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Das Spiel mit dem Federball war ein Vorrecht der Könige und des hohen Adels, eine Art Turnier, nur an Festtagen und bei bedeutsamen Zeitwenden abgehalten, um, durch stählerne Geschmeidigkeit und blitzschnelles Gegenwirken, körperliche und geistige Überlegenheit zu erweisen. Außer in Anahuac gab es Ballspiel-Häuser auch an den Königshöfen der südlichen Maya-Völker Yucatans und Guatemalas, und in der heiligen Sage der Maya wird nicht selten erzählt, daß großen Geschehnissen, Adelsaufständen und Kriegen, ein Ballspiel voranging. Schon die vergessenen Könige der Tolteken sollen die zeremoniösen Regeln des Spieles festgesetzt haben, lange bevor Quetzalcoatl auf dem schneebedeckten Kraterrande des Popocatepetl ein Ballspiel-Haus errichtete.

Jedes Ballspiel-Haus hatte den gleichen Aufbau: zwei auf rechtwinkligem Grundriß errichtete Querflügel waren durch einen langgestreckten schmalen Zwischenbau verbunden. Von außen betrachtet, glich die dem Beschauer zugekehrte Stirnseite, wie ebenfalls die Rückseite, einer kleinen Palastfront mit zwei vorspringenden Seitenflügeln.

Reichverziert durch einen mäandrisch gestuften, an Gewebemuster mahnenden Ornament-Fries, trugen die aus Quadern rötlichen Lavagesteins aufgeführten Außenmauern über einem auskragenden Gesims ein schlank geschweiftes, grünpatiniertes Dach.

Im Innern bedeckte ein Verputz die schmucklosen Wände, schneeweiß übermalt und von glänzender Oberfläche. In der Mitte des – die zwei Kammern verbindenden – Ganges befand sich oben an der Decke ein durchlochter Stein, einem Mühlsteine ähnlich. Durch diesen Stein mußte der Federball hindurchfliegen.

Der Fußboden war zur Hälfte bis unter den ringförmigen Stein rot, zur Hälfte blau bemalt, eine Furche am Boden hob die Grenze zwischen rot und blau hervor.

Mit einem undurchdringlich heiteren Lächeln kehrte Montezuma aus dem Haus der Trauer zurück. Sein ins Wanken geratenes Vertrauen zu den Göttern stand wieder festgegründet wie ein Bollwerk zwischen ihm und der Sorge. Das stumme Gebet hatte die hetzenden Stimmen übertönt und zum Schweigen gebracht.

Der schwarzgeschminkte Priester des kleinen Teocalli folgte dem Zornigen Herrn, um das Ballspiel-Haus vor Beginn des heiligen Spieles zu segnen. Er betrat es, Kopalharz räuchernd, und hielt eine Ansprache an den Gott des Spieles, den Blumenprinzen, dessen Steinbild in einer nischenartigen Vertiefung an der Wand des Ganges unter dem ringförmigen Steine aufgestellt war. Sodann warf er vier Bälle nach den vier Windrichtungen, mit strenger Feierlichkeit, da das Fliegen der Bälle die Erleichterung, das Leichtwerden der Herzen bedeutete.

Mehrere Höflinge hatten sich als Zuschauer eingefunden. Sie halfen den beiden Spielgegnern – Montezuma und dem Herrn des Fastens – sich bis auf den Lendenschurz zu entkleiden und das Rüstzeug des Spieles anzulegen: nämlich einen bis an die Schenkel reichenden Lederpanzer, geschmeidige Lederhandschuhe,eine Federkrone und eine kunstvoll gemeißelte und polierte Gesichtsmaske aus schwarzem Lavagestein.

Wenn Adlige spielten, hatte der Sieger ein Anrecht auf die Mäntel der Zuschauer, doch mußte er sie ihnen eigenhändig und innerhalb des Ballspiel-Hauses von den Schultern reißen, es war darum hergebracht, daß im Augenblicke des Sieges die Zuschauer fluchtartig auseinanderstoben, während der Sieger sie am Verlassen des Ballspiel-Hauses zu hindern suchte. Dies Nachspiel gab oft Anlaß zu fröhlichem Lachen und verlieh der besiegten Partei die Möglichkeit, die Scharte wieder auszuwetzen.

