Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Gegen Abend veranstaltete Tlascala den Gästen zu Ehren auf dem großen Marktplatz ein rauschendes Tanzfest, bei welchem fünftausend Teilnehmer in farbenfunkelnder Tänzertracht ihre chorartigen Aufzüge ausführten. Durch eine Abordnung des Hohen Rates wurden die Kastilier eingeladen, dem Schaugepränge beizuwohnen. Für seine Soldaten lehnte Cortes ab. Er und die Hauptleute aber beschlossen hinzureiten. Es mochte vielleicht ein Wagnis sein, doch Cortes glaubte es unternehmen zu können. Dank den Lügenmärchen der Totonaken fühlte er sich von einer unsichtbaren Leibwache umgeben.

Da Marina in der Sänfte getragen wurde und ihr kleiner Hofstaat sie zu Fuß begleitete, ritten auch Cortes und die Feldobristen im Schritt. Wenig belebt waren die Gassen, denn alles Volk war zum großen Marktplatz geströmt. Sie kamen durch Stadtteile, die wie ausgestorben waren. Die Häuser standen leer. An Palästen kamen sie vorbei, deren offene Tore kein Torwächter mehr hütete. Sie hätten hineinreiten, durch alle Prunksäle reiten, an den glanzig polierten Wänden sich spiegeln, aus plätschernden Fontänen trinken können – und niemand wäre gewesen, der es ihnen verwehrt hätte.

Die alle Vorsicht vernachlässigende Schaubegier, die jung und alt, arm und reich zum Tanzplatz trieb, hatte zur Folge, daß ein streng gehütetes Wesen an diesem Tage seiner Gefangenschaft entfloh. Es gelang Kreideschmetterling, dem schönen Hermaphroditen, seine Bewacher zu überlisten.

Die dritte Schlacht gegen Cortes – die Entscheidungsschlacht – hatte Prinz Kriegsmaske verloren, weil er Kreideschmetterling gewonnen, weil er, von rasender Eifersucht verleitet, während des Kampfes das Zelt seines Mitfeldherrn Piltecatl umstellen und Kreideschmetterling daraus rauben ließ, worauf Piltecatl mit vierzigtausend Kriegern sich grollend vom Kampffeld zurückzog. So benommen war Prinz Kriegsmaske von der zauberhaften Knäbin, daß ihm ihr Besitz all sein Mißgeschick aufwog. In seinem Palast hielt er sie eingeschlossen, umriegelt, umzirkt, als das Einmalige, das sie war. Ihr früheres Vergehen war ihr verziehen, der Todesstrafe durch den geglückten Todeslauf entronnen, war sie ja unantastbar. Ein Verliebter, dachte er auch nicht an Vergeltung. Wieder behängte er sie mit Juwelen, gab ihr Fächerträgerinnen, Sandalenbinderinnen, Haarkämmerinnen, Girlandenflechterinnen und schenkte ihr einen überaus kostbaren Handspiegel aus schwarzem Obsidian, damit sie an ihrer einzigartigen Schönheit Freude habe. Fünf alte Frauen aber hatten Auftrag, das Zwitterwesen nie aus den Augen zu lassen. Nur in wenigen, von Fontänen gekühlten Räumen und nur in einem kleinen Teil des Gartens war Kreideschmetterling zu lustwandeln gestattet.

Des Einzuges der Kastilier wegen hatte früh an diesem Tage Prinz Kriegsmaske seinen Palast verlassen. Da er auch beim Tanzfest nicht fehlen durfte, so war vorauszusehen, daß er erst zur Nachtzeit zurückkehren werde. Seinem Wunsch gemäß begaben sich seine Haupt- und Nebenfrauen mit ihren Sklavinnen zum großen Marktplatz. Mit und ohne Erlaubnis entfernten sich die höheren Palastbeamten einer nach dem anderen. Ihnen folgte die Dienerschaft, und dann schlichen sich mehrere der alten Wächterinnen Kreideschmetterlings unbefugt davon. Im Palast waren schließlich außer dem Hermaphroditen nur zwei Wächterinnen und einige noch unmündige Kinder des Prinzen Kriegsmaske.

Ihrer Verantwortung bewußt, versahen sich die beiden Weiber mit Speeren, Bogen und Pfeilen, und sie führten den Zwitter, um ihn besser hüten zu können, in einen Saal, der nur eine Tür hatte. Dort im Saal spielte Kreideschmetterling mit einem der kleinen Prinzen, einem siebenjährigen Knaben. Vor der offenen Tür hatten die zwei bewaffneten Wächterinnen Platz genommen.

Kreideschmetterling wußte, daß der Palast leer war. Heute oder nie konnte er entkommen. Und er sann auf eine List, die Aufmerksamkeit der Weiber von sich abzulenken.

