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Die Obduzenten, Medizinalrat Klapproth und Medizinalassessor Rose, hatten ein »Viso reperto« abgegeben. Die Leiche der unverehelichten Christiane Sophie Regine Witte war noch nicht verwest, nur zusammengetrocknet; Hände, Füße, Finger, Zehen krampfig zusammengezogen, die Gedärme dunkelblau gefärbt, der Magen mit Brandflecken, die unverkennbaren Kennzeichen einer durch Gift hervorgerufenen Entzündung. Und somit, wenn auch Arsenik selber nicht mehr vorgefunden wurde, doch Tötung durch dieses Gift.
Es war für den Defensor Blume ein niederschmetternder Schlag. Er hatte sich so ganz in den Gedanken hineingelebt, die Angeklagte freizubekommen. Seine bereits fertigliegende, umfangreiche und in einem zuversichtlichen Ton gehaltene Verteidigungsschrift würde er nun völlig umarbeiten müssen. Das war ihm noch nie vorgekommen, daß er sich so hatte täuschen lassen. Also diese Frau, die so schlagend bewies, warum sie nicht den geringsten Grund und nicht den geringsten Vorteil davon gehabt hätte, die beiden von ihr geliebtesten Menschen beiseite zu räumen, hatte doch vergiftet?! Ihre flammende Entrüstung über solch empörende Anschuldigungen, und hinwiederum ihre Trostlosigkeit und vollständige Fassungslosigkeit darüber, daß sie im Zustand ihrer geistesverwirrenden Krisen, eben in einem periodisch auftretenden Wahnsinn, ihrem treuen Diener Gift gegeben hatte, anstatt es selber zu nehmen, waren nur Heuchelei, glänzende Verstellungskunst? Es kam zu einer heftigen Szene zwischen der Angeklagten und ihrem Defensor. Er war empört: ihn, wenigstens ihn durfte sie doch nicht so belügen! Und sie war empört: wenigstens er, er, durfte doch nicht an ihr zweifeln!
Sie, so völlig unbeteiligt am Tod ihrer geliebten Tante, vor dem Gedanken eines Giftmordes schaudernd zurückweichend, würde nun selber eine Verteidigungsschrift niederschreiben und dem Gericht einreichen.
Der noch junge Gerichtskommissarius Blume hatte schlechte Nächte: war die medizinische Wissenschaft, wie die Angeklagte immer wieder einwand, denn zur Zeit wirklich schon so weit vorgeschritten, daß ihr Ausspruch unumstößlich richtig und unanfechtbar war? Jetzt würde man auch den Ehemann der Ursinus, den vor drei Jahren plötzlich verstorbenen Geheimen Justizrat Theodor Ursinus, ausbuddeln.
Mit eiserner Ruhe sah die Ursinus dieser Obduzierung entgegen. Es waren schon drei Jahre her, daß er unter der Erde lag, was wollte man denn da noch groß finden? Und schlimmer wie es jetzt stand, konnte es ja auch nicht werden. Sie kränkte sich darüber, daß ihr schönes blondes Haar immer mehr weiße Fäden zeigte, sie konnte schon nicht mehr alle ausrupfen. Und daß sie mager wurde und oft Schwächeanwandlungen sich zeigten, besonders heftige Kopfschmerzen und eine seltsame hohle Leere im Inneren, das waren die Folgen des ewig in geschlossener Stubenluft Sitzens, des Mangels an Bewegung in freier Luft. Sie hätte unten auf dem Hof eine tägliche Promenade machen können, aber dies Spießrutenlaufen haßte sie; denn kaum erschien sie unten, so zeigten sich an allen Fenstern und Luken neugierige Gesichter von Inhaftierten: die Ursinus, die Ursinus! – –
Zehn Monate dauerte nun schon die Untersuchung und würde vielleicht noch länger dauern. Die Ursinus arbeitete jetzt an ihrer Verteidigungsschrift. Aha, das hatte sie sich ja gleich anfänglich gedacht: mit Blume war das doch nichts, sie allein konnte sich überzeugend verteidigen, verteidigte sie doch schon von lange her ihr eines Ich gegen das andere Ich. Oft, wenn es kaum hell wurde, saß sie schon am Tische und schrieb; es ermattete sie oft sehr, denn Gegensätze in ihr prallten heftig aufeinander. Sie zerriß auch manchesmal alles, was sie geschrieben hatte, aber sie war hinwieder auch dankbar und befriedigt über das, was ihr gelungen war, überzeugend vorzubringen.
