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Noch lange, nachdem Sandoval die Erzählung beendet hatte, redete Cortes über das Abenteuer, das er sehr ergötzlich fand. Besonders vergnügte es ihn, wie unentwegt der alte Graf den Stallbuben seinem adligen Schwiegersohn vorzog.

»Daß d'Ircio zum Messer gegriffen«, sagte Sandoval, »versöhnt mit dem Vorangegangenen ...«

»Gewiß!« meinte Cortes. »Blut ist ein Reinigungsmittel, besser als Seife. Vom Geld, das er genommen, kann er wohl sagen: Non olet, seitdem Blut daran klebt. Auch hat er den Kaplan damit bezahlt, um seinen Nebenbuhler zu verheiraten. Just so würde er heute noch handeln. Menschen ändern sich nicht.«

Sie waren an den Fluß gekommen, etwa eine Meile vor der Brücke, und ritten jetzt am Flußufer entlang.

»Was schwimmt da?« fragte Cortes, mit einem Ruck seinen Rappen zum Stehen bringend.

»Es scheint eine Tonne zu sein, Señor Capitan«, sagte der Reiter Lares. »Seht nach, was es ist!« befahl Cortes.

Lares ritt nah ans Ufer heran. Vom Geäst eines überhängenden Ceiba-Baumes war die heranschwimmende Tonne festgehalten worden und blieb dort eingefangen, auf und ab schwankend in der reißenden Strömung und sich schwerfällig drehend. Lares kletterte auf den schief über den Fluß geneigten Baumstamm, zerrte und schob die Tonne ans Ufer und rollte sie dann Romo vor die Füße.

»Die Tonne ist nicht leer, Señor Capitan!« meldete er.

»Wir wollen sie öffnen und sehen, was sie enthält«, sagte Cortes. »Aus unserem Lager stammt sie, das ist klar. Und wir sind nicht so überreich an Lebensmitteln, daß wir sie sorglos in den Fluß werfen dürfen.«

»Ich kann mir nicht denken, daß einer aus unserem Heer so etwas tun würde«, sagte Sandoval.

»Der Galgen wäre zu gelinde für ihn«, meinte Lares.

Sandoval stieg vom Pferd und half Lares die Tonne öffnen. Da sie überzeugt waren, eingesalzenes Fleisch oder Kassave-Mehl zu finden, war ihre Überraschung, ihr Schrecken, ihr Entsetzen maßlos, als sich ihnen beim Öffnen ein ebenso grotesker wie grausiger Anblick bot. Eingezwängt in die Tonne waren fünf Wesen: ein Mensch, eine Ratte, ein Truthahn, ein Affenweibchen und eine Giftschlange. Die Lynchjustiz eines erbosten Heeres hatte die fünf Sterbensgenossen lebendig in die Tonne gepfercht und sie den Wellen übergeben.

Der Mensch, der Truthahn und die Giftschlange waren tot. Aber die Ratte und das Affenweibchen lebten noch. Das Affenweibchen kroch auf den Rand der Tonne, winselte jämmerlich, und Grimassen schneidend faßte es mit den schwarzen Händchen an den gebrochenen Fuß. Die Ratte hüpfte über den Rand und flüchtete ins Ufergras.

Die Encubamiento genannte Volksjustiz wurde damals noch häufig in Spanien geübt, allen Regierungsverboten zum Trotz. Eigentlich mußten dem Verurteilten ein Hund, ein Hahn, ein Affenweibchen und eine Viper in die Tonne beigegeben werden – alle noch lebend wie auch er. In Ermangelung eines Hahnes hatte man einen Truthahn gewählt, und da Becerrico und Moro zu wertvoll waren, war der Hund durch eine Ratte ersetzt worden.

»Wer ist es?« fragte Cortes.

»Der alte Suarez – der Mann der Mulattin Beatriz de Palacios! ...« rief Lares. »Er wird sie aus Eifersucht erwürgt haben!«

»Lebt der Alte noch?« fragte Cortes, rot vor Zorn.

»Nein, Euer Gnaden. Die Schlange hat ihn gebissen. Dafür hat aber auch er die Schlange zerquetscht.«

»Kommt, meine Herren, laßt uns in geschwindem Trab heimkehren! Alvarado soll mir Red und Antwort stehen!«


Marina saß im Zelt. Die schwarzsammetene Standarte knitterte an der Fahnenstange. Marina erwartete ihren Gott.

Da kam der Dolmetscher Aguilar hereingeschlichen. Sie sprang vom Feldstuhl empor. Unheimlicher als je war sein Blick.

»Was wollt Ihr? ...« fuhr sie ihn an.

»Marina!« stöhnte er.

Und dicht vor ihr warf er sich auf die Knie, küßte den Saum ihres Kleides, suchte den Arm um ihre Hüfte zu legen. Sie riß ihm ihren Rock aus den Händen, stieß ihn von sich.

»Geht!« herrschte sie ihn an. »Geht, oder ich rufe ...«

Er keuchte, rang nach Atem, wurde geisterblaß.

»Verdammt mich nicht, Marina! Habt Erbarmen! Rettet mich! ...«

»Mich muß ich retten!« rief sie.

»Meine Berührung ist unrein, ich weiß!« ächzte er. »Doch nur Ihr könnt mir helfen! Nur Euch kann ich beichten!«

»Ich bin nicht Pater Olmedo!« sagte sie mit bitterem Spott.

