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XXVIII.
Die Verbrüderung der Völker

Washington, den 15. Dezember

Mit der vierten Plenarsitzung der Washingtoner Konferenz hat die Registrierung der Ergebnisse in der Stillen-Ozean-Frage, der Abrüstungsangelegenheit und der chinesischen Sache begonnen. Es sind gute Ergebnisse, aufgebaut auf einem Fundament von Grundsätzen, das vielleicht endlich einen organisierten dauernden Frieden der ganzen Welt wird tragen können.

Besonders beachtenswert bei den Vorarbeiten zur Regelung dieser Dinge war die Anpassungsfähigkeit, die Intelligenz und das teilnahmsvolle Verständnis, das Japan in diesen Verhandlungen bewiesen hat. Die Japaner scheinen ein Volk von ungewöhnlicher geistiger Biegsamkeit zu sein. Ich lerne sie mehr und mehr achten. In der Phase des imperialistischen Wettbewerbs erstarrten sie in gewissenhaftem Egoismus und großartigem Kampfesmut; jetzt, da der neue Geist der Beratung, des Ausgleichs und des Wunsches nach Verbrüderung sich über die Welt verbreitet, nehmen auch sie den neuen Ton auf und reden darin mit offenbarer Ehrlichkeit und offenbarem Wohlgefallen.

Kein Volk ist hier so scharf und mißtrauisch beobachtet worden wie die Japaner. Die Vorstellung, die wir von ihnen hatten, als eines irrsinnig patriotischen, patriotisch schlauen, verräterischen, geheimnisvollen und gänzlich unzugänglichen Volkes hat sich zum großen Teil als irrig erwiesen.

Ich selbst habe diese Vorstellung eine Weile gehegt, ich habe mich dann von ihr befreit, und eine Unzahl von Durchschnittsmenschen hat dieselbe Erfahrung gemacht. Ich bin überzeugt, daß ich hier in unserer westlichen Welt mit den Japanern arbeiten, sie verstehen und ihnen vertrauen kann, aber es muß anderen und besser befähigten Federn als der meinigen vorbehalten bleiben, im einzelnen die Ausarbeitung der Resultate dieser großen Konferenz, dieses neuen Experimentes menschlicher Vernunft, soweit sie Schantung, Yap, Hongkong, Port Arthur usw. betreffen, zu schildern.

Meine Zeit in Washington geht ihrem Ende entgegen und ich beschränke mich jetzt auf die große und allgemeine Frage, die mich mehr interessiert, die Frage nach dem, was hinter und jenseits dieses sehr erfolgreichen und hoffnungsvollen Anfangs eines offenen internationalen Zusammenarbeitens liegt.

Wie groß und wichtig die Konferenz auch sei, so ist das Wachstum des wirklichen und begreiflichen Projekts einer ruhigen und systematischen Entwicklung des wirksamen internationalen Weltfriedens, das hier und in der ganzen Welt seit zwei Monaten allen Menschen im Kopfe herumgeht, eine noch weit größere Sache. Dieses Projekt ist ein ganz wunderbares Geistesprodukt, etwas sehr Stilles und Einfaches, aber doch Überraschendes, wie die Entstehung einer klaren Kristallisation aus einer trüben Lösung.

Ehe die Konferenz zusammentrat, waren offenbar die zivilisierten Menschen der ganzen Welt vollständig im unklaren über die Art, wie der Weltfriede je organisiert werden könnte, und sie hatten auch nur geringe Hoffnungen auf ihn. Jetzt scheint es mir, daß eine weit verbreitete und immer weiter um sich greifende Übereinstimmung in der Erkenntnis vorhanden ist, daß es einen Weg gibt, einen gangbaren und hoffnungsvollen Weg – durch aufeinanderfolgende Konferenzen, durch die Einsetzung einer dauernden gemeinsamen Kommission, durch systematischen Unterricht und die eifrige Pflege des Vertrauens, – auf dem die Menschheit sich aus ihren jetzigen Nöten und Gefahren dem Lichte eines neuen Tages entgegenringen kann und wird.

