Ernst Wichert
Der Bürgermeister von Thorn
Ernst Wichert

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Elftes Kapitel

Eine Hexe

Der Huldigungsumzug war beendet. Ludwig von Erlichshausen residierte wieder in der Marienburg. Es kamen nach diesen aufregenden Festwochen ruhigere Zeiten, in denen er nun des Ordens Sachen bedenken, mit Polen, Burgund und England wegen mancherlei Irrungen im Handel in Verbindung treten konnte. Nur der Deutschmeister schaffte ihm Verdruß, indem er überall in den Konventen verlauten ließ, Ländern und Städten sollte es nicht so hingehen, daß sie durch den Huldigungseid des Ordens Privilegien und Rechte geschwächt: er werde sie deshalb hinaus ins Reich vor Gericht laden. Mit dem Bischof Franz von Ermland, der mit seinen Untertanen in Streit lag, hatte er heimlichen Verkehr und hörte gern, daß der erzürnte Prälat nach Rom berichtet hätte, den Heiligen Vater gegen den Bund einzunehmen, der so gottlos des bischöflichen Stuhles Rechte zu verkümmern trachtete. Es war ganz nach seinem Herzen, wie der Bischof sich ausließ: »Hart, aber wahrhaft ist der Ausspruch des heiligen Augustin: Ein Prälat, der nicht der Untertanen Laster züchtet, ist mehr einem schamlosen Hunde als einem Bischofe zu vergleichen. Wer zu bekannten Verbrechen schweigt, der hat darein gewilligt. Unwissenheit entschuldigt den Hirten nicht, dessen Schafe der Wolf verzehrt, denn er soll wachen!« Venningen wünschte, daß der Hochmeister ebenso denken möchte. Endlich verließ er voll Groll und Erbitterung das Land.

Ludwig war froh, diesen Aufpasser los zu sein. Er selbst stand mit dem Bischof von Ermland nicht so gut. Es hatte ihn schwer verdrossen, daß der stolze Prälat seine Vermittlung im Streit mit der Stadt Braunsberg schroff ablehnte, keine weltliche Autorität über sich anerkennen und nur vom Papst abhängig sein wollte. Er verkleinerte so die hochmeisterliche Gewalt in der Meinung der Landeseingesessenen nicht nur in seinem, sondern auch im Ordensgebiet. Der Ärger darüber machte den Hochmeister empfänglicher gegen allerhand Einflüsterungen seiner Gebietiger, wozu auch gehörte, es sei während der Krankheit seines Vorgängers nicht alles in Ordnung verlaufen; der Bischof hätte sich während dessen auf dem Schloß aufgehalten und freien Zutritt zu dem kranken Herrn gehabt, ihn auch ganz in seine Macht gebracht. Sein Werk sei es wahrscheinlich, daß dieser auf dem Sterbebett von der Wahl seines Vetters abgeraten, die doch allen sonst genehm gewesen. Es sei aber auch ans Licht gekommen, daß er heimlich ein preußisches Waldweib, eine Zauberin, zu ihm geführt und ihm zugeredet, ein Bad und einen Trank anzunehmen, nach deren Gebrauch er sofort verstorben. Der Trank sei keine Medizin gewesen, wie ihn die gelehrten Ärzte bereiten könnten, die sich dann auch über solche Heimlichkeit gar ungehalten geäußert, über den scharfen Geruch des Trankes habe man sich schon damals nicht wenig verwundert, da man noch nicht gewußt, daß er in einem Hexenkessel gebraut worden. Er müsse ein scharfes Gift enthalten haben. Sie mahnten den Hochmeister, ernstlich gegen solches Zauberwesen mit Untersuchung und Strafen vorzugehen, damit der Orden und das Land ihn nicht laß befänden. Noch habe in Preußen keine Hexe gebrannt, so könne dies leicht die erste sein. Solches heidnische Wesen dürfe nicht gelitten werden. Schon mehrten sich die Zeichen, daß Gott deshalb schwer zürnte. Sie wiesen auf die Pest, die in Thorn ausgebrochen war und auch in Danzig wütete, so daß Tausende abstarben. Herr Ludwig war nicht abergläubisch. Er wies auf den Zusammenlauf der vielen Pilger und die Hitze des Sommers hin. Aber er wollte doch auch nicht lässig erscheinen und schrieb deshalb an den Bischof mit dem Begehren, ihm das Waldweib auszuliefern.

