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Außer Atem – so schnell war sie gelaufen – trat Marina in den von Harzfackeln erleuchteten Saal. Ein wüstes Stimmengewirr schlug ihr entgegen. Alle schrien durcheinander, überkreischten sich, unbeherrschte, hemmungslose, verwilderte Freibeuter, die sie waren. Feuerrot glühten die Köpfe und die in der Luft fuchtelnden Hände und geballten Fäuste. Seit der Meuterei an den moskitobedeckten Sanddünen hatte sich der Zwiespalt im Heer nie so unverhüllt gezeigt, waren die Meinungen nie so wütend aufeinandergeplatzt.

Gestritten wurde über zwei Vorschläge, die sich gegenseitig ausschlossen. Avila verfocht die Ansicht, man dürfe keine Zeit verlieren, man müsse sofort losschlagen, die schlafende Stadt überrumpeln und, um die verbündeten Tlascalteken zur Raserei zu bringen, ihnen unverzüglich den Boten mit den entfleischten Händen zuschicken. Lugo dagegen, dem in dieser Nacht der Humor geschwunden war, erklärte es für Wahnsinn, in der Mausefalle, wo sie sich befänden, einem hundertfach überlegenen Feind die Stirn zu bieten, und verlangte, Cortes solle das Heer nach Tlascala zurückführen.

Unter den Teilnehmern des Kriegsrates waren die beiden Ansichten ziemlich gleich verteilt, und da keine Mehrheit war, wollte der Streit kein Ende nehmen.

Schließlich erzwang sich Cortes Gehör. Er lehnte den Antrag Lugos als unausführbar bei Nacht, als unklug und überflüssig ab, bald nach Sonnenaufgang werde Prinz Kriegsmaske – wie der an ihn gesandte Tlamama zurückgemeldet habe – mit fünfundzwanzigtausend Tlascalteken vor Cholula erscheinen. Für nicht minder unklug halte er daher auch Avilas Forderung – abgesehen davon, daß die nächtliche Finsternis den Kastiliern eher hinderlich als förderlich sein würde, er habe vor, den verkrüppelten Boten erst am Morgen an Piltecatl zu senden, falls sich's bis dahin herausstellen sollte, daß das Blutvergießen nicht zu umgehen sei. Wenn er auch zugebe, daß die durch Aguilar überbrachte Warnung des Herabstoßenden Adlers und die Mitteilungen der trunkenen Händler merkwürdig übereinstimmten, so sei er doch nicht völlig von der Schuld Cholulas überzeugt, Guatemoc sei als Mexikaner und Vetter Montezumas verdächtig, und man könne nicht wissen, ob die beiden Händler nicht im Auftrage einer Partei gesprochen. Beunruhigend seien ihre Aussagen, aber nicht beweisend.

Daß sich Marina im Beratungssaal befand, war infolge des Tumultes nicht beachtet worden. Und da gleich darauf Cortes zu reden begonnen hatte, war sie abwartend an der Tür stehengeblieben. Jetzt trat sie an ihn heran und raunte ihm etwas zu. Die Veränderung in seinem Gesicht während des kurzen Gespräches war so auffallend, daß es im Saal totenstill wurde. Alle Augen waren auf ihn und auf sie gerichtet.

Im schummerigen Fackellicht war nicht zu erkennen, ob Cortes sich verfärbt hatte. Er nickte nachdenklich. Und dann bat er Marina, den Versammelten mitzuteilen, was zwischen ihr und der Königin-Witwe gesprochen worden war.

Marina erstattete den Bericht. Nun war kein Zweifel mehr möglich. Die eben noch heiß gestritten, getobt und gebrüllt hatten, saßen still und kleinlaut da.

Cortes gab Befehl, die Königin vorzuführen.

Keine Angst, keine Verlegenheit verriet sie, während sie mit ihrem Männerschritt in den Beratungssaal trat. Neugierig musterte sie die Versammelten.