Könige aber pflegten um höhere Einsätze zu spielen, diese wurden von beiden Parteien vor Beginn des Spieles verabredet. Und berühmt war die Freigebigkeit Montezumas, der es liebte, bei solcher Gelegenheit unschätzbare Kleinodien zu verwetten. Auch hatte er die Neuerung eingeführt, daß das dritte Spiel entscheidend war: nur wer dreimal hintereinander gewann, galt als Sieget des Tages und durfte sich rühmen, bevorzugt von Göttergunst zu sein: Wünsche, die er vor Beginn des Spiels im Herzen gehegt, hatten Aussicht auf Verwirklichung.

Nachdem die beiden Könige gekleidet und maskiert waren, stellten sie sich einander gegenüber auf – der Herr des Fastens auf der roten und Montezuma auf der blauen Seite. Die Schwarze Blume stand als Zuschauer in der roten Kammer, neben mehreren Höflingen.

»Das Gebet im Hause der Trauer hat mein Herz gestärkt«, sagte Montezuma. »Fieberträume einer Kranken schrecken mich nicht. Dies Spiel soll beweisen, daß Mexicos Götter mich nicht im Stich lassen. Eine Schatzkiste voll Smaragden verwette ich darauf!«

Obgleich eine Steinmaske Montezumas Gesichtszüge bedeckte, schien es doch dem Herrn des Fastens, als strahle des Großkönigs herausfordernder Hohn durch das Steinantlitz hindurch, – die Gegnerschaft hatte seine Augen überscharf gemacht.

»Nein, o edler König, o Zorniger Herr!« sagte er. »Du sollst nur drei Truthähne verwetten – ich aber setze meine schöne Stadt Tezcuco und mein ganzes Königreich dagegen, und dein soll mein Reich sein, wenn du in diesem Spiel gewinnst. Denn alles wird sich erfüllen, was der Himmel androht, kein Mittel gibt es, das Furchtbare abzuwenden. Verschenkt hat das Schicksal unsere Kronen bereits, und damit du siehst, wie gering ich mein Königtum achte, verspreche ich es dir als Siegerpreis. Falls ich aber Sieger bin, will ich von dir nur die drei Truthähne haben.«

Noch nie hatte ein König um sein Land gespielt, aber niemals auch war um Truthähne gespielt worden. Der Truthahn galt in Anahuac als das gewöhnlichste der Haustiere und war vor jedem Bauerngehöft zu finden.

Die Höflinge jubelten. Wohl aber hatte Montezuma herausgehört, wie verächtlich die Worte des Oheims geklungen. Montezuma war ein geschickter Ballspieler, und er nahm sich vor, den Gegner für die tollkühne Wette zu strafen. Beim Wort nehmen wollte er ihn und ihm Krone und Länder entreißen – hier standen ja Ohrenzeugen des unsinnigen Vorschlages –, um vielleicht nachträglich, wenn seine Laune ihn antreiben sollte, Tezcuco und Acolhuacan zurückzuerstatten, doch würden dann der Rival Mexicos und seine Nachfolger für immer gedemütigt sein und besäßen ihr Reich nur noch als Gnadengeschenk, als Lehen ...

Mit ausgesuchter Höflichkeit dankte er für das großherzige Anerbieten und ließ drei Truthähne herbeiholen. Dann begann das Spiel.


Überaus grotesk waren die Regeln des Ballspieles. Mit einem aus Leder geflochtenen Schlägel, dessen Ende einem Hufeisen glich, wurden die roten, blauen und gelben, etwa apfelgroßen Kautschuk-Bälle in die Luft geschnellt. Nur geübten Spielern konnte es gelingen, den Ball durch die Öffnung des durchlochten Steines unter der Decke hindurchzubringen. Hatte der Ball das Mühlsteinloch durchflogen, so mußte der Gegner, ohne die Arme und Hände zu gebrauchen, ihn auffangen und zurückschnellen: mit der Schulter, mit dem Kopf, mit der Lende oder mit dem Gesäß. Zuweilen flog der Ball etliche Male von Gesäß zu Gesäß, und die seltsamen Stellungen der Spielenden erinnerten an die Körperhaltung hüpfender Frösche und Affen.