Franziskus antwortete, das könne nicht geschehen. Er habe Frau Regina allezeit durchaus ehrbar und dem christlichen Glauben ergeben befunden, weshalb er sie auch selbst bei Konrad von Erlichshausen als eine kluge Frau empfohlen, glaube auch noch dieses Tages, daß sie dem Kranken nichts Schädliches eingegeben, freilich auch nicht helfen gekonnt: »Denn dem Tod kein Kraut gewachsen ist.« Wolle aber gern, wenn der Herr Hochmeister ihm bald einmal die Ehre seines Besuchs in Heilsberg erweise oder auf einem Schloß in der Nähe raste, sie ihm zum Verhör vorführen lassen, worauf er dann leicht erkennen werde, daß man sie ganz ohne Grund der Zauberei verdächtige. »Es will mir auch scheinen, daß man sonst den Zauberern vorwirft, durch ihre Teufelskünste etwas Ungewöhnliches und Unerwartetes zustande gebracht zu haben, wie die Heilung eines Totkranken, sie sich aber wahrlich schlecht bewähren, wenn sie nichts ausrichten; wobei nicht unerwähnt bleibe, daß Frau Regina uns keine Zusage der Besserung gemacht.«

Die Gebietiger, die auf den Bischof erzürnt waren und ihm Winkelzüge zutrauten, verlangten, daß mit Strenge gegen ihn vorgegangen werde, da er sich nicht weigern dürfe, eine Giftmischerin herauszugeben. Der Hochmeister aber hielt es nicht für geraten, den Zwist noch zu verschärfen, und beschloß, nach seinem Vorschlage zu verfahren. Da er nun bald darauf in dem Ordensschlosse zu Bartenstein, nahe der ermländischen Grenze, eine Beratung mit den Komturen der nördlichen Gebiete hatte, machte er dem Bischof davon Anzeige und bat ihn, das Weib ihm dort vorführen zu lassen, »damit jedermann beruhigt werde und sich von der Hinfälligkeit seines Verdachts überzeuge«.

Der Prälat schickte seinen Vogt zu Frau Regina, sie abzuholen und nach Bartenstein zu begleiten. Dieser richtete jedoch bei ihr nichts aus. Sobald sie erfuhr, daß Herr Ludwig von Erlichshausen sie zu sehen begehre, bat sie mit dem Ausdruck des höchsten Schreckens fußfällig, sie mit dieser Reise zu verschonen. »Wisset«, sagte sie unter Tränen, »daß es auf der ganzen Welt keinen Menschen gibt, den zu sehen mir verhaßter wäre, und von dem gesehen zu werden mich in größere Not brächte. Ach! daß ich mich nie hätte überreden lassen, des Herrn Bischofs Ansuchen zu folgen und nach der Marienburg zu gehen. Nie wäre ich in solche Ungelegenheiten gekommen, daß ich mein unschuldiges Tun sollte verantworten müssen! Nun ist es auch meines gnädigen Herrn Pflicht, mich zu beschützen und vor solchem schlimmsten Unheil zu bewahren.«

»Das ist nun einmal also geschehen, Frau«, entgegnete der Vogt, »und läßt sich nicht mehr ändern. Euch soll auch in Bartenstein kein Leid zugefügt werden, dafür lasset mich sorgen. Sagt den Herren dort, was Ihr ehrlich zu sagen habt, und man wird Euch nicht halten wollen. Weigert Ihr Euch aber, mit mir zu gehen, da Euch doch des Herrn Bischofs Geleitbrief gegen alle Gefahr sichert, so wird man sich unschwer Gedanken machen, daß dahinter etwas steckt und die Beschuldigung der Hexerei doch nicht unbegründet ist, könnet es auch dem Herrn Bischof selbst nicht verdenken, wenn er kopfscheu wird und Euch seinen Schuh entzieht. Lasset Euch also zum besten raten und folgt mir unweigerlich.«