Doch als Cortes ihr durch Marina Fragen vorlegen ließ, verweigerte sie die Auskunft. Auf unwürdige Weise zwangen Avila und sein Gefolgsmann Pedro Lopez, der Arkebusier, die Königin zu reden, indem sie ihr je einen Dolch vor die Augen hielten.

Nachdem alle Fragen beantwortet waren, ordnete Cortes an, daß sie als Gefangene bewacht und gehindert werde, in Cholula ein Geschrei zu erheben. Während man sie hinausführte, verfluchte sie Marina, die Verräterin.

Marina lächelte entgeistert. Sie war Christin, sie brauchte den Fluch, mit dem die Rache des Kriegsgottes Camaxtli auf ihr Haupt herabbeschworen wurde, nicht zu fürchten. Und doch war ihr nicht wohl zumute.


Auf die Stille im Saal folgte nun von neuem ein Sturm. Der Sprecher der Erregten und Ängstlichen war – wie einst an den Dünen – der fette Dominikanermönch und Lizentiat Juan Diaz mit den wulstigen Lippen. Er ging in seiner Forderung weiter als Francisco de Lugo: nicht nach Tlascala bloß, sondern an die Küste nach Vera Cruz müsse Cortes sein viel zu kleines Heer zurückführen. Denn selbst wenn es gelänge, alle Gefahren zu bannen und in Mexico einzuziehen – nimmermehr werde das Heer aus Mexico heraus können, welches so viel größer als Cholula und noch dazu von Wasser umgeben sei. Vor Gott und vor dem Kaiser sei Cortes verantwortlich für fünfhundert Menschenleben und habe nicht das Recht, sie seinem Ehrgeiz zu opfern.

Die Wogen, die diese Worte aufgepeitscht hatten, brandeten lange und wurden von Velazquez de Leon, Alvarado und Ordas durch überhitzte Gegenreden immer wieder aufgewühlt.

Da erhob sich Cortes zu einer kurzen Entgegnung.

»Von Heimkehr zu sprechen, meine Herren, hatte einen Sinn, bevor wir die Schiffe verbrannten. Seitdem ist unser Heereszug mit Widerhaken versehen wie eine Harpune. Tiefer und tiefer hineinstoßen läßt sich die Harpune – zurückziehen nicht! Gehen wir einen Schritt zurück, so verliert Tlascala den Glauben an uns und fällt von uns ab. Und selbst die Totonaken, ausgeliefert an Montezuma und gezwungen von ihm, werden über uns herfallen. Dann gelangt keiner von uns bis an die Küste, und auch die Besatzung von Vera Cruz wird unser Schicksal teilen ... Ist jemand von euch, der das widerlegen kann?«

Es meldete sich keiner. Auch hatte Cortes keine Widerlegung erwartet. Er fügte einige aufmunternde Sätze hinzu. Den Verzagenden riet er, sich von Pater Olmedo das heilige Sakrament reichen zu lassen – war doch schon einmal, in der Nacht vor der großen Tlascaltekenschlacht, fast das gesamte Heer zum Abendmahl gegangen.

Dann schärfte Cortes äußerste Vorsicht und Wachsamkeit ein, keiner der Soldaten dürfe in dieser Nacht schlafen, mehrere Ronden müßten ununterbrochen in den Tempelhöfen unterwegs sein und alle Posten verdoppelt werden.

Auf das Dach des dem Tempeleingang zunächst gelegenen Priesterballspielhauses wurden Kartaunen hinaufgeschafft, um das Tempelgebäude und jenseits der steinernen Umfassungsmauer die Straßen und Gassen bestreichen zu können.


Mictlan-Tecutli, der Gott der Nebeltoten, stieg aus dem neunten der Totenreiche zur Erde empor und wanderte durch die nachtleeren Gassen und Marktplätze Cholulas. Er begegnete dem Todesengel der Christen. Von Haus zu Haus ging der Todesengel und versah die Häuser mit Blutzeichen.

»Was tust du?« fragte der Totengott.