Montezuma schien heute vom Glück begünstigt. Die beiden ersten Spiele gewann er leicht. Als er das zweitemal siegte, fand der Jubel seiner Höflinge keine Grenzen, sie beglückwünschten ihn schon als den Herrn der Acolhuas. Und auch er selbst, berauscht vom Glück und angesteckt vom Freudenfieber der Schmeichler, setzte seinem Übermut keinen Damm mehr entgegen.

»Nur noch ein Spiel«, rief er, »und Tezcuco ist mein!«

»Du wirst Tezcuco verlieren, wie du dereinst Tenuchtitlan verlieren wirst!« rief, durch den rundlichen Mund der Steinmaske hindurch, der Herr des Fastens.

Da lachte Montezuma hellauf: »O Großer Chichimecatl, an beides glaube ich nicht. Unser drittes Spiel wird es entscheiden. Doch jetzt bin ich Sieger, und mir gehört jeder Mantel, den meine Hand berührt.«

Kreischend flohen alle Höflinge aus dem Ballspiel-Haus. Nur die Schwarze Blume blieb stehen, regungslos, wie ein Steinbild.

Montezuma näherte sich ihm und legte die Hand an den Mantel. Die Schwarze Blume hielt den Mantel fest. Wieder prallten ihre Augen wie Kiesel aufeinander.

»O großer König, o Zorniger Herr«, sagte der Jüngling. »Es ist leichter, Länder zu gewinnen als meinen Mantel.«

Unwillig ließ Montezuma den Mantel fahren.

»Es ist so«, sprach er, »wir spielen heute um Länder. Nicht ich schlug die aberwitzige Wette vor. Aber nichts soll mich hindern, zu behalten, was ich im Spiel gewinne. Und Tezcuco ist wahrlich mehr wert als ein Mantel.«

»Zweimal habe ich dich mit Absicht gewinnen lassen«, sprach nun mit überlegener Ruhe der Herr des Fastens, »und staunend sehe ich, wie rasch du Geschmack daran gefunden hast, dich für den alleinigen Herrn Anahuacs zu halten. Doch jetzt sollst du erfahren, wie unbeständig und vergänglich die Freude an den Herrlichkeiten der Erde ist, und ein Zeichen des Himmels soll dies letzte Spiel sein, ob wir alten Wahrsager und die Sterne wahr gesprochen, – denn, ob du auch zweimal Sieger warst, dies drittemal wirst du verlieren!«

»Himmel und Erde rufe ich an als Zeugen«, rief Montezuma, »nicht für mich spiele ich jetzt, sondern für Mexico und seine Heiligtümer. Mögen die Bewohner der Heiligtümer mein Spiel und Tenuchtitlans Altäre schützen!«

War es vielleicht, weil die Erregung ihn lähmte, während der Gegner seine eisige Gelassenheit bewahrte – so sehr Montezuma sich abmühte, er verlor das Spiel. Aber auch der König von Tezcuco erhielt die Truthähne nicht, da er bloß einmal gewonnen.


Der Sonnengott war hinabgestiegen in das Land der Weiber, und der Abendstern, der Herr der Abendröte, das lebende Herz der Grüngefiederten Schlange, strahlte am violetten Horizont, als der Herr des Fastens und die Schwarze Blume sich über den amethystfarbenen See heimrudern ließen. Vater und Sohn schwiegen, – wozu auch sollten sie Worte darüber verschwenden, daß das Ballspiel den Bruch mit Mexico besiegelt und daß von Montezuma böse Vergeltung zu gewärtigen war.

Die Spiegelung der kristallgekrönten Kordillere verblaßte auf der Seefläche, die anfänglich scharfumrissenen stahlblauen Silhouetten der achtzig Pyramidentempel Tenuchtitlans und Tlatelolcos verschwammen im Nachthimmel, während die heiligen Feuer der Sanktuare sichtbar wurden wie goldrote Lava auf Kraterspitzen. Und am Seeufer, eine Viertelmeile südlich von der Wasserstadt, leckte plötzlich in der Vorstadt Acachinanco die riesenhafte Feuerzunge des Leuchtturmes an das Himmelsgewölbe und gab, Städte und Dörfer überschimmernd, nächtlichen Bootfahrern und Fischern Lichtes genug, sich auf der Lagune zurechtzufinden. Geräuschlos und unstet flatterten Fledermäuse, Hufeisennasen und Vampire dicht über dem Wasserspiegel. Eine Brise trug von Tenuchtitlan her den gleichstimmigen Ruf der Wächter-der-Nacht über den See und auch abgerissene Fetzen süßhallender Lieder der Mexicos Straßen durchirrenden Freudenmädchen.