Das lehnte aber Frau Regina mit aller Entschiedenheit ab. »Eher tötet mich auf der Stelle«, rief sie. »Es ist nicht die unsinnige Beschuldigung, was mich so mit Schreck erfüllt. Mag der ehrwürdigste Herr Bischof über mich ein weltliches oder geistliches Gericht einsetzen, dem will ich mich unterwerfen. Aber dem Herrn Hochmeister vor Augen zu treten, mutet mir nicht zu. Ihr wißt nicht, was Ihr tut.«

Da nun auch Ursula flehentlich bat, ihre Mutter nicht zu zwingen, sagte der Vogt mitleidig: »Was soll ich mit dem närrischen Weibsvolk anfangen? Gewalt zu brauchen, hab' ich für jetzt keinen Befehl. Ich will also nach Heilsberg zurückgehen und melden, wie ich die Sachen gefunden habe. Mag der Herr Bischof danach weiter beschließen.«

So geschah's. Franziskus schrieb wieder nach Bartenstein. »Das Weib ist gar scheu und fürchtet sich, außer Landes zu Euch zu gehen; wie mich dünket, nicht ohne Grund. Weil Frau Regina aber vielen Leuten hier Gutes getan und deshalb billig von ihnen verehrt wird, trag' ich Bedenken, hart mit ihr zu verfahren. Und weil mir doch zu Ohren gekommen, daß Eure Gnade beabsichtige, den Rückweg durch das Ermland zu nehmen und bei mir abzusteigen, so geht nun meine Bitte dahin. Ihr wollet mir von dem Tage vorher Nachricht geben. Es soll alles wohl eingeleitet sein, daß Ihr das Weib verhören lassen möget. Es wird dann in allen Punkten bestätigt werden, was ich Eurer Gnade zu wissen getan. Wegen der Braunsberger Händel hoff' ich Euch und Euren Gebietigern wohl mündlich so gute Auskunft geben zu können, daß Ihr befriedigt von hinnen reiten werdet. Wollte Gott, daß es Euch ebenso gelänge, Eurer Städte rebellischen Widerstand zu brechen.«

Dieser Brief gefiel dem Hochmeister wenig. Es war gar nicht sein Vornehmen gewesen, über Heilsberg heimzureiten. Nun legte Bischof Franz ihm den Besuch so nahe, daß er nicht meinte ausweichen zu können. Er sagte sich also auf einen bestimmten Tag an und bat auch um ein Nachtquartier. So wurde denn wieder der Vogt in den Wald geschickt, Frau Regina vorzuladen. »Jetzt hilft Euch alles Lamentieren nichts mehr«, sagte er, »Ihr müßt gehorchen. Im bischöflichen Schloß seid Ihr gegen jeden Angriff sicher. Wollt Ihr Euch auch jetzt noch sperren, so weiß ich, woran ich bin.«

»Es ist genau dasselbe wie vordem«, antwortete Frau Regina. »Nicht in Bartenstein und nicht in Heilsberg und nicht an einem andern Ort der Welt kann ich dem Herrn Hochmeister begegnen. Das wäre ihm selbst das unliebste. Sagt ihm, ich sei krank und unfähig, das Haus zu verlassen, wie mich denn auch wirklich Euer letzter Besuch krank und elend genug gemacht hat. Ursula kann's Euch bezeugen und auch der Kaplan.«

»Das klingt doch sonderbar, Frau«, meinte der Vogt kopfschüttelnd, »und wird schwerlich beim Herrn Bischof und seinem hohen Gast Glauben finden. Wollet bedenken, daß man Euch in schwerem Verdacht der Zauberei hat, die eine heidnische Kunst genannt wird, und daß Ihr Euch immer tiefer verstrickt, wenn Ihr Rede und Antwort versagt. Ob man will oder nicht, man wird Euren Anklägern glauben müssen, daß Ihr Dinge treibt, die das Licht scheuen.«

»Der Herr Bischof kennt meinen Wandel«, entgegnete sie, »er wird für mich zeugen.«

»Darauf trotzet nicht zu sehr«, meinte der Vogt. »Ist er Euch jetzt wohlgesinnt, so wird er's bei Eurem Verhör betätigen. Lehnt Ihr Euch aber ungehorsam gegen ihn auf und schafft ihm Ungelegenheit bei den Herren vom Orden, mit denen er schon allerhand Schälung hat, so sehet zu, wo Ihr in der Not Freunde findet.«

Frau Regina blieb doch bei ihrem ersten Wort, und so mußte der Vogt wohl oder übel wieder abreiten und in Heilsberg berichten, daß mit dem störrischen Weibe nichts anzufangen sei.