»Hört mich an«, flehte er. »Ich bin ein Besessener ... Ich habe nicht alles erzählt von der Keuschheitsprobe des Kaziken ... Es wird mich befreien, wenn ich es erzähle ... Nachdem die vielen kleinen Mädchen mich nicht hatten verführen können, ließ mich – in der vierten Nacht – der Maya-Fürst allein mit einer kleinen Nackten, die noch liebreizender war als die anderen. Und ihr war vom Fürsten der Tod in Aussicht gestellt, falls es ihr nicht gelänge, mich zur Sünde zu verleiten ... Doch mein Gebet zu Gott machte mich hart. Und der Stolz auf meine Keuschheit war stärker als die Lust und das Mitleid mit dem Kinde. Und das Kind weinte, und als der Morgen herandämmerte, schluchzte es laut aus Furcht vor dem Tode ... Ich hatte die Wahl: entweder mich zu retten oder das Kind. Und ich habe mich gerettet und habe zugelassen, daß das Mädchen grauenvoll zu Tode gemartert wurde ... Seitdem ist meine Keuschheit verflucht: das tote Kind hat sich gerächt und rächt sich immerzu, seine Nacktheit verfolgt mich immerzu ... Ich habe meine Seele und meine Augen daran vergiftet ... Für einen Heiligen halten mich die Soldaten, mich, der ich ein Sünder bin wider den Heiligen Geist! ... Nur du kannst den Schmutz von meiner Seele waschen, Marina! Das Bild der kleinen Nackten schwindet vor deinem reinen Bilde ... Halte mich nicht für so wahnwitzig, daß ich glauben könnte, du würdest mich je lieben ... Nur erlaube mir, daß ich dich liebe ...«

Unsäglich angewidert war Marina. Warum schüttete er seinen Unrat vor ihr aus?

Sie wollte ihn noch einmal mit harten Worten hinausweisen. Doch da trat Velazquez de Leon ins Zelt, ihr mitzuteilen, daß Cortes nahe.

Aguilar schlich sich hinweg.


Im Lager angekommen, fragte Cortes sofort nach Alvarado. Von Velazquez de Leon, den er vor seinem Zelte traf, erfuhr er, daß Alvarado mit den Feldobristen Lugo, Olid und Tapia auf die Jagd geritten sei, für die Zeit seiner Abwesenheit habe er Avila die Beaufsichtigung des Lagers übertragen.

Böse lächelnd sagte Cortes:

»Und Avila hat die Oberaufsicht dem Narren Madrid übertragen! Und der Narr Madrid hat sie dem Hunde Becerrico übertragen! Schuld bin nur ich, daß ich nicht von vornherein – über die Köpfe meiner Hauptleute weg – den Hund Becerrico zum stellvertretenden General-Kapitän gemacht habe! ...«

Er schäumte vor Wut. Er ließ sich von Leon berichten, was vorgefallen.

Am frühen Morgen war, weit außerhalb des Lagers, die Mulattin Beatriz de Palacios mit zertrümmerter Schädeldecke aufgefunden worden. Man hielt sie für tot, und der Zimmermann Cristobal de Jaen hämmerte schon an einem Sarge für sie. Doch nach einer Stunde wachte sie für kurze Zeit auf und konnte einige Worte sprechen. Mit einem Mühlstein war ihr von ihrem alten Gatten, dem kahlköpfigen Suarez, der Schädel eingeschlagen worden, und er hatte die vermeintlich Tote heimlich im Dunkel der Nacht aus dem Lager geschafft in der Hoffnung, sie werde zwar vermißt, aber nicht gefunden werden. Er hatte es ihr immer nachgesehen, wenn sie dem Weißhändigen oder dessen Freunden auf dem Schoß saß und scharmierte, seit sie sich aber dem derberen und weit weniger zurückhaltenden Ribadeo, dem Weinschlauch, an den Hals geworfen, hatte eine hemmungslose Eifersucht den Alten gepackt.

Nachdem die Mulattin ihre Aussage gemacht, lag sie wieder wie tot da. Nun erhob ihre Mutter, die Portugiesin Vaquera, ein Sturmgeheul, rief das Lager zusammen, warf das Wort Tonne in die Menge. Die schauerlüsterne Menge fing das Wort wie einen Spielball auf, und eine Weile lang hüpfte der Ball hierhin und dorthin. Ratte, Truthahn, Affenweibchen und Schlange waren bald herbeigeschafft, nur der alte Suarez fehlte noch. Auch er wurde schließlich gefunden, leichenblaß, mit karminrot verweinten Augen ...

»Warum habt Ihr die Tollheit nicht gehindert, Señor«, fuhr Cortes ihn an.

»Ich tat mein möglichstes, Euer Gnaden. Aber Avila gab mir zu verstehen, daß der Oberbefehl ihm und nicht mir übertragen sei, und ich solle mich nicht in Dinge mischen, die mich nichts angingen ...«

»Also er hat darum gewußt und es geschehen lassen, bloß um Euch aufzutrumpfen!« rief Cortes. »Und das sind die Hauptleute, mit denen ich ein rebellisches Heer zum Sieg führen soll! Auf mein Gewissen, ich verzweifle an meiner Aufgabe! ...«

Als Cortes eben nach Avila schickte, ihn zur Rede zu stellen, kehrte Alvarado mit den anderen Hauptleuten heim von der Jagd. Sein sonnenheiteres Antlitz leuchtete, glänzte, blitzte Freudestrahlen mehr noch als sonst, denn er hatte einen Hirsch und viel anderes Getier erlegt.

