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Materialismus oder Gottesglaube?

Die Erkenntnis eines Gottes ist uns nicht von der Natur eingeprägt. Sonst hätten alle Menschen die gleiche Vorstellung; nun ist aber keine einzige Vorstellung mit uns geboren. Sie kommt uns nicht zu wie die Wahrnehmungen des Lichts, der Erde usw., die wir haben, sobald unsere Sinne und unser Verstand sich öffnen. Ist es ein philosophischer Gedanke? Nein. Die Menschen haben das Dasein von Göttern angenommen, ehe es Philosophen gab.

Woher stammt dann also dieser Gedanke? Aus dem Gefühl und aus der natürlichen Logik, die sich auch in den rohesten Menschen entwickelt, wenn sie älter werden. Man hat erstaunliche Wirkungen der Natur beobachtet, fruchtbare und unfruchtbare Zeiten, heitere und stürmische Tage, Wohltätiges und Plagen, und man hat einen Herrn gespürt. Man hat Häuptlinge gebraucht zur Leitung der menschlichen Gemeinschaften, und man hat das Bedürfnis gefühlt, Oberherren für diese neuen Oberherren anzunehmen, welche die menschliche Schwachheit über sich gesetzt hatte, Wesen, vor deren überlegener Gewalt auch die Menschen zittern müßten, die ihre Nebenmenschen in den Staub treten konnten. Und die ersten Herrscher ihrerseits haben sich ebenfalls dieser Begriffe bedient, um ihre Macht zu unterbauen. Auf diesen Wegen gelangte jede kleine Gemeinschaft zu ihrem Gott. Diese Begriffe waren noch ganz grob und roh; alles war ja grob und roh. Es ist durchaus natürlich, sich seine Gedanken zu bilden, indem man von Vergleichen ausgeht. Eine Gemeinschaft, die unter einem Häuptling stand, konnte nicht leugnen, daß die Gemeinschaft neben ihr auch einen Richter, einen Anführer im Krieg hatte; so konnte sie auch nicht leugnen, daß sie ebenfalls einen Gott hatte. Aber wie jeder Völkerschaft daran gelegen sein mußte, daß ihr Anführer mehr taugte, so mußte ihr daran gelegen sein zu glauben und so glaubte sie, daß ihr Gott der mächtigere sei. Daher stammen jene alten Fabeln, die so lange im Schwange waren, daß die Götter eines Volkes mit den Göttern eines anderen Volkes im Kampf liegen. So erklären sich die vielen Stellen in den hebräischen Büchern, die auf Schritt und Tritt die Überzeugung der Juden aufdecken, nach der ihnen feststand, daß die Götter ihrer Feinde existierten, daß aber der Judengott ihnen überlegen sei.

Mittlerweile gab es Priester, Magier, Philosophen in den Großstaaten, in denen die Fortschritte der Gesellschaft es ermöglichten, daß Menschen da waren, die sich mit einiger Muße der Gedankenforschung hingeben konnten.

Einige von diesen bildeten ihr Denkvermögen soweit aus, daß sie im Geheimen einen einzigen, allgemeinen Gott anerkannten. So betete man bei den alten Ägyptern zwar Osiri, Osiris oder Osireh an – der Name bedeutet: dieses Land gehört mir; sie beteten auch noch andere höhere Wesen an; und doch nahmen sie einen höchsten Gott an, ein einziges Grundwesen, das sie Kneph nannten und dessen Sinnbild eine Kugel über dem Giebel des Tempels war. Nach diesem Vorbild bekamen die Griechen ihren Zeus, ihren Jupiter, den Herrn der anderen Götter, die nichts anderes waren, als was die Engel bei den Babyloniern und bei den Hebräern sind oder die Heiligen bei den römisch-katholischen Christen.

Es ist eine Frage, die heikler ist, als man gemeinhin denkt, eine Frage, über die man noch durchaus nicht genügend nachgedacht hat, ob mehrere an Macht gleiche Götter nebeneinander bestehen können.

