm Jost nicht einen Riegel vorlegen. Es kann uns nur lieb sein, daß er sich zu rechter Zeit besinnt, was er seinem Herrn Vater meint schuldig zu sein.«

Die kluge Frau täuschte sich aber diesmal doch, wenn sie Tileman im Verdacht hatte, in dieser Weise auf seinen Sohn einzuwirken. Freilich kam es ihm nicht einmal im Traum, daß Jost ernstlich mit dem Gedanken umgehen könnte, ihm Magdalene als Tochter zuzuführen. Er hatte ganz andere Verbindungen mit Thorner Patrizierfamilien in Aussicht genommen. Aber es war ihm gerade jetzt von größter Wichtigkeit zu erfahren, was im Blumeschen Hause vorging, und er schärfte daher seinem Sohn ein, den Verkehr dort recht eifrig fortzusetzen, um den Marienburger Bürgermeister vertraulich zu stimmen. So sah sich Jost nun doch wieder genötigt, die alten Freunde aufzusuchen und sie seine Verdrießlichkeit nicht merken zu lassen. Manchmal war er wieder ganz der alte heitere Geselle, der auch Magdalene aufrichtig ergeben schien. Wirklich durfte er nur wieder eine Weile in ihre treuen Augen schauen, um wie umgewandelt zu werden und sich im Innersten zu bekennen, daß sie doch noch die alte Macht über sein Herz hätten. Man wurde aus ihm nicht klug. Hielt er sich in Thorn auf, so stürzte er sich in den Strudel der winterlichen Vergnügungen. Es gab Tanz auf dem Rathause, Eislauf auf der Weichsel, Schlittenfahrt nach den Stadtdörfern und zum Besuch polnischer Edelleute jenseits der nahen Grenze. Die Rubit, von Putten, von Allen, von Essen, von Joest, lauter ordensfreundliche Familien, hatten vergnügungslustige Frauen und Töchter. Eva von Birken, die Tochter des zweiten Bürgermeisters Rutger von Birken, der Tileman eng befreundet war, galt für eine Schönheit, und Mathias Teschner, weitaus der reichste Mann in der Stadt Thorn, stellte gar drei Mädel, von denen auch die älteste für Jost noch nicht zu alt gewesen wäre. Er machte allen diesen jungen Fräulein gelegentlich den Hof, ohne das eine oder andere besonders auszuzeichnen. Seine lustigen Kumpane verloren manche Wette.

Gegen Ende des März endlich konnte Jost seinem Vater die mit größter Spannung erwartete Nachricht bringen, daß der neue Hochmeister gewählt und auf dem Marienburger Rathause feierlich angezeigt sei.

»Wer ist's?« rief Tileman, im Eifer seinen Arm ergreifend.

»Herr Ludwig von Erlichshausen, Komtur von Mewe«, gab Jost zur Antwort, »ein gar freundlicher und gütiger Mann, wie man sagt.«

»Ein nichtswürdiger Bube«, schrie der Alte, ganz blau im Gesicht, »ein niederträchtiger ...« Er schlug eine helle Lache auf und erstickte darin das Schimpfwort, das er auf den Lippen hatte.

Jost fuhr erschreckt zusammen. »Vater –«

»Also doch – doch – doch dieser Ludwig von Erlichshausen!« grinste der Bürgermeister. »Trotz aller Warnung! Ich wußt's ja, daß es umsonst sein würde: der Orden stürzt blind in sein Verderben, das die ewige Gerechtigkeit ihm vorbestimmt. Er – er –, gerade dieser Mann! Ich habe gewartet, daß das Schicksal ihn so hoch stellen sollte, damit er so tief niedergeschmettert würde. Da unten im Staube will ich ihn liegen sehen – den Hochmeister des Deutschen Ordens! Und wenn ich meinen Fuß auf seinen Nacken setze, will ich sagen: mein Herz ist gesättigt. Nun steht der Bund und soll nicht Wanken!«

»Was hast du mit Herrn Ludwig?« fragte Jost verwundert.

