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XXIX.
Die Bedeutung eines fest organisierten Weltfriedens für die Menschheit

Ich bin jetzt bei dem letzten Artikel angelangt, den ich über Washington schreiben werde. Ich habe versucht, dem Leser einen Begriff von der Natur dieser Versammlung und einen gewissen Überblick über ihre Ziele zu geben. Ich habe es zu verhindern gesucht, daß die scharfen Diskussionen des Vordergrundes, die dramatischen Momente und die rhetorischen Phrasen uns den düsteren und immer mehr sich verdüsternden Hintergrund der Alten-Welt-Angelegenheiten nicht sehen ließen. Ich habe versucht zu zeigen, daß selbst die Greuel des Krieges nicht das ganze oder das größte Unglück sind, das aus menschlicher Zwietracht und Unordnung im Zusammenhange mit der Zunahme mechanischer Macht entsteht. Ich habe besonderen Nachdruck gelegt auf die wirtschaftliche und soziale Auflösung. Notwendigerweise habe ich viel schreiben müssen von drohenden Gefahren, von steigendem und wachsendem Elend, von Haß, Mißtrauen und mangelndem Verständnis. Wendet man sich dagegen zu den Möglichkeiten und Methoden einer Erlösung aus den gegenwärtigen Konflikten und Befürchtungen, so begibt man sich gleich in die dünne und wenig anmutende Atmosphäre nicht verwirklichter Projekte. Ich habe über die Mängel des Völkerbundplanes geschrieben, seine mageren theoretischen und nachgeahmten Formen, seine häufige bloße Heuchelei (wie z.B. in der Sache des Systems der Mandate), über bestehende Ungerechtigkeiten, und ich habe diesen neueren und wie ich glaube hoffnungsvolleren und natürlicheren Plan ihm gegenübergestellt: Stetig aufeinanderfolgende Konferenzen würden Kommissionen ausscheiden; sie würden ihre Entschließungen in Verträgen und ständigen Kommissionen verkörpern und sich endlich nicht so sehr zu einem Weltparlament, das ich doch für eine unwahrscheinliche Phantasie halte, als zu einem lebenden, wachsenden, organischen Netz der Weltregierung auswachsen.

Jetzt am Schluß will ich aber den Leser bitten, seine Gedanken abzuwenden von dieser notwendigen Betrachtung politischer Mittel und Wege und administrativer Einrichtungen, diesen öden Erfindungen, die aber vielleicht die Rettungsleiter aus den Zwistigkeiten und Bitternissen der heutigen Zeit bilden werden, um sich mit mir auszudenken, was wohl aus der Welt werden könnte, wenn es den Menschen wirklich gelänge, sich durch diese mühseligen und verwirrenden Probleme zu einer brauchbaren Lösung hindurchzuringen; wenn sich unser Geschlecht wirklich durch diese ermüdenden, aber hoffnungsvollen Auseinandersetzungen und Verhandlungen durchschlägt zu einem organisierten Weltfrieden und einer entwaffneten Welt, zu einer stetigen Abnahme des Rassenhasses und der nationalen Antipathien und des nationalen Mißtrauens, zu einem wachsenden Vertrauen in die Dauer des Friedens und in die Herrschaft des Wohlwollens auf unserem Planeten; zu einem alles umfassenden System der Weltaufsicht über die gemeinsamen Interessen des Menschengeschlechts. Laßt uns einmal annehmen, daß nach dieser dunklen Zeit der Hungersnot und der allgemeinen Unsicherheit, diesen verworrenen und oft irreführenden Anstrengungen, die wir machen, wir vielleicht in zehn, zwanzig oder dreißig Jahren anfangen werden zu begreifen, daß die Dinge doch im Werden sind, daß wir tatsächlich im Begriff sind, uns durchzuringen, daß wir uns nach dem Lichte hin bewegen, daß die menschlichen Angelegenheiten wieder aufwärts gehen und daß sie sich auf einer neuen, größeren und sichereren Grundlage bewegen; laßt uns das einmal annehmen und dann wollen wir uns fragen, welcher Art die Welt sein wird, der wir entgegengehen.

