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Die Taufe hatte begonnen, eingeleitet durch Gesang und Predigt. Schon hatte laut schluchzend vor Ergriffenheit die Schwarze Blume den Namen Seiner Apostolischen Majestät Don Carlos erhalten, Kriegsmaske, weniger bewegt, den Namen Don Vicente, seine als Kastilierin gekleidete Schwester Rabenblume, strahlend vor Stolz, den Namen Doña Maria Luisa und die schüchtern lächelnde Braut des Velazquez de Leon den Namen Doña Violante – da trat der Fürst Fichtenzweig festlich gekleidet in den Saal, und hinter ihm her kamen seine beiden ehelichen Frauen, die Smaragd-Puppe sowie die Als-Schlange-Lebende und ihre zwei jüngeren Kinder. Und mit fester Stimme erklärte Fichtenzweig, daß er sich und die Seinen taufen lassen wolle.

Eine Bewegung des Staunens rauschte durch den Saal.

Stumm sahen sich Cortes und Olmedo an. Wie war das zu erklären? Was hatte den Christenfeind gewandelt? Was bezweckte er? Und warum schloß er den Kleinen Pfeil von der Bekehrung aus?

Cortes beantwortete fragenden Blick Olmedos mit einem Achselzucken. Man konnt den hochangesehenen und einflußreichen Kaziken nicht abweisen. Man konnte auch aus Rücksicht auf die feierlich-andächtige Stimmung aller Anwesenden kein Verhör anstellen.

Olmedo sah es ein,obgleich eine beängstigende Ahnung ihm die Seele bedrückte. Suchend senkte sich sein Blick auf den Mann und die beiden Frauen, als wollte er in die Tiefen ihrer Herzen hinabsteigen, ein Geheimstes emporzufördern. Sie ertrugen seinen Blick, schienen sich gewappnet zu haben gegen ihn. Daß Smaragd-Puppe, die Olmedo nicht kannte, keck und dennoch beunruhigt die herausgeputzten Europäer in ihren flitterhaften Galakleidern, das große Holzkreuz und das steinerne Taufbecken anstarrte, war nich zu verwundern. Auffallend verändert war Fichtenzweig, sein erzwungener Gleichmut verdeckte mühselig die innere Zerrissenheit. Und kaum wiederzuerkennen war die Als-Schlange-Lebende. Verwüstet durch tagelanges Weinen, glich sie einer Dahingeschiedenen, ihr zerstörtes Gesicht war ausdruckslos wächsern und tot, ihre Augen waren erloschen.

»Wenn du ein Christ sein willst, darfst du nur ein eheliches Weib haben!« ließ Olmedo durch Marina verkünden. Ein Schimmer von Selbstzufriedenheit glänzte auf des Paters gebräuntem Antlitz. Er war stolz darauf, daß ihm dieser Einwand eingefallen war, der ihm ermöglichte, ein salomonisches Urteil zu fällen. Jetzt würde sich's herausstellen, ob es dem Kaziken ernst mit seiner Bekehrung war. Aus Äußerungen, die der Kleine Pfeil getan, wußte er, daß der Kazike, vom Teufel der Trunkenheit angereizt, die Als-Schlange-Lebende zu mißhandeln pflegte und ihr Smaragd-Puppe vorzog. Und wenn – wie anzunehmen nahelag – die Verwüstung im Gesicht des armen Weibes durch eine von ihm begangene Schandtat verursacht war, so würde die Wahl, zu der er jetzt schreiten mußte, ein Bekenntnis seiner Schuld sein.

Unter den Tlasteken erregte der Einwand des Paters großes Aufsehen. Der Fürst war nicht der einzige im Lande, der zwei Ehegattinnen besaß, wenn auch in dem kriegerischen Jägervolk die alte Sitte monogamer Ehen vorherschend geblieben war. Mit Spannung wurde die Antwort erwartet.

Die Augen Fichtenzweigs ruhten düster auf Smaragd-Puppe. Sie schüttelte unwillig den Kopf. Unsichtbare Fäden waren zwischen seiner Seele und ihrer geknüpft, es bedurfte keiner Worte.

»Ich will nur ein eheliches Weib haben«, sagte Fichtenzweig.

»Welche von den beiden Frauen soll es sein?« fragte Olmedo.

»Diese!« entgegnete der Fürst und zeigte auf die Als-Schlange-Lebende.

