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Zwölftes Kapitel

Die Geheimrätin Ursinus, geborene von Weiß, saß in ihrem für ihren persönlichen Gebrauch besonders schön eingerichteten Zimmer. Es war so ganz anders als die armselige Schulstube im Elternhause. Da hatte ihr schmales Bettchen an der kahlen Wand gestanden und ihm gegenüber der kleine Dreifuß mit dem Waschgeschirr, nicht größer als ein Spucknapf. Hier war das Waschbecken zwar auch noch nicht sehr viel größer, aber es bestand aus feinem Porzellan auf einem richtigen Waschtisch. Und ein Toilettentisch war da mit Büchsen und Büchschen, mit Puderquasten, eine für weiß, eine für rot, und gleich daneben die »Psyche«, der wunderbare neumodische Spiegel, der sich in seinem Holzgestell drehen ließ je nach Bedarf. Und vor allem das Bett, an dessen Fußende noch ein bequemes Ruhebett stand, lud zu angenehmer Rast ein. Ein großes, breites Bett mit einem Himmel und weichfallenden Vorhängen aus dem gleichen seidigen Stoff, mit dem die Wände bespannt waren. Ein schönes Bett, ein schönes Zimmer, eine schöne Frau.

Charlotte Ursinus war allein, ihr Mann war im Amt; aber auch wenn er zu Hause war, pflegte sie hier viel für sich zu sitzen. Ursinus war nicht immer guter Laune, selbstverständlich, er hatte den Kopf voll mit Geschäften. »Ich glaube, du hast deine Akten beinah lieber als mich«, scherzte sie oftmals und zupfte ihn am Ohrläppchen. Dann war er freilich ganz erschrocken und suchte sich zu verteidigen: wie durfte sie so etwas sagen, wenn auch im Scherz nur! Nichts auf der Welt war ihm teurer und lieber als seine Lotte. »Ach, ich weiß, ich weiß, es war ja nur Spaß!« Sie küßte ihn dann auf das Haar, dessen Grau jetzt aussah wie weiß überpudert; das künstliche Pudern fing an aus der Mode zu kommen. Dann sagte er, nach ihrer Hand fassend, aus seinen Akten heraus: »Mein guter Engel«, und hatte das Gefühl, ein wohlumsorgter, beglückter Mann zu sein.

*

Alle Besorgnisse, die Ursinus einstmals gehegt hatte, waren längst verschwunden. Acht Jahre waren sie nun bereits verheiratet, und er hatte es noch keinen Augenblick bereuen müssen, seine Junggesellenschaft aufgegeben zu haben. Wer war liebevoller – wahrhaft töchterlich liebevoll –, wer war gütiger und nachsichtiger gegen seine Schwächen?! Mit einem Takt und einer Feinfühligkeit, die selbst einer in solch delikater Angelegenheit schon erfahrenen Frau die größte Ehre gemacht haben würde, hatte sich dieses junge Wesen benommen. Im beschämendsten Augenblick seines Lebens, als er ratlos, verwirrt, vor Aufregung seiner selbst und der Situation nicht mehr mächtig, hilflos vor ihrer Jugend und den Ansprüchen, die diese zu machen berechtigt war, zitterte, hatte sie ihm in einer wahrhaft himmlischen Güte – oder war es die Harmlosigkeit ihrer Unschuld gewesen? – aus einer Situation herausgeholfen, deren Verlegenheit einen Mann sonst zur Verzweiflung gebracht hätte. Wie war es nur möglich, daß ein junges, noch unerfahrenes Wesen sich so benehmen konnte? So reif und wahrhaft christlich verzeihend. Ach, seine Lotte war eben ein höheres Wesen, Gott hatte ihr sichtbar seinen Stempel aufgedrückt, nicht allein durch den Adel ihrer Erscheinung. Er, der von einer himmlischen Vorsehung durch sie begnadete Gatte, der sie wie kein anderer kannte, er wußte, daß die Schönheit ihres äußeren Menschen noch überstrahlt wurde von ihrer schönen Seele! Es war natürlich, daß Ursinus seine Aufgabe darin sah, sie einfach als die Erfüllung seiner Dankbarkeit erachtete, die Entsagung, die seine junge Frau üben mußte, durch anderes wettzumachen. Für ihn gab es nur einen Wunsch, das, was Lotte wünschte, – einen Willen, den Lottens. –