Cortes vermochte nicht, ihm ernstlich zu grollen, trotz seiner Pflichtvergessenheit. Freundschaftlich machte er ihm Vorstellungen und erzählte ihm von der Tonne. Aber der zarte Sarkasmus, mit dem Cortes seine Unzufriedenheit maskierte, bedrückte Alvarado. Seine gute Laune verflog, er war dankbar und beschämt, fluchte auf Avila, brachte Entschuldigungen vor, die keine waren. Seitdem er den kleinen Soldaten Burgueño vom Galgen geschnitten, hatte er in Feindschaft mit Avila gelebt, oft von Cortes ermahnt, Frieden zu halten, hatte er geglaubt, heute sei eine Gelegenheit zur Aussöhnung, da es Avila schmeicheln mußte, daß er ihm – statt einem der anderen Hauptleute – den Oberbefehl abtrat.

»So wie ich ihn kenne, hat er das angestiftet, um mir eine Verlegenheit zu bereiten!« rief Alvarado, als gerade Avila hinzukam.

»Hört, Señor«, sagte Cortes, »Ihr habt gestern dem Einarmigen aus Villanueva ein Loch in den leeren Ärmel gestoßen. Ich habe es gesehen und wollte es nicht sehen und will es nicht gesehen haben, denn sonst müßte ich Euch vor ein Kriegsgericht stellen. Auch was heute geschehen ist, soll ungeschehen bleiben. Aber eine Verwarnung kann ich Euch nicht ersparen!«

Avila antwortete unwirsch, und es kam zu einem wüsten Auftritt. Die übrigen Feldobristen, weniger zartfühlend als Cortes, schütteten ihren lange aufgestauten Zorn aus. Avila wehrte sich wie ein Wolf gegen eine Hundemeute. Mit Alvarado verbiß er sich so grimmig, daß beide die Rapiere zogen und getrennt werden mußten. Cortes verbot streng, den Streit fortzusetzen. Er zwang die Wutblassen, sich die Hand zur Aussöhnung zu reichen.

Aber seit diesem Tage blieben für alle Zeit Avila und Alvarado offene, unversöhnliche Gegner.

Allein geblieben, sagte Cortes zu Alvarado:

»Übermenschlich schwer ist die Aufgabe, die ich mir gestellt habe. Wenn sie scheitern sollte, so wird es nicht geschehen durch die Macht der Waffen, nicht durch die Feinde da draußen ... Mir in den Arm fallen werden Näherstehende ...«


Gegen Mittag langte Salcedo mit seiner Mannschaft aus Vera Cruz an, und der Marsch nach Mexico konnte fortgesetzt werden. Der Sarg mit der Mulattin darin wurde mitgeführt, da sie schwache Lebenszeichen gegeben hatte, als man sie einscharren wollte.

Den Weg kannte niemand. Irgendwo im Westen lag das Goldland, jenseits der Savanne und der Schneeberge, unsichtbar, nebelfern wie der Smaragdfels des Ordas. Aber selbst zur nahe gelegenen Stadt Sempoalla kannte niemand den Weg.

Nach halbstündigem Marsch durch das Irdische Paradies wurde Cortes gemeldet, daß zwölf Indianer, augenscheinlich in friedlicher Absicht, dem Heer entgegenkämen. Durch Marina und Aguilar ließ er sie ausforschen. Totonaken wären sie, abgesandt vom dicken Kaziken, brächten Maiskuchen und Geflügel, böten ihre Dienste als Tlamamas – Lastträger – an, begehrten die Richtung zu weisen nach ihrer Hauptstadt Sempoalla.

Sechs von den Totonaken behielt er bei sich, die übrigen schickte er mit Ordas und einigen schnellfüßigen und martialisch ausschauenden Infanteristen voraus in die Stadt. Er wählte Ordas, teils weil er dessen lechzendem Tatenhunger einen Bissen in den Rachen stopfen wollte, teils aber auch, weil der bizarre, gespenstisch hagere Ritter in seiner blauschwarzen strahlenden Turnier-Rüstung und im Zauberschimmer seiner pompösen Schwermut mehr als andere geeignet war, dem Volke von Sempoalla einen Begriff zu geben von der Erhabenheit weißer Götter.

»Haltet die Augen offen!« sagte Cortes. »Indianer sind Indianer, auch wenn sie Freunde sind. Achtet auf jedes Zeichen, das auf Heimtücke deuten könnte.«

Unter der kleinen Schar, die Ordas begleitete, befanden sich die Besten: Guzman, Olea und der eben erst gelandete Quiñones. So gute Fußgänger sie waren, konnten sie doch nur schwer dem vorausrasenden Ritter folgen, der sich keinmal nach ihnen umschaute. Um so häufiger zum Glück schaute sich seine Grauschimmelstute nach ihnen um, blieb sogar des öfteren trotz allen Spornens stehen, ganz einfach, weil sie sie erwarten wollte, seelenruhig Gras fressend.

Nicht lange, und sie sahen hinter einem Hügel Quadermauern und Turmzacken aufragen, unwahrscheinlich greifbar in der harten Luft. Bebaut war das Land hier im Bannkreis der Stadt, Maisfelder, gut bestellt, von Wasserrinnen umzogen, wechselten ab mit Feldern, auf denen Chilli-Pfeffer, Kürbisse, Tabak, Zwergbohnen, Bataten und Baumwolle gepflanzt waren. Kakaobäume, Meerkirschbäume, Bananenbäume schatteten zwischen den Feldern, umrankt von Traubengewinden dunkelrebigen Weines. Auch Kakteen waren angebaut zur Zucht der Cochenille-Schildlaus.