Die Leiche ihres Ehemannes war exhumiert worden, die Obduktion von denselben Herren gemacht wie die bei der Witte und – nichts war gefunden worden. Es war ein Tag ungeheuren Triumphes für die Ursinus. Sie atmete auf. Der Aufseherin in ihrer Haft schenkte sie an diesem Tage fünf Taler, eine ungeheure Summe für das arme Weib; sie mußte an etwas ihre Freude auslassen. – – –
In einer grenzenlosen Monotonie der Umgebung schlichen Tage, schlichen Wochen hin. Immer dasselbe Zimmer, dieselben Wände, gegen die sie ansah, und dasselbe Fenster, aus dem sie nicht zu blicken wagte, denn unten pfiffen Gassenjungen, und ein Bänkelsänger sang ihre Geschichte, gräßlich entstellt. Nein, sie sah lieber gar nicht hinaus. Sie, die an eine Flucht von Zimmern gewöhnt war, ließ sich genügen mit dieser einzigen Stube, ein »Loch« hätte sie die noch vor einem Jahre genannt. Die grenzenlose Monotonie ihres jetzigen Lebens empfand sie aber nicht schwerer als die ihres vorherigen, denn sie hatte eine Aufgabe, einen Kampf durchzufechten, in der es um ihren Kopf ging. Benjamin Klein war noch immer krank, er hatte ihr einmal geschrieben, sie war ganz gerührt über seinen Brief: ein guter Kerl! Es hätte gar nicht eines Anwalts bedurft, sie hätte ihm auch so schon ein Schmerzensgeld gegeben. Sie dachte darüber nach: das richtigste war, sie setzte ihm eine Rente aus, da konnte er sich allmonatlich sein Geld abholen und kam nicht in die Versuchung, alles auf einmal auszugeben oder es gar in dummen Unternehmungen zu verlieren. Wenn er denn, Gott sei es geklagt, wirklich dauernden Schaden an seiner Gesundheit genommen haben sollte, so war doch, solange er lebte, für ihn gesorgt. Das schaffte ihr große Beruhigung.
Es war so still, so still um sie, fern, ganz fern brandete das Leben; hier war kein anderer Laut als das Summen der Fliegen im Sommer und das Knacken des Holzfeuers im Winter. Zuweilen auch schrapte ein Holzwurm im Holz der alten Bettstelle. Ihre Kielfeder kratzte über das grobe Papier. Sie schrieb an ihrer Verteidigungsschrift.
»Kaum vermag ich mich ohne Zerrüttung meines Verstandes und ohne völlige Zerstörung meines ganzen Lebens jener Augenblicke zu erinnern, in denen die Beschuldigungen des Gatten- und Mutterschwester-Mordes meine Existenz erschütterten und mich vom Piedestal einer bisher bürgerlich und gesellschaftlich gleicherweise geachteten Stellung in alle Tiefen stürzten. Wer mich zuerst als Mörderin meiner Verwandten angeklagt hat, und wie diese unerhörten Anklagen einen solchen Grad von Wahrscheinlichkeit haben konnten, mich so ungeheurer Untaten für fähig zu halten und juristisch so verdächtig gemacht zu haben, das ist mir ebenso unbekannt, als es mir unbegreiflich bleibt, wie die Meinung der gerichtlichen Ärzte, welche in ihrem über den Befund der Leicheneröffnung erstatteten Gutachten behauptet haben:
daß meine Tante, die unverehelichte Christiane Sophie Regine Witte an Gift gestorben sein könne, als rechtlicher Entscheidungsgrund angenommen und auf diese Wahrscheinlichkeit hin eine Gewißheit gegründet worden ist. Den Anträgen meines Herrn Verteidigers gemäß sind sämtliche Untersuchungsakten einem hochpreislichen Ober-Collegio-Medico et Sanitatis vorgelegt und nach einstimmiger Beurteilung als ein unabänderliches Resultat festgesetzt worden –,«
Sie schrieb mit einem hohen Rot auf den Wangen, das jenem schönen Rot nicht ähnelte, das sie zierte, wenn sie in Gesellschaft ging, das aber natürlicher war: das Rot einer gehetzten Angeklagten, einer in heißer Erregung Schreibenden.