Tileman schüttelte die Hand in der Luft über seinem Haupte. »Das muß Geheimnis zwischen uns bleiben in Ewigkeit! Aber so wahr ein Gott im Himmel lebt – das ist ein Wink von ihm, die letzte Schwachheit abzutun und den Kampf zu beginnen auf Tod und Leben. Er – er! Des Ordens Hochmeister und dieses Bundes Fürst – mein gnädiger Herr! Hahaha! Mein gnädiger Herr. So ist's recht! Jetzt stehen wir einander gegenüber, zwei feindliche Mächte in zwei feindlichen Männern. Weil du fallen mußt, muß der Orden fallen!«

Seine Stimme klang heiser, aus seinem grauen Auge blitzte es wie Sonnenstrahl aus Gewitterwolken, seine Finger waren in zuckender Bewegung. Nie noch hatte Jost ihn so gesehen.

Aber nur wenige Minuten hielt dieser schreckhafte Zustand an. Dann war's, als ob Tileman sich plötzlich auf sich selbst besänne. Er seufzte tief und bückte die Schultern wie unter dem Druck einer schweren Last. »Welches Geschick – welches Geschick«, stöhnte er, »mir das –! Warum, gerechter Gott?« Er stand eine Weile unter dem Eindruck dieses furchtbaren Gedankens, vor sich hinstarrend ins Leere. Und dann strafften sich wieder seine Glieder, die Stirn glättete sich, wie von Eisen erschien das ganze Gesicht, die ganze gedrungene Gestalt. »An die Arbeit –«, sagte er ruhig und fest, »an die Arbeit, mein Sohn.«

Er schrieb noch denselben Tag Briefe an die Eidechsen und an die Häupter des Bundes. Die vertrautesten sollten insgeheim zusammenkommen und beraten, wie jede Überraschung klug zu vermeiden.

In der Marienburg wurden lärmende Feste zu Ehren des neuen Hochmeisters gefeiert, solange noch die Gäste aus der Ferne: der Deutschmeister, der Landmeister von Livland und die Wahlkommission aus Deutschland und Österreich daran teilnehmen konnten. Man gab sich gern den Anschein, jetzt aller Sorge entledigt zu sein und hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken. Auch die Landesbischöfe und Pröbste der Kapitel hatten sich eingefunden, ihre Ergebenheit zu versichern; nur der von Ermland fehlte, der sich etwas Höheres dünkte und in seiner Residenz Heilsberg aufsuchen lassen wollte. Er meinte sich vorläufig nicht zu enge an die Ordenspartei binden und lieber auf die Zeit passen zu sollen, in der seine Vermittlung erwünscht sein würde. An Konrad von Erlichshausen knüpften ihn freundschaftliche Bande. Jetzt hatte er freie Hand, vor allem den Vorteil seines Bistums zu bedenken, der ihm im engsten Anschluß an Rom am besten gewahrt schien. So einig er mit den obersten Gebietigern im Haß gegen den Bund war, so wenig teilte er doch deren Bedenken, den Papst gegen ihn anzurufen. Die drei anderen Bischöfe gehörten dem Orden an; Ermland allein hatte sich die geistliche Selbständigkeit bewahrt, und sie war ebenso dem Orden als dem Bunde gegenüber zu hüten. Von seinem Frauenburger Kapitel aber kamen zwei Domherren, Fühlung zu suchen und zu erkunden, wie weit man im Orden eine sichere Stütze habe. Dort auf der Höhe am Frischen Haff war die Stimmung schwankend. Man hätte gern die eigenen landesherrlichen Rechte gegen den Bund scharf verteidigt, wäre aber lieber mit dem Orden als mit dem Bischof gegangen, der sich immer zu Eingriffen geneigt zeigte, und hätte sich am Ende im Notfall noch eher mit dem Bunde verständigt als mit ihm. So herrschte auf allen Seiten Mißtrauen, und die schwächere Hand suchte die stärkere zu lähmen.