Wir müssen erst auf eine grundlegende Tatsache in dem gegenwärtigen Zusammenbruch der menschlichen Angelegenheiten zurückgehen. Dieser Zusammenbruch ist nicht eine Folge von Entkräftung; er ist eine Folge schlecht geleiteter Kraft. Es ist wichtig, sich dessen zu erinnern. Unverhältnismäßige Entwicklung der Energien und Überanstrengung sind die unmittelbaren Ursachen unserer gegenwärtigen Leiden. Der Maßstab der modernen wirtschaftlichen Unternehmungen ist über die engen Grenzen der europäischen Staaten hinausgewachsen, die Wissenschaft und die Erfindungen haben den Krieg zu einer so grausam zerstörenden und vernichtenden Sache gemacht, daß der Sieg selbst von der Katastrophe verschlungen wird. Wir befinden uns in einer Welt kleiner Staaten, die weltenweit reichende Machtmittel zur allgemeinen Vernichtung handhaben. Daraus folgt, daß, wenn wir uns doch nach allem Vorangegangenen aus unserem veralteten und jetzt alles verheerenden Hassen und Neiden herausarbeiten, ehe es uns zerstört, wir doch noch im Besitz all dieses Wissens und dieser Kraft bleiben werden, die jetzt mit einer Art innerer Notwendigkeit uns unter den Händen anzuwachsen scheinen. So hat also das Hindurchdringen zu einem organisierten Weltfrieden nicht lediglich die Bedeutung einer bloßen Vermeidung des Todes und der Vernichtung und einer Rückkehr zu dem Zustande »von vorher«. Es bedeutet, daß wir die Macht von der richtigen Seite und nicht von der falschen anpacken und damit vorwärts gehen können. Wir ringen nicht nur nach Rettung, wir ringen auch um die Möglichkeit zum Schaffen.

Ich persönlich hätte mir wohl nicht die Mühe gemacht, nach Washington zu gehen oder mich weiter für diese Friedenssache zu interessieren, hier zu arbeiten, dabei die Dinge vielleicht verkehrt anzupacken und mir unfähig vorzukommen, oder mich zu ärgern und zu grämen, wenn es sich nur gerade um den Frieden, den platten, öden, einfachen Frieden gehandelt hätte. Ich sehe nicht ein, warum das Töten einiger Millionen menschlicher Wesen, einige Jahre bevor sie doch eines natürlichen und ruhmlosen Todes sterben müßten, oder das Zusammenschießen einer Anzahl gewöhnlicher, ziemlich häßlicher und recht unbehaglicher Städte oder, wenn es denn nicht anders sein soll, die vollständige Entvölkerung der Erde oder die Aussicht, selbst demnächst getötet zu werden, sei es durch eine Bombe oder einen Schuß oder eine Pestseuche, mich zu irgendwelchen besonderen Anstrengungen veranlassen sollte. Warum sollte man sich bemühen, Leiden gegen Langeweile einzutauschen? Das schlimmste, unerträglichste Elend ist die Langeweile. Irgendwo muß man sterben, selten ist der Tod so schmerzhaft wie ein erstklassiges Zahnweh oder so deprimierend wie eine ernstliche Verdauungsstörung; man kann auf einem bequemen Sterbebett mehr leiden als auf dem Schlachtfeld, und unterdessen finden sich hier wie dort allerhand gute Gelegenheiten, etwas Sonnenschein zu ergattern. Was mich aber zur Tat anspornt, ist mein unwandelbarer Glaube, daß das Leben, das ich führe, und das menschliche Leben um mich her nicht annähernd etwas so Köstliches ist, wie es sein könnte. Diese Kriege und nationalen Zusammenstöße und alles übrige dumme, fahnenschwingende, prahlende, sich vordrängende Getue erschreckt und betrübt mich weit weniger, als daß es mich langweilt und reizt. Ich habe so manche Vision gehabt von dem, was der Weltfriede und die Bildung aus dem Leben machen könnten, und der Gedanke verfolgt mich an den herrlichen Gebrauch, der von den Menschen und ihren großartigen Fähigkeiten gemacht werden könnte. Mir erscheint der Krieg nicht als eine tragische Notwendigkeit, sondern als eine blutbefleckte Schlamperei. Wenn ich an mein Europa denke, wie es jetzt ist, so komme ich mir nicht vor wie ein Schwächling, der von riesenhaften und grausamen Mächten überwältigt worden ist, sondern ich komme mir vor wie ein Mensch, dessen vielversprechender Garten durch Wildschweine verwüstet worden ist. Es gibt den Pazifismus der Liebe, den Pazifismus des Mitleids, den Pazifismus der kaufmännischen Interessen, aber es gibt auch den Pazifismus der völligen Verachtung. Diese Welt, in der wir leben, ist keine zum Unglück verdammte Welt oder irgend etwas ähnlich tragisch Erhabenes, es ist eine in blödsinniger Weise verdorbene Welt.

