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VI.
Die erste Zusammenkunft.

Washington, den 13. November

Anfangs war es schwierig, in der Konferenz irgend etwas anderes zu sehen als eine sehr gut geleitete, gesellige Vereinigung.

Continental Hall ist ein sehr hübsches Gebäude, nicht zu groß, um gemütlich zu sein, und nicht zu klein, um einer genügenden Anzahl von Menschen Raum zu gewähren. Die wichtigsten Mitglieder der Delegationen waren noch nicht versammelt. Sie sollten an grünen Tischen in der Halle Platz nehmen. Um diese mittlere Arena gruppierten sich die Attachés, auf der Galerie saßen die Pressevertreter. Die Logen waren für die Damen des diplomatischen Korps reserviert. Die Mitglieder des Hauses der Abgeordneten, die Senatoren und ihr Anhang, außerdem noch einige besonders Bevorzugte, nahmen die großen oberen Galerien ein.

Als ich eintrat, empfing mich das Geschwirr vieler Stimmen. Jeder begrüßte seine Bekannten, man ging von Gruppe zu Gruppe. Es war eine jener geselligen Vereinigungen, bei denen jeder den anderen kennt. In geselliger Hinsicht ähnelte sie erstaunlich einem hocheleganten Premierenabend in einem der größeren Londoner Theater. Ich hörte mich selbst sagen: »Als ich zuletzt in Amerika war, hatte ich einen Zylinder und einen Gehrock mit und konnte sie kein einziges Mal tragen. Jetzt scheint jedermann Zylinder und Gehrock zu tragen.« Es war eine Gelegenheit, für die man sich sorgfältig angezogen hatte, und das Niveau der Unterhaltung war dementsprechend.

Man hätte kaum glauben sollen, daß diese Gesellschaft die Einleitung zu einem wichtigen Akt der Weltgeschichte bildete.

Auf einmal wurde die Unterhaltung etwas gedämpfter. Die Abgesandten erschienen. Ihre Gesichter schienen uns allen merkwürdig vertraut, sie hatten sie offenbar aus den illustrierten Zeitungen entnommen. Sie begaben sich ohne besondere Übereilung auf ihre Plätze. Ein Platz blieb noch leer – der Sitz des Präsidenten. Dann erschien Präsident Harding, es wurde lebhaft geklatscht. Dadurch nahm alles mehr und mehr den Charakter eines Premierenabends an. Dann legte sich die Begeisterung, ein Schweigen trat ein, und er begann zu sprechen.

Die Rede war gut, weniger rhetorisch und unmittelbarer als die Ansprache in Arlington. Die Insassen der oberen Galerien benahmen sich, als ob sie Zuschauer bei einer Premiere wären, und unterbrachen die Rede durch Applaudieren, sobald irgend etwas über Entwaffnung darin vorkam. Er schloß, erklärte die Konferenz für eröffnet und ging fort. Mr. Balfour folgte, indem er sich den Ausführungen des Präsidenten mit wenigen gut gewählten Worten anschloß und Staatssekretär Hughes zum Vorsitzenden der Konferenz vorschlug.

Hier bemerkten alle in der Halle Versammelten, daß ein Hindernis eingetreten war. Ein Dolmetscher stand auf und übersetzte Balfours Rede für die französischen Abgesandten ins Französische. Er hatte stenographiert, während Balfour sprach. Wir vernahmen, daß dies während der Konferenz weiter so gehandhabt werden würde. Jede Rede, jede Frage, jeder Einwurf sollten in dieser Weise wiederholt werden. Glücklicherweise war dies weder bei der Rede des Präsidenten noch bei der des Sekretär Hughes nötig, die jetzt bevorstand, weil beide schon im voraus gedruckt, verteilt und übersetzt worden waren.

Ihre sprachliche Isolierung wird möglicherweise den Franzosen recht nachteilig sein. Die Belgier, Holländer, Chinesen, Japaner und Portugiesen sprechen alle englisch und verstehen die englischen Reden. Folglich kommen die Franzosen in die Lage, hier als das einzige fremdländische Volk zu erscheinen. Dies muß unbehaglich für sie sein. Es wird ihnen noch unbehaglicher sein, wenn etwa später deutsche, englisch sprechende Abgesandte bei irgendeinem erweiterten oder angegliederten Ausschuß der Konferenz erscheinen sollten. Es wird sich aber kaum vermeiden lassen. Die Franzosen stehen infolgedessen etwas abseits bei der Konferenz; sie müssen auch bei den endlosen Unterhaltungen in den Klubs, bei Diners und in ganz Washington noch weit mehr kaltgestellt sein. Diese Unterhaltungen bilden aber die Atmosphäre, in welcher die Konferenz ihre Arbeit leistet.

Das nur nebenbei. Staatssekretär Hughes übernahm den Vorsitz und hielt seine Ansprache. Sie enthielt eine sehr gründlich vorbereitete Überraschung, und die Wirkung war echt dramatisch. Sie brachte die Konferenz mit einem Satz aus den schönen Allgemeinheiten, mit denen sie sich bisher befaßt hatte, auf unmittelbar praktische Fragen. Hughes skizzierte den offenbar sorgfältig ausgearbeiteten Antrag, einen sehr klaren Antrag, betreffs des völligen Aufhörens aller Rüstungen zur See.

Amerika wolle, so sagte er, gleich zu Beginn die ganze Welt von dem Ernst seiner Absichten überzeugen, darum habe es den unerwarteten Schritt getan, sofort mit unmittelbar praktischen Vorschlägen hervorzutreten. Es wäre bereit, alle seine noch im Bau befindlichen Schiffe und alle älteren Schiffe auszurangieren, und es würde zehn Jahre hindurch jeglichen Schiffbau aufgeben, wenn Großbritannien und Japan das gleiche tun wollten.