Aus seinem langen, bis zu den Hüften herabwallenden Haar riß er sich Strähnen aus, flocht sie zu einem feinen Seil und fertigte daraus eine Schlinge. Mit der unbeseelten kalten Verderbtheit, die ihm eigen war, scherzte er beim Spiel und lachte mädchenhaft, während er dem Knaben unauffällig die Haarschlinge um den Hals legte und ihr Ende an einen Ring band, der zum Halten von Fackeln an der Saalwand angebracht war. Er entfernte sich vom Kinde, und plötzlich die Arme ausstreckend, lockte er es durch Schmeichelrufe an sich. Geschwind machte das Kind eine Wendung, um zu ihm hinzulaufen. Da zog sich die Schlinge zu und schnitt in das Fleisch des Halses ein. Das Kind, das eben noch ausgelassen gelacht hatte, stieß einen erschütternden Schrei aus. Je wilder es um sich schlug, sich zu befreien versuchte, um so grausamer durchschnitt die Schnur den kleinen Hals, raubte Atem und Besinnung.

Aufgeschreckt durch den Schrei, traten die zwei Wächterinnen in den Saal. Sie sahen ein furchtbares Bild. Zusammengesunken war der Knabe, die erschlafften Muskeln hatten nachgegeben, wie eine Gelenkpuppe hing der Körper an der kaum sichtbaren Schnur, die Augen waren aus den Höhlen getreten, dick quoll aus dem Munde die Zunge.

Es war der jüngste der Söhne des Prinzen Kriegsmaske, es war sein Lieblingssohn. Starb er, so war auch den Wächterinnen der Tod gewiß.

Sie eilten, das Kind zu befreien, durchrissen die Schlinge, und für einen Augenblick war Kreideschmetterling vergessen. Das hatte dieser vorausberechnet. Er gewann die Tür. Aber während die eine der Frauen das Kind in den Arm nahm, jagte die andere dem Flüchtling nach, die Lanze zum Stoß ausholend. Mit seinem Spiegel als einziger Waffe setzte sich Kreideschmetterling zur Wehr, parierte den Lanzenstoß und ließ die Kante des schweren Obsidianspiegels auf den Kopf der Frau niedersausen, so daß sie mit gespaltenem Schädel tot hinsank. Ungehindert konnte er jetzt der Freiheit zueilen.

Er wäre entkommen, hätte nicht aus den Palasträumen heraus das Jammergeschrei in die Gassen gegellt, wodurch die Aufmerksamkeit der Vorübergehenden erregt ward. Einige Neugierige sammelten sich vor dem Palasteingang an, und schon wurde beratschlagt, ob man nicht in das verlassene Gebäude eindringen solle, da es der Schauplatz einer Untat zu sein schien. Als dann Kreideschmetterling herausgestürzt kam und, anstatt den Fragenden Rede und Antwort zu stehen, in großen Sätzen davonlief, wurde er verfolgt. Und mit jeder Gasse, durch die er kam, wuchs die Zahl seiner Verfolger.

Cortes und seine Begleiter waren inzwischen an eine Brücke gekommen. Denn ein ziemlich reißender, infolge der Regenzeit angeschwollener Fluß – der Zahuapan – strömte durch die Stadt Tlascala, und der große Marktplatz befand sich hinter der Häuserreihe der jenseitigen Uferstraße. Die geländerlose Brücke war aus Holz erbaut, drei nebeneinander trabende Reiter hatten, ohne sich zu drängen, Platz auf ihr.

Die Feldobristen befanden sich noch auf dem diesseitigen Ufer, während Marinas Sänfte bereits über die Brücke getragen wurde. Da nahte eine wild rufende und brüllende Volksmenge. Die Kastilier sahen die Hetzjagd auf ein menschliches Wild. Sie sahen, daß das verfolgte Wesen ein Mädchen von außerordentlicher Schönheit war. Umstellt von drei Seiten, keinen Ausweg mehr wissend als den Fluß – mochten auch böse Geister in der Tiefe hausen –, warf sich das Mädchen in die Wellen. Wenn es den Wassergeistern entkam, wenn es das andere Ufer erreichte, so war es gerettet.