Niemand hatte erwartet, daß er so wählen würde. Im ersten Augenblick war auch der Priester enttäuscht, gleich darauf aber witterte er eine geflissentliche Irreführung und gewann den Eindruck, der Kazike habe sich eben dadurch verraten. Inwiefern er sich verraten und was ihm zur Last zu legen sei, hätte Olmedo nicht sagen können. Es war ein bloßes Gefühl, vorbeihuschend und nicht greifbar.

Die unterbrochene Taufhandlung nahm ihren Fortgang. Fürst Fichtenzweig erhielt den Namen Don Alfonso.


Gegen Mittag wurde das Kloster eingeweiht.

In den letzten Tagen war viel hin und her erwogen worden, wer zum Prior und Erzieher der tlascaltekischen Adelskinder ernannt werden solle. In Betracht konnte nur ein Priester oder Mönch kommen, und daher war die Auswahl klein. Den Lizentiaten Juan Diaz, den Freund des Gobernadors von Kuba, wäre Cortes bei dieser Gelegenheit gern losgeworden. Doch sein Vorschlag scheiterte am Widerspruch sämtlicher Feldobristen und vor allem Olmedos, der, obgleich er sich schlecht mit dem Lizentiaten stand, auf seine Hilfe nicht verzichten mochte und Cortes vorhielt, daß die in Mexico harrenden Aufgaben von einem einzigen Priester nicht zu bewältigen seien. Marina, die sich einst vorgenommen hatte, niemals aus eigennützigen Gründen ihren Einfluß geltend zu machen, wich in diesem Fall von ihrem Vorsatz ab und brachte Cortes auf den Gedanken, daß Aguilar als Dolmetscher entbehrlich sei und sich als Franziskanermönch für den Posten eines Klostervorstehers besonders eignen würde. Um den Verhaßten aus ihrer Nähe zu verbannen, lobte sie seine priesterlichen Eigenschaften über die Maßen, so daß Cortes sie verwundert anschaute und ein Mißbehagen wegen ihres Eifers empfand. Aus kleinen Anzeichen hatte er längst bei ihr einen Abscheu vor dem Mönch herausgespürt, und es irritierte ihn, daß sie jetzt ihren Haß in Lobsprüche kleidete. Gegen den Vorschlag hatte er nichts einzuwenden, wie ebenfalls Olmedo nicht, doch das war vor mehreren Tagen gewesen, und ehe man zu einem Entschluß kam, war Aguilar mit Piltecatl nach Cholula aufgebrochen; ob er von dort zurückkehren werde, war fraglich.

In Betracht kad nur noch ein gewisser Juan de las Varillas, ein einfacher Soldat, von seinen Kameraden el Teologo genannt. Vor wenigen Jahren noch war er Priester auf Kuba gewesen, hatte eine einträgliche Pfründe gehabt. Von den Hieronymitenbrüdern vor das geistliche Gericht nach Haiti zitiert, um sich wegen sittlicher Verfehlungen, deren man ihn beschuldigte, zu verantworten, hatte er es vorgezogen, den Priesterrock auszuziehen und unter der Soldateska zu verschwinden. Er hatte sich von Grijalva und später von Cortes anwerben lassen. Mit Olmedo und Don Juan Diaz führte er zuweilen gelehrte Dispute und liebte es, durch Ansichten, die an Ketzerei streiften, den Lizentiaten zu erbosen.

Olmedo, der kein Zelot war, hatte Cortes geraten, den Musketier zum Klostervorsteher zu machen und, was seine zweifelhafte Moral anbetraf, ein Auge zuzudrücken – vielleicht auch beide. Denn mochten die Leute auch munkeln, er habe die Kinder seiner Parochie verführt – die dunkle Angelegenheit lag Jahre zurück und ließ sich nicht mehr aufhellen, Und zudem war man auf ihn angewiesen.

Cortes hatte daraufhin Juan de las Varillas zum Prior und Knabenerzieher ernannt.

Ein geistliches Gewand ließ sich aus einem abgetragenen des Paters Olmedo zurechtschneidern und zurechtflicken. Der buschige Schnauzbart, den der Musketier sich hatte stehenlassen, konnte abgenommen werden. Die rauhe Kriegersprache abzulegen und frömmelnde Redewendungen hervorzukramen, konnte dem einstigen Gottesgelehrten nicht schwerfallen. Nur auf die eine Schwierigkeit stieß man, daß der Mann kein Wort der Landessprache verstand. Doch auch darüber setzten sich Cortes und Olmedo leichten Herzens hinweg: war doch anzunehmen, daß ein tüchtiger Humanist wie Varillas den Kindern in kurzer Zeit genug Latein beibringen werde, um sich mit ihnen lateinisch zu verständigen.