Das merkte auch Herr Ludwig von Erlichshausen bald nur zu empfindlich. Er hatte gleich nach seiner Wahl von den Prachtgemächern des Mittelbaues, der eigentlichen hochmeisterlichen Residenz, Besitz genommen und sie nach seinem weichlichen Geschmack durch Fußteppiche, Vorhänge und Polster wohnlicher einzurichten gestrebt. Von fürstlichem Luxus in der Ausstattung war freilich noch immer wenig zu spüren; er hätte sich aber doch in diesen hohen und hellen Räumen, wenn er sie mit seiner engen und kahlen Ritterzelle verglich, recht wohlfühlen können, wäre nur sein Amt erfreulicher gewesen. Aber so willig er auf alle die Bedingungen eingegangen war, unter denen des schwachen Mannes Wahl erfolgte, so drückte es ihn jetzt, der hochmeisterlichen Würde etwas vergeben zu haben. Und täglich erinnerte ihn der stolze Venningen daran, daß man sich ein Pfand hatte geben lassen und dasselbe ungeduldig eingelöst sehen wollte. Die Haltung der obersten Gebietiger, die er in ihren Ämtern gemäß dem gegebenen Versprechen bestätigt hatte, ließ ihn nicht im Zweifel, daß er fortan zu bitten, statt zu befehlen habe.

Ludwig von Erlichshausen war ein schöner Mann, über mittelgroß gewachsen und wohlgeformt, nicht gerade fettleibig, aber in allen Gliedmaßen sanft ausgerundet und völlig im Gesicht. Er mochte fünfzig Jahre zählen, aber das rotblonde krause Haar zeigte noch keine Lichtung und der üppige Vollbart keinen Schimmer von Grau. Die Haut war glatt wie Pergament und auch von ähnlich gelblicher Farbe, selten nur ein wenig gerötet und fast faltenlos über die breite, nicht hohe Stirn gespannt. Die Augen hatten natürlichen Glanz, aber die Lider senkten sich gewöhnlich tief darüber und gaben ihnen etwas Müdes, manchmal Schläfriges; doch konnte es auch seine Absicht sein, beim Gespräch keine Erregung merken zu lassen. Ein schlaffer Zug um den Mund und die ein wenig hängende Unterlippe paßten dazu. Die weiße, wohlgepflegte Hand hatte offenbar Arbeit nie gekannt und wahrscheinlich lange schon auch nicht einmal mehr das Waffenhandwerk geübt. Der große Hochmeisterring mit dem dunklen Stein gab ihr ein noch vornehmeres Ansehen. Der Ring am kleinen Finger der linken war ein Familienandenken, von ihm sehr wert gehalten. Er trug einen bis über die Knie fallenden Rock von seinem grauem Tuch, innen mit Pelz ausgeschlagen und von dem mit güldenen Buckeln besetzten Schwertgurt um den Leib zusammengehalten, darüber hing eine Kette von schöner Nürnberger Arbeit mit angehängter Kapsel, in welcher sich ein Splitter vom heiligen Kreuze befand. Er sprach mit leiser wohltönender Stimme, langsam und meist ohne schärferen Ausdruck. Wer ihn verstehen wollte, mußte gut aufhorchen. Ob er selbst aufmerksam darauf hörte, was zu ihm gesprochen wurde, blieb oft ungewiß, da seine Antwort sich nicht binden wollte. Er legte wohl auch die Finger über den Mund, um gar nicht antworten zu dürfen. Nur zu bald hatte er die Erfahrung machen müssen, daß ganz Entgegengesetztes von ihm beansprucht wurde, jeder in seiner Umgebung ihn am liebsten als das Werkzeug betrachtete, durch das er seine eigentümlichen Pläne zur Durchführung bringen könnte. Er hatte nicht den Mut, sich Für oder Wider zu entscheiden, und wünschte es mit keinem zu verderben.