Ist einem unter uns die Verheißung jenes Gartens ganz klar, die Verheißung, die noch immer zu retten ist vor dem herumtrampelnden Stumpfsinn alter Feindschaften und Rivalitäten, die im Begriff sind, die Verheißung zu zerstören? Können wir uns vorstellen, was die Wissenschaft den Menschen an Möglichkeiten bietet, hier und jetzt, vorausgesetzt nur, daß sie sich zur Eintracht in ihren Bestrebungen eint, daß die gegenseitige Hinderung und Zerstörung aufhört?

Ich will mich keinen phantastischen Träumen hingeben von noch unentdeckten Dingen im Gebiete der Wissenschaft; ich will nur annehmen, daß die Dinge, welche man schon kennt und erprobt hat, systematisch in der ganzen Welt benutzt werden, daß die gründlichen Kenntnisse, die wir bereits in unseren Laboratorien und Bibliotheken aufgespeichert haben, nun wirklich mit einiger Sorgfalt und einiger Übereinstimmung in der Verfolgung der Zwecke auf die Bedürfnisse und die Erweiterung des Lebens angewendet werden.

Wir wollen uns zuerst mit den gewöhnlicheren, materiellen Seiten des Daseins befassen, hinsichtlich deren gerade jetzt große Veränderungen und Verbesserungen zu verzeichnen sind und für die man sich darum am leichtesten noch weitere Verbesserungen ausdenken kann, wenn wir nur ein Aufhören des Streites und des blinden Wütens erlangen könnten und eine Übertragung der Großmut und der Gemeinnützigkeit von den internationalen auf die sozialen Angelegenheiten.

Nehmen wir das Verkehrswesen an, diese fundamentale soziale Angelegenheit. Es ist reif für große Fortschritte. Alle Arbeitskraft, alles Geschick, alle Kenntnisse und alles Material der Welt, das zu diesen Fortschritten notwendig wäre, ist vorhanden. Es ist alles vorhanden, was nötig ist, ausgenommen der Frieden und die Erkenntnis eines allgemeinen Zweckstrebens. Gegenwärtig gibt es nur in einzelnen Teilen der bewohnten Erde Eisenbahnen, es gibt weite Strecken in Asien, in Afrika und in Südamerika, wo weder Eisenbahnen noch irgendwelche Wegverbindungen vorhanden sind und wo infolgedessen ungeheure natürliche Hilfsquellen kaum berührt werden. Landstraßen sind vorläufig nicht annähernd so weit verbreitet wie Eisenbahnen; reichliche und gute Landstraßen finden sich sogar nur in Westeuropa und den besser entwickelten Gebieten der Vereinigten Staaten; es gibt nur wenige gute Hauptverkehrswege in Ländern wie Indien, Südafrika usw. In vielen Teilen von Europa, besonders in Rußland, geraten die Straßen und Eisenbahnen jetzt in Verfall. Große Gebiete der Erde sind noch immer bloß durch besonders ausgerüstete Expeditionen zu erreichen, sie sind dem durchschnittlichen Reisenden ebenso verschlossen wie die andere Seite des Mondes. Wenn wir aber nach den Gründen forschen, warum der Straßen- und Eisenbahnverkehr sich nicht weiter entwickelt und sogar auf weiten Strecken in Verfall gerät, so werden wir fast in jedem Fall auf eine politische Schranke, eine nationale oder imperialistische Rivalität stoßen. Das sind die Dinge, die uns jetzt die Hälfte der Erde und vielleicht demnächst die ganze Erde verschließen werden. Betrachtet nur einmal die Eisenbahnen und die Straßen, die wir noch haben, selbst die von Amerika und England, wie armselig und unbequem sind sie, verglichen mit dem, was sie sein könnten!