Da gedachte der Herr des Fastens der letzten seligen Nacht, die Anahuac gesehn.

Vor mehr als einem Jahrzehnt war es gewesen, nicht lange nach Montezumas Thronbesteigung. Der zweiundfünfzigjährige Zyklus war abgelaufen, und ungewiß war es, ob die Götter den Bund mit den Menschen erneuern würden. Am Vorabend des Jubelfestes Unsere-Jahre-umgürten-sich wurden alle Feuer gelöscht, alle Gerätschaften zerbrochen, alle Tongefäße in Scherben geschlagen. Von der Treppe der großen Schlangenberg-Pyramide aus bewegte sich die Prozession – der Gang-der-Götter – nach Süden, überaus langsam, um erst gegen Mitternacht auf der Höhe des heiligen Hügels, des Akazienberges bei Iztapalapan, anzulangen. Die Könige des Drei-Städte-Bundes, der höchste Adel und die Oberpriester, mit der Gewandung und den Insignien ihrer Gottheiten bekleidet, schritten an der Spitze des Zuges. Klopfenden Herzens drängte sich das Volk auf allen zinnengekrönten Hausdächern Tenuchtitlans und der Uferstädte, und die bange Frage schwebte auf allen Lippen, ob der Himmel das Feuer und die Erneuerung des Paktes nicht versagen, ob die Erde nicht zusammensinken werde wie erloschene Asche. Gatten schlössen ihre schwangeren Frauen in Scheunen ein, aus Furcht, sie könnten zu reißenden Tieren werden, Säuglinge wurden von ihren Müttern am Schlaf gehindert, auf daß sie sich nicht, zu Mäusen gewandelt, in Dielenlöcher verkröchen. Um dem Türkisherrn – dem Feuergott nämlich – ein besonders wertvolles Geschenk zu bieten, hatte kurz zuvor das mexikanische Heer den Freistaat Huexotzinco überfallen, und einem Krieger aus Tlatelolco war es geglückt, den berühmtesten Kriegshelden Huexotzincos am Haarschopf zu packen und als Gefangenen nach Tenuchtitlan zu bringen. Dieser Sklave des Feuers ging jetzt neben den drei Königen in der Prozession, und oben auf dem heiligen Hügel wurde er um Mitternacht, als eben die Plejaden den Meridian durchschritten, auf den Opferstein gebettet, und vom Hohenpriester wurde ihm der Edelstein – das zuckende Herz – aus der Brust geschnitten und dem Blauen Herrn, dem mit dem gelben Gesicht, dargebracht.

Über der rauchenden Wunde der Leiche aber wurde das männliche Stäbchen gegen das weibliche Stäbchen gerieben, bis im Holzmehl eine Flamme aufzüngelte. Sogleich kam ein hochgeschichteter Scheiter in Brand. Und wie aus einem Munde erdröhnte durch das Hochtal der frenetische Jubelschrei von Millionen angstbefreiter Seelen, endlos wiederholt vom Echo der Kordilleren und des Firmamentes. Fackelschwingende Priester brachten leichtfüßig die beglückende Flamme auf die große Pyramide Huitzilopochtlis, auf den Schlangenberg, hinauf. Nach kaum einer Stunde loderten in allen Städten und Dörfern Anahuacs die Hausherde, und von allen Bergspitzen herab leuchteten Freudenfeuer. Tausend blumenbekränzte Boote voll singender Mädchen und Knaben schaukelten auf dem flammenspiegelnden See. Und umtost von Heilrufen schritten Hand in Hand Montezuma und der Herr des Fastens zurück über den großen Steindamm, wirr von Glück und Seligkeit, und angelangt im Großen Palast, umarmten sie sich mit Freudentränen ...

Ja, ihre Freundschaft schien damals auf Felsen gegründet. Doch bald, allzubald hernach, als die Erde unter des Großkönigs Fuß zu beben begann, ward auch diese Freundschaft erschüttert, bekam Risse, bröckelte ab und stürzte zusammen wie ein morscher Trümmer.