»Ich bezeichne die Häuser, welche vernichtet und verbrannt werden sollen, mitsamt ihren Bewohnern.«

»Auch ich komme, die weißen Männer dem Verderben zu weihen«, sagte der Totengott. »Einer von uns muß weichen – ich oder du!«

Sie rangen miteinander. Der Todesengel rang den Totengott nieder.

»Ich weiche dir«, sagte Mictlan-Tecutli. »Doch das sage mir erst: Ist dein Tun besser als meines? Bist du stärker als ich, weil du schön bist und tausend Augen auf den Flügeln hast? Mein Volk kann nur leben, wenn deines stirbt, – und dein Volk kann nur leben, wenn meines zugrunde geht. Sollten wir uns nicht lieber verbünden und die Erde kahl machen? Ist sie das Leben wert, welches sich nur tötend erhalten kann?«

»Wir beide sind Diener des Lebens«, erwiderte der Todesengel. »Wir beide sind Gärtner: wir roden und reuten aus, um für das Leben Platz zu schaffen.«

»Wessen Leben?« fragte Mictlan-Tecutli. »Des einen Leben ist des anderen Tod. Jetzt verstehe ich, was dich zum Sieger macht über mich – deine Heuchelei!«

Und hinab in die neunte Hölle fuhr Mictlan-Tecutli.

Doch die Häuser wußten nicht, daß sie mit Blut gezeichnet waren. Und auch die Menschen in den Häusern wußten es nicht. Im Vertrauen auf den Beistand des Zornigen Herrn schliefen sie furchtlos, träumten von einem Opferfest, bei welchem das Fleisch von zwanzig weißen Göttern in Mais verbacken verteilt wurde als heilige Speise. Strahlend wie immer glitzerten Rigel, Sirius, Aldebaran, Capella und Algol auf die verlorene Stadt herab.

Die Kastilier aber durchlebten eine entsetzensvolle Nacht. Wieviel auch an Gefahren sie in ihrem Abenteuerleben bestanden hatten, wie oftmals sie sich selbst auch aufgegeben hatten angesichts unvermeidlich scheinender Vernichtung – nicht nur beim Verzweiflungskampf vor Tlascala, auch früher schon in Kuba und auf dem Isthmus, am Darien, bei den Perleninseln des Pazifischen Ozeans, in Veragua oder am Valsafluß – ein Kinderspiel war alles einstige Grausen im Vergleich zu dieser Spannungsqual während der schleichenden, zerrenden Nachtstunden. Sie waren nicht Kinder, die der Gefahren spotten können, weil sie ahnungslos und verantwortungslos sind. Die Mehrheit der Kastilier waren erprobte, wetterharte, sturmgewohnte Landsknechte. »Wir haben Furcht, weil wir Männer sind« – diesen prachtvollen Ausspruch tat Bernal Diaz, der Galante, in dieser Nacht.


Bald nach Sonnenaufgang schickte Cortes die acht Tlascalteken mit dem mißhandelten Boten an Olid ab.

Bis gegen sieben Uhr morgens wartete Cortes. Ein Angriff war nicht erfolgt. Ausspäher, welche auf dem Turmdach des Ixcoçauhqui-Sanktuars postiert waren, hatten noch immer nicht die Nachricht heruntergerufen, daß Kriegsmaske mit dem Hauptheer der Tlascalteken auf den nordöstlichen Gebirgspfaden zu sehen sei. Aber auch vom Heranrücken eines mexikanischen Heeres meldeten sie nichts. Die Stadt schien ruhig zu sein.

Cortes beschloß, nicht länger auf Kriegsmaske zu warten. Einen Hofbeamten – kenntlich durch seine reiche Kleidung als Magazinverwalter –, der zufällig am Tempeltor vorbeiging, ließ er hereinbitten, beschenkte ihn mit Glasperlen und beklagte sich bei ihm über das unhöfliche Benehmen der beiden Priesterkönige. Er habe tags zuvor um ihren Besuch gebeten, und da sie mit nichtigen Entschuldigungen sich zu kommen weigerten, habe er ihnen mitteilen lassen, er werde – um ihnen nicht länger zur Last zu fallen – heute bald nach Sonnenaufgang die heilige Stadt verlassen, vorausgesetzt, daß sie ihm die erforderliche Anzahl von Lastträgern für die Fortschaffung der großen Feuerwaffen und des Gepäcks zur Verfügung stellten. Darauf sei keine Antwort erfolgt. Und bis jetzt hätten die Lastträger sich nicht blicken lassen, und auch die Könige hielten es nicht einmal der Mühe wert, Abschied von ihm zu nehmen. Unbegreiflich sei es ihm, daß sie ihn dermaßen haßten oder fürchteten, da er doch der Stadt nichts Böses getan habe.