»Meine Tochter, die Hofrätin, ist glücklich in ihrer Ehe«, sagte Frau von Weiß, »aber meine Tochter, die Geheimrätin, ist noch glücklicher.« Sie sonnte sich in diesem Glück, denn sonst hatte sie nichts mehr, um sich zu sonnen; ihr Mann, der Kammerrat von Weiß, war tot, sie lebte von einer ganz kleinen Witwenpension. Wenn Ursinus nicht in durchaus vornehmer Weise ihr vieles hätte zufließen lassen, wäre diese Pension noch weniger auskömmlich gewesen. So konnte sie wenigstens nach außen hin ihren Stand und ihre, wenn auch vom nahenden Alter nun angerührte Erscheinung aufrechterhalten.

Charlotte bat ihren Mann nie um etwas für ihre Mutter; sie hätte es auch nicht getan, wenn der gute Ursinus nicht von selber daran gedacht hätte, daß Frau von Weiß eine Redingote brauchen könnte, oder ein neues Kleid, oder es als angenehm empfinden würde, Feuerung für den Winter in Vorrat zu haben. Frau von Weiß pflegte dem Schwiegersohn für seine Aufmerksamkeiten so zu danken, als erwiese sie ihm eine Gnade, wenn sie die annahm; aber Ursinus merkte das nicht, er war viel zu glücklich, seiner Lotte in ihrer Mutter etwas zulieb zu tun. Charlotte bedankte sich auch jedesmal bei ihm: »Du bist ja so gut«, streichelte und herzte ihn, wie man ein Schoßhündchen herzt. Und er empfand »Himmelswonnen« dabei, wie er das an seine alte Freundin, die Tante Christiane, nach Charlottenburg schrieb. »Ich bemühe mich immer mehr und bitte Gott täglich, mich der Gnade teilhaftig werden zu lassen, die teure Lotte wahrhaft glücklich zu machen.«

Nur das, was Charlotte heiß ersehnte und was ihr bis jetzt die einzige Enttäuschung in ihrer Ehe geworden war, die Versetzung nach Berlin ließ noch immer auf sich warten. Sie waren noch in Stendal. ›Wenn ich das gewußt hätte‹, dachte Charlotte an manchem Abend, wenn sie sich zu Bette legte und nun, ungesehen und ungehört, jene frühere Lotte sein durfte, die in ohnmächtigem Grimm das zuckende Gesicht wild schluchzend ins Kissen barg. Was nutzte ihr die Stellung ihres Mannes, was ihre Toilette, ihr angenehm mit allen Verbesserungen der Neuzeit eingerichteter Haushalt? Was ihre Bildung, die täglich wuchs, denn sie hatte die Muße, um viel zu lesen? Was ihre Schönheit, die auch täglich wuchs? Der Spiegel zeigte ihr das vollendete Ebenmaß einer Göttin. Schön, ach, schön und gebildet und klug sein bedeutet nichts, wenn der Hintergrund nicht da ist, auf dem es sich zeigen kann. Wie hatte sie gewartet! In den ersten Jahren voll glühender Ungeduld, die sie nur mühsam verbergen konnte. Die Mutter glaubte, sie warte auf ein Kind – wie dumm! Die einsam Liegende lachte laut auf und stutzte dann selber über ihr Lachen: nun, so dumm doch nicht, es hätte doch sein können – nur bei Ursinus konnte es nicht sein. Er war wirklich ein recht kränklicher, unvermögender Mann, kränklicher und unvermögender noch, als sie gedacht hatte. Aber war es ihr nicht ganz recht so? Aus Kindern hatte sie sich nie etwas gemacht, voller Schrecken dachte sie noch an die Haukeschen Schreihälse; Kinder waren meist kleine Unholde, die nur hold sind, wenn sie schlafen. Also keine Kinder. Und auch gar keine weiteren Bemühungen nach welchen. So war es viel besser. Sie hatte jetzt Zeit, sich ihrer Bildung zu widmen, ihrem Haushalt, einer Religiosität, die jetzt anfing, zur wahren Bildung zu gehören, und ihrer Schönheit. Dieser Schönheit diente sie wie eine Magd ihrer Herrin, denn die Hoffnung, sie doch noch auf den richtigen Schauplatz zu bringen, war ihr noch immer nicht ganz entschwunden. Auch Ursinus hoffte auf Berlin, er besaß als Beamter das, was ihm sonst abging: Ehrgeiz, und Charlotte verfehlte nie, den bei jeder Gelegenheit noch anzustacheln; sie bewunderte dann seine schnelle Auffassung, seine außerordentliche Urteilskraft, seine glänzende Rednergabe, seine weit über den Durchschnitt gehende, fast gelehrte juristische Bildung und die Schärfe seines Verstandes. Immer, wenn sie im Amtsblatt von einer neuen Ernennung zu höchsten Stellungen las, sagte sie ganz erstaunt: » Der –?! Aber das wäre doch weit eher etwas für dich gewesen! Es müssen Intrigen gegen dich im Gange sein. Du kannst dir das nicht gefallen lassen. Reise doch nach Berlin, bringe dich dem Minister wieder in Erinnerung! Wenn man sich nicht in Erinnerung bringt, wird man vergessen.«