Schritt für Schritt war Montezuma der machtlüsterne Tyrann geworden. Eine bezaubernde, fast frauenhaft scheue Anmut und Demut hatte ihn als Jüngling ausgezeichnet. Obgleich Königssohn, hatte er das azurne Diadem nicht in die Wiege gelegt bekommen. Nach dem Tode seines Vaters, des Königs Wassergesicht, trugen dessen Brüder das Stirnband aus Türkismosaik –: erst – fünf Jahre nur – der schwächliche Ticoc, der Kreidige, der durch ein schönes, zum Geschenk ihm gesandtes Mädchen behext und vergiftet wurde, und König Molch dann, der nach zwanzigjähriger Regierung an einer Kopfwunde starb – die hatte er sich selbst bei der furchtbaren Überschwemmung Mexicos beigebracht, als er aus einem plötzlich überfluteten Palastzimmer durch eine niedrige Pforte hatte flüchten müssen. Ein Adliger königlichen Blutes, lebte Montezuma am Hofe seiner Oheime, kaum unterschieden von anderen Prinzen – außer durch seine bestrickende Liebenswürdigkeit, feinen Takt und eine blind-starre Kühnheit im Kriegsdienst, mit der er früh Staunen erregte. Sein Vater-Bruder, König Molch, vertraute ihm, nachdem er ihn zum Vorsteher des Hauses der Pfeile ernannt, die Führung der mexikanischen Heerscharen an, und Wundertaten vollbrachte Montezuma im Feldzuge gegen die Rebellen von Quauhtla im Huaxtekenlande. Aber so wundersam war seine Bescheidenheit – oder war es damals schon Verstellungskunst? –, daß er, kaum aus dem Kriege heimgekehrt, allen ihm zugedachten Ehrungen entsagend, sein strahlendes Papageien-Federwams für die mit Kautschuk geschwärzten Hadern eines Unterpriesters eintauschte und im Tempel des Huitzilopochtli Wohnung nahm. Er trug fortab sein Haar ungeschnitten und ungekämmt, malte sich schwarz an und unterzog sich allen Kasteiungen und Sklaveneinrichtungen der Neophyten. Allnächtlich durchbohrte er sich mit einem zugespitzten Knochen die Ohren und die Zunge, fastete oft mehrere Wochen hintereinander, schleppte Holzscheite fürs Opferfeuer herbei und hielt – mit drei anderen Feuerhütern – ein Bein oder einen Arm des jammernden Gottes in Menschengestalt, dem der Hohepriester das Obsidianmesser zwischen die Rippen stieß.

Der Herr des Fastens, als Bruder der mexikanischen Königin Ameisenblume – der Gemahlin des Königs Wassergesicht und Mutter Montezumas –, mehr aber noch als Mitregent des Drei-Städte-Bundes, hatte einen ausschlaggebenden Einfluß bei der Königswahl nach König Molchs Tode. Obwohl der Spiegelherr, ein älterer Bruder Montezumas, die meisten Aussichten gehabt, da er, unfähig und träge. Wachs in den Händen des machtlüsternen Adels zu sein versprach, erwirkte der Herr des Fastens, mit zäher Festigkeit den Könägswählern entgegentretend, daß sich die Stimmen nach langer und stürmischer Beratung auf den von ihm vorgeschlagenen Prinzen Montezuma einigten. Als darauf die Königswähler die große Schlangenberg-Pyramide bestiegen, um dem Prinzen feierlich seine Ernennung zum König Mexicos zu verkünden, fanden sie ihn damit beschäftigt, die Porphyrstufen der Pyramide mit einem Scheuerlappen abzuwaschen. Demütig und überbescheiden lehnte er die auf ihn gefallene Wahl ab, indem er erklärte, er sei unwürdig und nicht befähigt genug, ein so hohes Amt zu bekleiden. Langer Überredung bedurfte es, daß er einwilligte, den lasurblauen, an der Spitze hakenförmig gebogenen Herrscherstab in die Hand zu nehmen. Sofort wurde er ebendort auf den Tempelstufen vor allem Volke Mexicos nackt entkleidet, um seine Lenden wurde ein dunkelgrüner, mit kleinen Totenschädeln und Knochen bemalter Frauenrock getan, eine ebenfalls mit kleinen Schädeln verzierte Schärpe wurde ihm um die Stirn gebunden, ein perlbestickter Weihrauchbeutel an seinen linken Arm gehängt, und mit einem großen Schleier vom Kopf bis zu den Zehen verhüllt, wurde er hinaufgeführt zum Glutbecken, wo er vor dem juwelenblitzenden Standbilde des Stammgottes, des Wunderbaren Huitzilopochtli, weiße Weihrauchkörner ins heilige Feuer warf. Darauf wurde ihm die Nase an den Nüstern durchbohrt und mit einem unschätzbaren Smaragd, der die Gestalt eines Stäbchens hatte, geschmückt. Nachdem er dann vier Tage lang im Pfeilhause, einem Nebengebäude des großen Tempels, sich kasteit und gebetet und hernach von einem Sklavenraubzug die erforderliche Myriade Menschenopfer für die Festlichkeiten heimgebracht hatte, begann die mehrtägige Feier der Krönung, eingeleitet durch Entzünden von Pechpfannen zur Festbeleuchtung der Stadt und durch pomphafte Tanzspiele des Adels bei Tag und bei Nacht. Da war es der Herr des Fastens, der die Begrüßungsworte sprach an den neuen König, »der seinen Hof inmitten des Wassers hat«, ihm die azurne Stirnbinde ums Haupt wand und ihn mit der steilen, funkelnden Mitra krönte. Die Tränen in Montezumas Augen und seine glühenden Dankesworte waren nicht geheuchelt.