Das schön am Ufer des Zahuapan gelegene steinerne Haus, welches Prinz Kriegsmaske als Klostergebäude zur Verfügung gestellt hatte, war von bescheidenem Umfang, galt aber als ehrwürdiges Gebäude, da in seinem Garten die heilige grüne Quelle von Tlascala entsprang, welcher die Stadt den Beinamen »Am Nephritwasser« verdankte.

Des mangelnden Raumes wegen hatte man weniger Gäste als zur Taufe geladen. Von den Tlascalteken waren bloß die Väter erschienen, deren Söhne in das Kloster eintreten sollten.

Als Prior gekleidet, machte Varillas den Hausherrn, begrüßte die Eintretenden und führte sie auf ihre Plätze. Bei der eigentlichen Feier aber mußte er bescheiden beiseite stehen: Olmedo und der Lizentiat hielten die Ansprachen.

Sogleich nach der Einweihung stellte Olmedo an Fichtenzweig die Frage, die er schon während der Taufe hatte stellen wollen, dann aber aus Rücksicht auf die Umgebung unterdrückt hatte. In strengem Tone forschte er aus: Warum der Fürst nur seine jüngeren Söhne mitgebracht habe? Wo der Kleine Pfeil sei? Vom Hohen Rat sei doch beschlossen und den Christen zugesichert worden, daß die Söhne des Adels dem Kloster überliefert werden müßten.

Nichts im Gesicht des Fürsten verriet, daß die Fragestellung eine Verdächtigung, eine Kränkung für ihn bedeutete. Offensichtlich war er auf solch ein Verhör vorbereitet. Er antwortete – dumpf, traurig, finster und beinahe herausfordernd klang es: – er wisse nicht, wo der Kleine Pfeil sich befinde. Er pflege seinen Söhnen nicht nachzugehen, wenn sie sich von Hause entfernten ...

Vielleicht wollte er nur sagen: Immerzu habt ihr mein Kind heimlich fortgelockt, und meine Schuld war es, daß ich mich nicht darum gekümmert ...

Der Pater wandte sich an Cortes.

»Ich weiß nicht, warum die Antwort mich so seltsam bewegt«, sagte er. »Ich muß an die Antwort denken, die Kain gab, als er nach Abel gefragt wurde ... Nicht anders wird Kain dreingeblickt haben ... Und wie zermalmt sieht die Mutter aus ... Was mag in diesen Seelen vorgehen? ... Welch ein Geheimnis birgt sich dahinter? ...«

Cortes schüttelte ungläubig den Kopf. Seine Gedanken verirrten sich nicht in psychologische Labyrinthe. Er war aufgebracht, da ihm die ausweichenden Worte des Kaziken wie eine Verhöhnung der Conquista espiritual – der geistlichen Eroberung – erschienen.

»Bei meinem Gewissen! Das werdet Ihr uns nie glauben machen!« fuhr er den Fürsten an. »Ihr wißt, wo Euer Sohn ist, denn Ihr habt ihn versteckt, um zu verhindern, daß er ein Klosterschüler wird!«

»Wenn man mir nicht glaubt, so soll man die Als-Schlange-Lebende fragen! Sie wird bezeugen, daß der Kleine Pfeil vor zwei Tagen aus dem Tecpan ging und nicht zurückgekehrt ist.«

»Ist das wahr?« fragte Olmedo die Frau.

»Es ist wahr!« erwiderte die Als-Schlange-Lebende. »Mein Sohn verließ uns – der Herr des Himmels weiß, wo er weilt ... Zu uns ist er nicht zurückgekehrt.«

Zwei große Tränen näßten ihr die ausgehöhlten Wangen.

»Padre, auf die Aussage der Frau ist nichts zu geben«, sagte Cortes ärgerlich zu Olmedo. »Sie zittert vor ihrem Mann und redet, was er ihr beigebracht hat. Ich werde seinen Palast durchsuchen lassen!«

Olmedo lächelte – er wußte, daß Cortes die Drohung ja doch nicht ausführen würde. Aber Alvarado nahm sie ernst und widersprach mit naiver Leidenschaftlichkeit. Er bat Cortes, auf die Feststimmung des Tauf- und Hochzeitstages Rücksicht zu nehmen, und gab ihm zu bedenken, daß Fichtenzweig der Blutsfreund seines Schwagers Kriegsmaske sei.