»Meinst du?« sagte er dann ganz kläglich. »Das Wetter ist jetzt grade so naßkalt. Wenn ich kalte Füße bekomme, habe ich sofort einen Schnupfen.«

»Ich werde dich so warm einpacken, daß du dich nicht erkältest. Es hilft alles nichts, du mußt mit dem Minister sprechen. Rasch, entschließe dich, fahre hin, ehe dir noch ein anderer Bewerber zuvorkommt!«

Und er fuhr. Sie hatte ihn so schon mehrere Male geschickt. Aber bis jetzt immer noch umsonst, trotz der Versprechungen, die man ihm gemacht hatte, und trotz der Anerkennungen, die für ihn abfielen.

O diese Schlafmütze! Nach solchen Enttäuschungen rannte sie in ihrem schönen Zimmer hin und her wie eine gefangene Löwin. Worte des Zorns schäumten ihr von den Lippen. Mit der ganzen Unbändigkeit einer lange gefesselt gehaltenen Urkraft stürzten Empfindungen von Ungeduld, Verachtung, ja von Haß über sie her. Oh, sie hätte ihn schlagen mögen, würgen dafür, daß er diese Hintansetzungen so ruhig hinnahm! Sogar Entschuldigungen hatte dieser Trottel noch: sie könnten an den maßgebenden Stellen eben nichts für ihn tun, wenn nichts frei wäre in Berlin. Aber sobald dies der Fall war, dann würde man natürlich zuerst an ihn denken. Oh, dieser alte Dummkopf, merkte er denn nicht, daß sie ihm nur verzuckerte Pillen zu schlucken gaben, deren Inhalt doch nur eine bittere Absage war? Wenn sie nun einmal hinführe, beim Minister eine Audienz nachsuchte? Sie mußte es heimlich tun. Tante Christiane mußte an Ursinus schreiben und um ihren Besuch bitten, dann würde er selbstverständlich einverstanden sein mit ihrer Reise und nichts ahnen von deren wirklichem Beweggrund. Ob diese Audienz etwas nützen würde? Die Stirn finster zusammengezogen, stand sie lange still. Dann trat sie vor den Spiegel.

