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X.
»Garantien« – Das schöne, neue Schlagwort

Washington, den 20. November

Das neue und wirklich ganz wunderschöne Schlagwort, welches alle Verhandlungen der Washingtoner Konferenz beherrscht, heißt »Sicherheitsgarantien«. Das Wort ist, soviel ich weiß, ursprünglich in Frankreich geprägt worden. Frankreich braucht jetzt überhaupt nichts anderes mehr als Sicherheitsgarantien. Es hat jeden Gedanken an Eroberungen, alle ehrgeizigen Träume, überhaupt jegliche aggressive Wirtschaftspolitik aufgegeben, es ist das durch den Weltkrieg geprüfte und geläuterte weiße Lamm der internationalen Angelegenheiten. Aber – Garantien muß es haben.

Großbritannien und Japan sind in diesem Punkte vollkommen einig mit Frankreich. Großbritannien verlangt nichts weiter als eine große meerbeherrschende Flotte und in vollstem Betriebe zu erhaltende Seearsenale. Aus der eindringlichen Rede Balfours bei der zweiten Sitzung der Konferenz ging die Notwendigkeit dieser Sicherheitsgarantie klar hervor. Japan braucht Ostsibirien, die unbedingte Kontrolle aller Rohmaterialien in der Mandschurei und seine Hand auf China, weil Japan den gleichen leidenschaftlichen Wunsch nach Frieden und Ruhe hegt. Das haben uns die japanischen Vertreter in Washington ganz genau erklärt.

Alle diese Mächte werden jeden Antrag, den Staatssekretär Hughes macht oder zu machen beabsichtigt, annehmen, sie werden ihm beredt und aufrichtig zustimmen – »prinzipiell«. Daraufhin fahren sie dann fort, ihre notwendigsten Forderungen zur Herstellung jenes Gefühls von Sicherheit anzumelden, welches gegenwärtig das Ziel aller Völker ist. Nachdem diese Forderungen gestellt worden sind, wird es offenbar, daß diese Staaten weniger abrüsten wollen, als daß sie im kampfbereiten Zustande zu verharren beabsichtigen und daß ihre unpraktische und kostspielige Ausrüstung durch eine glänzend vervollkommnete zu ersetzen ist. Sie haben weniger die Absicht, den Krieg aufzugeben, als ihn durch ein anständiges Abkommen auf diejenigen Grenzen zu beschränken, welche durch den gegenwärtigen, traurig bankrotten Zustand geboten sind.

Die französische Vorstellung von Sicherheitsgarantien ist besonders anziehend. Frankreich stellt also die Bedingung, daß ihm die Erhaltung der stärksten Armee auf dem europäischen Kontinent gestattet werde, daß Deutschland dauernd durch Vertrag der Mächte in äußerstem Elend und äußerster Schwäche erhalten werde, daß Rußland ausgestoßen bleibe und daß, durch eine Reihe von Bündnissen, Länder wie Polen im französischen Interesse zu militarisieren seien, anstatt daß sie in ihrem eigenen Interesse zu industrialisieren wären. Ferner ist Frankreich in weiterer Verfolgung seiner Vorstellung des vollkommenen Friedens (für Frankreich) im Begriff, große Scharen barbarischer Senegalesen militärisch auszubilden in der Absicht, sie als Polizeiaufsicht über weiße Völker und zur Aufrechterhaltung des Millenniums in Europa zu verwenden. Sie können ja jetzt keine andere Bestimmung mehr haben.

Wenn diese gut ausgebildeten Soldaten nach Afrika zurückkehren, werden sie sich als ein neues und interessantes Element im afrikanischen Leben ausbreiten, bis irgendein schwarzer Napoleon erscheint, der dann seinerseits »Garantien« für Afrika fordert.

Gegenwärtig trägt Frankreich ein ganz erstaunliches Vertrauen auf die Briten zur Schau, sollte es aber demnächst, Dank seiner tüchtigen, rührigen Bauern und seines wunderbaren Bodens, zu einer teilweisen Erholung gelangt sein, so wird Frankreich zweifellos die Notwendigkeit einsehen, seine jetzt vernachlässigte Flotte auf das »Garantie«niveau zu erheben. Es ist außerdem ein Axiom unter den Sachverständigen, daß kein im Besitz einer Küstenlinie befindliches Land wirklich sicher ist, solange es noch keine Flotte hat, die mindestens doppelt so stark ist wie die Flotte jeder anderen Macht, welche diese Küste angreifen könnte.

Diese Ausführungen sind nicht etwa scherzhafte Einfälle eines verantwortungslosen Zeitungsschreibers, es sind charakteristische Beispiele dessen, was die verschiedenen Deputationen in Washington hervorbringen. Von solchen Dingen reden wir, bis kein Mensch mehr weiß, woran er ist. Wenn die Washingtoner Konferenz keinen anderen Zweck hätte, so wäre sie doch der Mühe wert gewesen, um einmal alle diese ganz unvereinbaren Vorstellungen von Sicherheitsgarantien zusammenzubringen und sie durch diese Zusammenstellung ad absurdum zu führen. Auf der Grundlage ungeregelter oder geregelter Kriegsrüstungen kann es für keine Rasse und für kein Volk Sicherheitsgarantien geben.