»daß aus den bei der Leicheneröffnung meiner verstorbenen Mutterschwester vorgefundenen physischen Erscheinungen und bei der gänzlichen Abwesenheit des Giftes, folglich bei dem absoluten Mangel eines corporis delicti, eine Vergiftung zwar möglich, aber nicht als wahrscheinlich angenommen werden könne. Daß also die Wahrscheinlichkeit einer bei ihr stattgefundenen Vergiftung auf keine Weise begründet werden könne.«
Ah, das war gut gegeben! Sie atmete tief auf und legte die Feder hin, sie ruhte eine Weile. Dies scharfe Denken hatte ihren Kopf sehr müde gemacht, aber bald schrieb sie weiter:
»Ich bin mit dem Vorwurf jenes schändlichen Verbrechens zehn Monate lang in allen peinlichen Formen der strengsten Kriminalprozedur verfolgt, gequält, erschüttert worden. Mit Empörung gedenke ich jener Augenblicke, in denen mich an den Gräbern meiner Geliebtesten alle Schauder des Todes ergriffen. Alle Qualen kältester Grausamkeit mußte ich erleiden, alle Furien tausendstimmigen Vorwurfs, die so sanft in meinen Armen Entschlummerten gemordet zu haben, verfolgten mich.«
Nein, für heute war es genug! Sie konnte nicht weiterschreiben, ihre Hand zitterte zu sehr. Sie warf sich aufs Bett, sie fühlte ihre Brust sich zusammenkrampfen. Wut, Haß, Kummer, Angst erstickten sie fast; sie rangen mit dem Gefühl, das ihre Brust wiederum weitete: und du wirst doch siegen, wahrhaft bewiesen ist noch gar nichts.
Jetzt hieß es, noch mehr sich beklagen. Und so fuhr sie am nächsten Tage fort:
»Vergeblich sind die Gräber meiner Lieben geöffnet worden, Auftritte sind veranlaßt worden, die in der Residenzstadt Europas, im Jahrhundert der Bildung und Humanität unter den Augen des liebreichsten, menschenfreundlichsten Monarchen beispiellos bleiben und bei der Nachwelt keinen Glauben mehr finden werden.«
So, so war's recht! Sie hätte sich Beifall klatschen mögen. Das war ein Satz, der Eindruck machen würde, machen mußte; man will nicht blamiert vor der Nachwelt dastehen. Pah, Nachwelt! Sie selber, was gab sie darum, was die Nachwelt von ihr dachte? Nichts. Die Mitwelt mußte sie sich zu gewinnen suchen.
»Den Schmähungen des Publikums bin ich preisgegeben worden, der Schmach eines Verbrechen, dessen Wahrscheinlichkeit nie vorhanden waren. Ich beweine mein Schicksal wie die Eingeschränktheit und Verworrenheit menschlichen Wissens, das in dieser traurigen Geschichte meines Leidens sich durch die Möglichkeit einer Wahrscheinlichkeit täuschen ließ.«
Wenn das nicht rührte! Sie selber war gerührt. Was ihr jetzt selten vorkam, sie weinte. Sonst waren ihre Augen wie versteint – verschlossene Brunnen – heute rann heißes Wasser aus ihnen und tropfte aufs Papier, machte runde, da und dort halbverlöschende Flecke. Gut so, gut so! Mochten sie sehen, daß sie gelitten hatte, als sie dieses schrieb. »Schmähung des Publikums« – es hatte sie nichts so angegriffen, nichts war ihr so schrecklich gewesen, keine Anschuldigung wegen Mordes, kein ans Licht des Tages gezerrter Leichnam, kein vor aller Augen ausgebreitetes Intimstes aus ihrem Leben als diese Schreie aus dem Publikum, die ihr Verwünschungen in die Ohren gellten. Sie zitterte noch, wenn sie an ihre Fahrten durch die Stadt dachte. Sie hielt sich noch heute die Ohren zu, heute, hier in ihrer Stube, wo alles doch ruhig war. Nein, gar nicht ruhig! War da nicht Geflüster hinter der Tür? Hörte sie im Bett nicht jemand sich stöhnend winden? Einbildung! Es war nichts zu hören. Doch, doch!