Darüber geriet Bischof Franz in großen Ärger und gab seine Befehle in so strengem Ton, daß der Vogt nicht zweifelte, es sei ihm Ernst damit. Als nun am nächsten Vormittag der Hochmeister mit einigen Gebietigern und vielen Rittern seinen Einzug hielt, empfing ihn der Bischof an der Treppe im oberen Kreuzgange, erteilte ihm den Segen und sagte: »Es ist alles nach Ew. Gnaden Wunsch vorbereitet, so daß Ihr wohl erkennen möget, wie ich Euch zu Willen bin. Hoffe aber, daß dieser Besuch auch noch zu anderen Dingen nützlich werde, denn viel Schweres liegt mir auf dem Herzen und kann durch Ew. Gnaden Zuspruch merklich erleichtert werden.« Er führte darauf die Gäste in den Saal, wo der Imbiß und Frühtrunk für sie bereitstand, und sprach freundlich mit jedem. Dann aber nahm er den Hochmeister und die Gebietiger in sein eigenes Gemach, damit sie besser der Ruhe pflegen könnten, in Wahrheit aber, um sie in ein Gespräch zu ziehen, wie er es längst vorbedacht hatte.

Es waren denn auch nur wenige Worte gewechselt, als man schon bei der Hauptsache anlangte, die alle Gemüter bewegte: wie man sich des Bundes erwehren könne. »Wollte Gott«, rief der Bischof, »daß wir hier schnell zu einer rechten Einigkeit kämen! Denn der Bund achtet keine Grenzen, sondern umfaßt weltlich und geistlich Gebiet, als sei nie eine Teilung des Landes Preußen zwischen dem Orden und der Kirche erfolgt. Sein Wille ist ein einiger, und so kann ihm nur Einhalt geschehen, wenn auch der Orden und die Prälaten zusammenwirken wie ein Haupt. Dazu laßt mich euch mahnen.«

Ludwig von Erlichshausen schien bedenken zu wollen, war darauf zu entgegnen. Er nickte langsam mit dem Kopf und ließ die Augenlider tief sinken, wie seine Gewohnheit war, wenn er sich zögernd verhielt. Für ihn nahm der Marschall das Wort. »Es muß uns billig wundern, Euch so sprechen zu hören, hochwürdiger Herr«, sagte er spöttisch, »da es doch bekannt genug ist, wie Ihr allein von allen Prälaten je und alle Weile dem Orden abstrebt und Euren eigenen Weg zu gehen beliebt, als wäret Ihr nicht einer der vier Bischöfe des Ordenslandes Preußen, sondern hättet das Ermland eigenmächtig zu Lehen. Daraus ist dem Orden schon viel Verdruß bei den Untertanen erwachsen.«

Franziskus blieb ganz ruhig und antwortete lächelnd: »Solchen Vorwurf solltet Ihr mir billig ersparen, Herr Marschall. Denn wie ich für meine Person dem Orden zugetan bin, solltet Ihr wissen; weil ich aber ein Amt trage, muß ich des Amtes walten. Das Amt ist ein Amt der Kirche und mir vom heiligen Stuhl in Rom aufgegeben. Dem bin ich verantwortlich, daß ihm kein Abbruch geschehe. Ihr fangt mit der Kirche Streit an, wenn Ihr mich, ihrer geringsten Diener einen, befehdet.«

Der Marschall wollte heftig entgegnen, aber Ludwig von Erlichshausen legte ihm beschwichtigend die Hand auf den Arm und sagte mit sanfter Stimme: »Lassen wir diese Dinge unberührt, die wir heute und morgen doch nicht abtun, da sie in Jahrhunderten geworden sind. Es soll mich freuen, wenn wir über das Nächste einig werden. Was ist Eure Meinung wegen des Bundes, Herr Bischof?«