Das klare Glas spiegelte hell. Mit prüfendem Blick sah sie hinein, wendete den Kopf erst nach der einen Seite, dann nach der anderen – ein edelgeschnittenes, sogar ein wenig kühnes Profil – von der linken Seite machte es sich noch besser als von der rechten –, also daran denken bei der Wendung! Und dann das Kinn auf die Brust geneigt und den Kopf gesenkt wie in Scham oder Bescheidenheit. Aber nein, Bescheidenheit paßte nicht zu ihr, sie war kein Veilchen mehr. Lieber so: den Kopf gehoben, die Hände auch in einer bittenden Gebärde, die Augen groß aufgeschlagen in schwimmendem Glanz und ein Lächeln dazu, das die Lippen weich, ja verführerisch machte. ›Ich bitte für meinen Gatten‹, würden diese Lippen sprechen, ›für den Geheimrat Theodor Ursinus. Euer Exzellenz werden doch von mir gewiß nicht annehmen, daß ich bitten würde, endlich seine Ernennung beim Oberappellationssenat wahrzumachen, wüßte ich nicht, welch ausgezeichnete Kraft dem Senat verlorengeht, wenn er in Stendal versauern muß. Das Feld seiner Tätigkeit ist dort zu klein, zu eng begrenzt; er kann mehr, unendlich viel mehr leisten und würde es auch, angefeuert durch das Vertrauen, das Euer Exzellenz in ihn setzen.‹ Und nun, noch weiter lächelnd, noch verführerischer, womöglich die Augen voller Tränen: ›Ich würde Euer Exzellenz ewig dankbar dafür sein. Denn was kann eine Frau mehr betrüben, als wenn sie sieht, wie ihr Gatte leidet. Oh, ich sehe, Exzellenz sind geneigt, Exzellenz haben Verständnis für das, was auch ich leide!‹ Nun schnell seine Hand ergreifen, sich darüberbeugen – er wird sie zurückziehen wollen, vielleicht unwirsch, vielleicht auch nur verlegen – aber schon hat man sie fest, drückt einen Kuß auf sie mit heißen, zuckenden Lippen, stammelt etwas und schluchzt: ›Verzeihung für eine Kühnheit, die mir einzig meine Liebe verleiht!‹ Oh, der Minister müßte kein Mann sein, wenn das alles nicht wirken sollte! Er würde zart den Arm um ihre, plötzliche Schwäche zeigende Gestalt legen, sie zu einem Sessel führen und sprechen: ›Gnädige Frau, beruhigen Sie sich! Ihr Wunsch ist mir Befehl. Binnen wenigen Wochen ist die Ernennung an das Kammergericht zu Berlin perfekt. Mein Wort darauf.‹

»Ah!« Die Frau vorm Spiegel drückte mit einem tiefen Aufatmen beide Hände gegen ihre Brust. Aber wenn er nun ein vertrockneter Bürokrat war, taub und blind für weibliche Reize? Dann waren ihre Anstrengungen in der Tat aussichtslos. Aber das war kaum anzunehmen. Es gibt keinen Mann, und sei er noch so alt und vertrocknet, den eine schöne Frau nicht zu etwas bestimmen könnte – ha, sie brauchte ja nur an Ursinus zu denken! Aber wie lag der Fall, wenn der Minister kein vertrockneter Aktenmensch war, sondern ein Mann mit regen, allzu regen Sinnen? Nun dann –!

Wieder warf sie einen langen Blick in den Spiegel. Es kämpfte etwas in ihrem Gesicht, ihre Augen wurden ganz starr und grün, und als schaue sie in allzu helles Licht, so verengten sich ihre Pupillen und wurden wie bei einer Katze zu schwarzen Strichen. Dann half es eben nichts, dann mußte es sein.

Langsam hob sich ihre Hand, sie öffnete das Kleid am Halse; die andere Hand half zitternd mit. Ruckweise, wie zögernd, glitt das Gewand von ihren Schultern, um dann plötzlich rasch zu Boden zu sinken.

Wie Eva vor dem Sündenfall, nackt, ganz nackt stand die Frau vorm Spiegel. Sich selber bewundernd, hob Charlotte die Arme und ließ sie wieder sinken, breitete sie aus und drückte sie dann wieder an sich. Ihre Brust, weich und voll, und doch noch die straffe Brust des unberührten Weibes, blühend mit zwei rosigen Knospen, hob und senkte sich rasch wie in zitterndem Verlangen. Die Geheimrätin Ursinus lächelte: Gott sei Dank, daß sie nicht eine von jenen war, die sich schämen mußten, ihr Hemd auszuziehen! Wenn man zu jetziger Zeit auch nicht viel auf Körperpflege gab, nur das zu waschen pflegte, was man täglich zeigte, sie hatte sehr zum Erstaunen und Mißvergnügen ihrer Dienstboten sich immer eine Wanne voll lauen Wassers hier ins Zimmer tragen lassen, war gleich vom Bett aus ins Bad gestiegen und hatte wohlig darin geplätschert. Schmeichelnd glitten ihre Hände über die reinen, vollendeten Formen; von der weißen Kehle bis hinab zu den schlanken Fesseln der Füße und den rosigen Zehen kein Untätchen an ihr.