»O Grüner Stein«, sagte der Magazinverwalter mit verlegenem Lächeln, »ich weiß, daß nicht die Furcht, daß nicht die Scheu sie abhält, dir Blumen zu bringen, Abschied von dir zu nehmen. Zweitausend Tlamamas und Krieger stehen bereit, dich zu begleiten, mit dir zu ziehen in das Land der Seen. Und wenn ich mich zu den beiden Tlatoanis begebe, sie herzubitten, werden sie sicherlich dich besuchen kommen.«

Der Magazinverwalter entfernte sich. Kaum eine Viertelstunde später nahten die beiden Priesterkönige mit dem Hohen Rat, den Würdenträgern und Hofbeamten und dem Adel Cholulas, alle in Prachtgewändern und, der Wohlhabenheit der Stadt gemäß, überreich blitzend von Juwelen. Ihnen auf dem Fuß folgten fünfhundert Tlamamas und fünfzehnhundert cholultekische Krieger.

Sie wurden durch das vom gespenstischen Yuccabaum beschattete Skorpionentor in den ersten großen Tempelhof eingelassen. Sogleich, nachdem sie sich innerhalb der Mauer befanden, ließ Cortes dieses Haupttor wie ebenfalls zwei seitliche Tore durch dreißig Hellebardiere besetzen.

Das ganze Christenheer war längs der Umfassungsmauer, teils auch vor mehreren den Tempelhof umgrenzenden Priesterwohnungen kampfgerüstet aufgestellt. Die Hauptleute und Reiter saßen zu Pferde, sprungbereit. Alonso de Mesa, Bartolomé de Usagre, Juan Catalan und der Levantefahrer Arbenga standen mit Lunten in der Hand an den geladenen Geschützen.

Es stellte sich heraus, daß zusammen mit den Hofbeamten auch die drei kürzlich verschwundenen mexikanischen Boten in den Tempelhof gekommen waren.

Cortes ersuchte die Priesterkönige, den Rat der Alten und die drei Mexikaner, mit ihm in das Adlerhaus des Tempels zu treten. Er wollte ihr Leben schonen, damit nach beendetem Kampf vertragsfähige Leute in Cholula seien, mit denen Frieden, womöglich ein Bündnis geschlossen werden könnte.

Im Saale des Adlerhauses bemächtigte sich des Vogelstellers eine krankhafte Erregung. Er wollte wissen, wo seine Mutter sei, ob Marina nicht nachts den Besuch seiner Mutter erhalten? Spurlos verschwunden sei sie, und auch die Sesselträger, die mit ihr das Haus der Silberreiher verlassen hatten, seien verschwunden. Und er beschwor Marina, ihn zu seiner Mutter zu führen.

Unschlüssig, was zu antworten, ob sie es ableugnen, ob sie es zugestehen solle, fragte sie Cortes.

»Heute haben wir keine Zeit für dies Muttersöhnchen!« rief er unwillig und wandte sich den drei mexikanischen Boten zu.

