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XXV.
Ein Schatten auf der Erde

Washington, den 11. Dezember

In einem früheren Artikel habe ich über etliche unterdrückte Stimmen in Washington geschrieben. Es ist aber noch eine andere unterdrückte Stimme hier, die ich vernommen habe, und von ihr reden, heißt eine weitere große Gruppe von Fragen berühren, welche sich hindernd einer wirksamen Organisation des Weltfriedens in den Weg stellen. Bevor wir nicht zu einer vorläufigen Entscheidung hinsichtlich dieser Fragengruppe gelangen, wird das Projekt des Völkerverbandes in der Luft hängen bleiben.

Diese unterdrückte Stimme, von welcher ich jetzt schreibe, ist die Stimme des schwarzen Volkes. Mich, der ich in meinen Mußestunden Romanschriftsteller bin und der ich von Natur an menschlichen Empfindungen sehr viel Interesse habe, hat die besondere Lage, die durch die Hautfarbe in Amerika geschaffen worden ist, immer lebhaft berührt. Ich verstehe nicht, warum sich die amerikanische Novellistik nicht häufiger damit befaßt. Es sind die gebildeten, hochintelligenten, dunkelfarbigen Menschen, welchen mein Interesse und meine Teilnahme gehört. Ich kann mich zu keiner Rasseempfindung ihnen gegenüber aufschwingen.

Ich bin besonders stolz darauf, Mr. Booker T. Washington und Mr. Dubois kennengelernt zu haben, und obgleich ich diesmal sehr viel zu tun habe, konnte ich doch am vorigen Sonntag zwei Stunden erübrigen, um den Verhandlungen des Washingtoner Korrespondenzklubs beizuwohnen, einer Organisation, welche durch Briefe, Unterredungen und Aufrufe gegen die schroffe, hier herrschende Ausschließung der Neger von Theatern, Schulen, Zusammenkünften, Speisehäusern, Bibliotheken und dergleichen ankämpft.

Ich will hier nicht über das Für und Wider dieser Schranke reden, die viele Leute von den intellektuellen Lebensbedürfnissen und Lebensfreuden ausschließt, und zwar Leute, welche in jedem europäischen Lande gleich gebildeten und kultivierten Weißen aufgenommen würden. Ich erwähne diese Versammlung nur um einer sehr interessanten Frage willen, über welche ich dort interpelliert wurde.

Ein- bis zweimal habe ich in diesen Artikeln – ich weiß nicht, ob der Leser es bemerkt hat – von der Ausbildung senegalesischer Truppen durch die Franzosen gesprochen und von dem Widerwillen, mit welchem die anderen europäischen Völker deren weitgehende Verwendung in Europa betrachten. In dem Korrespondenzklub wurde ich gefragt, ob die Einwendungen, welche ich dagegen gemacht hätte, nicht als eine Unterstützung des Rassenvorurteils bezeichnet werden könnten. Es folgte hierauf ein sehr interessanter Meinungsaustausch. Ich war geneigt zu behaupten, daß die Importierung afrikanischer Neger nach Europa zu militärischen Zwecken ebenso zu mißbilligen sei, wie ihr Importieren nach Amerika zu wirtschaftlichen Zwecken, aber einige meiner Gastgeber, einige der jüngeren Leute, sahen die Sache nicht in demselben Lichte. Sie lieben die Franzosen wegen des beachtenswerten Mangels an Rasseexklusivität in Frankreich, und sie sehen die Ideale des epochemachenden Buches »La France Nègre« aus einem ganz anderen Gesichtswinkel.

Warum sollte es nicht ein schwarzes Frankreich geben, so groß oder noch größer als das weiße Frankreich, und ein neues Volk, das militärische Disziplin, Militärdienst und gemeinsames Handeln in Europa gelernt hätte? »Warum soll nicht demnächst ein afrikanischer Napoleon erscheinen?« sagte ein junger Mensch, dem es, wie mir schien, etwas an jener kriechenden Demut fehlte, die das amerikanische Ideal des Benehmens der dunkelfarbigen Rasse ist. Er dachte sich vermutlich, daß in Afrika irgend etwas in der Art der Emanzipierung von Haiti geschehen könnte und daß große afrikanische Heere die jetzigen Beherrscher nach dem Meere zurückdrängen würden.

Aber kürzlich hat Oberst Taylor eine andere Möglichkeit angegeben – nämlich, daß Frankreich sich mit einem Male in der Gewalt seiner schwarzen Prätorianergarde befinden könnte. Man stelle sich vor – eine Prätorianergarde, die französisch spricht und ultrapatriotisch ist und die französischen Sozialisten, Pazifisten und Bolschewisten in Ordnung hält.

Ich glaube nicht so sehr weder an die eine, noch an die andere, noch an eine dritte Möglichkeit – nämlich die, daß europäische Mächte einander in Afrika mit schwarzen Truppen bekämpften. Aber ich sehe wohl, daß es allen Weltfriedensträumen an Lebensfähigkeit gebrechen wird, bevor wir nicht einen Entwurf ausarbeiten oder wenigstens allgemeine Grundsätze aufstellen können für die Behandlung der zwischen der Sahara und dem Sambesifluß gelegenen afrikanischen Gebiete, einen Entwurf, der als ein gewisses Beruhigungsmittel für die Eifersucht und die Feindseligkeit wirkte, die durch die wirtschaftliche und politische Ausbeutung der annektierten und Mandatgebiete durch die Nationalisten hervorgerufen werden. Es müßten auch Regeln für den Wettbewerb in diesen Regionen der Erde aufgestellt werden, denn es scheint eine Tatsache zu sein, daß das tropische und subtropische Afrika eine andere Funktion in der Welt hat, als nur die Heimat einer großen Familie von Negervölkern zu sein.

