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Die Anfänge der Religion

Ein gelehrter und philosophischer Kopf, einer der tiefsten Metaphysiker unserer Tage sucht den Beweis zu führen – und er hat kräftige Gründe für seine Meinung –,daß die Menschen mit der Religion der Vielgötterei begonnen haben, daß in den Anfängen die Vernunft noch nicht gebildet genug war, ein einziges höchstes Wesen anzuerkennen.

Ich möchte im Gegenteil glauben, daß man mit der Anerkennung eines einzigen Gottes begonnen hat, und daß die menschliche Schwäche erst nachher der Vielgötterei sich zuwandte.

Es gab doch sicher, ehe es große Städte gab, kleine Nester, kleine Gemeinwesen vor großen Reichen. Erschreckt vom Donner, aufgeregt über Mißwachs, mißhandelt vom Nachbarnest, im Gefühl der eigenen Schwäche und in der Ahnung des Waltens einer unsichtbaren Macht, mußten sich die Bewohner eines solchen Nestes bald sagen: Es gibt ein Wesen über uns, das uns wohl und wehe tut.

Unmöglich konnten sie sich sagen: Es gibt zwei Mächte; immer fängt man mit dem Einfachen an und kommt dann erst auf das Verwickelte, um dann oft wieder zum Einfachen zurückzukehren.

Dieses Wesen, war es die Sonne, war es der Mond? Ich glaube nicht. Man muß Kinder beobachten, auf deren Stufe ungefähr die geistig rohen Menschen stehen. Sie beobachten den Himmel mit den Gestirnen nicht; er macht keinen Eindruck auf sie. Erst Philosophen können den Lauf der Gestirne beobachten und durch Bewunderung zur Anbetung geführt werden. Einfache Bauern sind zu ungebildet für einen so edlen Irrtum. Aber wenn der Donner grollt, dann zittern die Kinder und die Primitiven und verstecken sich. So sagt man sich: Über uns ist eine Macht, die donnert, hagelt, unsere Kinder umbringt; versöhnen wir sie! Aber wie? Mit kleinen Geschenken haben wir schon oft zornige Leute umgestimmt; bieten wir dieser Macht kleine Geschenke! Wie sollen wir sie heißen? Herr, Häuptling, gnädiger Herr. So hatte in Amerika jedes Völkchen seinen Schutzgott, und die Mexikaner nannten ihren Kriegergott Vitslputsli, wie die Hebräer den ihren den Herrn der Heerscharen nannten.

Also nicht mit der Anbetung eines Gottes der ganzen Natur, sondern mit der eines Dorfgottes begann die Religionsgeschichte. Die Leute fühlten, ehe sie untersuchten. Sie fühlten ihre Schwäche und Notdurft, und dachten sich das Schutz- und Schreckwesen im nächsten Wald, auf einem Berg, in einer Wolke; sie dachten es sich also einzig, weil ein solches Nest nur einen Häuptling im Kriege hatte; sie dachten es sich körperlich, weil sie es sich nicht anders vorstellen konnten. Sie mußten ganz notwendig glauben, das Nachbarnest habe auch seinen Gott. Daher sagt Jephtha zu den Moabitern (Richter 11, 24): Richter 11,24 – Du solltest das Land derer einnehmen, die dein Gott Kemosch vertreibt, uns dagegen das Land derer einnehmen lassen, die der HERR, unser Gott, vor uns vertrieben hat. Ihr besitzt mit Fug und Recht, was euer Gott Chamos euch zu erobern gab; aber ihr müßt auch uns genießen lassen, was unser Gott uns durch seine Siege verlieh. Man beachte diese Rede wohl: Die Juden und die Moabiter hatten die Eingeborenen des Landes verjagt, bloß mit dem Recht der Gewalt; und nun sagt einer zum andern: Dein Gott hat dich beschützt in deinem Raubzug; laß dir's recht sein, daß mein Gott mich in meinem beschützt. Jeremias und Amos fragen: Welches Recht hatte der Gott Melchom, sich des Landes Gad zu bemächtigen?

Diese Stellen beweisen, daß das Altertum jedem Land einen Schutzgott zuwies. Mit der Entwicklung der Phantasie und dem Erwerb einer verworrenen Wissenschaft kam dann die Vermehrung der Zahl der Götter. Man weist den Elementen, den Meeren, den Wäldern Schutzgötter an, von denen die Erde bald wimmelt. Man kommt von den Gestirnen auf Katzen und Zwiebel. Aber die Vernunft muß sich auch entwickeln; die Zeit bildet Philosophen, die erkennen, daß weder Zwiebel noch Katzen und auch nicht die Gestirne die Ordnung der Natur entworfen haben. Alle diese Philosophen erkennen einen höchsten Gott an, ohne daß sie zunächst dem Volk etwas davon sagen: Wer in Ägypten etwas Unfreundliches über Katzen und Zwiebel gesagt hätte vor alten Weibern und Priestern, wäre gesteinigt worden; wer ihnen vorgehalten hätte, sie essen ja ihre Götter, wäre selbst gefressen worden.

Die Hauptsache in den Mysterien ist die Anbetung eines einzigen Gottes; daneben ließ man die alte Religion weiter bestehen. So traten neben den höchsten Gott Zwischenwesen; auch Helden oder Kaiser im Rang von Göttern oder Seligen.

Zur Zeit, des Augustus erkannten diejenigen, die überhaupt Religion hatten, einen oberen ewigen Gott an und mehrere Reihen von Nebengöttern, deren Dienst man später Götzendienst nannte.


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