Zu weiteren Erörterungen kam es nicht, denn eben trafen Ordas und Doña Elvira aus Cholula ein. Cortes und die Feldobristen eilten ihnen entgegen – nicht ohne Besorgnis um das Schicksal Aguilars und Piltecatls.


Keine Stunde war es her, daß angesichts der aus der Ebene emporschimmernden Mauern, Tore und Teocallis der Stadt Tlascala Diego de Ordas (mit Doña Elvira) von der heimkehrenden Kavalkade sich getrennt hatte und vorausgeritten war, da ihm viel daran lag, vor Beginn der Trauung ein Wort im geheimen mit Isabel de Ojeda, der olivenbleichen, zu reden und ihr seinen väterlichen Segen zu erteilen. Nie hatte er verraten, daß er in der Nacht des Vulkanausbruches in das Zelt seines Fähnrichs Villareal eingedrungen war, daß er von der Schmach seines Mündels wußte. »Meine Brust ist ein Marmorsarkophag«, pflegte er vieldeutig zu sagen. Unverändert zuvorkommend gegen Isabel, hatte er aber doch selbst daraufgedrungen, daß die immer und immer wieder hinausgeschobene Hochzeit nun endlich stattfinden müsse.

So eilig war er jetzt, so erpicht darauf, Isabel noch ledig zu sehen, daß er – als Cortes, Alvarado, Velazquez, Sandoval und Olid ihm in einer Straße Tlascalas entgegenkamen – im Galopp an ihnen vorbeisauste. Doña Elvira sprang lächelnd vom Pegasus – zu lachen hatte sie noch nicht wieder gelernt – und statt Ordas stand sie dem General-Kapitän Rede und Antwort. Der abenteuerliche Ausritt war ohne jegliches Abenteuer verlaufen. Gleich hinter der Großen Mauer war ihnen Piltecatl heil und gesund begegnet. Über Aguilar freilich hatte sich nichts in Erfahrung bringen lassen.

Inzwischen war Ordas vor dem Tecpan der Sammelnden Biene angelangt. Mit langen gespenstischen Schritten ging er durch Gemächer, wo Damen sich urnkleideten und bei seinem Nahen schrill aufkreischten. Ihr Schrecken schreckte ihn nicht, unbekümmert ging er weiter, bis er Isabel de Ojeda fand. Sie saß vor einer zerkratzten Spiegelscherbe, kämmte sich ihr kastanienbraunes Haar. Ihr entblößter Busen und ihre vollen Arme waren wie fahles, matt gemasertes Elfenbein. Er mußte wegblicken, wollte er seinen Verzicht nicht bereuen. Sein Herz, ans Kreuz geschlagen, ächzte und jauchzte. Eine kleine Kassette mit etlichen Hundert Goldpesos – sein ganzes Besitztum – überreichte er ihr als Hochzeitsgeschenk. Als sie Dankworte vorbrachte, lehnte er den Dank ab.

»Dem unglücklichen Statthalter von Uraba, Eurem braven Vater, zum Gedächtnis geschieht das!« sagte er, melancholisch seine langen Gliedmaßen hin und her wiegend. »Mag der Tote es mir danken, wenn er will und kann. Von Lebenden erwarte ich es nicht – am wenigsten von Eurem Verlobten! ...«

»Warum denkt Ihr schlecht von Villareal?«

»Als ich ihn kennenlernte, Señora, hieß er noch einfach Villaroel. Mit jeder Gunst, die Ihr ihm gewährt habt, änderte er seinen Namen um – erst in Villareal, dann in Villa Real und neuerdings in de Villa Real. Ich bezweifle nicht, daß er es Euch zu Gefallen tat, Isabel! Aber hat er sich erst in den Grafen- oder Herzogsrang erhoben, so werdet Ihr ihm vielleicht nicht mehr genügen!«

Nachdem Ordas seine Pflicht als Vormund erfüllt hatte, begab er sich zum Schmied Hernan Martin und erteilte den rätselhaften Auftrag, ihm einen eisernen Schöpfeimer zu schmieden, dazu eine dünne eiserne Kette und ihm außerdem ein Hanfseil von einigen hundert Klaftern Länge zu verschaffen. Der Schmied versprach es, versprach auch, die Sache geheimzuhalten.