Aber die Strömung war zu stark, der Kampf gegen die Wellen war aussichtslos. Ordas, der ritterliche, konnte keine Frau in Not sehen, ohne ihr beizustehen. Er trieb seine bockige Grauschimmelstute ins Wasser. Olid und Tapia folgten seinem Beispiel. Doch schon war es zu spät – die Ertrinkende wurde, ehe sie sie erreichten, von der Strömung fortgerissen. Mit mehr Geistesgegenwart und Voraussicht waren Alvarado und Sandoval währenddessen am Ufer entlang stromabwärts galoppiert. Jetzt ritten auch sie in den Fluß hinein, gerade noch zur rechten Zeit, um Kreideschmetterling aufzufangen. Sie zogen das vermeintliche Mädchen aus dem Wasser, trugen es ans Ufer, betteten es am Uferrand hin. Und sie bewunderten der Entseelten märchenhafte Leichenschönheit. Schmerzverwildert das lange, tropfende, an den Brüsten und Wangen klebende Haar, abgewaschen die kreidige Gesichtsschminke, die Lippen milchweiß, – so lag Kreideschmetterling da, nicht tot – wie Alvarado und Sandoval erst glaubten –, doch in einer todähnlichen Ohnmacht. Nach einer Weile schlug er die Augen auf.

Der Zufall wollte es, daß Prinz Kriegsmaske des Weges kam. Da Kreideschmetterling sein Besitz war, nahm Cortes keinen Anstand, ihm das Mädchen, an dem er sehr zu hängen schien, auszuliefern. Die Dankbarkeit des Prinzen war ungeheuchelt. Zu Alvarado und Sandoval faßte er und bewahrte er seit diesem Tage eine freundschaftliche Zuneigung.

Auch sein Rivale Piltecatl erschien bald danach auf dem Plan und machte erregt seine Rechte geltend. Cortes konnte und wollte in dem Streit nicht Schiedsrichter sein. Und da der Hermaphrodit dem Prinzen Kriegsmaske bereits ausgeliefert war, hatte es dabei sein Bewenden.


Trotz ihrer nassen Kleider ließen sich's die Feldobristen nicht nehmen, das Volksfest anzuschauen. Sie waren durch ihre Rettungstat entschuldigt, und sie wurden erwartet. Als sie, um fast eine Stunde verspätet, auf dem großen Marktplatz eintrafen, hatten die Schauvorführungen längst begonnen. Man sah chorartige Reigen, bei welchen Tausende von Tänzern, in langen, auseinanderstrahlenden, sich ordnenden Rotten, um einen zentralen Punkt kreisten, feierlich langsam erst, dann rascher und rascher, wirbelnd zuletzt wie eine buntfarbige Sonne, zur Spirale verzerrt wie ein sich gebärender neuer Stern. Der Reigen der Tausende wechselte ab mit Einzeltänzen. Man sah den Vogeltanz mit seinem wundersamen Schreithüpfen, dem Flügelschlag der Ellenbogen und den ruckartigen Halsbewegungen. Man sah dann einen Jüngling und ein Mädchen tanzen, beide nur mit einem Netz bekleidet, in welches klirrende Schneckengehäuse eingeflochten waren, und der Jüngling hielt tanzend eine große Wasserrose in der Hand, das Mädchen aber eine dumpf dröhnende Kürbisrassel.

Dann wurden alte Gesänge vorgetragen. Mit tiefer, schwermütiger Baßstimme sang sie ein gefeierter Rhapsode, begleitet von leisen, unkenhaft hohlen Tönen der Teponaztlitrommel, und ein kleiner Chor von Sängern wiederholte den Refrain. Von der Unterwelt, dem Orte des Hinabsteigens, erzählten die Lieder und mahnten, die flüchtigen vergänglichen Freuden des Daseins zu genießen, denn die Toten wären der Freude bar.

»Ich gedenke« – hieß es in einem der Lieder – »ich gedenke der jungen Helden, der in Scherben gebrochenen, der zersplitterten; und wo sie dort weilen mögen im Lande des Hinabsteigens. Sie waren Edle, sie waren Herren auf der Erde. Sie sind welk gewordene Schmuckfedern, sie sind zersplitterte Grünsteine, sie, die doch vordem die Erde sahen und schauten ...«

Marina übersetzte Cortes diese Strophen.

»Also glauben die Indianer an eine Hölle?« fragte Cortes.

»Ja«, antwortete Marina. »Doch der Glaube der Tlascalteken weicht von dem der Mexikaner ab, wenn auch beide Völker meinen, daß die Unterwelt bloß die an Krankheiten Gestorbenen aufnimmt, während die in der Schlacht Gefallenen in das Land der Sonne kommen, von wo sie in der Mittagszeit, wenn die Sonne den Zenit erreicht, in Gestalt von Kolibris auf die Erde herabsteigen. Die Tlascalteken behaupten, daß die Seelen der Adligen sich in Nebel, in Wolken, in buntgefiederte Vögel oder Edelsteine verwandeln, die Seelen des übrigen Volkes aber in Gewürm, Stinkkäfer oder Ratten!«

Alvarado brach in helles Lachen aus.