Die nächsten bereits angekündigten Konferenzen werden in einer Stimmung der Hoffnungsfreudigkeit und der Erfahrenheit zusammentreten, welche die kostbarste Hinterlassenschaft der gegenwärtigen Konferenz bilden wird. Eine Konferenz, die bald folgen muß, wird sich mit der wirtschaftlichen Wiederherstellung Europas befassen müssen. Zur Beratung dieser Angelegenheit müssen, wie mir scheint, wenigstens Amerika, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Italien und Rußland zusammenkommen, und zwar bald. Wir befinden uns jetzt in einer Weihnachtsstimmung und in einer Phase des erleichterten Aufatmens, das jetzt von Washington und Irland ausgeht, aber wir dürfen uns durch diese freudige Stimmung nicht über die Tatsache täuschen lassen, daß trotz allem Lichte, das uns jetzt entgegenleuchtet, wir doch noch nicht aus dem Walde heraus sind. Millionen Menschen sterben heute am Hunger. Große Mengen von Menschen gehen physisch und moralisch an Erwerbslosigkeit zugrunde. Der europäische Industrialismus kann sich noch immer nicht aufrechterhalten. Wir haben das Fundament einer neuen Ära gelegt, aber noch ist das Gebäude kaum begonnen, und außer einer wirtschaftlichen Konferenz bedarf es noch einer weiteren Konferenz, um die weit schwerere Aufgabe der militärischen Abrüstung in Angriff zu nehmen und die Konfliktsursachen des afrikanisch-europäischen Gebietes von neuem zu prüfen.

Ich persönlich möchte aber Amerika an dieser Konferenz beteiligt sehen, weil ich anerkennen muß, daß die geistige Frische, die absichtliche diplomatische Unerfahrenheit Amerikas bei diesen Diskussionen von höchstem Wert sind. Ich würde es gern sehen, wenn diese Konferenz noch in der amerikanischen Atmosphäre abgehalten würde und in Gegenwart amerikanischer Teilnehmer, wenn es sich auch nur um Europa handelt. Wenn Amerika sich für Kwantung interessieren kann, so sehe ich nicht ein, warum es sich nicht auch für Schlesien, Silizien, Senegal und den Kongo interessieren sollte, die alle viel näher liegen.

Der Drang nach Konferenzen und das Vertrauen zu ihnen wird in gleichem Maße wachsen wie der Stoff, von dem sie genährt werden. Man sieht, wie diese Versammlungen mit ihren beigeordneten Kommissionen, ständigen Sekretariaten und sich mehrenden Weltämtern sich zu gewohnheitsmäßigen und notwendigen Friedensaufsichten auf der ganzen Erde entwickeln werden.

Die Friedensaufsichten, welche solchergestalt ganz naturgemäß erwachsen müßten, werden immer und einzig durch die tüchtigen und willigen Nationen der Welt gehandhabt werden. Es wird keine erzwungenen Beteiligungen und keine verfrühten Zulassungen unfähiger schwächlicher Völker geben. Die Pedanterie, welche am liebsten jeder souveränen Macht, wenn sie auch noch so geringfügig und faul ist, eine Stimme – so eine nette käufliche Stimme – in der Verwaltung der Weltangelegenheiten gewähren möchte, wird keine Rolle in diesem Entwicklungsgang spielen. Der Völkerverband wird eine anwachsende Bruderschaft kräftiger, gesunder, einsichtiger Völker sein, die nur durch die Gebote der Selbstentäußerung und der gegenseitigen Beschränkung in ihrem Verhalten zu schwächeren Völkern gebunden sind.

Das Zusammenwirken der englischredenden Völker, vor allem der Amerikaner, in dem Willen zum Frieden muß notwendig eine sehr wichtige Rolle in der Kristallisation dieses Bündnisses spielen; darum ist es unvermeidlich, daß eine gewisse Gattung internationaler Sachverständiger ein Geschrei erheben wird, die Welt sei durch einen englisch-amerikanischen Imperialismus bedroht. Es dürfte der Mühe wert sein, hierzu einige Worte der Aufklärung zu sagen.

Wir wollen uns erinnern, daß die Washingtoner Konferenz, deren Erfolge vielleicht den Eckstein des organisierten Weltfriedens abgeben werden, eine Konferenz zum Zwecke der Räumung und des Verzichtes, der Selbstbeschränkung und der gegenseitigen Beschränkung ist. In bezug auf China und den Stillen Ozean ist der Wille zum Aufhören aller Angriffe auf schwächere und sich in weniger günstigen Umständen befindenden Völker der Leitgedanke.