»Daß wir zugleich mit weltlichen und geistlichen Waffen gegen ihn zu Felde ziehen«, antwortete der Prälat, sich hoch aufrichtend, »und nicht eher ablassen, bis er seine Ohnmacht erkannt hat. Es hat mir nicht gefallen wollen, daß Ew. Gnaden zu Elbing ein Pflaster auf die Wunde gelegt haben, davon sie doch nicht heilen kann. Euer Versprechen wegen des Richttages vermöget Ihr nicht zu halten, und zu ihren Privilegien und Freiheiten, die Ihr ihnen in allgemeinen Worten zugesagt, nehmen ja doch die Bündischen das Recht, sich gegen die Herrschaft zu verbünden. So steht alles beim alten.«

»Aber das Land hat mir gehuldigt.«

»Doch mit heimlichem Vorbehalt – glaubt mir. Es wird nicht Friede, bevor der Bund abgetan ist im Guten oder Bösen.«

»Wozu ratet Ihr also, Herr Bischof?«

»Zu rechter Gewalt, so wahr der Orden des Landes Herr ist. Scheuet Euch nicht, das Schwert der Gerechtigkeit zu brauchen, denn es ist Euch von Gott in die Hand gegeben. Fordert die Herausgabe des Bundesbriefes und holt ihn Euch aus dem Thorner Rathause, wenn sie versagt wird. Reißet die Siegel ab und werft sie den Trotzigen vor die Füße. Wartet ab, ob man Widerstand wagt. Greifen sie zur Waffe, so seid Ihr jetzt noch ihrer mit leichter Mühe mächtig. Schlagt nicht gegen den Haufen ein, sondern zieht die Führer heraus, die Tileman vom Wege, Hans von Czegenberg, Baisen, und richtet sie nach Kaiserrecht. Die andern kriechen zu Kreuze.«

Seine kleinen Augen funkelten. Der Hochmeister aber wiegte abwehrend den Kopf und sagte in müdem Ton: »Wir sind so weit nicht gerüstet und müssen hinhalten. Der Orden ist krank und als ein Kranker nicht bei seinen Kräften; er muß erst zur Gesundheit kommen. Es ist beschlossen worden, übers Jahr ein Generalkapitel zu berufen, das mit Gottes Gnade seine Gebrechen abstellen und ihn wundersam verjüngen wird. So wieder stark in sich selbst, wird er keiner Gewalttat bedürfen, sich seines Rechtes volle Anerkennung zu schaffen.«

»Zu spät, zu spät!« rief Franziskus, indem er wiederholt mit der Hand in die Luft schlug. »Wir haben nicht Zeit, ein langes Jahr zu warten, um dann erst zu beginnen. Ist der Orden krank, wie Ihr bekennt, so ist er es durch seinen Unmut, durch seine Zaghaftigkeit. Dadurch hat er den Gegner groß wachsen lassen. Ich bitt' Euch zu bedenken, was auf dem Spiel steht. Es kann aller Teile Wunsch nicht sein, daß die Sache aus dem Lande gezogen wird. Das geschieht aber unfehlbar, wenn Ihr ein Jahr zögert. Der Heilige Vater wird nicht ruhig zusehen, daß hier die Kirche bedroht wird. Seht euch vor, daß ihr die Herren bleibt, wenn es euer Wunsch ist. Dazu will ich euch helfen, damit ich selbst der Herr bleibe. Seh ich euch aber schwach, so wundert euch nicht, wenn ich mich nach anderer Stütze umschaue.«

»Das klingt wie Drohung«, bemerkte der Trappier.

»Das ist ein ehrliches Wort«, versicherte der Bischof, die Hand auf die Brust legend, »wie ich es Euch zu schulden meine. Erinnert Euch daran!«

Es wurde noch viel her und hin gesprochen, aber sie kamen zu keinem Schluß. Der Hochmeister meinte, es sei jetzt alles in gutem Gange und der Bischof möge sich nur hüten, störend einzugreifen. »Ungeduld verdirbt den besten Bau.«

Man ging zur Mittagstafel, die zu Ehren der Gäste mit schwerem Silbergeschirr besetzt war. Während sie speisten, fuhr in den Hof der Vorburg ein Feldwagen, mit vier Pferden bespannt, ein. Der Vogt ritt daneben mit einigen bewaffneten Knechten. Auf dem Stroh lag Frau Regina, an den Händen gefesselt. Neben ihr saß Ursula, der Mutter Kopf stützend. Die Tränen rollten ihr unaufhörlich über die zorngeröteten Wangen.