»Euren großen Montezuma habe ich bisher für meinen Freund gehalten. Den Worten, die er mir sagen ließ, habe ich geglaubt. Denn im Lande des Ostens, von wo ich herstamme, lügen die Könige nicht – wie konnte ich annehmen, daß der größte Herrscher des Westens ein Lügner sei? Doch seit gestern weiß ich es und habe den Beweis dafür. Aufgedeckt ist der Vernichtungsplan. Nichts verbirgt sich meinen Augen und Ohren. Montezuma war es, der mir den Weg über Cholula anraten ließ, sein Wunsch war es und ist es, daß Cholula mein und meines Heeres Grab werde!«

Obgleich die Worte an die Mexikaner gerichtet waren, fühlten die Cholulteken, daß die Anklage ihnen nicht minder galt als dem Zornigen Herrn. So niedergeschmettert waren sie, so versteinert vor Entsetzen, daß keiner, auch das Alte Raubtier nicht, einen Versuch, sich zu rechtfertigen, machte. Wozu auch! der weiße Mann wußte alles – er mußte doch wohl ein Sohn der Sonne sein!

Mexikanischer Hochmut half den drei Boten über den anfänglichen Schrecken hinweg. Sie leugneten, vom Hinterhalt zu wissen, sie wiesen die Annahme empört zurück, daß Montezuma die Hand im Spiele habe. Sei doch Cholula von Montezuma mehrmals aufgefordert worden, die weißen Götter aufzunehmen, als wären sie Könige von Anahuac, und ihnen ein sicheres Geleit bis vor die Tore Tenuchtitlans zu geben. Sei Böses geplant, so sei es gegen den ausdrücklichen Wunsch Montezumas geplant. Zum Schluß wollten die Boten von Tezcatlipoca und Huitzilopochtli gestraft werden, falls sie die Unwahrheit sprächen.

Auf die freche Ableugnung war Cortes gefaßt gewesen. Sie gab ihm die Handhabe, ein Exempel zu statuieren und dennoch die sogenannte Freundschaft Montezumas – ohne die er in Tenuchtitlan nicht einziehen konnte – sich zu erhalten. Ja, er spielte sich sogar als Verteidiger Montezumas auf, obwohl er wußte, daß die Kunde vom grauenvollen über Cholula verhängten Strafgericht, von Ort zu Ort, von Land zu Land wandernd wie eine erstickende Giftwolke, dazu bestimmt war, dem Herrn der Welt das Herz zu lähmen.

Inzwischen waren die drei Mexikaner mit den Cholulteken in Streit geraten. Gegenseitig warfen sie sich vor, Anstifter des geplanten Hinterhaltes zu sein. Empört riß sich das Alte Raubtier die goldene Trommel, das Bestechungsgeschenk Montezumas, vom Halse und schleuderte sie den Mexikanern vor die Füße. Streng unterbrach Cortes ihr leises giftiges Gezänk.

»Womit habe ich euren Verrat verdient!« herrschte er das Alte Raubtier und den Vogelsteller an. »Keinem eurer Untertanen habe ich ein Leid getan, wie ein Freund habe ich euch geliebt. Meine tlascaltekischen und totonakischen Bundesgenossen ließ ich, weil ihr es wünschtet, außerhalb der Tore. Ich war bereit, früher als beabsichtigt hinwegzuziehen, um euch von der Last der Gastfreundschaft zu befreien. Doch eure Gastfreundschaft war Hinterlist, euer Lehnseid ein Betrug, eure Freundschaftsversicherung eine Lüge – dazu bestimmt, uns in Sicherheit zu wiegen, während ihr Steine auf die Dächer eurer Häuser schlepptet, fünftausend Krieger in der Stadt verstecktet, Gassen durch Balken versperrtet, Straßen mit Gräben und eingerammten Pfählen versaht und Häuser anfülltet mit Stöcken, Lederriemen und Seilen, um uns zu binden, uns auf euren Altären das Herz aus der Brust zu schneiden!«

Den verratenen Plan jetzt noch abzustreiten, wäre sinnlos gewesen – das sahen die Cholulteken ein. Sie befanden sich rettungslos in der Schlinge, die sie selbst gelegt hatten. Sie machten auch gar keinen Rettungsversuch. Doch empörte es sie, daß Montezuma, der Hauptanstifter, als schuldlos hingestellt wurde. Verängstigt und zugleich wütend traten das Alte Raubtier und drei seiner Ratgeber vor, klagten den Zornigen Herrn an: er sei es gewesen, der den Hinterhalt ersonnen und durch seinen Gesandten, den Tempel-Feger, alle Vorbereitungen habe treffen lassen.