Der Einzug des Ordas glich einem Triumphe. Schon eine Meile vor der Stadt standen Indianerhaufen, näherten sich furchtlos, reichgekleidete Frauen und Mädchen reichten Früchte und Blumen dar, umwanden die Rapiere der Kastilier mit Kränzen. Das hielt auf, währte dem rasenden Roland zu lange. Er ließ seine Schar im Stich, galoppierte allein der Stadt zu. Ein Wunder, daß er die aus der Stadt strömende Menge nicht überrannte, nicht zerquetschte, nicht zu Brei zertrat, daß es ihm gelang, sich und sein Pferd durch das vollgepfropfte Tor hindurchzubringen. Die Gassen waren überfüllt. Er kam, von der gestauten Flut umwogt, auf einen großen Platz. Von Hunderten und aber Hunderten umtost war er. Jeder wollte ja den Hirschmenschen sehen, dies Fabeltier mit den zwei Köpfen, zwei Armen und vier Beinen. Schauder rieselte und plätscherte in eiskalten Wellen durch den Menschenknäuel ringsum: doch die Ehrfurcht hielt die Furcht in Bann. Einige knieten vor dem weißen Gott, andere beteten laut zu ihm, beweihräucherten ihn mit Kopal-Harz. Der weiße Gott ließ es sich gefallen, fand es nicht seltsam, beachtete es nicht. Mädchen reichten Blumen. Er sah es nicht. Er schien nur eins zu sehen: die Häuser, die weißgetünchten Häuser. Das Licht schrie aus ihrem sonnengeheizten Weiß. Das Licht taumelte, tanzte orgienwild und sang mit Sirenenstimmen aus dem silbrigen Weiß. Ordas, überwältigt, vernarrt wie ein Knabe, geblendet, schloß die Augen. Als er sie wieder öffnete, zuckte eine barbarische Freude auf seinem käsebleichen, knochenmageren Gesicht. Die Stadtbewohner erschraken, – was ging mit dem Sohn der Sonne vor? Was lachte er so grimmig? Sollte er hungrig sein? ... Die Menge wich auseinander. Er ritt den Weg zurück, den er gekommen. Vor dem Tor überrannte er ein hübsches Mädchen. Schade, ja, es war schade um sie, doch er hatte nicht Zeit ... Er raste zurück, bis er seiner Schar begegnete. Von weitem schon brüllte er Guzman zu:

»Die Häuser sind aus Silber!«

Und näher gekommen, atemlos, hastgepeitscht, zähneklappernd vor Erregung, rief er:

»Begreift Ihr, was das heißt? Nein, Ihr begreift es nicht! Aus Silber die Häuser! ... Vom Fundament bis unters Dach aus massivem Silber! Jedes Haus! ... Die Alte Welt wird uns segnen! ...«

Und er jagte vorbei, galoppierte weiter, seinem Reittier bei jedem Hopser die Weichen mit den spannenlangen Rittersporen kitzelnd.

Quiñones, als Neuling, ließ sich von Guzman und Olea belehren, daß der Hauptmann niemals an der Wahrheit seiner Behauptungen zweifle ...

Inzwischen war Ordas bis zu den Arkebusiern der Vorhut gelangt und stürmte, seine Freudenbotschaft wie Almosenmünzen verschenkend, austeilend, ausstreuend, am ganzen Heereszug entlang, bis er, stockheiser und schweißtriefend wie sein Gaul, endlich Cortes fand, welcher, mit Velazquez de Leon über Gedichte der Neulateiner plaudernd, hinter dem Trosse her ritt. Ordas krächzte:

»Ich war in der Stadt. Alle Häuser sind aus Silber erbaut. Euer Gnaden! Ich weiß wohl, es klingt unglaublich, aber es ist so. Der Stein der Weisen ist gefunden! – Mit dem Silber läßt sich die Armut aus der Welt schaffen! Für unsere Glasperlen können wir ein Stadtviertel kaufen, die Silberhäuser auf Schiffe verladen – es wird keinen Bettler mehr in der Alten Welt geben ...«

Als Cortes Zweifel äußerte, hatte Ordas ein müdes Lächeln:

»Columbus ging es ebenso! ... Wer hat ihm geglaubt!«

Gegen Abend zog das Heer in Sempoalla ein. Es konnte leicht festgestellt werden, daß die Häuser aus Lehmziegeln erbaut und mit blendendweißer Kreideerde getüncht waren. Das frenetische Spottgelächter der durch die Gassen marschierenden Soldaten verschüchterte die Stadtbewohner. Das ganze Heer, vom ersten bis zum letzten Glied, heulte vor Lachen und glich einem langen Zug von Tollhäuslern, die, ohne ersichtliche Ursache, kindisch, sinnlos, blödwitzig vergnügt waren. Den Indianern war nicht wohl zumute dabei. »Wenn die Götter lachen, weinen die Menschen«, besagte eines ihrer Sprichwörter.

Überhaupt war die Begrüßung nicht so herzlich, wie Cortes erwartet hatte. Von Marina nach dem Grunde gefragt, berichteten ihr zwei Edelfrauen, daß der erste der Hirschmenschen eine adlige Jungfrau niedergetreten, mit den Hufen schwer verletzt habe.

Cortes wollte Ordas zur Rede stellen, unterließ es aber, als er ihm ins Gesicht sah. Scham, Weltekel, Lebensüberdruß durchfurchten die aschfahlen, qualverzerrten Züge. Mit einer Abwehrbewegung der länglichen Knochenhand flehte er:

»Laßt es gut sein, Señor. Ich weiß ... Ich weiß es selbst ... Madrid und ich ...«

Und er zwinkerte unbeholfen, um eine Träne zu zerquetschen.