»Steigt ab«, sagte der Vogt, »und folgt mir ohne Widerrede. Endlich werdet Ihr doch wohl begriffen haben, Frau, daß Ihr nachgeben müßt.«

»Schleppt mich vor den Herrn Hochmeister«, antwortete sie, »wie Ihr die Macht habt. Ich rühre nicht Hand noch Fuß dazu.«

»So greift an«, rief der Vogt den Knechten zu, die indes abgestiegen waren. »Ich will mich nicht wiederholt lässig schelten lassen.«

»Mutter«, bat Ursula, »laß nicht nochmals die rohe Gewalt über dich kommen. Sie sind stärker als du und zwingen dich ja doch. Laß mich dir helfen vom Wagen zu steigen. Füge dich in das Unvermeidliche.«

»Nun habt Ihr gut zureden, Jungfer«, höhnte der Vogt. »Daß Ihr aber auf Eurem Hofe den Wolf gegen mich losgelassen habt, will ich Euch nicht vergessen. Die Bestie hat mir das Stiefelleder über dem Knie durchgebissen, und die Zähne fühl ich noch jetzt im Fleisch. Es war mein Glück, daß ich den Dolch am Gürtel trug, sonst wäre sie mir an die Kehle gegangen.«

»Ihr habt meinen treuen Gesellen getötet«, klagte Ursula.

»Der Stephan hat dem Vieh vollends den Garaus gemacht«, rief der Vogt. »Dankt's dem. Beim Teufel auch! Ein Wolf ist kein Spielzeug.«

Frau Regina hatte sich seufzend aufgerichtet. Ursula trat auf die Deichsel und half ihr hinter dem Sattelpferde hinab. Den Strick wollte sie nicht von den Händen entfernen lassen. »Man soll wissen«, sagte sie, »daß ich gezwungen bin. Geschehe dann im übrigen mit mir, wie Gott will.«

Der Vogt hinkte voran über die Brücke nach dem Schloß. Ursula wollte sich von ihrer Mutter nicht trennen. Er führte die Frauen auf den Hof und durch eine eisenbeschlagene Pforte über eine enge Wendelstiege in das untere Gemach des großen achteckigen Turmes. Dort hieß er sie warten, bis er seine Meldung angebracht hätte.

Sie befanden sich im Verhörzimmer. Es war fest eingewölbt und erhielt sein Licht nur durch ein hoch angebrachtes Fenster. Die Nische ließ die Dicke der Mauer erkennen. Mitten in dem mit Ziegeln gepflasterten Fußboden befand sich eine runde Öffnung, mit einem Holzdeckel verschlossen. Vielleicht war sie der Zugang zu dem dunklen Kellerloch darunter, in welchem Gefangene schmachteten. Gegenüber der Tür, durch die sie gekommen waren, zeigte sich in der Mauer eine schmale Steintreppe und seitwärts in zehn Fuß Höhe etwa ein kleines vergittertes Fenster, hinter welchem jedoch der Raum dunkel war. Dort konnte jemand das Verhör belauschen, ohne selbst gesehen zu werden. Im Zimmer stand ein Schreibtisch, dahinter ein Sessel mit hoher und steifer Lehne. An der Wand hing ein Kruzifix. Ursula durchschauerte es kalt. Noch nie hatte sie sich so eingeschlossen gesehen. Erst jetzt überkam sie das volle Angstgefühl, daß ihrer Mutter ein Leid geschehen könne. Wenn man sie in ein Gefängnis einsperrte, wenn man sie gewaltsam von ihr trennte! Sie legte den Arm um sie und hielt sie so fest, als ob man sie ihr jetzt schon entreißen wollte. Die Tränen stürzten ihr aus den Augen. »Mutter – liebe Mütter!« rief sie und erschrak, als der Schall vom Gewölbe zurücktönte. Frau Regina sprach kein Wort. Ihre Blicke richteten sich starr auf den Gekreuzigten gegenüber.