Dann laßt uns einmal das Wohnungswesen vornehmen. Ich bin jetzt öfter im Automobil durch Maryland und Virginia gefahren, und ich bin sprachlos vor Staunen über die vielen elenden Holzhütten, die ich gesehen habe und die eher verdienten, Höhlen als Häuser genannt zu werden, obgleich sie oft auch die Behausung von Weißen sind. Ich bin sprachlos über die kümmerlichen Zäune, die sich um das schlecht gehaltene Ackerland ziehen, und über die weitgehende Unwissenheit vieler unter dem niederen Volke, sowohl weißer wie dunkelfarbiger Menschen, mit denen ich gelegentlich gesprochen habe. Ich muß mir ins Gedächtnis rufen, daß ich mich in dem jetzt größten, reichsten, mächtigsten Land der Welt befinde. Aber in diesem Lande geht es jetzt wie in jedem anderen Lande; das Heer, die Marine, die Wehrpflicht, die Kriegsschulden, Steuern und die ganze übrige Hinterlassenschaft vergangener Kriege zehren das Staatseinkommen auf. Amerika gibt nicht den zehnten Teil von dem aus, was es auf seine Schulen, die Aufrechterhaltung eines bestimmten Niveaus im Wohnungswesen und auf Straßen und Transportgelegenheit verwenden müßte. Es macht auf allen diesen Gebieten Fortschritte, aber infolge der Uneinigkeit der Welt und der drohenden Kriegsgefahr keine sehr großen. England und Frankreich, die einstmals Amerika im Wohnungswesen, Verkehr und Volksbildung weit voraus waren, befinden sich jetzt im ganzen auf dem Abstieg wegen der außerordentlichen auf ihnen lastenden fiskalischen Steuern zur Zahlung des letzten Krieges und zur Vorbereitung neuer Kriege. Ich fordere euch aber auf, euch einmal auszudenken, was aus der Welt würde, von der diese Last des Vorbereitetseins genommen wäre. Der erste Erfolg dieser Erlösung würde eine Ableitung der ungeheuren Unterhaltungsgelder des Kriegsgottes auf jene ausgehungerten und vernachlässigten Gebiete sein.

Hemmt in der ganzen Welt diese Vergeudung, so wird der eingesparte Reichtum und die eingesparte Kraft sofort überfluten in der Richtung auf bessere Häuser, auf eine stetige Zunahme an Ordnung und Schönheit in unseren verwahrlosten und schlampigen ländlichen Niederlassungen, auf den Bau besserer Straßen über die ganze Erde, bis die ganze Erde zugänglich ist, auf eine großartige Bereicherung und einen großartigen Aufschwung des Unterrichtswesens.