»Bei uns in Kastilien«, sagte er, »sorgen wir Hidalgos doch besser für das Volk und sein jenseitiges Wohlbefinden! Bei Gott, wir maßen uns nicht so unverschämte Vorrechte an ! ...«

Die nächste Vorführung war der Einzeltanz eines der fünfhundert Priester Tlascalas. Der Tanz erregte ein unerhörtes Verwundern, aber auch lebhaften Widerwillen bei den Kastiliern.

Körper und Gesicht schwarz bemalt, mit einer Tabakkalebasse auf dem Rücken als einzigem Schmuck und Kleidungsstück, führte der Priester den sogenannten »Höllentanz« aus. In der Hand hielt er, hob er und senkte er, umschmeichelte er und bedrohte er ein abgeschnittenes Haupt, und zeigte pantomimisch, daß er entsetzt fliehe vor dem Haupt und daß das Haupt ihn verfolge ...

Cortes und seine Begleiter erkannten, daß er mit dem abgeschnittenen Kopfe eines Totonaken tanzte. Während der letzten Schlacht war dieser den Tlascalteken in die Hände gefallen, und gestern erst war er geopfert worden, wie Marina erfuhr.

Ohne das Ende des Festes abzuwarten, ritten sie schweigsam heim.

»Es hätte auch einer von uns sein können! ...« bemerkte Velazquez de Leon mit einem Schauder. »Und sie hätten uns ebenso freundlich als Zuschauer geladen!«

»Haltet Ihr diese gutherzigen Menschen noch immer für Blumen?« fragte ihn Cortes spöttisch lächelnd.

Leon fand keine Antwort. Stumm, in Gedanken, ritten sie eine Weile.

Als sie zur Brücke gekommen waren, sagte Cortes zu den Hauptleuten: »Der Höllentanz darf in Tlascala nie wieder getanzt werden, meine Herren! Wir werden morgen diese Stadt taufen!«

»Womit?« fragte Avila unbescheiden. »Mit Wasser?«

»Womit sonst?«

»Und wenn es mit Wasser nicht geht? ... Man kann auch mit Feuer und mit rotem Saft taufen ... Und das gibt erst recht einen Höllentanz! ...«

»Ich hoffe, daß es nicht nötig sein wird!« murmelte Cortes verstimmt.


Seinen Bekehrungseifer zu betätigen, fand Cortes gleich am folgenden Morgen eine Gelegenheit.

Er hatte einen der Palastsäle zu einer Kapelle herrichten lassen. Ein Altar wurde aufgestellt, mit Palmenwedeln verziert, und dahinter an die Wand hing man mitten zwischen die dort gemeißelten Fratzengestalten ein Muttergottesbild. Bei Sonnenaufgang ergingen Einladungen an die Tetrarchen. Pater Olmedo zelebrierte für die Kastilier und Totonaken die Messe. Und die Stammesoberhäupter Tlascalas schauten der heiligen Handlung zu, schüchtern und voll Ehrfurcht vor dem Unbegreiflichen. In ihren urtümlichen Seelen fand die den Sinnen schmeichelnde Mystik des katholischen Ritus einen gelinden, dumpf mitschwingenden Widerklang.

Nach der Messe begaben sich Cortes und die Feldobristen in einen anderen Saal, wo sie den Besuch der vier Könige empfingen, zu denen sich auch Prinz Kriegsmaske gesellte. Sein von zahllosen Narben durchfurchtes Gesicht war zerwühlt von einer heimlichen Sorge. Bei der Messe hatte er gefehlt. Beauftragt vom Hohen Rat, kam er jetzt geradeswegs vom Krankenbett seines Kindes, um freundliche Vorhaltungen darüber zu machen, daß Cortes und seine Soldaten trotz des geschlossenen Freundschaftsbundes noch immer voll Argwohn wären. Und nicht einmal das Mißtrauen zu verbergen bemühten sie sich. Wozu sonst würden sie die großen Feuerwaffen auf die Stadt gerichtet halten, Schildwachen aufstellen, Streifwachen durch die benachbarten Gassen gehen lassen und ihr gastliches Haus in eine Festung verwandeln? Daß die Warnungen Montezumas schuld an diesen kränkenden Vorsichtsmaßregeln hätten, sei dem Hohen Rat wohl bekannt. Das Land Tlascalas frage die weißen Götter, weshalb sie die Lügen eines Gewaltherrschers für glaubwürdiger hielten als die Versicherungen eines Volkes. Und auf daß die Wolken sich verzögen, die ihre Freundschaft zu trüben drohten, sei der Hohe Rat bereit, so vornehme und so viele Geiseln zu stellen, wie sie nur verlangen würden.