Nach einer längeren Weile wurden Schritte von oben her auf der Steintreppe vernehmbar. Es erschien Leonhard, der geistlichen Rechte Doktor, in langem talarartigem Gewande von rotem Tuch, einen Hut mit breitem Deckel auf dem Haupte. Ihm folgte des Hochmeisters Schreiber Stephanus, ganz schwarz gekleidet. Er trug ein Tintenfaß und eine Mappe mit Papieren, aus welcher die Fahnen einiger Gänsefedern heraushingen. Sie schritten auf den Tisch zu. Doktor Leonhard hieß den Schreiber auf dem Lehnstuhl Platz nehmen und stellte sich ihm zur Seite, die beiden Frauen mit strengem Blick musternd und mit der Nase schnuppernd, als ob er schon den Teufelsbraten röche.

»Ihr seid die Waldfrau?« begann er das Verhör.

»Ich wohne im Walde nicht weit von dieser Stadt«, antwortete die Gefragte, offenbar sehr erleichtert dadurch, daß sie einem ganz Fremden sich gegenüber sah.

»Ihr heißet Regina?«

»Man nennt mich so.«

»Wer nennt Euch so?«

»Die Leute, die mich ansprechen.«

»Ist das Euer Taufname?«

»Nein. Man hat ihn mir beigelegt, weil die alte Frau, von der ich die Hütte erbte, so hieß. Ich erbte mit ihrem Besitz auch den Namen.«

»Und auf welcher Heiligen Namen seid Ihr getauft?« »Gestattet, daß ich dies verschweige. Ich hab ihn für alle Zeit abgelegt.«

»Ihr habt ihn für alle Zeit abgelegt – den Namen, den Ihr in der heiligen Taufe empfangen! Horribile! Und aus welchem Grunde?«

»Weil ich gestorben war für die Welt und hier ein neues Leben in der Einsamkeit des Waldes begann, allen Menschen unbekannt und mir selbst verhaßt.«

»Das klingt sehr verdächtig. Schreibt Wort für Wort auf, was sie sagt. Weil sie für die Welt gestorben war und hier ein neues Leben beginnen wollte, in der Einsamkeit des Waldes. Ihr verleugnet also die Heilige, die Euch nach der Kirche guter Absicht Fürsprecherin sein sollte bei dem Herrn Christus?«

»Ich verleugne sie nicht, aber ich will ihren Namen nicht nennen.«

»Quod est idem. Ihr nanntet Euch Regina, das heißt zu Deutsch Königin. Weshalb anders, als weil Ihr Euch darstellen wolltet als eine Beherrscherin aller bösen Geister, so man auch Dämonen nennt und aus der heidnischen Zeit noch nicht ausgetilgt sind.«

»O nein – nein!« rief die Frau geängstigt. »Ich weiß von solchem Spuk nichts und weniger als nichts, lebe auch der gewissen Hoffnung, daß mein Herr und Heiland ihn für Zeit und Ewigkeit in die Hölle gebannt hat. Ich weiß nichts von Zauberkünsten, die ihn da herauslocken könnten – wahrlich nicht.«

Der Doktor zog die Stirn in Falten. »Das wird sich ausweisen. Zeigt mir Ort und Tag Eurer Geburt an und erzählet aus Eurem Leben, so weit Eure Erinnerung reicht, damit wir Euren Wandel prüfen.«

Frau Regina schüttelte den Kopf und schwieg.

»Tacet«, diktierte der Doktor dem Schreiber. »Ist das Mädchen da Euer Kind?«

»Wohl, Herr! Meine Tochter.«

»Und wer ist dieses Kindes Vater?«

»Das soll niemand erfahren.«

»So will ich's selbst Euch sagen. Der Teufel ist des Kindes Vater, der Teufel!«

Frau Regina sah mit einem schmerzlichen Blick zur Decke auf. »Ein Teufel in menschlicher Gestalt«, zitterten ihre Lippen, »ein Verführer der Unschuld – ja, ja!«