Wie schön und licht könnten Länder wie Frankreich, Deutschland und Italien sein, wenn die düstere Drohung der Kriegsgefahr, die sie in solch kümmerlicher Verarmung erhält, von ihnen genommen werden könnte. Denkt an die üppigen und mannigfaltigen Schönheiten Frankreichs, an die Intelligenz und Anmut seiner verschiedenen Volksstämme, die jetzt versauert sind in Mühsal und Not, in Furcht und bitterem Mißtrauen, welche das Schreckgespenst des Krieges über ihren Häuptern hält. Denkt an Frankreich, das, von Furcht befreit, endlich der Welt zeigen könnte, was es tun und sein kann. Und Italien, das endlich Italien wäre, und Japan, das Japan sein könnte. Stellt euch die grünen Hügel von Virginia vor, bedeckt mit stattlichen Bauten und freundlichen Häusern. Stellt euch eine Welt vor, in der man wieder frei umherreisen kann und in welcher jedes Land, in vollkommenster Sicherheit lebend, imstande ist, seine Friedensarbeit wieder aufzunehmen, seine Architektur, seine Musik und alle seine Künste von neuem weiter zu entwickeln, in seiner eigenen Atmosphäre, auf den Grundfesten seiner eigenen Vergangenheit. Denn Welteinheit bedeutet nicht Weltgleichheit, sie bedeutet die Sicherheit, anders sein zu können. Es ist der Krieg, der alle Menschen in die gleichen Khaki- und Eisenpanzerformen preßt.

Aber all diese Wiederauferstehung besonderer sichtbarer Anlagen der Nationen, all dieser vertrauensvolle Fleiß und all dieser sich mehrende Reichtum, die das unvermeidliche Ergebnis einer Ablenkung der menschlichen Aufmerksamkeit von Krieg und Tod und gegenseitiger Hemmung auf Frieden und Entwicklung sein müssen, werden doch nur die äußere Erscheinung viel tiefer liegender Veränderungen sein. Sind wir erst einmal von unseren Kriegsbürden erlöst, so wird es uns möglich sein, uns dem Erziehungs- und Unterrichtswesen in einem Maße zu widmen, wie es seit vielen Jahren der Wunsch aller Fachmänner gewesen ist.

Man sagt uns jetzt, alle Menschen könnten bis zum sechzehnten oder siebzehnten Jahre unterrichtet und die meisten Menschen veranlaßt werden, ihr ganzes Leben hindurch weiterzulernen und sich gegenseitig fortzuentwickeln, daß aber kein Land der Welt die genügende Anzahl von Schulen besitzt oder nur Schulen, die nicht genügend ausgestattet sind; die vorhandenen Schulen haben nicht genügend ausgebildete Lehrkräfte. Mit dem Universitätsstudium steht es noch schlimmer. Es gibt gegenwärtig kaum einen Menschen, der nicht die Empfindung hätte, daß es Dinge gibt, die er wissen könnte aber nicht erreichen kann, und daß er Kräfte besitzt, die er nicht zu entwickeln vermag. Die Zahl voll ausgebildeter und richtig aufgezogener Menschen, von denen gesagt werden kann, daß sie verhältnismäßig nahe an die Ausbildung aller ihrer angeborenen Fähigkeiten gelangt sind, ist äußerst gering. Der übrige Teil der Menschheit ist physisch oder moralisch zurückgeblieben, oder beides. Diese zahlungsunfähige schlampige alte Welt hat sie erzeugt und hat sie darben lassen.

Unsere Existenzen haben etwa 20 Prozent oder vielleicht 30 Prozent von dem erreicht, was sie an Kraft, an wirksamen Fähigkeiten, an Erfolgen und Errungenschaften und an Glück hätten besitzen können. Wenn wir aber diesen ewigen Streit, dies Hassen und Zanken beiseite schieben könnten, das unsere Erde verwüstet, und uns an die Ausgestaltung dieses Unterrichts- und Erziehungswesens begeben könnten, so wie ein großer Geschäftsmann sich an die Ausbeutung eines Bergwerks oder einer Erfindung begeben würde, so würden wir statt eines Ergebnisses von 20 Prozent ein solches bis zu 80 und 90 Prozent an ausgebildeten Fähigkeiten erzielen. Ich bitte euch, einmal durch die belebtesten Straßen einer Stadt zu gehen und die Zahl der Unausgewachsenen und schlecht Gewachsenen, der Verkümmerten und Gemeinen zu beachten und dann auch zu beobachten, wie die Auslagen der Schaufenster, die Reklameschilder, die Überschriften der Zeitungen, die an den Straßenecken verkauft werden, stets auf kindische, mit Vorurteilen belastete und verkrüppelte Seelen berechnet sind. Dann versucht euch vorzustellen, was sogar heute an Stelle dieser Straßen und dieser Volksmenge vorhanden sein könnte.

