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XXVII.
Die Last der Kriegsverschuldung

Washington, den 13. Dezember

In den offiziellen Versammlungen der Washingtoner Konferenz werden Kriegsschulden niemals erwähnt. Es ist ein verpöntes Thema. In den Unterhaltungen, Diskussionen und in Zeitungsartikeln, die sich um die Washingtoner Konferenz herumbewegen, ist unaufhörlich von Kriegsschulden die Rede, und die Art der Diskussion ist so merkwürdig und so interessant und wirft ein so helles Licht auf die Hindernisse, die sich einer Regelung der Weltangelegenheiten auf gesunder demokratischer Grundlage allgemeinen Weltwollens in den Weg stellen, daß eine kurze Analyse notwendig ist, wenn diese Skizze der Weltlage vollständig sein soll.

In Privatgesprächen und fast allgemein in den monatlich und wöchentlich erscheinenden, hier als »hochstirnig« bezeichneten Zeitschriften finde ich fast durchgehend die Ansicht vertreten, daß die Hauptmasse der Kriegsschulden und der durch die Kriegsvorbereitungen entstandenen Schulden, wie die zwischen Rußland und Frankreich und zwischen den europäischen Verbündeten und Großbritannien und zwischen Amerika und Großbritannien kontrahierten Schulden, sowie die Hauptmasse der Entschädigungs- und Wiederherstellungsschuld von Deutschland an die Alliierten, nicht bezahlt werden können und nicht bezahlt werden sollten. Je eher diese Legende einer Verschuldung aus der Phantasie der Menschen ausgelöscht wird, desto eher werden wir an die Arbeit des Wiederaufbauens der Welt gehen können.

Nur eine einzige Schuld könnte schließlich bezahlt werden, und das ist die Schuld Englands an Amerika. Aber gerade hinsichtlich dieser Schuld erreicht die Situation einen Höhepunkt der Torheit. Die britischen Machthaber haben, das ist ein offenes Geheimnis, angeboten, mit der Rückzahlung der Schuld anzufangen; nun können sie aber nicht in Gold zahlen, weil der größte Teil alles Goldes der Welt bereits untätig in den Kellergewölben von Amerika ruht. Sie bieten das Gold an, das sie noch besitzen, und sind überdies bereit, ihre Fabriken arbeiten zu lassen, damit sie dem amerikanischen Gläubiger Fabrikwaren liefern können – Kleider, Stiefel, Automobile, Schiffe, landwirtschaftliche und andere Maschinen, Geschirr usw. Nichts könnte gerechter sein. Großbritannien hat eine Menge Erwerbsloser, die irgendwie ernährt werden müssen. Wenn Amerika darauf besteht, seine Industrie unter einer Pyramide von Gold und von Fabrikwaren zu vergraben, so sind die britischen Bankdirektoren und Fabrikanten der Ansicht, daß sie, wenn sie sich anstrengen, dies bewerkstelligen können und so aus den Schwierigkeiten herauskommen werden.

Der Wechselkurs wird während dieses Vorgangs einige merkwürdige Schwankungen erleben. Das britische System kann möglicherweise zusammenbrechen, genau so wie das deutsche System am Zusammenbrechen zu sein scheint; auf jeden Fall ist es eine sehr gespannte Lage. Die Engländer sind der Ansicht, daß es sich verlohnt, eine derartige Anstrengung zu machen und ein solches Risiko zu laufen, so daß es jetzt, hinter den Kulissen, Washington und nicht London ist, das den Wunsch hat, die Zahlung der britischen Schuld zu verhindern.

Nur noch eine einzige der noch ausstehenden Schulden scheint augenblicklich überhaupt zahlbar zu sein, und das ist der Teil der Wiederherstellungsschulden Deutschlands an Frankreich, der durch Sachwerte getilgt werden kann, durch Baumaterialien und durch Fabrikwaren, die in Frankreich nicht hergestellt werden.

Der Gedanke, daß irgendeine andere europäische Schuld voll ausbezahlt werden könnte, ist einfach Unsinn. Das Gold ist nicht vorhanden und die Sachwerte sind nicht vorhanden, und es ist keine Möglichkeit vorhanden, genügende Sachwerte unter den gegenwärtigen Umständen hervorzubringen.

