Ernst Wichert
Der Bürgermeister von Thorn
Ernst Wichert

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Fünftes Kapitel

Vor dem Hochmeister

Tileman wartete eine gute Weile am Haupttor. Er hatte den Mantel wegen des naßkalten Wetters fest über der Brust zusammengenommen, aber das Gesicht frei gelassen, damit jeder Aus- und Eingehende ihn erkennen könne, wenn es ihm sonst daran liege zu wissen, wer er sei. Endlich kam einer von den Krankenwärtern vom Hof her, trat an ihn heran und forderte ihn auf, ihm ins Haus zu folgen. Er ging voran, rechts die Steinstiege hinauf. Dort im offenen Bogengänge wartete der Bischof. »Ich hab's glücklich so getroffen«, sagte derselbe, »daß nur Helfenstein in der Nähe. Er vertraut mir, daß nichts Unrechtes geplant wird, und will sich dem Fenster zuwenden, wenn ihr beim Herrn Hochmeister eintretet. Genehmigen mag er's nicht.«

»Das kann er halten, wie er will«, antwortete Tileman, die Achseln ziehend. »Ich werde deshalb nicht leiser auftreten.«

Sie gelangten unangefochten ins Vorzimmer, Franziskus ging voran in die Krankenstube, den Hochmeister zu benachrichtigen. Er schickte die Wärter fort. Bald darauf erschien er wieder in der Tür und winkte Tileman herbei, der indessen seinen nassen Mantel abgelegt hatte.

Herr Konrad von Erlichshausen hatte sich von seinem Schmerzenslager ein wenig erhoben und auf die beiden Ellenbogen gestützt. Sein Zustand war in diesen wenigen Tagen noch arg verschlimmert. Seine Brust keuchte, ein fieberhafter Glanz schwamm auf seinen unruhig suchenden Augen. Er streckte dem Gast die rechte Hand entgegen, deren Finger flatterten. Tileman vom Wege, ergriffen von dem Anblick des ganz Unkräftigen, beugte sich darüber und küßte sie. »Euere Gnade hat mich herbefohlen«, sagte er leise, »hier bin ich. Es ist das erstemal, daß ich vor Euer Antlitz berufen werde –«

»Und möchte wohl auch das letztemal sein«, fiel der Hochmeister ihm sanft in die Rede. »Ich fühle, daß mein Ende nahe ist.«

»Gott gibt uns das Ende wie den Anfang nach seinem Willen«, sagte Tileman, einen Schritt zurücktretend.

»Und alles, was in der Mitten«, ergänzte der kranke Herr. »Wir sind schwache Menschen und haben nichts vor uns selbst als unsere Sünden, doch in der Hoffnung, daß der Herre Christus, an den wir glauben, sie auf seiner gebenedeiten Mutter Bitten von uns abwaschen und uns reinigen werde in Ewigkeit.«

»Amen«, flüsterte der Bischof. »So mag auch diese Stunde der Heilige Geist bei euch sein und eure Herzen lenken nach Gottes gnädigem Willen.«

Auf einen Wink des Hochmeisters entfernte er sich ins Vorzimmer und ließ den dicken Vorhang über die Türöffnung fallen. »Setze dich zu mir, lieber Getreuer«, flüsterte der Kranke, »meine Stimme ist schwach und mein Ohr halb taub. Ich habe dich zu mir rufen lassen, weil ich von dir meine hören zu können, was man mir sonst vorenthält. Denn ob wir schon von dir wenig Freundliches erfahren haben, so bist du uns doch stets ein offener und ehrlicher Gegner gewesen. Dessen laß mich auch heut gewiß sein.«

Tileman ließ sich auf den Schemel nieder und neigte sich zu ihm. »Wollte doch von Ew. Gnaden nicht verkannt werden«, sagte er. »Ich habe wahrlich allezeit vor Ew. Gnaden hoher Person alle schuldige Ehrfurcht gehabt und darüber hinaus Euch hochgehalten. Nur Eurem Orden –«

»Vergesset nicht, daß ich sein Oberhaupt bin und alle Macht und Hoheit von ihm herleite.«

»Nicht auch von dem Lande?«

»Es ist nicht mein, sondern des Ordens Land.«

»So wollte ich, gnädigster Herr –«

»Das darf ich nicht hören. Ich glaube diesem Lande Preußen von meiner Wahl zum Hochmeister ab zeitlebens ein Fürst gewesen zu sein, der auf sein Wohl bedacht war und sorgsam unterschied, was er ihm und was er seinem Orden schuldig.«

Tileman vom Wege verbeugte sich zustimmend.