Wohlgefällig betrachtete sie sich so, lange, lange. Plötzlich überlief es sie: was hatte ihr in den Nacken geblasen – wer? Wie ein Kitzeln war's ihr im Nacken gewesen und von da weiter den Rücken hinunter und weiter. Ruhte ein Auge auf ihr, blickte jemand sie an hier im Zimmer? Erschrocken fuhr sie zusammen und sah sich um. Niemand da, sie war allein, ganz allein. Und doch ruhte ein Auge auf ihr – mächtig, sinnend – war es das Auge, das auch ins Verborgene sieht? Alles sieht, nicht nur die Nacktheit des Körpers, auch die Seele in aller Nacktheit sieht? In die Abgründe blickt, die da geheim vorhanden sind, so wie es tiefe Schluchten und nie zu ergründende Täler gibt da oben auf der keuschen, so glatt erscheinenden Scheibe des guten Mondes?

Hastig streifte Charlotte jetzt ihr Hemd über, es fror sie auf einmal. Sie wurde einen Schauder, der sie überfallen hatte, nicht los. Selbst dann, völlig angezogen und noch mit einer weiten Jacke aus Samt darüber, die, mit Pelz verbrämt, sie in kalten Nächten im Bett über dem Hemde trug, fror sie es noch.

*

Die Geheimrätin Ursinus mußte noch fast zwei Jahre warten. Aber sie hatte es doch nicht fertiggebracht, so, wie sie es sich ausgemalt hatte, selber einzugreifen. Nun brauchte sie das überhaupt nicht mehr.

Ganz gegen seine Gewohnheit eilig gehend, fast trippelnd vor Hast, kam der Geheimrat heute von seinem Büro nach Hause. Er stürzte in das Zimmer seiner Frau, die gerade die letzte Hand an ihre Toilette legte; er vergaß es ganz, anzuklopfen, und er wußte doch, sie liebte es nicht, wenn er ohne Anklopfen hereinkam. Er schrie, ihre abweisend überraschte Miene gar nicht beachtend: »Ein Evénement, ein großes Evénement!«

»Aber Ursinus!« Sie ließ die Puderquaste fallen, mit der sie noch ein wenig Rot auftupfen wollte, und sah ihn verweisend an: »Warum denn so laut? Du erschreckst mich ja.«

»Du wirst außer dir sein, ganz außer dir!«

»So?« Sie schüttelte den Kopf: was sollte sie wohl außer sich bringen? Seit die ebenso sie wie die ganze Welt erregende Nachricht vom Tode des großen Königs noch einmal das Berlin jenes einzigen Tages vor ihr herauf gezaubert hatte, ein schmerzliches Bedauern und eine schmerzliche Sehnsucht zugleich in ihr erweckend, hatte sie nichts mehr erlebt, das ihr wie ein Evénement vorgekommen wäre. Was bedeuteten all die Evénements der jetzigen Tage?! Daß Friedrich Wilhelm II. seinem Onkel in der Regentschaft folgen würde und daß er dann gleich die Rietz, geborene Enke, auf die die Schusterjungen Spottverse sangen, in den Adelsstand erheben würde, erregte doch weiter keine Verwunderung; höchstens einiges Kopfschütteln, daß er sie zu einer Gräfin Lichtenau machte und ihre Kinder zu Graf und Gräfin von der Mark. ›Unser lieber dicker Wilhelm‹ war nun einmal so, den Frauenzimmern gegenüber hatte er ein gar gutes, weiches Herz. »Also, was soll so erregend sein, daß es mich, deiner Meinung nach, außer aller Fassung bringt?« Sie sagte es ein wenig ärgerlich – war das eine Art, hier so hereinzustürzen! – und zugleich ein wenig spöttisch. »Nun?« Unter leicht gehobenen Brauen sah sie ihn scharf an: er war blaß, und auf seiner Stirn perlten Schweißtropfen. Sollte vielleicht ihre Mutter gestorben sein, und er wollte ihr das jetzt beibringen? Sie lächelte. Ihr Herz ging ganz ruhig: auch das würde sie nicht aus der Fassung bringen. »Nun, mein Lieber?!«

Da rief er, ganz seine Würde vergessend, im Triumph und fast wie ein Knabe in hellem Jubel: »Ich bin ernannt! Frau Geheime Oberappellationsrat, ich gratuliere, in vier Wochen sind Sie in Berlin!«

Das war mehr, als sie erwartet hatte – ein wirkliches Evénement. Sie wurde glühend rot und dann sehr blaß. Mit einem zitternden Atem herausstoßend: »Endlich!« sank sie hintenüber gegen die Lehne ihres Stuhles – ohnmächtig.


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