In seiner Erwiderung lehnte Cortes die Geiseln ab und leugnete, von Montezumas Warnungen beeinflußt zu sein. Aber in seiner Heimat sei es Sitte, daß die Krieger auch während des Friedens die Waffen nicht aus der Hand legten und täglich sich übten, um für neue Kämpfe gestählt zu sein.

Die Antwort wurde beifällig aufgenommen. Und Prinz Kriegsmaske äußerte die Absicht, auch in Tlascala das Waffentragen und die täglichen Kriegsübungen einzuführen. Er entfernte sich, da sein kleiner, von Kreideschmetterling halb erdrosselter Sohn mit dem Tode rang.

Hierauf bat das Offene Gesicht, die Söhne der Sonne beschenken zu dürfen. Auf eine vor Cortes ausgebreitete Matte wurden sechs Stückchen Gold, einige Topase und grüne und weiße Nephrite sowie etliche Hanfgewänder gelegt. Mit verlegenem Lächeln sagte das Offene Gesicht:

»O Sohn der Sonne, o weiser und mächtiger Herr! Wir sind ein armes Volk! Reicher sind die Goldgeschenke Montezumas, der uns ausgeraubt hat. Aber arm ist sein Herz. Und reicher ist die Liebe und Treue, mit welcher wir unsere armseligen Gaben dir darbringen!«

Aufrichtig gerührt, umarmte Cortes den Sprecher und umarmte dann auch die Sammelnde Biene, den Rauchenden Schild und den Truthahn. Mit anmutigen glasglatten Dankworten – er war ja Student in Salamanca gewesen! – versicherte er den vier Königen, daß von den vielen Ehrungen, die ihm seit seiner Landung zuteil geworden, keine, aber auch keine ihm so innige Freude bereitet habe und daß er diese Gaben höher schätze als einen großen Goldkörnerhügel.

Nun ergriff der Hundertjährige, die Sammelnde Biene, das Wort.

Da es ihnen an Gold fehlte, führte er aus, hätten er und die anderen Könige beratschlagt, ob sie nicht durch eine bessere Gabe, durch ein würdigeres Dankopfer die Ergebenheit und das Frohgefühl ihrer Herzen dartun könnten. Und den Beschluß hätten sie gefaßt, ihr Teuerstes herzugeben, ihre Töchter. Deren Liebreiz stelle alle Kleinodien Montezumas in den Schatten, und wenn die weißen Götter mit den Fürstenkindern Tlascalas Ehen schlössen, so werde das Bündnis unzerreißbar, die Verbrüderung unvergänglich sein. Er selbst besitze eine Enkelin, ein noch ungeküßtes Mädchen, die Schönste der Schönen, die auch die reichste Erbin des Landes sei, und sie biete er dem Obersten der weißen Götter an.

Einige Indianer aus der Umgebung des Tetrarchen hatten sich inzwischen entfernt und traten jetzt mit fünf Prinzessinnen in den Saal, von denen jede ein Gefolge von mehreren Sklavinnen hatte. Die Prinzessinnen waren jung, mit auserlesenem Geschmack gekleidet. Und ihre langen schmalen Gesichter – verschmälert noch durch einen an die Schleiertücher ägyptischer Sphinxe gemahnenden Kopfputz – wiesen die reizvollen Merkmale eines durch Auslese und jahrhundertelange Züchtung verfeinerten Indianertypus auf.Die zauberhafteste unter ihnen war Prinzessin Rabenblume, die Enkelin der Sammelnden Biene und Schwester des Prinzen Kriegsmaske. In hold lächelnder Verwirrung, tief beschämt, weil sie sich als Zielscheibe vieler Männerblicke fühlte, hielt sie den Kopf gesenkt, und als ihr Großvater sie heranrief, hob sie so rasch den Kopf, daß eine ihr über die Stirn gespannte Amethystperlenkette sich löste und klirrend zu Boden fiel. Schicksalhaft war es, daß die Perlen Alvarado vor die Füße rollten. Er hob sie auf, und ritterlich ein Knie senkend, reichte er sie ihr hin. Und während sie mit steinernem Lächeln sie entgegennahm, berührten sich ihre Hände, berührten sich ihre Augen und ihre Seelen. Schicksalhaft war es, daß sie ihm zum Dank eine Orchidee reichte und daß sie, während Sklavinnen die Perlenkette an ihrer Stirn befestigten, nicht abließ, den vor ihr Knienden schreckhaft verloren anzublicken – wie er sie. Schicksalhaft, doch auch unpassend war es, daß der Augenblick scheuer Verlegenheit so lange währte. Der Hundertjährige machte dem ein Ende, indem er das Mädchen bei der Hand nahm und vor Cortes führte, der eben leise mit Marina sprach. Alvarado aber fühlte sich wie gelähmt, unterjocht, in Ketten gelegt – er, der so manche Liebschaften gehabt, doch noch nie geliebt hatte.