Das Merkwürdige ist, daß die einsichtigen Leute in Amerika diese sehr einfache Sachlage den Massen des amerikanischen Volkes nicht so offen darzulegen scheinen, wie es ihnen möglich wäre; wenigstens ist diese offene Darlegung noch nicht bis zum amerikanischen Volk gelangt. Es gibt eine allgemein verbreitete Ansicht, die auch noch von den weniger intelligenten und gewissenhaften Organen der amerikanischen Presse eifrig unterstützt wird, daß bösartige alte europäische Länder und allen voran Britannien, dieser Erzbetrüger, in niedriger und schlauer Weise versuchen, der Bezahlung durchaus zu Recht bestehender Verpflichtungen aus dem Wege zu gehen. Jede Bemühung, die finanzielle und wirtschaftliche Krise der Welt als eine Weltaufgabe hinzustellen, in welcher das wohlhabende, erfolgreiche amerikanische Volk vernünftigerweise eine führende, kluge, helfende Rolle spielen könnte, wird in ein verkehrtes Licht gestellt. Es wird ein großes verworrenes Geschrei um Rückzahlung hörbar, das besonders auf Großbritannien zielt.

Krämer des alten irischen Haßgeschäftes und des Deutschenhaßgeschäftes, die jetzt nicht mehr viel von ihrem ursprünglichen Vorrat an Beschwerden übrig haben, verbünden sich mit lärmenden, aber syndizierten Hindus, um den harmlosen amerikanischen Bürger vor Ermahnungen zur finanziellen Vernunft zu warnen, als ob es eine hinterlistige Propaganda gelte, bis England endlich die Geduld verliert und sagt: »Also dann nehmt eure Schuld«, was dann wieder einen falschen Begriff sowohl von der Geduld und dem Verstand Englands wie von dem Amerikas gibt.

Wir wollen uns hinsichtlich der britischen Schulden wenigstens über einen Punkt klar werden. Die Amerikaner können bezahlt werden, wenn sie es vorziehen, diesen Weg einzuschlagen. Die Engländer und die englischen Schriftsteller, die sich in Washington befinden, sind hier, weil die Amerikaner sie eingeladen haben herüberzukommen, um die Weltlage und die Möglichkeit eines Weltfriedens zu besprechen. Sie sind nicht hier, um zu betteln. Die Zeit wird schwerlich je kommen, in der eine englischredende Volksgemeinde bei einer anderen englischredenden betteln geht. Sie ist ganz bestimmt jetzt nicht gekommen. Auf alle Fälle habe ich aber ein unerschütterliches Vertrauen in die Vernunft und die anständige Gesinnung des amerikanischen Volkes, und ich glaube nicht, daß der Pressefeldzug den Erfolg haben wird, ein großes Volk zu veranlassen, sich wie ein hysterischer orientalischer Gassenwechsler, der ein schlechtes Geschäft gemacht hat, zu benehmen. Dieser Pressefeldzug wird wahrscheinlich in sehr unangenehmer Weise auf die zurückfallen, welche ihn angeregt haben, und ich gehöre nicht zu jenen Fanatikern des Taktes, die es vermeiden würden, das amerikanische Volk an die Umstände zu erinnern, unter denen diese Schuld aufgenommen wurde.

Die russische Anleihe von Frankreich wurde meist ausgegeben für Vorbereitungen zu einem Kriege, der den Krieg ausrotten sollte, als Rußland noch der Verbündete und Helfer Frankreichs war. Die Kriegsanleihe der europäischen Alliierten in Großbritannien und Amerika und die britische Anleihe in Amerika wurden für Kriegsmaterial ausgegeben. Auch diese Anleihen galten den Anstrengungen, die für eine gemeinsame Sache gemacht wurden. Jedes Land gab Geld, soweit seine Mittel reichten, wie gute Verbündete es auch tun sollten. Rußland gab Leben und Blut – und wieder Blut. Es gab vier Millionen Menschen. Es zertrümmerte seinen eigenen sozialen Bau. Frankreich und Großbritannien gaben über eine Million Menschenleben. Sie gaben auch viel Material hin und machten ungeheure industrielle Anstrengungen. Dasselbe tat auch Italien, soweit es dazu imstande war. Die Engländer produzierten ungeheure Mengen an Munition, als der Krieg sich in die Länge zog; sie verbrauchten viel Material aus Amerika, wofür hohe Preise bezahlt wurden und an dem Amerika sehr viel verdiente.