Wenn Amerika und die ihm verwandten Nationen am tätigsten sind in der Betreibung dieses Vorhabens, so werden sie nicht etwa durch Gedanken an eine Weltvorherrschaft bewegt, sondern durch liberale Gedanken, die das Monopol keiner Rasse und keines Volkes sind. Es ist ihr glückliches Los gewesen, solchen Gedanken am leichtesten zugänglich zu sein, so daß sie jetzt imstande sind, die führende und entscheidende Rolle bei deren Aufrichtung in der Welt zu spielen. Aber diese Gedanken ruhen auf einer breiteren Grundlage und machen Anspruch auf eine weitere Gefolgschaft, als daß sie bloß der Liberalismus der englischredenden Völker genannt werden könnten. Der Gedanke großer Staaten von freien Bürgern, welche aneinander gebunden sind durch die Bande gegenseitigen Vertrauens, senkt seine Wurzeln weit und tief in die Menschheit hinab. Er ist abgeleitet von den großen Traditionen der griechischen und römischen Republiken und den Traditionen der Freiheit unter den skandinavischen und germanischen Völkern.

Nicht alle Völker sind in gleicher Weise vorbereitet. Es handelt sich nicht um Vorherrschaft; es handelt sich darum, wer fähig ist, die Aufgabe zu vollbringen, die nur er in Angriff zu nehmen bereit ist. Wenn ich an einen Völkerverband denke, so denke ich an eine Art von Verein oder Bruderschaft nicht aller Völker der Welt, aber aller Völker, welche englisch, französisch, deutsch, spanisch, italienisch und japanisch reden, als einer großen Weltbruderschaft. Solche Staaten wie Holland, Norwegen, Tschechoslowakei usw., die groß im Wesen, wenn auch nicht groß an Macht sind und die durch ihre Traditionen zur Teilnahme bereit sind, würden mit dem großen Bund in Hinsicht auf zwei Dinge verbündet sein – den Frieden untereinander und die Geduld mit der übrigen Menschheit.

Mir erscheint eine solche Bruderschaft als das Gehirn und das Rückgrat des organisierten Weltfriedens, und ich sehe nicht ein, wie es tunlich sein sollte, andere Völker als Helfer aufzunehmen, bevor sie nicht den gleichen Idealen huldigen. Ich denke hierbei vor allem an ein wiedererstandenes Rußland, dann an ein geeinigtes kultiviertes China, ein freies, neu hergestelltes Indien und an viele andere Staaten, die sich einer Kultur rühmen können, wie Ägypten, und die alle sich allmählich aus einer nicht teilnehmenden Stellung auf ein Niveau der Anteilnahme hinaufarbeiten könnten. Das Verhältnis von China und Japan in der Entwicklung eines Völkerverbandes wird ungefähr analog sein dem Verhältnis des Territoriums zum Staat in der Verfassung der Vereinigten Staaten.

Nur wenn ein starker, gut organisierter Gesamtwille in einer Nation oder einem Staatswesen vorhanden ist, kann dieser Staat meines Erachtens irgend etwas anderes als eine Scheinvertretung in einem Völkerverband finden. Er wäre sonst nur eine Verantwortung und eine Schwächung für ein derartiges Bündnis. Und außerhalb des Systems teilnehmender und nicht teilnehmender Staaten liegen noch große Gebiete – das tropische Afrika ist der typischste Fall –, denen notwendig von außen eine gewisse Ordnung auferlegt werden muß und für die wahrscheinlich eine Aufsichtsvereinigung der beteiligten verbündeten Staaten gegenwärtig die beste Regierungsform sein würde.

Dieses ist, meine ich, die vor uns emporsteigende Vision der politischen Zukunft der Menschheit. Ein großes System verbündeter Staaten, miteinander und untereinander durch vierfache, sechsfache, zehnfache Verträge verbunden – offene Verträge zum Frieden und zur Zusammenarbeit –, die gemeinsam über die noch barbarischen Gebiete der Erde herrschen würden und verpflichtet wären, die jetzt politisch schwachen Gebiete der alten Zivilisation zu achten und zu schützen und endlich unter sich aufzunehmen.

Ein solcher Verband muß notwendig den Imperialismus des 19. Jahrhunderts verdrängen und den imperialistischen Ideen für immer ein Ende bereiten. Der vierfache Vertrag mag sich als der Grundstein erweisen und innerhalb des Schutzes eines solchen Friedensgebäudes wird die Menschheit imstande sein, sich zu Taten aufzuschwingen, die wir uns gegenwärtig noch kaum träumen lassen.


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