»Ihr seid verheiratet, Don Hernando!« flüsterte er Cortes zu. »Überlaßt mir dies Mädchen!«

Erstaunt sah Cortes ihn an. Er wußte, wie wählerisch Alvarado war, wie absprechend er über die Totonakinnen geurteilt hatte. Auch verlor er selten seine überlegene Ruhe. Nun aber schien er völlig ein anderer.

»Ist Euch das Ernst?« fragte ihn Cortes.

»Sehr ernst. Gebt sie mir!«

»Doch erst, wenn sie Christin geworden! So lange werdet Ihr Euch schon gedulden müssen, Don Pedro!«

Und durch Marina, die ihre Sicherheit nicht verloren hatte, ließ Cortes den vier Königen auseinandersetzen, daß die weißen Götter, wenn auch mit Rührung und Dank erfüllt, da sie dies großmütige Geschenk vollauf zu würdigen wüßten, dennoch heute noch nicht in der Lage seien, zu sagen, ob sie die Fürstentöchter würden ehelichen können. Und es wäre, bis dies sich entschieden hätte, geraten, die Mädchen in der Obhut ihrer Eltern zu lassen.

Eine düstere Niedergeschlagenheit malte sich auf den Gesichtern der Tlascalteken. Sie fragten, warum ihr Geschenk zurückgewiesen werde. Darauf wurde ihnen gesagt, daß nichts den weißen Göttern ferner gelegen habe, als sie kränken zu wollen. Aber noch dienten sie den blutrünstigen Teufeln, schlachteten Menschen, äßen Menschenfleisch.

Das Offene Gesicht antwortete:

»O Sohn der Sonne, du forderst Unmögliches! Erst einen Tag bist du in der Stadt und willst schon, daß wir hassen, was unsere Väter und Ahnen seit Vorzeiten verehrt haben! Dein Gott und seine Mutter mögen gütig und erbarmend sein. Aber auch unsere Götter sind gut zu uns, denn ihnen danken wir das Gedeihen des Maises auf unseren Feldern, die Geburten unserer Kinder und die Siege in unseren Schlachten. Und befolgten wir deinen Rat – was würde die Folge sein ? Das Volk und unsere eigenen Kinder würden sich gegen uns erheben, aufgehetzt durch unsere Priester, die euch längst mit scheelen Augen ansehen. Nicht zur Verbrüderung, sondern zur Verfeindung würde es führen, und der Friedensbund würde in neuen Kämpfen enden ...«

Cortes glaubte eine Drohung herauszuhören.

»Das hat mich in Sempoalla nicht abgehalten ...« fing er an. Doch sofort legten sich Velazquez de Leon, Tapia und Pater Olmedo ins Mittel und beschworen ihn, es dabei bewenden zu lassen.

»Ei, Don Hernando, herrlich viel haben wir in Sempoalla erreicht!« sagte Pater Olmedo. »Man zertrümmert den Leuten einen Götzen, und sie laufen zu einem anderen, und wenn sie keinen anderen finden, so machen sie sich einen und sind sogar imstande, aus dem Göttlichen sich einen Götzen zu schnitzen! Wir haben's erlebt! Eine Fratze des Christentums haben wir im entgotteten Sempoalla hinterlassen! Wir sollten aber aus Fehlern lernen ... Nein, nein, wenn wir's vermögen, so laßt uns arme Sklaven befreien – das hat Eile, aber wir wollen es der Zeit überlassen, Götzen zu zerschlagen!«

Die Hauptleute stimmten ihm zu.

Währenddessen hatte die Sammelnde Biene leise mit Prinzessin Rabenblume gesprochen und sich sodann erregt flüsternd mit den anderen drei Königen beraten. Und jetzt sagte er laut:

»O Sohn der Sonne, o weiser und mächtiger Herr! Seit meine Hände und Finger dich gesehen haben – denn meine Augen sind versiegte Quellen –, seitdem weiß ich, daß du der Erwartete bist, der Herbeigesehnte! Noch ehe du aus dem Lande des Sonnenaufgangs kamst, haben kluge Männer vorausgesehen, haben vorausverkündet, daß du kommen werdest, dem blumigen Tod, dem Herausreißen der Herzen Einhalt zu tun. Und ich segne es, daß ich so lange gelebt, daß ich deine Kühnheit erlebt habe, der du deinem Urahn gleich, der Grüngefiederten Schlange, die Opferblutschalen zerschlagen willst. Laß uns Zeit, gewähre uns eine Frist. Mein Enkel, die Kriegsmaske, soll es entscheiden, ob Prinzessin Rabenblume, seine Schwester, und ob Tlascala, seine Mutter, euren Glauben annehmen dürfen!«