Sempoalla war auf einem Hügel erbaut. Die Gassen – noch flach in der Nähe der Tore – stiegen nach dem Stadtinnern zu steil an, wurden zu Treppen. Im Mittelpunkt, auf der Höhe des Hügels, strebte eine Tempel-Pyramide in die Lasur des Himmels, und ihr gegenüber – getrennt durch einen geräumigen rasenbewachsenen Platz – breitete sich der einstöckige langgestreckte Königspalast aus, ein Steinhaus, glanzig blitzend, urweltlich fremd mit seinen wüstgezackten Stufenmäandern und tollen Dämonenverschlingungen. Hier auf dem Rasenplatz zwischen Schloß und Haupttempel sammelte sich das kastilische Heer.

Die Soldaten verloren das Lachen beim Gang durch die Stadt. Eine ungeahnte Pracht stürmte auf ihre Augen ein, überfiel sie wie aus einem Hinterhalt, überwältigte sie. Stumm wurden sie, nachdenklich, beklommen. Einige fragten sich, ob sie träumten, ob dies Wirklichkeit sein könne, überlegten besorgt, ob sie unwissend ein Gift gegessen, welches in ihren Gehirnen solche Fieberphantasien hervorrief. An die Abenteuer des Amadis de Gaule mußten die Gebildeten denken, an den meistgelesenen Ritterroman jener Zeit: nur in der Welt jenes Buches geschah so Wunderbares, unvermittelt und rätselhaft-selbstverständlich, nur da wurde so Wunderbares mit den Zauberfarben gemalt, welches sie hier, gläubig-ungläubig, auf sich zu blendleuchtend anglühen und anflammen sahen.

Nach Westen, bis zum dünnen Längsstreifen des indigoblauen Ozeans, weitete sich, grünte, blühte das Irdische Paradies, nach Osten klomm der Blick an der nahen Sierra-Wand hoch zu Eisregionen. Die Stadt blinkte sauber wie ein Kleinodbehälter. Jedes der Häuser, zinnenumkränzt, umschloß einen wohlgepflegten Orchideengarten, darin Kühle spendend ein Wasserbecken tropfte. Außer dem Haupttempel hoben sich noch einige zehn Tempel zwischen den Altandächern des Häusermeeres empor, außer dem Palast gab es Paläste, kleinere zwar, doch steingemauerte.

Man wurde an Sevilla, an Granada gemahnt.

Und welch ein stilles, blumenliebendes, blumenhaftes Volk war dies. Von Dienerinnen begleitet, schritten Edelfrauen einher, aufrecht wie Königinnen aus Sagenzeiten. Bis zum Hals hinauf gingen sie bekleidet. Das zu sehen, war man von den Antillen her nicht gewohnt.

Der Vorschlag, dieser Stadt den Namen Sevilla zu geben, wurde verworfen. Dafür einigte man sich, das Land Neu-Spanien zu nennen.


Am Riesenportal des Palastes hasteten Torhüter und Sklaven, warfen sich platt auf die Erde. Die Fleischmasse des dicken Kaziken quoll aus dem Tor hervor. Zwei kräftige Männer stützten ihn an den Armen, er hätte allein seine Körperlast nicht schleppen können. Nach allen drei Schritten – kleinen, überstürzten Schritten – machte er halt, hilflos, erschöpft, nach Atem ringend. Er hatte, noch bevor Cortes in Sempoalla eingeritten war, ihn eine viertel Meile vor dem Stadttor durch zwanzig seiner Edelleute – Rosenzweige in den Händen schwingende – willkommen heißen und sich entschuldigen lassen, daß es ihm seiner Leibesfülle wegen verwehrt sei, Unserm Herrn dem Gotte Quezalcoatl entgegenzuziehen und ihm zu huldigen, wie sich's gebührte.

Jetzt kam er, das Versäumte nachzuholen, hielt selbst einen frühlingshaften Blumenbüschel in der gedunsenen Hand. Und hinter ihm her, nachdem er sich durchs Tor durchgezwängt, durchgepreßt, durchgewürgt, traten seine Würdenträger heraus, der Hohe Rat, die Anführer des Totonakenheeres, und umstanden ihn – bescheidene Maulwurfhügel neben dem großen Fleischberg. Die Leuchtflecke der schreiendbunten Staatsgewänder, Juwelen und Schmuckfeder-Kronen wirbelten und haschten sich im Sonnenfeuer.

Auch die Tochter des dicken Kaziken, eine eben erwachsene Jungfrau, trat mit ihren Palastmädchen aus dem Königsschloß. Anmutig waren die Hoffrauen, einige sogar fremdartig schön.

Um so greller hob sich die phantastische Häßlichkeit der königlichen Jungfrau ab. Sie hatte von ihrem Vater die Anlage zum Fettansatz in der Hüftengegend geerbt. Auch sonst ähnelte sie einem gewölbten Tapir mehr als einem menschlichen Wesen. Mit einem seligen Lächeln auf dem in Fettfalten verlorenen Munde ging sie auf Cortes zu und warf ihm eine Nelkengirlande um den Hals, dann spuckte sie auf ihre wulstige Hand, bückte sich, berührte die Erde und führte die Hand an ihr Herz.

Cortes erschrak.

»Ich habe ja schon ein Weib!« flüsterte er Marina zu.

Doch Marina bedeutete ihm, daß er die Handbewegung falsch ausgelegt. Es sei dies ein devoter Gruß, üblich auch bei den Mexikanern, und besage: Ich demütige mich vor dir wie die Erde, die dein Fuß zertritt!