Oh, es war entsetzlich! Sie flüchtete, sich die Ohren noch fester zuhaltend, in eine Ecke, kauerte da nieder und drückte den Kopf gegen die Wand.
*
Viele Tage hatte die Ursinus nicht schreiben können, sie lag in ihrem Bett zusammengekrümmt, die härene Decke über den Kopf gezogen. Heute war sie endlich wieder fähig dazu, war zu denken imstande, klar und kalt. Aber so durfte sie nun doch nicht weiter schreiben, nicht bloß in dem Ton. Nicht einzig durfte sie sich beklagen wie eine, die das Recht dazu hat, voller Unwillen nur beklagen! Und so schrieb sie rasch:
»Wenn mich bisher das traurige Gefühl der Kränkungen, die ich erlitten, zu einer kühnen und in meiner jetzigen traurigen Lage vielleicht allzu heftigen Sprache verleitet haben sollte, so möchte ich nun auch Worte finden für ein diesmal mich allein anklagendes schweres Bekenntnis: das Bekenntnis meiner Schuld. Nie, jetzt nicht und auch vormals nicht, nie in meinem ganzen Leben, ist der Gedanke eines Mordes in meine Seele gekommen, und doch beruht es auf Wahrheit, wenn ich gestehe: ›Ich habe meinem Bedienten Benjamin Klein Gift gegeben‹.«
Nun war's heraus! Sie schluckte und hustete, als würge sie etwas zutage. Sie fühlte plötzlich Übelkeit – ach, hätte sie das doch nicht zu gestehen brauchen! Aber sie mußte, sie mußte ja, denn es war erwiesen. Und es war auch viel klüger, sie gestand es ein. Aber wie?! Sie grübelte lange. Dann schrieb sie hin:
»Meine zerstörte Gesundheit, meine exaltierte Gemütsstimmung, meine beständigen körperlichen Leiden, durch meine Jahre bedingt, und durch das reizbarste, empfindlichste Nervensystem noch größer und schwerer zu ertragen gemacht, warfen mich aus der Bahn vernunftgemäßen Handelns gewaltsam heraus. Und so verlor ich die Sicherheit einer moralischen Existenz. Ich fühlte Widersprüche in mir, die ich nicht lösen konnte. Gefühle des Schmerzes, des Mißmuts und einer unsäglichen Traurigkeit, Wünsche und Hoffnungen wankten und wechselten unablässig in meiner schwachen Seele. Die Last des Daseins wurde mir unerträglich, die Sehnsucht, sie abzuwerfen, siegte über den Lebenswillen, ich beschloß, dieses mir nicht mehr begehrenswerte Leben zu enden. Gift sollte mir das Mittel dazu sein. Der Besitz dieses Mittels, das ich mir auf so leichte Weise verschaffen konnte, von dessen wahrer Beschaffenheit und von dessen Wirkungen ich aber nur einen dunklen Begriff hatte, dieser Besitz ist der Grund meines Verbrechens geworden. Man wird mich fragen: ›Warum dann dem Diener das Gift?‹«
»Ach!« Sie stieß einen tiefen Seufzer aus, der in ihrer Brust ein hundertfaches Echo fand: niemand würde ihr ja glauben, was sie einzig darauf antworten konnte. Sie, die selber nicht wußte, warum sie es getan hatte. Aus Übelwollen? Nein! Aus Haß? Nein! Aus Lust zu töten? Nein! – Sie, wie konnte sie, deren eines Ich dem andern Ich nicht glaubte, wie konnte sie, was sie zu ihrer Entschuldigung zu sagen hatte, den Richtern glaubwürdig machen? – Aus Furcht? Nein! – Aus der Überlegung heraus, einen Zeugen vergangener Schwachheiten stumm zu machen? Vielleicht! Aber nein, auch das dürfte und durfte es nicht gewesen sein! Hastig schrieb sie weiter:
»In einem Augenblick, in dem ich keiner Besinnung fähig war, habe ich die Tat begangen, deren Folgen zu meiner einzigen Beruhigung von der waltenden Allmacht gnädig gewendet wurden, so daß sie nicht so gefährlich geworden sind, als es anfänglich schien. Meines Ideenganges bin ich mir nicht bewußt gewesen in den Momenten des Verbrechens.«
Die Feder fiel ihr aus der Hand, stöhnend barg sie das Gesicht in den Händen: hörte sie nicht schon das Armesünderglöckchen grell läuten? Und Banges sonores Organ, das für die Sünderin die letzte Anrufung der göttlichen Gnade über den Richtplatz hinströmen ließ? Zu Ende, alles zu Ende! Keine Aussicht auf Rettung!
Ach, ob denn die geistesverwirrten Ideen, so wie sie sie auf alles Befragen in der Untersuchung angegeben hatte, ihr bei der Ausführung der Tat auch wirklich vorgeschwebt hatten? Konnte sie das denn mit Sicherheit behaupten? So sicher, daß man's ihr glaubte? Nein! Aber leben, leben! Noch nie war ihr das Leben so begehrenswert erschienen wie jetzt, da sie die Armesünderglocke läuten hörte. Sie hob das Gesicht aus den eiskalten Händen, energisch verschloß sie ihren Mund jedem Stöhnen. Sich aufraffen, es gilt! Und sie schrieb:
»Den Willen, die Wahrheit zu sagen, habe ich jederzeit gehabt. Aber ob die Wahrheit meines damaligen Ideenganges in meinen Angaben über jene unglücklichen Augenblicke, so wie ich sie nach einer nur verworrenen Erinnerung, auf ein immerwährendes, jeder Regung nachspürendes Befragen angeben konnte, auch die Wahrheit ist, das vermag ich jetzt nicht zu beteuern. Den Vorsatz, meine Richter über meine wahre Schuld zu täuschen, habe ich nie gehabt. Mein Entschluß zu sterben, war fest und unerschütterlich. Wer von denen, die an Unsterblichkeit und Wiedervergeltung nach dem Tode glauben, kann denken, daß ich noch in meinen letzten Augenblicken mich habe mit einem Morde beflecken wollen?«
Sie konnte nicht weiter, sie war erschöpft.
Als sie am nächsten Morden sich im Spiegelchen spiegelte, sah sie, ihr Haar war wiederum weißer geworden. Aber sie war noch nicht zu Ende, noch war einiges zu erwähnen: »Rufen Sie jedenfalls für alle Fälle schon im voraus in Ihrer Schrift die Gnade des Königs an«, hatte ihr ihr Verteidiger geraten. Nun ja, zum Schluß. Aber erst wollte, mußte sie einem Gerichtshof, von dem zu befürchten stand, daß er sie der Tötung ihrer Tante schuldig sprechen würde, die Ungerechtfertigkeit solchen Urteils entgegenhalten, und zwar mit einer imponierenden Sicherheit. Denn Sicherheit allein konnte hier Eindruck machen. Und so schrieb sie:
»Von dem Verdachte, die nicht einmal wahrscheinliche Vergiftung an der Schwester meiner Mutter, meiner geliebten Tante, Christiane Sophie Regine Witte, verübt zu haben, muß ich bei dem absoluten Mangel eines Beweises völlig freigesprochen werden. Über mein wahres Vergehen aber erwarte ich in reuevoller Ergebung von der Gerechtigkeit, Einsicht und Milde meiner Richter und der Gnade des Königs Majestät mein Endurteil.«