»Deshalb ist es mein unaufhörliches Sinnen und Trachten gewesen und läßt mich auch auf diesem Schmerzenslager kaum in Schlafe los, wie ich auch über meinen Tod hinaus für gute Eintracht zwischen der Herrschaft und den Untertanen sorge, zu beider Teile Nutz und Frommen. Ich will hier nicht untersuchen, welche gerechte Ursachen ihr von den Städten und Landen hattet, euch gegen eure Herrschaft zu setzen –«

»Nicht gegen unsere Herrschaft, gnädigster Herr.«

»Ficht nicht mit Worten, Tileman, an die du doch selbst als ein kluger und wissender Mann nicht glaubst. Gegen niemand ist euer Bund gerichtet, als gegen eure Herrschaft, wenn sie sich eurem Willen nicht beugt. Er ist gegen göttliches und weltliches Recht. Ich will auch nicht untersuchen, wie es zugehen konnte, daß die Obrigkeit nicht einschritt und den Bund im Entstehen unterdrückte, vielmehr in betrüblichen Zeiten ihn groß wachsen ließ und wohl gar anzuerkennen schien –«

»Er ist anerkannt von eurem Vorgänger.«

»Aber nicht mit des Generalkapitels Verwilligung, sondern mit einzelner Zustimmung. Doch dem sei, wie ihm sei, lieber Getreuer, er besteht in der Tat und ist bisher nicht förmlich aufgehoben, obschon auch der vermeinte Grund, der zu seiner Errichtung berechtigte, längst in Abgang kam. Ich hab' ihn dulden können, weil ich die Macht hatte, ihn an unheilvollem Tun zu hindern. Bedenke aber, daß nach mir einer kommen kann, dem Gott nicht eine so starke Hand und festen Willen gegeben. Er wird fordern müssen, daß der Orden von seinen Untertanen nicht bedroht werde, und ihr werdet euch vor die Entscheidung gestellt sehen, ob ihr nun solcher Forderung nachgeben oder in trotzigem Ungehorsam verharren wollt. Das ist ein gar Anderes, wenn ich euch jetzt bitte, gebt dem Lande für alle Zeit den Frieden, und ihr gebt nach aus freiem, gutem Willen. Dessen haben wahrlich beide Teile sich nicht zu schämen. Das bedenket, Tileman, und dann gib mir eine freundliche Antwort, ob du zu solchem Segenswerk mir die Hand reichen willst.«

Der Thorner Bürgermeister schwieg eine lange Weile. Es mochte ihm scharf durch den Kopf gehen, was der hohe Herr zugleich so gütig und so nachdrücklich sprach. Dann sagte er: »Gnädigster Herr, ich bin ein einzelner und des Bundes nicht mächtig.«

»Weiche mir nicht aus, Tileman«, drohte der Hochmeister, »ich weiß, daß der Bund viele Glieder, aber nur einen Kopf hat. Ich will nicht behaupten, du allein seiest dieser Kopf, von dem aller Glieder Lenkung ausgeht, aber mit wenigen gilt dein Rat am meisten, und diesen wenigen selbst ist er unentbehrlich. Sie folgen dir alle. Darum sag an, was für Recht und Freiheit das Land begehrt, damit es nach deiner Schätzung des Bundes entraten könne. Ich hoffe, es solle uns wohl gelingen, einig zu werden.«

Tileman vom Wege saß wieder eine Weile nachdenklich. Von Zeit zu Zeit wiegte er das Haupt oder strich mit dem Rücken der Hand unter dem struppigen Bart hin. »Ich möchte wohl stolz sein auf Ew. Gnaden hohe Meinung von meinem Einfluß im Bunde«, sagte er dann. »Wenn Ihr aber mein Wort nicht gelten lassen möget, daß ich nur stark scheine, weil ich voran mit dem Strom schwimme, so werf' ich ein anderes ein, das noch mehr Gewicht hat: Ew. Gnaden sind des Ordens nicht mächtig. Das hindert jeden Vergleich.«

Konrad von Erlichshausen preßte die Lippen zusammen und sah düster vor sich hin.