Tags darauf gab Prinz Kriegsmaske die erbetene Einwilligung für die Taufe seiner Schwester Rabenblume und der anderen Bräute. Doch behielt er sich vor, über die Bekehrung des Landes Tlascala erst zu entscheiden, nachdem er den Rat der Priester eingeholt habe. Den von Cortes geäußerten Wunsch, eine wenigstens der Tempelpyramiden – eine der kleineren – von heidnischen Greueln gesäubert und mit dem Kreuz geschmückt zu sehen, versprach Kriegsmaske zu erfüllen.

Es wurde beschlossen, die Taufhandlung nach zehn Tagen vorzunehmen. Bis dahin sollte täglich Pater Olmedo mit Hilfe Marinas den Täuflingen Religionsunterricht erteilen.

Da Marina in Erfahrung gebracht hatte, daß im Volke die Ansicht verbreitet war, das Baden im Zahuapan (der, die Stadt durchströmend, viele Abfälle aufnahm) sei der vielen dort hausenden Wassergeister wegen nicht ungefährlich, und man könne sich davon eine Hautkrankheit – eine Art Krätze – holen, so wurde von einer Taufe im Flusse abgesehen. Und an die Stammesoberhäupter erging die Bitte, sie möchten ihre Steinmetzen schicken, damit diese nach Angaben des Dominikaners ein Taufbecken meißelten.

Der Religionsunterricht wurde dreimal täglich, frühmorgens, nachmittags und vor Sonnenuntergang abgehalten. Auch die Als-Schlange-Lebende mit ihren drei Knaben fand sich regelmäßig dazu ein. Empfänglich gemacht durch den Einfluß des Quaquile-Ordens, eingeweiht in die Geheimlehre von dem zurückerwarteten Erretter, waren die Frau und ihre Kinder die aufmerksamsten Lauscher, die verständnisvollsten Schüler zu Füßen des Paters. Besonders der älteste der Knaben, Mito, der Kleine Pfeil, erstaunte trotz seiner Jugend – er war dreizehn Jahre alt – immer wieder den Pater und Marina durch seine quellklaren Antworten und schürfenden Fragen.

Eines Abends nach dem Unterricht streichelte Olmedo das Haar des Kleinen Pfeiles und sprach die prophetischen Worte zu Marina:

»Noch niemals sah ich ein Kind, das mir so wie dieses vorherbestimmt zu sein scheint, ein Heiliger oder Märtyrer oder ein großer Verbrecher zu werden! ...«

Fürst Fichtenzweig, der Gatte der Als-Schlange-Lebenden, wußte noch nichts davon, daß sein Weib und seine Söhne heimlich sich für die Taufe vorbereiteten. Erst später erfuhr er es, unmittelbar vor der Taufe – aber zeitig genug, um in aufsehenerregender Weise die heilige Handlung zu stören ...

Er war ein großer Herr und besaß sechzig Gattinnen. Seinem Rat war Kriegsmaske gefolgt, als er den Christen einen hinauszögernden und eben damit – worüber die Kastilier sich keiner Täuschung hingaben – einen abweisenden Bescheid erteilt hatte.


Es war eine regnerische, stürmische Nacht. Die Gassen waren menschenleer, lichtlos, schwarz. Matter als sonst flackerte auf der Spitze des höchsten Stufentempels das ewige Feuer, drohte zu erlöschen, niedergepeitscht von Regen und Wind.

Nach Mitternacht verließ ein Trupp von zwanzig Kastiliern den Tecpan der Sammelnden Biene und schritt auf den nah gelegenen Tempel Unseres Herrn des Geschundenen zu. Außer den Feldobristen und einigen der unerschrockensten Soldaten nahm auch der Trompeter Rodriguez an der nächtlichen Streife teil, um im Falle der Gefahr ein Zeichen zu geben. Denn wie zur Schlacht bewaffnet stand das ganze Christenheer im Palaste konsigniert. Marina war daheim geblieben, da Cortes entschlossen war, sich auf Verhandlungen mit den Priestern nicht einzulassen –: in dieser Nacht sollte das Schwert das Wort haben.