Die Begrüßungsrede des dicken Kaziken war freundlich und kurz. Der dem Palast gegenüberliegende Tempel wurde dem Heer zum Quartier angewiesen.

Der Narr Madrid behauptete später, Cortes sei in dieser Nacht vom Nachtmahr geritten gewesen, habe aus dem Schlaf geschrien, weil er von der Königstochter träumte. Nun, der Narr Madrid war sein Freund nicht, war ein Verleumder. Aber Tatsache ist es, daß Cortes die Nacht nicht ohne Bangnis zubrachte und mit der Ablösung der Schildwachen durch die vielen Vorhöfe des Tempels ging, wo die Truppe lagerte, sich auch mehrmals der Ronde anschloß, mit eigenen Augen sich zu überzeugen, daß seine Vorschrift, bewaffnet zu schlafen – ohne die Panzerröcke abzulegen und mit Pulver auf den Pfannen –, nicht minder genau befolgt werde wie das Geheiß, die Zugänge zur Tempelmauer aufs schärfste zu bewachen.

Am nächsten Morgen hätte Cortes seinen Gemeinsatz auf den Kopf stellen können: Freunde sind Freunde, auch wenn sie Indianer sind! Doch widerrief er seine Vorsichtsmaßregeln für die folgenden Nächte nicht, verbot auch, tagsüber den Tempel zu verlassen.

Das Seelenleben der Indianer war ein schwarzes Wasser, durch das kein Lichtstrahl drang. Diese Wesen schwärmten für Blumen, und auf Blutopferschalen zerhackten sie Menschen wie Schlachtvieh. Ja, sie aßen wirklich das Fleisch ihrer Opfer, wenn auch nur verbacken in Opferkuchen. Sie waren gutherzig, weich und anschmiegsam wie Kinder und waren gefühllos und grausam wie Kinder. Konnten weinen über ein Nichts, Tränen vergießen über einen toten Vogel, aufschluchzen vor Rührung und Gefühlsüberschwang, und sie konnten das Gräßlichste, ohne zu schaudern, ohne mitzuleiden, sehen und dazu tanzen.

Die Europäer waren doch anders. In Europa tanzte man damals nicht bei Hinrichtungen.

Nachts mit der Ronde gehend, hatte Cortes in einem der Vorhöfe des Tempels Tausende von Menschenknochen und Schädeln zum Hügel gehäuft liegen sehen. Die Dachzinnen des Tempels waren mit aneinandergereihten Schädeln verziert. So malerisch das im Mondschein wirkte, erregte es doch sein Mißfallen.

Cortes beriet sich mit dem Pater Bartolomé de Olmedo und dem Lizentiaten Juan Diaz. Seit dem Strafgericht über die Aufwiegler Escudero, Cermeno und Gonzalo de Umbria trug der Lizentiat eine kriechende Unterwürfigkeit zur Schau und hütete sich, seine Giftzähne zu zeigen. Er wurde mit zu Rate gezogen, weil er als Franziskaner die Meinungen des Dominikaners Olmedo mit splitterscharfer Dialektik zu zerlegen und zu zerfasern pflegte. Cortes aber liebte es, entgegengesetzte Meinungen anzuhören, unter denen er sich zuweilen die bequemere, meist aber die gescheitere heraussuchte.

Er sagte den beiden Priestern, er habe vor, heute noch den dicken Kaziken wegen der Menschenopfer zur Rede zu stellen, mit oder ohne seine Einwilligung die scheußlichen Götzen zu zertrümmern und das Kreuz an ihrer Stelle zu errichten. Der Lizentiat fing den Gedanken mit fanatischem Enthusiasmus auf. Zum zweitenmal hätten sie dicht bei Schädelstätten, wahren jammerseligen Golgathas, übernachten müssen. Das an die Tempelwände gespritzte Blut, fingerdick geronnen, stinke zum Himmel, führe Klage vor Gottes Thron. Der Nachtwind habe auch ihm den Gestank in die Nase geführt, so daß er kaum habe schlafen können – (Hinc illae lacrimae! dachte Cortes) – und wäre es ihm gestattet, würde er als erster die gleisnerische Pracht dieser Wohnstätten des Teufels in Stücke schlagen, sollte er auch den Märtyrertod dafür erleiden.

Pater Olmedo dachte anders. Und er drückte seine kluge Warnung im Jargon der Mönche aus:

»Der hochmütige Teufel – el soberbio Demonio – ist ein gefährlicher Feind und ist noch allmächtig in diesem Lande!« sagte er zu Cortes. »Euer Eifer ist schön, aber übereilt. Das Ziel ist nicht Sempoalla, sondern Mexico. Darum braucht Ihr die Freundschaft des dicken Kaziken, mag er auch ein Knecht des Teufels sein. Wartet ab. Vielleicht gelingt es Euch, den Totonaken einen Dienst zu erweisen; – dann ist die Zeit gekommen, Forderungen zu stellen.«

Cortes gab Olmedo recht, verwarf den Gedanken einer gewaltsamen Bekehrung und behielt sich nur vor, dem dicken Kaziken gesprächsweise die Vorteile und Segnungen des Taufwassers darzulegen.

Noch während sie sprachen, wurde der Besuch des dicken Kaziken gemeldet.

In Begleitung vieler Edelleute kam er seine Aufwartung machen. Hinter ihm her schritt eine ältliche Sklavin mit einem Gefäß, die Nachttopf-Trägerin. Er umarmte Cortes. Ob die weißen Götter sich wohl fühlten in Sempoalla? Sie fühlten sich wohl. Ob sie gut geschlafen und gegessen? Sie hatten gut geschlafen und gegessen. Das erfreue sein Herz, sie sollten fortfahren, heiter zu sein und zu genießen, darum wolle er von ernsten Dingen nicht reden.