Endlich griff Amerika mit seinen ungeheuren pekuniären Hilfsquellen und seiner unverbrauchten Kraft in den Krieg ein und gab nicht nur eine große Masse an Material hin, sondern auch das Leben von etwa 50 000–75 000 Menschen, so daß also die Amerikaner und die Alliierten, gemeinsam Material, Leben und Besitz opfernd, die Zivilisation vom Imperialismus erretteten. Die Engländer bereuen ihren Beitrag nicht und sie geben gern, was sie noch beitragen müssen für ihren Anteil an dem riesenhaften Sieg; aber einige unter den hier anwesenden Engländern fangen an, etwas gereizt zu werden darüber, daß man uns fortwährend wie säumige Schuldner mahnt und vorgibt, unsere Bemühungen, in Gemeinschaft mit den Amerikanern an der Wiederherstellung der ermattet zusammenbrechenden Zivilisation zu arbeiten, als die eigennützige Annäherung eines feilschenden armen Verwandten aufzufassen.

Ich wünschte, die Amerikaner gewöhnten sich daran, in den Europäern Menschen wie sie selbst zu sehen. Die Jungens, die nach Europa kamen, sahen, daß die im Felde stehenden europäischen Heere ebenso gutes und ihnen verwandtes Menschenmaterial enthielten. Sie waren ihre Waffengefährten, sie fochten und fielen Seite an Seite mit ihnen, sie sahen Länder und bäuerliches Leben, das dem amerikanischen Landleben sehr ähnlich war; sie entdeckten, daß die Franzosen, die Engländer und die Italiener eben auch zum »Volk« gehörten.

Aber diese amerikanischen Zeitungen aus dem feindlichen Lager schreiben immer so, als ob Frankreich und England böse alte Spinnen wären. Sie schreiben von England als von einem Ungeheuer mit einer Krone und einem Monokel und solchen Begleiterscheinungen, die geeignet sind, alle gesunden demokratischen Instinkte zu empören. Sie schreiben von den Ränken Frankreichs, Englands und Italiens, als ob diese schrecklichen Ungeheuer alle ein gemeinsames Hazardspiel um die Seele und das Leben Amerikas spielten.

Es ist leicht genug für sie, um Rückzahlung der Kriegsschuld zu schreien, es ist leicht für sie, die Leute aufzuregen durch Geschrei, daß die Pensionen für die Veteranen des großen Krieges dem europäischen Schuldner aufgebürdet werden müßten. Aber ich möchte den amerikanischen Soldaten daran erinnern, daß der wahre europäische Schuldner der arme Kerl ist, auf den alles zurückfällt, der arme Kerl, der arbeiten, zahlen und darben wird. Wenn möglich, so vergegenwärtigt euch, daß der Traum einer erbarmungslosen Eintreibung der Schulden nicht das legendäre Ungeheuer Frankreich oder England bedrücken wird. Es ist der arme Kerl dort drüben, neben dem ihr gekämpft habt, es ist der Verwundete in blauer Uniform oder in Khaki, an dem ihr vorübergekommen seid, als ihr in den Kampf zogt, es ist der Mensch, der euch seinen Mut durch ein Lächeln mitteilte, als ihr in dem Lärm und dem Gewühl der Schlacht gegen ihn stießt.

Wenn ihr auf die daheimgebliebenen Patrioten hört und auf eure exotischen Ratgeber, so wird er zahlen, er, seine Frau und seine Kinder. Sie alle werden zahlen durch Arbeit, Entbehrung, Mühsal und verkümmerte Existenzen. Sie sind es, die zahlen werden, aber ihr werdet nichts bekommen. Auch ihr werdet zahlen, durch schlecht gehende Geschäfte, gehemmte Produktion und Arbeitsmangel. Ihr werdet nichts davon haben, ausgenommen die Genugtuung, die ihr etwa empfinden mögt, daß ihr den anderen armen Kerl dort drüben habt bezahlen, hart bezahlen lassen!


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