Danach suchte Ordas Cortes auf.

»Ihr habt mich um ein Haar überritten!« sagte Cortes scherzend. »Ich wußte nicht, daß Euer Pferd den Teufel im Leibe hat, Señor!«

Undeutlich stammelte Ordas Entschuldigungen.

»Ich war so erregt ...«, stotterte er, »ich mußte Hernan Martin einen Auftrag erteilen ...«

»Welchen Auftrag?«

»Mir einen Schöpfeimer und eine Kette zu schmieden und mir ein sehr langes Seil zu verschaffen.«

»Wozu das? ...«

»Ich bitte Euch, Don Hernando, fragt mich nicht ... Noch kann ich es nicht sagen. Wenn die Zeit gekommen ist, werde ich Euch ins Vertrauen ziehen ...«

»Ihr habt mich neugierig gemacht und wollt mich nun noch neugieriger machen!«

»Nein, nein ... Ihr werdet's ja bald erfahren ... So viel kann ich sagen, es handelt sich um ein Geheimnis, das mir einer der cholultekischen Grenzwächter anvertraut hat.«

»Ein Soldat des Alten Raubtieres? Seid Ihr so vertrauensselig? Timeo Danaos et dona ferentes! Alle Cholulteken sind Possenreißer, behauptet Marina ...«

»Dieser nicht, Euer Gnaden! Dieser ist ein ernster Mann, ein wundervoller Mann, abgeklärt und weise. Des Regens wegen mußten wir in einer Felshöhle Unterkunft suchen, und die ganze Nacht habe ich, während Lugo, Tapia und Luis Marin schliefen, mich mit dem Mann unterhalten und Freundschaft mit ihm geschlossen. Aus Dankbarkeit, weil ich meinen Mundvorrat mit ihm teilte, hat er mir das Geheimnis anvertraut ... von einem Schatz ...«

»Gegen den die Schätze Montezumas gewiß ein Kinderspiel sind!« lächelte Cortes. »Und er liegt wohl am Boden eines Sees, daß Ihr ihn mit einem Schöpfeimer heraufholen wollt?«

»Leicht wird er nicht zu heben sein!« versetzte Ordas gekränkt und einsilbig.

»Wenn es nicht wieder Silberhäuser sind, Don Diego!«

»Sehr richtig. Euer Gnaden! Eben darum will ich von der Beschaffenheit des wunderbaren Hortes und dem Ort, wo er zu suchen ist, keine Silbe sagen und warten, bis ich Gewißheit habe.«

So wenig ernst nahm Cortes die Phantasien des schwermütigen Ritters, daß er auf nähere Auskunft nicht drang. Es wäre auch keine Zeit gewesen. Sein Geheimschreiber Hernandez kam mahnen: die Hochzeitsgäste seien versammelt.


Nach der Trauung begaben sich die Jungvermählten – mit ihren kastilischen Taufpaten und Freunden und der vielhundertköpfigen Schar indianischer Verwandter – in langer Prozession durch die Hauptstraßen Tlascalas und über die Zahuapanbrücke zum großen Marktplatz. Ein Volksfest begann. Der tlascaltekische Adel führte Tänze und den Mitotl-Reigen auf, durch welchen die Taten der Vorfahren gefeiert wurden. Diesmal freilich hüpfte kein Priester mit dem abgeschnittenen Haupte eines Feindes umher. Die fromme Handlung des Tanzes war zum lehren Schaugepräge herabgesunken – das kam indes dem jubelnden Volke nicht zum Bewußtsein. Das Geräusch des Rasselschmuckes der Tänzer, der Lärm der Flöten und Trommeln erstickte die in einzelnen Herzen aufflackernde Ahnung, daß die Freiheit des Freistaates heute gestorben war inmitten aller Festfreude. Nachdem der große feierliche Reigen beendet war, bauten Akrobaten Menschenpyramiden in die Luft und wurden dann übertrumpft von einem Eulenmenschen – einem Zauberer –, der ein Seil in die Wolken warf und, als wäre es dort festgehakt, am Seil empor in die Luft kletterte – eine unerklärbare Phantasmagorie und nicht weniger rätselhaft dadurch, daß der Baccalaureus versicherte, er habe den Zauberer regungslos am Boden hocken sehen, während sein Scheinkörper in der Luft verschwand. Auch Europäer gaben ihre Künste zum besten. Mit verdutzten Gesichtern sahen die Tlascalteken den Kastagnettentanz La Medinas, hörten sie den Gesang des rothaarigen Porras, das Zirpen der Gitarre des Bergmanns Ortiz und Pedro de la Harpas Saitenspiel. Zum Schluß wurde ebenda auf dem großen Marktplatz ein Pferderennen veranstaltet.