Und schon verließ er sie.

Kurz, allzu kurz war das. Für einen Fleischberg eine beschwerliche Reise und um so höher zu bewerten – meinte der kaiserliche Rechnungsführer Albornoz –, als der hinterlassene Goldschmuck gut zweitausend Dukaten wert war. Auch die buntgewirkten Baumwollmäntel waren ein nutzhaftes Geschenk, gingen doch einige der weißen Götter in geflickten Lumpen. Der Rechnungsführer hatte seit so langer Zeit – seit der Gesandtschaft des mexikanischen Feldherrn des Schwelenden Holzes – nichts mehr zu buchen gehabt.


Eine Stunde später erwiderte Cortes den Besuch. Eine Leibwache von fünfzig Mann und seine Hauptleute (in Galastaat) begleiteten ihn, umgaben seine Person mit königlichem Gepränge. Außerdem nahm er Aguilar, Marina und den Pagen Orteguilla mit.

Am großen Portal wurden sie vom dicken Kaziken und seinem Hofstaat begrüßt, mit Kopal angeräuchert und in das Innere des Palastes geführt. Daß sie gestiefelt und gespornt eintraten, war ein flagranter Verstoß gegen die Landessitte. Indes sie waren ja Götter.

Sie kamen durch Säle, groß wie Turnierhöfe, die Wände niedrig, wirrsam schillernd von gemeißelten Flechtmustern, gemeißelten Mischgestalten, Sternbildern, Totenwelt-Szenen, manche der Säle deckenlos, von windgeblähtem Zelttuch oder vom Blau des Himmels überdacht, andere mit Balkendecken aus kunstvoll geschnitztem Zedernholz und getragen von klafterdicken Steinsäulen.

Nil admirari, alles, auch das Überwältigende gelassen hinnehmen, als wäre man's von Kind auf gewohnt, durch Prunkhallen zu wandeln – Cortes hatte es seinen Feldobristen eingeschärft, bevor sie den Besuch antraten. Olid, dem einstigen Galeerensklaven, gelang es, und auch Ordas schritt ausdruckslos dahin im Nebel seiner Melancholie. Die anderen aber rissen Mund und Augen auf und konnten ihre Verblüffung nicht meistern.

Wenn ein Vasall Montezumas, ein kleiner Provinzherrscher, so wohnte – kaum mehr als ein Zaunkönig war er ja neben dem Adler Montezuma –, wie mochten da erst die Paläste Mexicos sein!

Darüber nachzudenken und Schlüsse zu ziehen, hatten die Hauptleute und die fünfzig Mann der Leibwache Zeit genug, da sie, in einem der Säle zurückbleibend, etliche Stunden warten mußten. In ein angrenzendes kleineres Gemach zog sich der dicke Kazike mit Cortes, den Dolmetschern und dem Pagen Orteguilla zurück. Vordem ließ er den Göttern durch seine Sklaven Ananas und Kakao, als Schokolade zubereitet, reichen.

Das waren zwei Herrlichkeiten, die noch keine Europäerzunge gekostet hatte. Hesperidenäpfel mochten nicht köstlicher munden. Das Entzücken war maßlos. Avila überaß sich so sehr, daß er sich hinausführen lassen mußte.

»Diese Früchte«, meinte Lugo, »geben uns einen Vorgeschmack von der Süße Mexicos!«

»Auch die Frucht werden wir pflücken!« rief Alvarado.

»Doch dürfen wir uns den Magen an ihr nicht verderben wie Avila!« sagte der ernste Hauptmann Tapia.


Einander gegenüber hockten Cortes und der dicke Kazike auf ganz niedrigen, mit Jaguarfell bedeckten Schemeln.

»Ich bringe Euch einen Knaben«, sagte Cortes, »der soll in Eurer Nähe bleiben, bis er Mexikanisch gelernt hat.«

Der dicke Kazike begriff nicht. Dreimal ließ er es sich von Marina erklären. Und als er es begriff, begriff er es falsch.

Man schenkte ihm einen kleinen weißen Gott! Seine Augen quollen aus den Höhlen wie irisierende Seifenblasen. Er sollte einen kleinen Gott besitzen, liebkosen, verhätscheln, täglich mit ihm spielen dürfen! ...

Sofort rief er einen Sklaven herbei, ließ einen damastenen Talar, einen Nasenpflock und gelbe Schminke bringen. Damit beschenkte er den Knaben, patschelte ihn verliebt, küßte ihn mit seinen wulstigen Lippen. Der Page fing an zu weinen.

Cortes intervenierte mit gestrenger Miene. Der Knabe sei ihm nur leihweise überlassen. Die Nasenscheidewand zu durchbohren, sei verpönt in Europa. Und Knabenliebe werde mit dem Tode bestraft. Überhaupt – und nun ereiferte sich Cortes – wäre es an der Zeit, mit den Teufelsgreueln in diesem Lande aufzuräumen. Darum habe der Kaiser, Don Carlos de Austria, ihn herausgesandt, und der sei mächtiger als der große Montezuma. Die scheußlichen Götzen seien als Götter verlarvte Teufel und Beamte der Hölle. Der wahrhaftige Gott aber wolle kein Blut und nur die Glückseligkeit der Menschen. Und Cortes erzählte von der Erbsünde und der Erlösung, vom Baum der Erkenntnis und dem Kreuzesbaum, von Eva und der süßen Gottesmutter Maria.