»Ihr hört, was diese Verleumder behaupten!« rief Cortes den drei Boten zu. »Merkt euch ihre Worte und wiederholt sie, wenn ihr nach Mexico zurückgekehrt seid, wiederholt sie vor Montezuma, damit er wisse, daß die von mir verhängte Strafe streng, aber gerecht ist! Jedes Mitgefühl haben diese Elenden verscherzt, denn nicht nur an mir und meinem Heer sind sie Verbrecher, noch mehr Verbrecher sind sie am Namen des großen Montezuma, indem sie den edlen Freund der Christen so schamlos zu verleumden wagten, ihn durch freche Bezichtigungen zum Mitschuldigen, zum Mitwisser zu machen suchen. Könnte ich den Frevel gegen mich und die Unsrigen verzeihen, den Frevel gegen den König von Mexico kann und darf ich nicht verzeihen –: ein Majestätsverbrechen ist dies, und nach kastilischem Recht muß es hart gebüßt werden – mit dem Tode aller Schuldigen, und da die ganze Stadt schuldig ist, mit dem Tode der Stadt!«

Zur Tür hinaus winkte Cortes. Einige Sekunden tiefster Stille folgten der graziösen Bewegung seiner gepflegten, ringbedeckten Hand. Dann knatterten draußen auf dem großen Tempelhof drei Musketenschüsse hart und trocken in die Luft. Es war das mit Olid verabredete Zeichen, war der Befehl, die beutegierigen Totonaken und die rachedurstigen Tlascalteken auf die Stadt loszulassen.

Sofort nach den Schüssen stürmten bewaffnete Kastilier in den Saal des Adlerhauses. Cortes befahl ihnen, den beiden Königen, dem Rat der Alten und den übrigen dort versammelten Würdenträgern Fesseln anzulegen und sie zu bewachen, daß keiner entkomme.


Dann trat Cortes auf den Hof hinaus. Vor der Tür stand sein Stallmeister Martin de Gamba mit Romo und hielt den Steigbügel. Cortes schwang sich in den Sattel.

Die Metzelei hatte bereits begonnen. Von drei Seiten her richteten Kartaunenrohre ihre schwarzen, hell erblitzenden Schlünde auf die im Tempelhof eingeschlossenen Cholulteken, schleuderten kürbisgroße Steinkugeln, bliesen Menschenfleisch vor sich her, rissen Lücken in die zusammengepferchte Menschenherde–unentrinnbar und gleichmäßig, wie eine Sense im Kornfeld Garben niederlegt. Von drei Seiten her flammten die Musketenläufe, sausten die Bolzen der stählernen Armbrüste. Feuer und Eisen – Kugeln und Bolzen, Degen, stahlbeschlagene Schilde und Harnische – versperrten den Ausweg zum westlichen und zum östlichen Tor. Nur von Süden, vom großen Skorpionentor her wurde nicht geschossen, dort schien der Weg frei. Ein Wahnwitz des Grausens wirbelte die Cholulteken durcheinander, raubte ihnen den Mut zum Widerstand. Der größte Teil des Adels, der im engen Saal des Adlerhauses nicht Platz gefunden, befand sich wehrlos auf dem Hof, wehrlos waren die fünfhundert Lastträger» und selbst die Krieger waren, obgleich sie Speerbündel und Bambusschilde trugen, wehrlos – entwaffnet durch ihren Schrecken, mitgerissen von der Verwirrung, verzweifelt über die Aussichtslosigkeit des Kampfes. Die meisten warfen ihre Waffen fort und flohen, flohen dem südlichen Ausgang zu.

Aber am Yuccabaum vor dem Ausgang des Skorpionentores standen dreißig Lanzenträger und spießten die Flüchtenden auf. Die schreiende Menge staute sich am Tor, doch zurückfluten konnte sie nicht, ihr Gekreisch ging unter im allgemeinen Wehgeheul, und immer von neuem, immer wilder drängten die weiter hinten ineinandergepreßten Menschenmassen und schoben die vorderen Reihen in die starrenden Lanzen hinein.