Es beantragte, daß die Seestärke der drei in Betracht kommenden Mächte auf zehn Jahre hinaus in folgendem Verhältnis erhalten werden sollte: Großbritannien 22, Amerika 18 und Japan 10. Mit anderen Worten schlug Amerika also vor, die Dinge so zu ordnen, daß keine zwei der drei Mächte einen entscheidenden Seekrieg gegeneinander führen könnten, aber daß Amerika und Großbritannien wohl in der Lage wären, zusammen gegen Japan Krieg zu führen. Außerdem würde Japan, falls es in der Hoffnung, England würde den Amerikanern nicht zu Hilfe kommen, doch einen zweifelhaften Krieg gegen Amerika wagte, immer noch in einer ungünstigen Lage sein. Nachdem Hughes diesen Plan entwickelt hatte, schloß er seine Rede.

Wir waren alle wie vor den Kopf geschlagen. Wir hatten erwartet, daß die erste Zusammenkunft nur die Vorbereitung bilden und sich mit allgemeinen Wendungen begnügen würde. Nachdem Staatssekretär Hughes geendet hatte, wären wir gerne fortgegangen und hätten über das Gehörte nachgedacht. Aber die Mitglieder des Repräsentantenhauses genossen offenbar die ungewohnte Empfindung, als Zuschauer da zu sein, als ganz verantwortungslose Zuschauer, während andere reden mußten. Sie unterbrachen unsere staatsmännischen Betrachtungen mit dem lauten Rufe »Briand«.

Die Atmosphäre einer gesellig-festlichen Vereinigung war dadurch wieder hergestellt. Briand sprach schwungvoll – ohne irgend etwas über den Vorschlag Hughes' zu sagen – und setzte sich wieder hin. Seine ganz abstrakt gehaltenen Lobpreisungen des Friedens wurden ins Englische übertragen.

»Japan«, riefen die Mitglieder des Abgeordnetenhauses, die sich jetzt vollständig wie Theaterbesucher benahmen. Japan sprach englisch und seine Ausführungen wurden für die Ausländer ins Französische übersetzt, Japan bekannte sich zu ganz vorzüglichen Grundsätzen und sagte nichts über die Vorschläge des Staatssekretär Hughes.

Danach wäre es unhöflich gewesen, nicht auch noch Italien, China, Belgien, Holland und Portugal herauszurufen. Sie sprachen alle englisch, und was sie sagten, wurde ins Französische übersetzt. Niemand sagte etwas über die Anträge Hughes'. Die Galerien applaudierten herzhaft am Schluß jeder Rede, und die Premierenatmosphäre war vollkommen wieder hergestellt. Wir trennten uns voneinander, um bei Luncheons und Teegesellschaften das Erlebte zu besprechen, ehe wir darüber schrieben. Als wir versuchten, uns darüber klar zu werden, begriffen wir, daß wir sehr viel mehr als die Eröffnungsfeier der Konferenz erlebt hatten.

Staatssekretär Hughes hatte Anträge gemacht, welche die ganze Lage im Gebiete des Stillen Ozeans in Frage stellten. Denn wenn Japan sie annimmt – warum Großbritannien sie nicht annehmen sollte, wäre ja nicht abzusehen –, so gerät Japan vollständig und dauernd in Nachteil. Die Annahme würde der Aufgabe jeder Möglichkeit einer Kriegführung im Stillen Ozean gleichkommen, außer in Gestalt eines letzten verzweifelten Auskunftsmittels, im Fall einer Verteidigung gegen einen unabwendbaren Angriff. Japan kann aber diese Möglichkeit nicht aufgeben, wenn es nicht die Sicherheit bekommt, alles zu erlangen, was ihm zu seiner Existenz notwendig erscheint.

Man könnte vielleicht sagen, daß Hughes durch diesen unerwarteten Vorschlag, durch den der Seekrieg und Japan in den Mittelpunkt des Interesses gerückt worden sind, die Arbeit der Konferenz sehr verringert habe. Ich glaube aber nicht, daß dies der Fall ist. Seine Herausforderung kann nicht angenommen werden, bevor eine Anzahl von Nebenfragen geregelt ist. Sicherlich haben seine Vorschläge aber die Arbeit der Konferenz aus den Wolken schöner allgemeiner Wendungen auf die Erde und auf sehr konkrete Wirklichkeiten heruntergeholt.

»Ihr nehmt diese Anträge an,« sagt Amerika, »wenn nicht, warum nicht?«

Japan muß annehmen oder irgendwie antworten. Von der Abrüstungsfrage werden wir also zur Frage der hinter den Rüstungen verborgenen Zwecke gelangen, denn kein Kriegsschiff läuft vom Stapel, das nicht gegen einen bestimmten Feind gerichtet ist und das nicht in Verfolgung eines bestimmten Zweckes gebaut wurde. Was aber die Ziele anbelangt, wird die Konferenz demnächst auch zu überlegen haben, was jede Macht für das allgemeine Wohl aufgeben muß und was sie für ihre eigenen Bedürfnisse behalten darf.

Die Vorschläge des Staatssekretär Hughes haben deutlich bewiesen, daß die Konferenz sich der unvermeidlichen Frage des Weltfriedens auf dem Seeweg und durch den Stillen Ozean nähern wird, und da Frankreich und Europa im allgemeinen hier etwas in den Schatten gestellt werden, so dürfte es zweckmäßig sein, wenn ich im nächsten Artikel einige grundlegende Tatsachen in bezug auf Japan zur Sprache bringe,


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