Der Reichtum und die Kraft waren da, Schulen zu errichten und alle diese Menschen in physischer und geistiger Hinsicht zu erziehen, aber man hat sie verwendet, um Handgranaten zu fabrizieren und die Arbeit der Menschen zu vernichten; die organisatorischen Kräfte sind vergeudet worden auf unfruchtbaren Streit, die Wissenschaft war da, aber sie ist verkrüppelt und mißbraucht worden; sogar der Wille war da, aber er wurde nicht zum zweckmäßigen Gebrauch organisiert. Und es wird kaum einen Mann aus dem Volke geben, der ein Kind erzeugt, oder eine Frau, die ein Kind trägt, die nicht davon träumten, daß es zu etwas Höherem aufwachsen könnte als zu dem unterdrückten Wesen, das es darstellt.

Habt ihr jemals ein Flugzeug oder ein Unterseeboot genau untersucht und die tausenderlei wunderbaren Einrichtungen und Erfindungen bedacht, die notwendig waren, seine verblüffende Vollkommenheit zu erzielen? Habt ihr je einen Straßenbummler angesehen und an die zehntausend versäumten Gelegenheiten gedacht, die ihn hätten davor bewahren können, was er geworden ist?

Wenn wir diesem Gedankengange folgen, so wird es klar, daß unsere erste Vision eines weltüberspannenden Netzes schöner Straßen, großer, auf erneuerten und breiteren Geleisen ruhig gleitenden Eisenbahnen, weitfliegender Flugzeuge sicherster Konstruktion, prächtiger, schöner Städte, eines parkartigen, freien Landes mit freundlichen Heimstätten nur der Schauplatz und der Rahmen war für gut entwickelte, gut ausgebildete, vollreife Menschenkinder. Die ganze Welt wird ihnen zugänglich sein, sie werden auf Berge klettern können, die Einsamkeit der Wüste wird ihnen offenstehen, sie werden schöne Orte finden zum Ausruhen. Und sie werden gesund und glücklich sein, wie es nur durch Gesundheit möglich ist. Denn es ist gewiß für niemand etwas Neues, daß Dutzende von schrecklichen Lastern und Krankheiten, die uns schwächen und verkrüppeln, die vielen Infektionen, eine Menge auf schlechte oder unzureichende Ernährung zurückzuführende körperliche Gebrechen vollkommen unterdrückt ja aus der Welt geschafft werden könnten, sie und alles Elend, das sie nach sich ziehen – nur unter der Voraussetzung gemeinsamer Anstrengung, menschlicher Zusammenarbeit an Stelle des Streites. Die mehr sichtbare materielle Ernte des Friedens ist die geringste Ernte des Friedens. Die große Ernte wird Gesundheit und Menschenkraft sein.