Wir haben keinerlei sachgemäßen Begriff von der Gottheit, wir schleppen uns nur fort von Mutmaßung zu Mutmaßung, von wahrscheinlichen Ansichten zu annehmbaren Ansichten. Die Zahl der sicheren Überzeugungen, zu denen wir gelangen, ist sehr gering. Es gibt etwas von Ewigkeit her; denn nichts stammt von nichts. Das ist eine sichere Wahrheit, auf die sich unser Geist verlassen kann. Jedes Werk, das uns Mittel und Zweck aufzeigt, kündigt einen Werkmeister an. Also offenbart uns dieses Weltall, das eine Zusammensetzung von Springfedern und Mitteln ist, deren jedes einem Zweck entspricht, einen höchst mächtigen, höchst verständigen Werkmeister. Das ist eine Wahrscheinlichkeit, die der höchsten Gewißheit nahekommt. Aber ist dieser höchste Baumeister unendlich groß? Ist er allgegenwärtig? Ist er an einem Ort? Wie sollen wir mit unserem beschränkten Verstand, mit unseren geringen Kenntnissen diese Frage beantworten?

Meine Vernunft allein für sich vermag mir zu beweisen, daß es ein Wesen gibt, das den Stoff dieser Welt gestaltet hat; aber meine Vernunft hat nicht die Kraft mir zu beweisen, daß es diesen Stoff geschaffen, daß es ihn aus dem Nichts gezogen hat. Alle Weisen des Altertums haben ohne jede Ausnahme den Stoff für ewig gehalten und als etwas angesehen, das aus sich selbst heraus besteht. Ohne die Hilfe einer übernatürlichen Erleuchtung kann ich also nicht weiter kommen als zu dem Glauben, daß der Gott dieser Welt auch ewig ist und aus sich selbst heraus besteht; Gott und der Stoff sind da kraft natürlicher Notwendigkeit. Sollten andere Götter, sollten andere Welten nicht auch da sein? Haben doch ganze Völker, hochgebildete Denkergemeinschaften das Dasein von zwei Göttern in dieser Welt angenommen, von denen der eine der Urquell des Guten, der andere der Urquell des Bösen sein sollte. Sie haben einen endlosen Kampf zwischen zwei gleichstarken Mächten angenommen. Gewiß liegt es eher in der Natur der Dinge, daß es im unendlichen Raum mehrere unabhängige Wesen gibt, die jedes in seinem Bezirk unbedingt herrschen, als daß es in dieser Welt zwei beschränkte, kraftlose Wesen gibt, von denen das eine nur das Gute, das andere nur das Böse hervorbringen kann. Wenn Gott und der Stoff von Ewigkeit her da sind, wie es der Glaube des Altertums war, so haben wir zwei notwendige Wesen; wenn es aber zwei notwendige Wesen gibt, so kann es deren auch dreißig geben. Schon diese Zweifel allein für sich, die auf unendlich viele weitere Gedankenmöglichkeiten hinführen, genügen, um uns von der Schwäche unserer Fassungskraft zu überzeugen. Wir müssen mit Cicero unsere Unwissenheit in Betreff des Wesens der Gottheit bekennen. Nie werden wir mehr wissen, als er wußte.

Mag uns die Schulgelehrsamkeit sagen, Gott sei negativ unendlich, aber nicht privativ; formaliter, aber nicht materialiler; er sei der erste, der mittlere und der letzte Actus, er sei überall, ohne irgendwo zu sein: hundert Seiten Erklärungsschriften über derartige Begriffsbestimmungen können uns nicht den geringsten Aufschluß geben. Es fehlt uns an Stufen, es fehlt uns an Stützpunkten, um uns zu der Höhe solcher Erkenntnisse zu erheben. Wir fühlen, wir sind in der Hand eines unsichtbaren Wesens; das ist alles; darüber hinaus können wir keinen Schritt vordringen. Es ist eine sinnlose Verwegenheit, wenn man erraten will, wer dieses Wesen ist, ob es ausgedehnt ist oder nicht, ob es an einem Ort existiert oder nicht, wie es existiert, wie es wirkt.


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