Der Deutschmeister erwartete, daß er mit aller Entschiedenheit die Huldigung für den Orden, nicht nur für seine Person, vom Lande erlangen werde, und riet ihm, da die Streitfragen sich allzu scharf zuspitzen möchten, einige gelehrte Männer an sich zu ziehen, die ihm jederzeit helfen könnten. Laurentius Blumenau, beider Rechte Doktor, und Bernhard, geistlicher Rechte Doktor, wurden dazu gewählt, auch zwei Sekretäre, Johannes und Stephanus, als geheime Räte eingeschworen. Die Doktoren hielten es für nützlich, dem Lande gleich von Anfang zu zeigen, daß man sich auf nichts einlassen wollte, als was von alter Zeit hergebracht. Zu nachgiebig sei man schon gegen allerhand Neuerung gewesen. Die Gebietiger stimmten eifrig zu. »Wir wollen mit dem Bunde nicht verhandeln – er ist für uns nicht in der Welt – der Orden muß zurück auf den früheren Standpunkt, von da aus seine Rechte gegen freches Gelüste der Untertanen zu verteidigen – so viel Schritte wir zurücktun, so viel Schritte werden sie gezwungen sein uns entgegenzukommen.« Der Hochmeister fragte Venningen, auf welche Unterstützung an Geld und Mannschaft der Orden für den Notfall in Deutschland zu rechnen habe. Der nahm den Mund gar voll, meinte aber schließlich: »Sehet zu, daß es durch Eure Klugheit und Festigkeit zu solchem Notfall gar nicht komme, Hütet Euch, ihnen den Finger zu reichen, und sie werden auf die Hand nicht lüstern sein.« So wurde denn beschlossen, zur Verhandlung über die Huldigung nur die Edelsten der Landesritterschaft und die großen Städte nach Marienburg einzuladen, wie dies zu des Ordens glücklichsten Zeiten auch nicht anders geschehen.

Sie kamen nun wohl am Dienstag vor Ostern, brachten aber keine Vollmacht mit, wie ihnen doch befohlen war. Tileman vom Wege hatte Rutger von Birken geschickt, da er sich selbst noch in der Ferne halten wollte. Herr Ludwig empfing sie in Gegenwart des Deutschmeisters und Landmeisters und vieler Gebietiger mit gar freundlichen Worten. Sie entgegneten aber, sie fänden in einem Rezeß, daß zu seines Vorfahren Gezeiten auch die kleinen Städte zugegen gewesen und mit Namen geschrieben worden, wie sie heißen. »Bitten also eure Gnade uns einen kurzen Tag zu legen und zu bestellen, daß uns unterdessen kein Hindernis geschehe von den Gebietigern.«

Dazu wollte der Herr Hochmeister sich nicht verstehen, da sie eine Neuerung begehrten. »Beredet euch mit den euren«, sagte er, »und kieset zwei oder drei; desgleichen wollen wir auch tun. Diese mögen dann Handlung miteinander haben, wie der Eid lauten solle.«

Land und Städte waren aber hartnäckig und kamen immer wieder auf ihr erstes Wort zurück, er solle auch die kleinen Städte verbotten. »Denn wie das nicht geschehe, besorgen wir uns, da möchte nichts Gutes herauskommen. Wir hoffen, so Ew. Gnaden aller Meinung hören wird, es soll Euch wohlgefallen.«

Der Deutschmeister fuhr sie hart an, aber sie beachteten ihn gar nicht. Da nun Herr Ludwig fest blieb, baten sie, er möchte erlauben, daß sie selbst die kleinen Städte verbotten dürften. Es solle auf dem Tage nichts Unrechtes geschehen und nur über die Huldigung verhandelt werden. Es half ihm doch nichts, daß er sich noch eine Weile sperrte. Er mußte nachgeben, da die Abgesandten versicherten, zu mehrerem nicht Macht zu haben, und mit der Abreise drohten. So hielt er sich denn an die Zusage, daß die Berufung der kleinen Städte dem Orden unschädlich sein solle, und berief Land und Städte auf den Sankt Jürgentag nach Elbing. Es war ihm sehr verdrießlich, nachgeben zu müssen; er tröstete sich aber, daß man zu Elbing um so fester in der Sache selbst auf seinem Stück bestehen werde.

Im Bunde war man in frohester Stimmung; der erste Sieg war erfochten. Die kleinen Städte hatten im Bunde Sitz und Stimme. Nun waren sie von den großen nicht verlassen worden. Die Herrschaft hatte anerkennen müssen, daß auch sie das Recht hätten, gehört zu werden. Nicht mit wenigen nach Wahl des Hochmeisters, mit allen hatte er sich darüber zu vergleichen, wie ihm gehuldigt werden sollte.


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