»Das ist dieses Landes schwerstes Unglück«, fuhr Tileman fort, »daß es keinen Fürsten hat, der die Macht besitzt, nach seinem gerechten Willen zu herrschen, sich und seine Nachfolger durch Versprechungen zu binden. Ihr sagt selbst, der Deutsche Orden sei des Landes Herr. Der Deutsche Orden hat aber Besitz im Reich und in Livland und in Preußen, und er ist morgen ein anderer als heute, denn er wechselt unaufhörlich in seinen Gliedern, und er gibt sich ein Oberhaupt nach freier Wahl und setzt es wieder ab, wie es ihm gefällt, und bindet dessen Willen an der Gebietiger Rat und des Kapitels Vollwort. Dieses Ordens Oberhaupt nun ist unser Fürst. Wie sollen wir mit ihm vertrausam verhandeln können? Was er bestimmt, wirft der Deutschmeister und der Landmeister von Livland und der Großgebietiger Rat und das Kapitel um; worüber sie aber einig werden, das hält auch nur bis zu einem anderen Beschluß. Nur ihr Orden allein liegt ihnen am Herzen, und dieses Land Preußen ist ihnen ein Besitz wie ein anderer, der kein Recht hat in sich selbst.«

Der Kranke legte die heiße Hand auf seinen Arm. »Du könntest wissen«, sagte er, »daß alle menschlichen Institutionen auf einer gegebenen Ordnung beruhen, die für die Ewigkeit gelten soll und doch nicht einmal dem Tage gehorcht. Der Geist ist über dem Wort. Bin ich ein anderer, als Küchmeister von Sternberg und Paul von Rußdorf, so ist auch mein Amt ein anderes. Wie ich es verwaltet habe, ist dir bekannt. Mein fürstlicher Wille war nicht gebunden, außer soweit er sich selbst band. Und so kann jeder nach mir ein Herrscher sein, der dem Lande Gutes tut, ohne des Ordens Regel zu verletzen. Darauf vertraut!«

Tileman schüttelte den Kopf. »Gnädiger Herr«, antwortete er, »das kann sein und nicht sein. Eher aber mag es wohl nicht sein; denn es ist gar unwahrscheinlich, daß die Brüder den tüchtigsten und klügsten und ehrbarsten zu ihrem Meister küren, außer in der Zeit der schwersten Not, wie damals bei Eurer Wahl. Nun werden sie durch Euch alles für gut gefügt erachten und meinen, eines starken Herrn nicht zu bedürfen. Hätten wir uns gar des Bundes begeben, so möchte sich leicht das Land eines Tages verwundern über den Herrn, der ihm gesetzt worden. Ew. Gnaden wissen besser als wir, was für Wetter in der Luft ist.«

Der Hochmeister schien durch diese Worte sehr beunruhigt. Er richtete sich wieder halb auf, trocknete mit dem Sacktuch den Schweiß von der Stirn und rief in kläglichem Ton: »Tileman, Tileman! wohin treibt ihr von Thorn und die Häupter der Eidechsen das lecke Schiff? Ihr arbeitet nicht dazu, daß es den Hafen gewinne und zu weiterer rühmlicher Fahrt ausgebessert werde, sondern es ist euer heimlicher Wunsch, daß es auf steinigen Grund laufe und zerschelle. Das sag' ich dir ins Gesicht, und Gott hört meine Anklage. Antworte mir, daß Gott auch dich hören könne!«

Tileman setzte trotzig die Lippen auf. »Beruft man uns ans Steuer?« fragte er zurück. »Wie gibt man uns denn die Schuld so verkehrter Fahrt? Aber es sind viele im Orden so verblendeten Sinnes, daß sie des eigenen Unterganges nicht achten, wenn wir nur gesamt mit ersaufen. Wollet Ihr's uns verdenken, wenn wir vom Schiff abspringen, uns zu retten, es helfe sich dann, wie es könne? Ihr ruft uns zu: löset den Bund, der unseren Orden bedroht! Wir aber können antworten: löset den Orden, der des Landes Verderben ist! Es will einen Herrn von Fleisch und Blut haben.«

»Und der ist der König von Polen«, zischelte der Hochmeister, ihn mit gespannten Blicken musternd.