Und Glück! Denkt an den Morgen, der eines Tages dämmern wird, wenn die Menschen erwachen werden, um von etwas Besserem in der Zeitung zu lesen als dem großen 5-5-3-Feilschen, der Hungersnot und der Unordnung im größten Teile der Welt, von den sinnlosen geschlechtlichen Verbrechen und ehrlosen Handlungen, die von Erwachsenen mit dem unentwickelten Verstand lasterhafter Kinder begangen worden sind, von dem Verdacht schrecklicher Verschwörungen und Ränke gegen unsere fadenscheinige Sicherheit, von der trostlosen Notwendigkeit des »Vorbereitetseins«. Stellt euch einen Morgen vor, an dem eine Zeitung der Hauptsache nach gute Nachrichten bringt; von Dingen, die entdeckt, von großen Taten, die getan wurden. Stellt euch den Alltag eines alltäglichen Bürgers in einer Welt vor, in der die Schulden nicht mehr eine allgemeine Last sind, in der es nur Fortschritt, keinen Rückschritt gibt, in der es das Normale ist, aus einem schönen Hause herauszutreten in eine saubere und prächtige Straße, frohen und anziehenden erwachsenen Menschen zu begegnen, anstatt greisenhaften Kindern, die erfüllt sind von unablässigen Rachegedanken und kleinlichen Sorgen, die einem ehrenvollen Berufe nachgehen, der die Welt fördert zu einem noch größeren und schöneren Leben. Ihr mögt sagen, daß eine Welt wohlhabend sein kann, daß Männer und Frauen gesund und frei sein können und daß es trotzdem noch Rachsucht und Neid und Bitterkeit des Zwistes geben wird, aber das ist ebenso unwahr, als daß Zahnschmerzen nicht geheilt werden könnten. Ein gebildeter und kultivierter Geist kann ebensogut wie der Körper geheilt werden und sauber, frisch und frei gehalten sein von Wahnsinn erregenden Demütigungen und Unterdrückungen, die jetzt in so vielen Seelen eitern. Weder körperliches noch seelisches Elend ist im Menschenleben wirklich notwendig, vorausgesetzt, daß genügend menschliche Kräfte für die nötige Pflege und Sorgfalt freigemacht und allen zugänglich werden. Stellt euch vor, wie schön eine solche Welt sein würde! Denkt an die geistige Qualität einer Welt, in welcher täglich das Denken und Forschen einer großen Schar intelligenter Menschen die dunklen und verworrenen Rätsel des gestrigen Tages in durchsichtige Klarheit verwandeln wird. Denkt an die Kraft persönlicher und nationaler Eigenart, patriotischer und Rassenbehauptung, die ihren Ausdruck nicht mehr in verbrecherischer gegenseitiger Hemmung und viehischer Zerstörungswut suchen und finden werden, sondern in der besonderen Architektur ihrer Städte, in der gepflegten und gehobenen Schönheit des freien Landes, in hundert Formen der Kunst, der Kleidung, der Sitte. Denkt an die Freiheit, den Überfluß, die harmonische Verschiedenheit einer solchen Welt!

Das ist keine eitle Prophezeiung, das ist kein Traum. Eine solche Welt würde uns heute gehören – wenn wir nur den Sinn der Menschen auf die Tatsache lenken könnten, daß sie da sein würde, wenn wir sie haben wollen. Diese Dinge können geschehen, diese schöne Welt ist erreichbar. Ich kann dies heute ebenso zuversichtlich schreiben, wie ich im Jahre 1900 schrieb, daß die Menschen fliegen könnten.

Aber ob wir in zehn Jahren oder in zwanzig Jahren oder in hundert Jahren oder niemals dieser Narrheit internationaler Konflikte, dieser moralischen und geistigen Albernheit patriotischer Angriffslust, diesem unaufhörlichen Blutvergießen und dieser Unsauberkeit ein Ende bereiten werden, um uns auf den Weg zu einer Welt der reifen Vernunft zu begeben, das, freilich, ist mehr als ich sagen kann. In Washington habe ich von Hoffnungen gehört, die unvergänglich, und wiederum von Dummheiten, Gewohnheiten, Vorurteilen, die unübersteigbar schienen. Ich habe sechs Wochen lang in einem wirren Konflikt von großen Phrasen, kleinlichen Zielen, von mangelnder Logik, Vergeßlichkeit, blitzartiger Erhebung und ebensolcher Gemeinheit gelebt. Ich bin kein moralischer Rechnungsführer und nicht imstande, eine Bilanz aufzustellen und einen Zeitpunkt zu schätzen. Meine Stimmungen haben zwischen Hoffen und Verzweifeln hin und her geschwankt.

Aber ich glaube bestimmt an die große Welt des Friedens, die in greifbarer Nähe und imstande ist, in Erscheinung zu treten, sobald wir ernstlich wollen. In der heutigen Welt der Unordnung, der Unsicherheit wandele ich wie ein Verbannter; aber ich tue, was in meinen schwachen Kräften steht, für die Erreichung meines Sehnsuchtsziels, bald bitterernst, bald hoffnungsvoll gestimmt, bis zum letzten Atemzuge.


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