Als dann die Hochzeitsgäste sich im Tecpan des Offenen Gesichts, in einem mit Blumengirlanden, Früchten und Papierfahnen überreich geschmückten Saal, an den von der Last der Speisen – Alligatorbraten und in Erdlöchern gerösteten Affen – fast zusammenbrechenden Tlaquauapallis, den Speisetischen, zum Hochzeitsmahl niedergelassen hatten, hielt der blinde Hundertjährige, nachdem er am lodernden Hausherd ein Opfer dargebracht, seiner Enkelin Doña Maria-Rabenblume eine jener schlichten, heidnischfrommen und sogar von mönchischen Chronisten bewunderten Reden, wie sie seit uralters in allen chichimekischen Ländern den neuvermählten Töchtern von ihren Müttern oder nächsten Anverwandten gehalten wurden:

»O du Perlenkind, du Schmuckfeder! Schwer lebt sich das Leben. Die Kräfte zehren sich auf. Viel Mühe kostet es, die Güter, die uns von den Göttern geschenkt werden, zu behalten. Darum, geliebte Tochter, ergib dich nicht dem Traum und dem Bett und dem Nichtstun und sei keine Freundin des kühlenden Schattens, denn der kühlende Schatten ist ein Lehrer der Faulheit und der Laster, mit ihm kannst du nicht leben, mit ihm kannst du nicht ehrbar leben. Wo immer du seist, gehe gemessen, nicht übereilt, nicht lachend, nicht hierhin und dorthin blickend, weder die Entgegenkommenden noch sonst jemand beachtend, gehe deinen geraden Weg. Reiche deinem Gatten das Wasser zum Händewaschen und mache ihm das Brot schmackhaft. Und wenn dein Gatte aus der Schlacht zurückkehrt, verlaß dein Gemach mit deinen Frauen und geh ihm entgegen, ihn liebevoll und sittsam zu begrüßen – wenn du das tust, wird er dich liebhaben, wie wir, deine Verwandten, dich liebhaben ...« »Es ist eigentümlich«, bemerkte Cortes zu Velazquez de Leon, nachdem er durch Marina den Inhalt der Rede erfahren hatte, »in der Welt Homers hätte ein Vater so zu seiner Tochter sprechen können. Auch da gab es von Menschenblut triefende Altäre und daneben die höhere Sittlichkeit und Sittsamkeit der Frauen, einer Andromache, Antigone, Iphigenie ... Warum sind die Frauen der alten Welt heutzutage so wenig sittsam!«

»Weil wir eine zu hohe Moral haben!« erwiderte Velazquez de Leon. Und ein Schatten zog über sein Gesicht: seine erste Frau war eine fleißige Kirchengängerin gewesen. »Die Sittlichkeit macht die Sittsamkeit überflüssig«, fügte er hart sarkastisch hinzu, und gleichsam schuldbewußt streifte sein Blick das schöne Profil der schüchternen Dona Violante.


Von der Straße her scholl ein wildes Getöse in den Festsaal herein. Ganz Tlascala schrie, brüllte, kreischte vor unbändigem Jubel. In Begleitung der Hauptleute Lugo, Tapia und Luis Marin war Piltecatl, der Totgeglaubte, angelangt. Und zugleich mit ihm eine cholultekische Gesandtschaft, die dem Hohen Rat von Tlascala das Friedensangebot des Alten Raubtieres sowie den Kastiliern seine Einladung zu überbringen kam.