Tileman zuckte ein wenig mit den Wimpern. Eine Weile verhielt er sich schweigend. Dann, da der Hochmeister noch immer zu warten schien, sagte er leise: »Das hat bisher niemand ausgesprochen, als Ew. Gnaden eben jetzt.«

»So hat es mancher doch gedacht, den du gut kennst.«

»Das weiß ich nicht.«

»Du selbst, Tileman –«

»Darüber schuld' ich Ew. Gnaden keine Rechenschaft.«

»Bedenke, wieviel Christenblut geflossen ist, damit dieses Land Preußen ein deutsches Land werde! Deutsche Ritter haben es mit dem Schwert erobert, deutsche Bauern mit der Axt die Wildnis gelichtet und mit ihrem Schweiß den Boden gedüngt, deutsche Bürger seine Städte gegründet. Soll das geschehen sein, damit der Pole den Fuß auf den deutschen Nacken setze und ernte, was der Deutsche gesät hat? Das geschieht aber, wenn ihr den Orden seinem Todfeind überantwortet. Helft ihm über ihn siegen, und sein Dank wird euch nicht fehlen.«

Der Bürgermeister schüttelte abwehrend den Kopf. »Wir bleiben Deutsche«, sagte er mit fester Stimme. »Das ist aber dieses Landes größtes Unglück, gnädigster Herr, daß wir nicht einmal wünschen können, des Ordens Todfeind läge am Boden. Geschähe das, der Orden würde uns von Stund' an knechten. Dessen sind wir gewiß.«

»So hoffe ich, es denkt nicht jeder wie du«, antwortete der Hochmeister bitter. »Haben Lande und Städte nicht alle verbriefte Freiheit genossen bis zum Unglückstag bei Tannenberg, daß in der ganzen Christenheit des Ordens Regiment als das glücklichste gepriesen wurde? Wie unrecht sind eure Klagen!«

»Gnädiger Herr, der Deutsche Orden hat Großes gewirkt in seiner Zeit, aber seine Zeit ist vorbei, ob er's gleich nicht sehen will.«

»Wie sprichst du so, Tileman...«

»Verzeiht, gnädigster Herr, es ist die Wahrheit. Zum Kampf gegen die Heiden ist der Orden von Kaiser und Papst aufgerichtet, zum Kampf gegen die Heiden kam er nach Preußen; er hat die Heiden niedergeworfen und das Land mit deutschen Einzöglingen besetzt; er hat sie mit dem Schwert behütet gegen die heidnischen Litauer und den Adel deutscher Nation nicht vergeblich wieder und wieder zu seinem Beistand angerufen. Jetzt aber ist das ganze Land christlich, und die Litauer sind längst Christen geworden und mit den christlichen Polen vereint. Wo sind also die Heiden, die zu bekämpfen des Deutschen Ordens Gelöbnis? Das Kreuz wird nicht mehr gepredigt gegen seine Feinde; er steht auf sich selbst und strebt nur noch seine Herrschaft zu erhalten, damit der deutsche Adel seine jüngeren Söhne versorge. Wer jetzt zu ihm tritt, dient ihm nicht um Christi und seiner Mutter willen, sondern damit er teilhabe an der Herrschaft. Das ist seine Armut, das ist sein Gehorsam. Was aber sein Gelübde der Keuschheit bedeutet, das erzählen einander die Spatzen auf dem Zaun. Wehe uns, daß wir solche Herren haben!«

Der Hochmeister ließ das Haupt schwer in die Kissen zurücksinken. »Ich sehe Wohl, du hassest unsern Orden«, sagte er matt. »Was hast Du für Grund, ihn zu hassen? Du – Du!«

Tileman stand auf, ging nach der Tür, hob den Vorhang und blickte in das zweite Gemach. Es lauschte niemand. Dann kehrte er zu dem Bett zurück, hob die rechte Hand und schüttelte sie mit ausgestrecktem Finger in der Luft. Seine Augen blitzten, und die Lippen waren von den Zähnen zurückgezogen. »Ja, ich hasse Euren Orden«, rief er, »und werde ihn hassen bis zum letzten Schlage meines Herzens. Was er mir angetan durch eines seiner Glieder, das tilgt keine Zeit aus dem Gedächtnis. Wisset denn, daß einer Eurer Brüder, die sich unsere Herren nennen, vor nun bald zwanzig Jahren, da er im Hause zu Thorn der heiligen Jungfrau dienen sollte, aber meist in der Stadt seine Kurzweil suchte, mit bübischen Künsten mein Weib verführt hat –«

»Tileman –«, schrie der Hochmeister auf.