Afrika ist in wirtschaftlicher Hinsicht eine Notwendigkeit für die europäische Zivilisation als die Hauptquelle von Pflanzenöl, Fett und verschiedenen anderen Produkten, die ohne großen Wert für die einheimische Bevölkerung sind. Die europäische Zivilisation kann kaum bestehen ohne diese afrikanischen Naturprodukte.

Nun sind wir hier bei einem Problem angelangt, das völlig verschieden ist von dem Problem, das im Fall Indiens, Indo-Chinas und Chinas auftaucht. Das letztere ist das Problem politisch machtloser, aber durch und durch kultivierter Völker, welchen man es zutrauen kann, daß sie sich modernisieren und zu dem Niveau der bestehenden tüchtigen Nationen emporsteigen würden, wenn sie nur während der Periode ihres Werdens geschützt würden gegen unterdrückende, zersetzende Kräfte.

Afrika ist zu etwas Derartigem ganz außerstande. Das Negerafrika ist in der Hauptsache noch im Stadium der Stammesbarbarei. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts befanden sich seine Völker in einem Zustande stetig wachsender Unordnung und zunehmenden Elends, dank der Verbreitung europäischer Krankheiten und den Einfällen der Araber und einheimischer Abenteurer, die sich in Besitz moderner Feuerwaffen gebracht hatten. Die kleinen Dorfgemeinden des tropischen Afrikas waren ganz unfähig, sich bloß gegen die räuberischen Überfälle von Banden mit Gewehren versehener Verbrecher zu wehren.

Das Ringen der großen europäischen Mächte um Afrika gegen Ende des 19. Jahrhunderts, ein Ringen, das vor allem auf wirtschaftliche Habgier zurückzuführen war, tat wenig genug, um das Elend und die Zerstörung, die damals im Gange waren, durch die Einsetzung einer gewissen Ordnung über weite Strecken Afrikas zu lindern, denn diese Ordnung war in einigen Gebieten kaum minder grausam als die Unordnung, die sie verdrängt hatte.

Wenn aber ein dauernder Zugang zu den afrikanischen Produkten gesichert bleiben soll, und wenn ein Rückfall in die arabischen Räubereien und das allgemeine Chaos und den Massenmord verhindert werden soll, so ist es klar, daß unter irgendeiner Form die Beaufsichtigung der Gebiete von Zentralafrika durch die moderne zivilisierte Welt weitergehen muß. Wir müssen uns aber über einen Punkt klar werden. Wenn diese Aufsicht so wie jetzt gehandhabt werden soll, durch verschiedene europäische Mächte, die alle unabhängig voneinander vorgehen und miteinander wetteifern, so wird Zentralafrika in der nächsten Zukunft unbedingt ein Grund zu Kriegen werden.

Zentralafrika war eines der großen Ziele, welche der deutschen Phantasie im Jahre 1914 vorschwebten, und es wird jetzt in einem Zustande des unsichern Gleichgewichts durch die europäischen Sieger des Weltkriegs erhalten. Sobald sie sich erholen, wird die afrikanische Gefahr anwachsen. Afrika wird wahrscheinlich nach Osteuropa und dem nahen Orient innerhalb der nächsten zehn Jahre die hauptsächlichste Gefahrregion der Welt werden. Es ist die Pflicht aller derer, die von einem organisierten Weltfrieden durch einen Völkerverband träumen, den afrikanischen Stein des Anstoßes nicht zu vergessen und sich eine mögliche Methode auszudenken, wie man dieses große Gebiet mit der übrigen Welt in einem allgemeinen Friedensplan verbinden kann.

Ich behaupte, daß es für alle, die sich mit der Zukunft unseres Geschlechts befassen, nicht verfrüht ist, die Notwendigkeit dreier Dinge zu bedenken: Erstens die völlige Aufgabe und das Verbot der Aushebung und militärischen Verwendung afrikanischer Völker; zweitens die Gewährung von Handelsfreiheit an jedermann in den Gebieten zwischen der Sahara und dem Sambesi; drittens eine besser organisierte Sorge für die einheimische afrikanische Bevölkerung durch eine Verschärfung bestehender Verbote hinsichtlich des Waffen- und Alkoholhandels und die Einrichtung irgendeiner Art von Volksschulen durch ganz Afrika, die den sehr verschiedenen und meist noch ganz unerprobten Völkern die Gelegenheit geben würden zu zeigen, welche latenten Fähigkeiten sie zur Selbstverwaltung und zur Teilnahme an dem allgemeinen Wohlergehen besitzen.

Ich persönlich bin der Ansicht, daß jeder echte Völkerbund, jeder wirksame Völkerverband notwendig alle bestehenden Imperien und imperialistischen Systeme ablösen und ihre überseeischen Besitzungen übernehmen muß und daß eine Kommission, die den Gesamtwillen aller lebensfähigen, zivilisierten Nationen der Welt verkörpert, die einzige anwendbare Form der Sicherstellung aller jener afrikanischen Gebiete ist, die noch nicht reif zur Selbstregierung sind.


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