So wichtig waren die Mitteilungen Piltecatls, daß sofort, während des Hochzeitsmahles, Kriegsrat abgehalten wurde. Zwar war man noch im ungewissen über das Schicksal Aguilars, doch stand fest, daß er ebenso wie Piltecatl Cholula unversehrt verlassen hatte. In einen Kampf mit Grenzwächtern verwickelt, war Piltecatl durch nachgesandte Schnelläufer beschützt worden, man durfte daher annehmen, daß Aguilar gleichen Schutz genießen werde. Daß das Alte Raubtier die weiße Schminke nicht zurückgewiesen und die schimpfliche Herausforderung mit so unerwarteter Langmut und Großmut beantwortet hatte, begeisterte Ordas und gefiel den kastilischen Hauptleuten, wurde auch von den Tlascalteken gelobt, wenngleich ihnen der Friedenswille Cholulas nach solcher Kränkung unwahrscheinlich und darum verdächtig erschien. Sie machten darauf aufmerksam, daß die Abgesandten Cholulas von niederem Adel seien, und wenn das Alte Raubtier so geringe Leute dazu ausersehen habe, so liege dem eine Absicht zugrunde, eine verletzende Herabsetzung und Mißachtung der weißen Götter. Doch Cortes schlug vor, darüber hinwegzusehen. Mit Ausnahme von Avila, der seiner Wette mit Olid und Trujillo wegen auf den Krieg ungern verzichtete, stimmten die Feldobristen in der Ansicht überein, daß man die dargereichte Hand nicht ausschlagen dürfe, ungeachtet heftigen Einspruchs von seiten des Offenen Gesichts und anderer Fürsten gelang es Cortes, die widerstrebenden Tlascalteken zu überreden.

Nach längerer Beratung wurde den Abgesandten des Priesterkönigs eröffnet, das Friedensangebot sei vom Hohen Rat und die Einladung von den weißen Göttern angenommen, obgleich diese gewohnt seien, Gesandte von Fürstenrang zu empfangen.


Am folgenden Morgen brach das kastilische und totonakische Heer nach dem südwestlich gelegenen Cholula auf und wurde mit Segenswünschen und Blumenspenden bis vor die Tore der Stadt vom Volk Tlascalas, vom Adel und von den Tetrarchen hinausbegleitet.

Viele Augen waren feucht, Segenssprüche wurden nachgerufen. Auf allen flachen Hausdächem standen Frauen und Kinder, warfen Blumen herab, und die Leuchtfarben ihrer Gewänder wirbelten flirrend in einem grellen Tausendblumenschein.

Die Silberfiligranstandarte Tlascalas und die Standarten der vier Könige wogten schwankend über dem Farbentaumel der überfüllten Straßen.

Ein Teil des tlascaltekischen Heeres – dreißigtausend Krieger, geführt von Piltecatl, Kriegsmaske, Fichtenzweig und dem Truthahn – schloß sich dem Zuge an ... Nicht als ob Tlascala den eben erst verkündeten Frieden zu brechen beabsichtigte, aber der Freistaat machte sich Sorgen um Cortes und wollte seinen Untergang verhindern. Piltecatl hatte in der heiligen Stadt, wenn auch ehrerbietig vom Priesterkönig und seinem Hofstaat behandelt, das Volk auf den Gassen Drohungen ausstoßen hören, die über die Gesinnung gegen die Europäer keinen Zweifel ließen, nicht feige sich unterwerfende Weiber wie die Tlascalteken seien die Krieger Cholulas, und nicht die abgerichteten Pumas, nicht die Blitzwaffen und scharfschneidenden Waffen aus »weißem Kupfer« und auch nicht die bärtigen Gesichter schreckten sie, da von ihrem Stadtgott Quetzakoatl in den alten Götterbüchern geschrieben stehe, daß er mit einer der großen Pyramide entsprudelnden Quelle die fremden Eindringlinge wegspülen könne ...

Ganz frei von Angst waren die Tlascalteken nicht, es möchte etwas Wahres an den alten Prophezeiungen sein ...

Eine Gebirgsfalte trennte die beiden feindlichen Staaten. Die Grenze – die Große Mauer – lag gleich jenseits der Paßhöhe. Der Abstieg, weniger steil als der Aufstieg, führte in eine sandige Ebene, die, im Gegensatz zu den engen Schluchten und Tälern Tlascalas, offen sich hinbreitete und nur in ziemlicher Entfernung von Bergketten umsäumt war. Wie Inseln aus dem Meer hoben sich aus der ockergelben Sandfläche dieses Am-Kolibri-Wasser genannten Tafellandes drei große Städte, deren ragende Mauern je ein grüner Gürtel von Baumgärten umringte, weiß und zartrosa blinkend empor: zunächst im Süden Cholula, mit seinen vierhundert Türmen und der riesenhaften Stufenpyramide, unweit davon im Westen Huexotzinco, und fern im Südosten Yuquane, die Hauptstadt von Tlachquiauhco.