»Ja – ja – ja –, es ist die Wahrheit; mit bübischen Künsten hat er mein Weib verführt, bis dahin ein tugendsames Weib, meines Sohnes Mutter, da war all mein Glück dahin. Und nicht einmal strafen lassen konnt' ich den Buben, wie er's verdiente – ganz ohnmächtig war mein Zorn; hinter den festen Mauern des Schlosses blieb er meiner Faust unerreichbar, und ein Gericht, vor das ich ihn hätte laden können, gab's nicht.«

»Wenn du beim Hochmeister Klage geführt hättest –«

»Was war ihm zuleide geschehen? Sie würden ihn vielleicht im Konvent mit einer Buße belegt haben, weil er des Ordens Regel übertreten – mit einer milden Buße für ein Vergehen, dessen jeder seiner Richter sich schuldig gewußt. Aber mir wäre mein Recht nicht geworden. Wohl aber hätt' ich meine tiefste Schmach offenbart. Ich schwieg und rettete meine Ehre. Das treulose Weib aber ...«

»Das Weib –?«

Tileman faßte mit beiden Händen sein Haar und wühlte es auf die Stirn hinab. Ein schluchzender Laut entrang sich seiner Kehle. »Das Weib – ist tot...« sagte er fast tonlos, »tot in Ehren – niemand weiß es anders.«

»Und du hast –?«

»Fragt mich nicht. Ihr solltet aber erfahren, weshalb ich Euren Orden hasse.«

»Weil einer von den Brüdern dich gekränkt hat –«

»Sagt nicht, das sei einer, gnädiger Herr. Wie der eine, sind sie alle. Was mir geschehen, ist vielen Bürgern geschehen, die zähneknirschend schwiegen, wie ich. Euer Gelübde ist gegen die Natur. Soll sie sich an uns rächen dürfen? Im Kampf gegen die Heiden mochte Euer mönchisches Rittertum sich bewähren – im Frieden ist es eine furchtbare Gefahr für alle bürgerliche Ordnung. Darum bin ich des Ordens Gegner. Aber fürchtet nichts Verstecktes. Einen ehrlichen und offenen Gegner soll er stets in mir zu achten haben, wie auch Ew. Gnaden ihn jetzt in mir erkennen. Den einen nur nehm' ich aus. Mit ihm hab' ich noch abzurechnen und – seine Buße soll er nicht wissen.«

»Nenne mir seinen Namen, Tileman. Du bist ihn mir schuldig nach deiner Anklage. Wenn ich größeres Unheil verhüten kann...«

Der Bürgermeister wandte das Gesicht nach dem kleinen Fenster ab und starrte eine Weile ins Licht. »Er bedarf Eurer Warnung nicht, gnädiger Herr«, sagte er dann verbissen, »er versucht Gott in seinem Übermut. Und es kann sein, daß Gott ihn in nächster Zeit erhöht, um desto tiefer seinen Fall... Ich habe so lange gewartet und warte noch länger.«

»Du denkst – an die Hochmeisterwahl –?«

»Sie kann ihn treffen, wie einen andern; und man spricht von ihm.«

»Nochmals: nenne mir seinen Namen, daß ich ihn hinübernehme vor Gottes Thron; ein Sterbender befiehlt dir's!«

»Sei's denn! Ich bin gewiß. Euer Gebet rettet ihn nicht, wenn Gott ihn verderben will. Der, dem ich fluche, ist Euer Vetter, Ludwig von Erlichshausen.«

»Meine Ahnung –« seufzte der Kranke schmerzlich und bedeckte die Augen mit der zitternden Hand.

In dem kleinen Raum herrschte einige Minuten lang tiefstes Schweigen. Beide Männer wußten, daß sie einander nichts mehr zu sagen hätten. Endlich winkte der Hochmeister seinem Gast, sich zu entfernen. Tileman vom Wege wollte seine Hand fassen und küssen, aber er zog sie fort. »Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet«, murmelten seine bleichen Lippen.

Tileman verbeugte sich tief und verließ mit leisen Schritten das Gemach.

Der Bischof kam ihm entgegen. »War's zum Guten?« fragte er.

Der Thorner Bürgermeister zuckte die Achseln und ging der Treppe zu.

In der Stadt nahm er bald Abschied von Bartholomäus Blume und den Seinigen, über das, was er mit dem Hochmeister verhandelt, sprach er kein Wort. Seinem Sohn aber befahl er, in Marienburg zu bleiben. »Sobald die Totenglocken im Schloß läuten«, sagte er ihm, »wirfst du dich aufs Pferd und bringst die Nachricht nach Thorn. Es kann sein, daß du nicht lange dich hier zu verweilen hast. Ich bin nötiger zu Hause.«


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