Die Geschütze und Musketen verstummten und überließen es dem Schwert, die Arbeit zu vollenden. Von allen Seiten stürzte sich das kastilische Fußvolk mit gezogenen Degen auf die Cholulteken und wurde nicht müde, die Klingen rot zu färben.

»Santiago! Santiago!«

Taub hätte der heilige Jago sein müssen, hätte er den hundertfachen Ruf um Beistand überhört ...

Leichenhügel türmten sich auf. Zu einem karminenen Teich wurde der Tempelhof, bis an die Knöchel wateten die Christen – denn Christen waren es! – in der blutigen Lache. Und nicht untätig sahen die Feldobristen und Reiter zu. Sie sprengten in den Menschenknäuel hinein, wo er am dichtesten war, sie zersprengten ihn, um schneller die kleineren Haufen abzutun. Maria de Estrada zeichnete sich aus und fügte ihrem Ruhm neuen Ruhm hinzu, indem sie treffsicher nach Indianeraugen zielte. Alonso de Avila brannte darauf, seine mit Olid und Juan dem Aufgeblasenen geschlossene Wette zu gewinnen, kerzengerade im Sattel sitzend, ließ er unablässig sein kurzes Schwert auf die kupferbraunen Nacken niedersausen, und mit jedem seiner Hiebe löste sich ein Kopf von einem Halse und fiel wie eine reife Frucht herabkollernd und rot aufspritzend in den karminenen See ... Die Eleganz seiner Hiebe weckte den Neid und den Nachahmungstrieb des Matrosen und Henkers Pero Osorio, Die abgeschlagenen Köpfe zu zählen, hatte Avila seinen Getreuen, den Arkebusier Pedro Lopez, beauftragti und dieser sah sich gezwungen, anzuerkennen, daß Avila am Henker einen nicht zu unterschätzenden Rivalen besaß. Von Lopez wurde auch festgestellt, daß Juan der Aufgeblasene mit seinem Riesenschwert, dem Zweihänder, die Cholulteken nur bis zum Schlüsselbein, aber niemals bis zum Nabel zu spalten vermochte.

Die Hühnerbrust des Narren Madrid machte ihn für das Kriegshandwerk untauglich. Jederzeit bereit zu plündern, war er – solange gekämpft wurde – ein müßiger Zuschauer. Dafür hatte er sich selbst zum Preisrichter eingesetzt. Und mit Genugtuung beobachtete er, daß seine Voraussage eintraf: die fünf cholultekischen Jungfrauen, um die gewettet worden war, mußten – falls es noch eine Gerechtigkeit auf der Welt gab – keinem der Hauptleute, auch nicht dem Henker, sondern einem Bluthunde zufallen. Denn Moro und Becerrico waren auf die Indianer gehetzt worden, und besonders Becerrico, der junge Hundeheld, tat sich so hervor, daß er sämtliche Christen in den Schatten stellte. Einige Dutzend Cholulteken zerriß und zerfetzte er, und da er unter die mit Gold und Edelsteinen behängten Standesherren geraten war, hatte er Aussicht, seinen Kleinodienbesitz nicht unbeträchtlich zu vergrößern (den sein Herr Francisco de Lugo in seinem Namen zu verwalten pflegte) ...

»Totentanz, Totentanz!« krähte der bucklige Narr in das wahnsinnige Geschrei der sterbenden Cholulteken hinein.

Allmählich erstarb auch das Geschrei. Das Schwert hatte die Arbeit vollendet. Keiner war entkommen.