Das Heer kam nur langsam voran. Die Artillerie auf den Paß hinaufzuschaffen, war schwierig, und fast schwieriger noch, sie auf schmalen, jähen Pfaden hinabzurollen, und nachdem jenseits die Ebene erreicht war, versank immer wieder die Singende Nachtigall im windgewellten Sandboden. Als die Sonne sich niedersenkte, stand erst die Vorhut unter den Mauern Cholulas.

Um nicht im Dämmerdunkel einziehen zu müssen, ließ Cortes in einiger Entfernung von der Stadt an einem Bache das Nachtlager aufschlagen.

Nach Mitternacht bezog der Armbrustschütze und Trompeter Rodriguez den Posten vor dem nördlichen Teil des Lagers. Er war ein schlichter Soldat ohne Poesie und Phantasie. Vor drei Tagen, bei der Beerdigung seiner Schwester Isabel, hatte er weder Rachegelüste noch Schmerz geäußert. Vielleicht war ihr Tod ihm doch nähergegangen, als er durch Mienen und Worte auszudrücken fähig war. Ein vorbeitrottendes Gürteltier machte ihn, den sonst so Gleichmütigen, zusammenzucken. Aus dem Gleichgewicht mußte seine Seele wohl geraten sein, daß er die Seltsamkeit der vierhundert gipsweißen Türme Cholulas gewahr ward, daß die Poesie der Nachtstille und des Mondlichts, wenn auch getrübt wie durch ein mattes Glas, in sein nüchternes Bewußtsein drang.

Ein schnell ausschreitender Mann war von der großen Mauer her herangenaht. Der Trompeter erkannte die Kleidung und Gestalt Aguilars und erzitterte, als stünde ein Spukbild vor ihm.

»Was willst du von mir, Gespenst?« schrie er, und vor Angst dröhnte seine gewürgte Stimme.

Aguilar hatte große Mühe, ihn zu beruhigen, ihm zu beweisen, daß er lebe und atme. Schlotternd vor Entsetzen, erwiderte Rodriguez immer von neuem: er wisse es ja doch, daß er Satan sei in Mönchsgestalt! Nimmermehr könne der lebende Aguilar von Norden, von Tlascala her kommen!

Da erzählte ihm Aguilar, wie er von Gonzalo Guerrero und den beiden mexikanischen Prinzen aus Mörderhand gerettet und durch mexikanisches Gebiet bis an das westliche Tor der Großen Mauer gebracht worden sei. In der Stadt Tlascala habe er Cortes nicht mehr angetroffen und sei, ohne sich Rast zu gönnen, sofort dem Heere nachgeeilt, da er eine äußerst dringliche Warnung dem General-Kapitän mitzuteilen habe.

Das Grausen des Trompeters schlug in Jubel um. Er zerdrückte dem Totgeglaubten die Hand, umarmte ihn.

»Eure Rückkehr, Frater, ist wichtiger als die Nachtruhe des Heeres. Ich will die Schläfer wecken, damit sie Euch feiern, wie sie den Piltecatl gefeiert haben!«

Und er nahm seine lilienförmige Trompete von der Schulter. Doch Aguilar ließ nicht zu, daß er sie an den Mund setzte.

Dann schritt Aguilar durch das schlafende Heer. Zelte waren – mit Ausnahme einiger Offizierszelte – der einen Nacht wegen nicht aufgeschlagen worden. Die Soldaten lagen im weichen trockenen Sande. Der Mönch stolperte über Schlafende, mußte über sie hinwegschreiten, hinwegspringen, hinwegklettern. Mit einer nicht neidlosen Verachtung stellte er Betrachtungen darüber an, wie reichlich das Heer mit Frauen versehen war – dank der Freigebigkeit Marinas, die damals am Siegesturm dreihundert Opfermädchen verschenkt hatte. Weiberfeinde gab es nur wenige unter den Soldaten, ein Mädchen besaß fast ein jeder, und einige besaßen sogar fünf oder sechs – seien es von den Kameraden erhandelte, seien es auf den Sklavenmärkten Sempoallas und Tlascalas gekaufte Sklavinnen.


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