Von den Dahinschreitenden hatte jeder eine Pechfackel mitgenommen. Doch nur zwei der Fackeln brannten – mehr Lichtschein hätte die schlummernde Stadt geweckt, und das wollte man vermeiden. Die Sturmböen schlürften gierig am lebenden Feuer – es heil bis ans Ziel zu bringen war schwer. Dicht vor dem Hauptportal des Teocalli wurden die anderen Fackeln entzündet. Und dann drangen die Kastilier ein, befanden sich hinter der Ringmauer des Tempelgebäudes, das – wie eine Stadt für sich – die Pyramide umgab. Im Schlaglicht der zwanzig Pechfackeln sprangen die Kalkwände einzelner kleiner Gebäude und Pavillone wie taumelnd, wie trunken tanzend aus der brandschwarzen Nacht hervor, tauchten in sie zurück, zeigten sich wieder, teils bläßlich verwandelt, teils übergrell. Ein Labyrinth – denn als planloser Wirrwarr mußte auf den ersten Blick die Anhäufung hie und da verstreuter Häuschen und das Gewirr der mauerumragten Tempelhöfe erscheinen –, doch ein Labyrinth, in welchem Cortes und seine Begleiter sich bald zurechtfanden, hatten sie doch in Sempoalla, im Roten Berge und im Weißen Mondgefilde ähnliche Tempelanlagen und ihre Anordnung kennengelernt. Sie wußten, wo sich die Priesterwohnungen, die Badeplätze für die Priester, das Priesterballspielhaus, die Schädelgerüste befanden, und wo die Holzkäfige standen, hinter deren Gittern die armen Opfer gemästet wurden.

Als sie an die Käfige kamen, scholl ihnen ein grausliches Gebrüll entgegen. Die Priester nämlich hatten sich dort zusammengerottet, hatten sich helmartige Tiermasken auf die Köpfe gestülpt, in der Hoffnung, die Eindringlinge abzuschrecken. Mit ihren gekreischten Zaubersprüchen ernteten sie indes nur Hohngelächter und wurden beiseite geschoben.

Grauenerregend war der Anblick der Käfige. Die zwanzig Pechfackeln leuchteten purpurhell in dies menschliche, unmenschliche Elend hinein. Käfig reihte sich an Käfig. Und die Insassen, nackt die meisten und allen Unbilden des Wetters ausgesetzt, saßen da im eigenen stinkenden Kot. Denn nur Platzregen im Sommer und winters Hagel und Schnee säuberten den Boden der Käfige. Fast nur Männer sah man, – vor kurzem waren dreihundert hier eingekerkerte Mädchen Marina geschenkt worden. Der Hermaphrodit, der erst vor wenigen Tagen eingeliefert worden war, trug sein Mädchengewand noch ziemlich sauber, doch ganz war es von Jauche nicht unversehrt geblieben, und er hatte große Fetzen herausgerissen, um sich den Geruch fernzuhalten ...

»Eins begreife ich nicht«, sagte Leon, »daß diese Menschen nicht wahnsinnig werden!«

»Habt Ihr schon wahnsinnige Mastgänse gesehen?« fragte Olid. Er selbst war einst Galeerensklave gewesen. Und düster fügte er hinzu:

»So leicht wird sich's nicht wahnsinnig!«

»Sie verweigern nicht einmal Speise und Trank«, bemerkte Alvarado, »sie streiten gewiß um jedes Stückchen Brot, singen tagsüber, scherzen, schwatzen, werden dick und fett ... So hängen wir am Leben! ...«

»Wir? ... Ich zöge vor, sofort lebend geschunden zu werden!« rief Leon.

»Wartet's ab!« sagte Lugo. »Noch hat keiner von uns die Erfahrung gemacht, was vorzuziehen ist.«

»Ein Blick in die Hölle!« knurrte Avila. »Wer weiß, vielleicht machen wir in Mexico die Erfahrung ...«

»Wenn Ihr nach Vera Cruz zurück wollt, Señor«, sagte Cortes mit höflichem, doch ungutem Lächeln, »der Weg steht Euch offen! ... Aber sollte einer von uns die Erfahrung machen – was Gott verhüte! –, so wird das Bewußtsein ihn stärken, daß er ein Märtyrer des Glaubens ist!«

»Ein Märtyrer des Goldes!« murmelte Sandoval. Indes niemand hörte es.

Die Käfige wurden geöffnet und die Opfersklaven aus dem Tempel geführt. Traumhaft gingen sie, wie Nachtvögel vom Fackelschein geblendet, noch betäubt vom Schrecken über die metallklirrenden Wesen, die sie für nachtenttauchte Dämonen hielten. Sie glaubten zum Tode geführt zu werden, und nur allmählich begriffen sie, daß sie frei waren. Scheu schlichen einige fort, und da niemand sie zurückholte, folgten andere, und dann, mit einem plötzlichen Freudengeheul, stoben alle davon. Schnell verblassend schwanden ihre laufenden, nackten Gestalten im schwarzen Gußregen.


 << zurück weiter >>