»Schreibt!« rief Doktor Leonhard. »Sie gesteht es zu. Der Vater ihres Kindes ist –« In diesem Augenblick entstand in dem kleinen Gemach über der Steintreppe, durch das Gitterfenster deutlich vernehmbar, eine Bewegung, als ob hastig ein Sessel auf den Steinfliesen gerückt und umgeworfen würde. Dicht an den eisernen Kreuzstäben erschien ein Gesicht und verschwand gleich wieder. Stimmen von mehreren Männern wurden laut, trappende Schritte. Doktor Leonhard unterbrach sich und sah hinauf. Stephanus flüsterte ihm zu: »Der Herr Hochmeister wohnt dem Verhör bei – ich erkannte ihn, da er sich vorbeugte.«

Gleich darauf kam der Vogt die Treppe hinab und sagte: »Der Herr Hochmeister befiehlt, daß das Verhör eingestellt werde. Ich darf Euch keine Frage weiter gestatten.«

Der Doktor sah ihn verwundert an. »Der Herr Hochmeister befiehlt ...? Aber gerade auf Sr. Gnaden Befehl ...«

»Er änderte seinen Willen«, sagte der Vogt. »Es soll nicht weiter inquiriert werden.«

»Gott sei Dank!« rief Ursula, sank neben ihrer Mutter auf die Knie und hob betend ihre Hände.

Während Stephanus seine Papiere zusammenpackte und das Tintenfaß schloß, zog Doktor Leonhard den Vogt in die Mauernische über der Treppe. »Was ist geschehen?« fragte er.

»Sonst nichts«, antwortete jener leise, »als daß der Herr Hochmeister sich, nachdem er vom Tisch aufgestanden war, hierher führen ließ, da er von meinem gnädigen Herrn hörte, daß er gar gut ungesehen die Waldfrau durch das Fenster beobachten könne. Kaum hatte er sich aber gesetzt und das Ohr auf die Stimmen hier ein wenig gespannt, als er aufsprang und mit einem Schrei wie ohnmächtig gegen das Gitter taumelte. Ich stützte ihn und zog ihn fort. Wie geschieht Eurer Gnade? fragte ich. Ist der Wein Euch nicht bekommen? Er sah mich mit ganz schreckhaften Augen an, rieb seine Stirn mit den Fingerspitzen und sagte in abgebrochenen Lauten: Ich weiß nicht – mir ist plötzlich schlecht – es wird vorübergehen – das Verhör soll eingestellt werden – sogleich. Ich führte ihn die Stufen hinauf nach dem Gange. Dort erholte er sich rasch und gab mir noch weitere Befehle, die Euch und Euren Schreiber nichts angehen. Der hochwürdige Herr Bischof ist jetzt bei ihm.«

Der Doktor entfernte sich kopfschüttelnd mit Stephanus auf dem Wege, den sie gekommen waren. Der Vogt aber trat an Frau Regina heran, zerschnitt mit seinem Dolchmesser den Strick, der ihre Hände fesselte, und sagte: »Kommt mit mir, Frau, der Herr Hochmeister selbst will Eure Unschuld bezeugen.«

»Er sah mich?« sagte sie zitternd.

»Das muß ich wohl glauben«, entgegnete er, indem er die Tür aufschloß. »Er war dort oben am Gitter.«

»So ist geschehen, was ich nicht hindern konnte«, sagte sie, bemüht, die wie abgestorbenen Hände zu falten. »Macht denn mit mir, wie es sein Wille ist.«

Der Vogt ließ sie wieder die Mauertreppe hinabgehen und führte sie dann in den oberen Kreuzgang und bis zu einer Tür, die ganz mit künstlerischer Holzschnitzerei bedeckt war. Davor stand einer von den Trabanten des Hochmeisters mit einer Hellebarde im Arm. Von ihm erfuhr der Vogt, daß sein Herr allein sei und befohlen habe, die Frau sogleich einzulassen. Ursula wollte die Mutter begleiten, aber Frau Regina selbst wehrte ihr den Eintritt. »Warte hier auf mich«, befahl sie streng.

»Verlaß mich nicht«, bat das Mädchen, »geh nicht ohne mich, Mutter! Wenn man dich in den Turm wirft –«

»Sei unbesorgt«, tröstete die Frau, »das geschieht nicht. Du darfst nicht Zeuge sein ... Bleibe!«

Sie gab dem Vogt ein Zeichen, daß er Ursula zurückhalten solle, und trat rasch ein. Der Trabant schloß hinter ihr die Tür.


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