Flammen waren seine Worte, eine Lohe war die Übersetzung Marinas. Der dicke Kazike mußte eine Salamanderhaut tragen, daß er nicht aufächzte vor Feuerschmerzen.

»Wie du sprichst«, sagte er, »so sprachen auch die Könige von Tezcuco, der Hungrige Schakal und der Herr des Fastens. Nur einen Gott gäbe es, Tloque yn Nahuaque heiße er, ›der in und bei allem ist‹. Kein Blut wolle er und nur die Glückseligkeit der Menschen ... Was haben sie erreicht? Die anderen Götter sind zu machtvoll. Vor tausend Jahren sprach Quetzalcoatl, dessen Enkel du bist, ebenso. Kein Blut wollte er und nur die Glückseligkeit der Menschen. Außer Landes mußte er ziehen, das Land Tlillan-Tlapallan suchen ... Ich will gern an deinen Gott glauben, doch meinen alten Göttern bleibe ich treu. Sie sind nicht schlecht, wie du sagst. Denn sie machen, daß Mais und Früchte wachsen und haben mein Volk seit Urvätertagen ernährt.«

Cortes ließ es für diesmal genug sein. Seine Rede würde nachwirken, hoffte er. Und er wollte den Bogen nicht überspannen, Pater Olmedos Warnung beherzigend. Unvermittelt, mit einem kühnen Sprung aus der Religion in die Politik, fragte er nach der Schwarzen Blume und dem Bruderkrieg in Tezcuco, von welchem ihm der dicke Kazike damals, bei seinem nächtlichen Besuch im Lager, berichtet hatte. Der vom Notar Godoy entworfene Vertrag zwischen der Schwarzen Blume, den Totonaken und Kastiliern sollte – so war es damals verabredet worden – hier in Sempoalla erörtert und besiegelt werden.

Der dicke Kazike machte ein bekümmertes Gesicht, seine Unterlippe schob sich vor, hing schwammig und kläglich herab. Durch die Rückkehr des Irdenen Kruges und des Herabstoßenden Adlers aus Guatemala, setzte er nicht ohne Verlegenheit auseinander, habe sich die Schwarze Blume letzthin gezwungen gesehen, einen Scheinfrieden mit seinen Brüdern, dem Edlen Traurigen und Prinz Ohrring-Schlange, zu schließen und mit Mexico sich auszusöhnen. Doch habe die Schwarze Blume ihm heimlich Botschaft gesandt, sein Bündnisangebot bestehe noch zu Recht, vorausgesetzt, daß es den weißen Göttern gelinge, Tlascalas Freundschaft und Beistand zu erringen.

Cortes fragte, was Tlascala sei.

Der dicke Kazike belehrte ihn, berichtete von Land und Leuten, von der Großen Mauer, von der Grenzwacht der Otomis, vom Rosenkrieg, vom uralten, unauslöschlichen Haß gegen Mexico. Die Kastilier müßten durch Tlascala ziehen, wenn auch Montezuma sie überreden sollte, einen anderen Weg einzuschlagen. Er selbst habe schon Boten auf Boten gesandt, den Hohen Rat von Tlascala den weißen Göttern geneigt zu machen. Leider ohne Erfolg bisher. Er zweifle indes nicht daran, daß die Tlascalteken dem Bunde beitreten würden, sobald sie die Unbesiegbarkeit der weißen Götter erkannt, wäre es auch erst nach blutigen Kämpfen.

Zum Schluß fragte Cortes, ob er seinem Gastfreund irgendeinen Gefallen tun, einen Dienst erweisen könne.

Der dicke Kazike schwieg eine Weile und seufzte schwer.

Das Totonakenland, erzählte er, sei seit achthundert Jahren von seinen Vorfahren, einem langlebigen Geschlecht, beherrscht worden. Jeder der Totonakenkönige regierte achtzig Jahre. Nicht mehr und nicht weniger als achtzig Jahre. Ein Wunder scheine das, und doch verhielte es sich so: genau achtzig Jahre saß jeder dieser Könige auf dem Thron.

Cortes beglückwünschte ihn, nicht jeder habe solche Aussichten ...

Das Vorrecht, so alt zu werden, fuhr der dicke Kazike betrübt fort, sei neuerdings in Frage gestellt, seit sein Großvater zwei Söhne statt einen zu Nachfolgern bestimmte und damit die von den Göttern gewollte Ordnung umstürzte. Das Doppelkönigtum erwies sich als verhängnisvoll. Die Brüder vertrugen sich nicht, das Volk spaltete sich. Der jüngere Bruder verließ Sempoalla, siedelte sich mit seinem Anhang in einer kleinen Nachbarstadt, Tzimpantzinco, an. Daß es Montezuma gelang,so schnell das Totonakenland zu unterwerfen, habe seinen Grund in dieser Auswanderung. Nun hatten die Mexikaner sogar Zauberer zu den Leuten von Tzimpantzinco geschickt, Zauberer, die sich in Pumas, Wölfe und fliegende Schlangen zu verwandeln verstünden, und sie drangsalten sein Volk, äßen die Seelen lebender Menschen und brandschatzten nachts die bestellten Felder.

Cortes erbot sich, ihn von den Zauberern zu befreien, er hoffe auch, fügte er hinzu, ihn mit seinen Blutsverwandten in Tzimpantzinco aussöhnen zu können.

Sorgenvoll schüttelte der dicke Kazike den Kopf.

»O großer Krieger, o weißer Gott!« sagte er, »du kennst nicht die Macht der mexikanischen Zauberer!«

»Meine Zauberer sind mächtiger!« erwiderte Cortes lächelnd und erhob sich.


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