Durch die drei Tore des Tempelhofes flutete nun das Christenheer in die Stadt. Dumpfes, krachendes Waffengeklirr, Rasseln von Eisenplatten und Eisenringen. Auch Schellengeläute. Denn an den Füßen der Pferde waren kupferne Glöckchen angebunden, den Fußtruppen den Weg zu weisen, falls sich im Gassengewirr ein Reiter in Gefahr befand. Polternd rollte die Artillerie hinaus, um den Brandschatzenden Häuser und Paläste zu öffnen, um, wenn nötig, ganze Straßenzüge niederzulegen. Ein neues Geschrei stieg allenthalben zum Himmel empor, übertönte die Santiagorufe der Kastilier – ein hilfloses Gewinsel und Geschrei von Frauen und Greisen und Männern und Kindern. Erst scholl es nur in den benachbarten Gassen. Doch gleich darauf fand es einen gräßlichen Widerhall in entfernten Stadtgegenden. Die Tlascalteken hatten ihr Rachewerk begonnen. Wie bei einer Feuersbrunst Flammen hier und da aufzüngelnd sich vereinen und zum Flammenmeer werden – so verschmolzen die Rufe aus Hunderten von Gassen und Straßen und wurden ein einziger grauenhafter Schmerzenslaut. Die sterbende Stadt hatte ihren Mund geöffnet und brüllte im Todeskrampf.

Als Cortes zum Skorpionentor hinausgeritten war, sah er, in eine Gasse einbiegend, den Vater und den Oheim der Berauschenden Blume. Voll Besorgnis um das Leben des Mädchens, waren die beiden Alten gleich nach den ersten Musketenschüssen in die Nähe des Ixcoçauhqui-Tempels geeilt, hatten aber keinen Einlaß gefunden. Jetzt liefen mordende Landsknechte durch die Gasse. Cortes rief dem Reiter Dominguez, der zwanzig Schritte vor ihm hertrabte, zu:

»Rettet die beiden. Wir schulden ihnen Dank ...!«

Doch Dominguez konnte dem Befehl nicht mehr nachkommen. Bereits hatte der Spieler Saldaña hinterrücks die zwei Händler durchbohrt, schon kniete er über ihnen und steckte sich die beiden Grünsteine in die Wamstasche, mit denen in der vergangenen Nacht der Verrat an der Heimat bezahlt worden war ...

Cortes wandte sich ab. Er konnte Saldaña für eine Tat nicht strafen, die in diesem Augenblick von allen Christen begangen wurde. Doch obzwar er im Tempelhofe den Anblick des Gemetzels ertragen hatte – wie eines unabwendbaren Fatums, welches die Rettung seiner Mannschaft und seines heiligen Kreuzfahrerzieles bedeutete –, ging ihm jetzt (er selbst wunderte sich darüber) der Mord an zwei Menschen, von welchen ihm Gutes erwiesen worden war, zu Herzen. Fast hätte er mit der Vorsehung hadem können, war er doch gewohnt, sie als Richterin anzusehen, die den Bösen züchtigt und den Guten belohnt. Der Gute war der den Christen Nützende, mochte er auch ein Verderber seines Volkes sein ...

Bisher hatte Cortes sein Schwert von Blut rein gehalten. Sowie er aber in die nächste Gasse ritt, riß er den Degen aus der Scheide und sprengte auf einen Portugiesen, einen gewissen Alvarez Rubazo, los. Der Portugiese hatte eine junge Indianerin erdolcht, weil sie ihm nicht zu Willen gewesen war. Nun war er dabei, sich ihren Schmuck, Halskette und goldene Ohrgehänge, anzueignen. Cortes spaltete ihm den Schädel.

Vorbeieilende Kastilier blieben stehen, sammelten sich zu einem neugierigen Haufen rings um die beiden Toten und starrten den General-Kapitän an, als fürchteten sie, er sei irrsinnig geworden. Einige murrten, geduckte Wildkatzen vor dem Bändiger. Der Erschlagene war freilich nur ein Portugiese ...

»So soll es jedem ergehen, der tat, was dieser tat!« schrie Cortes bebend vor Wut. »Als ihr vorige Nacht zum heiligen Abendmahl gingt, habe ich euch eingeschärft, daß Frauen, Kinder und Greise geschont werden müssen. Eilt weiter und warnt eure Kameraden!«

Der Haufe stob auseinander.


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