Die größte Sicherheitsgarantie, die es heute für einen modernen Staat gibt, ist ein bindendes und alle Teile zufriedenstellendes Bündnis mit der Macht oder den Mächten, die andernfalls einen Angriffskrieg unternehmen könnten.

Die einzige wirkliche Sicherheitsgarantie für Frankreich gegen die Rache der Deutschen ist ein großmütiges und vollständiges Einvernehmen zwischen der französischen und der deutschen Republik, so daß sie ein gemeinsames Interesse an der gegenseitigen Wohlfahrt hätten. Deutschland ist von Natur etwas größer als Frankreich, daran ist nichts zu ändern. Andere Mächte oder alle Mächte können sich an einem solchen Vertrag als Garanten beteiligen; aber das wesentliche Moment für einen Frieden zwischen Frankreich und Deutschland ist der wirkliche und ehrliche Friedensschluß, ein Aufhören der gegenseitigen Schädigung und der feindlichen Rüstungen.

Die einzige wirkliche Sicherheit für das Zusammenhalten des britischen Imperiums liegt in der von der ganzen Menschheit zu teilenden Überzeugung, daß das große System englisch redender Staaten, das sich rings über den Erdkreis ausgebreitet hat, ein Vorteil für die ganze Menschheit sei. Dazu gehören energische Anstrengungen jener Staaten, sich auf diesem Niveau zu erhalten. Andere Sicherheitsgarantien gibt es nicht.

Das ist kein »verstiegener Idealismus«, es ist nüchterne Vernunft, und der Gedanke einer auf Rüstungen und der Schwächung möglicher Rivalen beruhenden Sicherheit ist keine »praktische Einsicht in gegenwärtige Beschränkungen«, sondern eine klägliche Unterwerfung unter die lasterhaftesten Neigungen des Menschengemütes.

Washington wird vermutlich noch eine Weile seine Untersuchungen über die Bedeutung bewaffneter Sicherheitsgarantien fortsetzen, danach wird es wohl seine Aufmerksamkeit auf die andere Seite der Frage richten, mit welcher das gewandte französische Denken auch schon gespielt hat, nämlich die Möglichkeit von Sicherheitsgarantien durch Verträge. Die Franzosen waren früher einmal geneigt, auf ein englisch-französisch-amerikanisches Bündnis zum Schutze Frankreichs gegen äußere Angriffe einzugehen. Der Gedanke ist in dieser Gestalt nicht mehr lebensfähig, aber die Möglichkeit eines viel umfassenderen Abkommens, eines lockeren, aber wirksamen Bündnisses aller Nationen zur Aufrechterhaltung des Friedens und zum Ausgleich aller Streitigkeiten durch Konferenzen muß wieder ins Auge gefaßt werden, sobald die Unmöglichkeit der Abrüstung ohne dauernde Regelung der Verhältnisse sich deutlich erwiesen hat.

Mir fällt hierbei eine merkwürdige Feier von Sicherheitsgarantien ein, ein Friedensfest, das vor alters in irgendeinem orientalischen »Versailles« gefeiert wurde. Die große Familie der Abbassiden hatte schwer unter den Omaijadenkalifen gelitten. Endlich erhob sie sich gegen diese, überwand die Omaijaden und ergriff selbst die Führerschaft des Islam. Die Überlebenden des Clans der Omaijaden wurden eingeladen, Zeugen des neuen Friedens und Teilnehmer am Friedensfest zu sein. Aber einige der Abbassiden, durch ganz moderne Vorstellungen von »Sicherheitsgarantien« geleitet, ließen alle Omaijaden vor dem Beginn des Festessens ermorden. Ein schöner Teppich wurde über die Toten und Sterbenden gebreitet, und die Abbassiden feierten ihr Fest darauf. Hier waren »Sicherheitsgarantien«, welche die anspruchsvollsten modernen Ideale befriedigt hätten. Aber den Abbassiden nützte diese Sicherheit nur wenig. Sie erlangten niemals den Ruhm der Omaijaden, die Kraft des arabischen Islam schien gebrochen, ihre Geschichte ist trotz aller dieser Sicherheitsgarantien eine Geschichte der Uneinigkeiten, des Niedergangs, des Verfalls. Es bedarf der Gesamtheit des Menschengeschlechtes, um ein Weltganzes zu schaffen.

Laßt uns zu Ende kommen mit diesem elenden Feilschen um nationale Vorteile und Sicherheiten und laßt uns endlich darangehen, die Organisation zu schaffen, welche allein die Welt noch retten kann.


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