Aber im Unglück sich selbst zu bewahren, ist Menschen leichter als im Glück. Nach wenigen Jahren verwandelte sich Montezumas liebenswertes Wesen. Er, der anfangs keinen Beschluß gefaßt, ohne seinen väterlichen Freund und Oheim zu Rate zu ziehen, fing an, selbstherrlich und despotisch zu regieren. Eines Tages entließ er sämtliche Plebejer aus den höheren Stellen des Heeres- und Staatsdienstes, taub für die Warnungen des Herrn des Fastens. Die Folge war eine tiefe Verstimmung in den blühenden, handeltreibenden Orten Anahuacs und besonders in Tlatelolco, der Stadt der Kaufleute. Noch rücksichtsloser ging er gegen die niederen Stände vor, Handwerker und Bauern überlastete er mit Steuern, und so weit trieb er die Bedrückung der Armen, daß er den Bettlern sogar einen Läusezoll auferlegte, indem er sie zwang, große Säcke voll Läuse an die Steuereinnehmer abzuliefern.

Bald wurden auch – vielleicht erfundene, aber nicht unglaubwürdige – Worte des Weltherrn verbreitet: er sollte sich über den altersschwachen Drei-Städte-Bund und die wachsende Vorherrschaft Mexicos in einer Tezcuco und Tlacopan verletzenden Weise geäußert haben. So war denn eine Entfremdung eingetreten, lange bevor der Blumenbaum von Yuquane und der Brudermord am Prinzen Grasstrick die einst so warme Freundschaft erfrieren ließen.

Hatte der Herr des Fastens berechtigten Grund, seines Schwiegersohnes und Neffen Tötung nachzutragen, so suchte auch Montezuma nach einer Rechtfertigung seiner eigenen Undankbarkeit, und er fand sie in zwei Familientragödien, die den Frieden des Königshauses von Tezcuco in seinen Grundfesten erschütterten.


Einst hatte König Wassergesicht seine jungen Töchter, die Schwestern Montezumas, über den Schilfsee gesandt, damit der Herr des Fastens in der so lieblich befrachteten Galeere sich die rechtmäßige Gemahlin auserkiese. Unter den Mädchen erblickte der Herr des Fastens eine mit Namen Smaragd-Lingam, die – wohl ihr selbst unbewußt – mit ihren feuchtschimmernden Augen und blutrot gewölbten Lippen einen Dunstkreis seliger Berückung um sich zu verbreiten schien, lockend und schwül wie eine liebetrunkene Giftknospe. Und er wählte sie zu seiner Königin, obgleich sie erst acht Jahre zählte. Bis zur Mannbarkeit ließ er das Kind als unumschränkte Herrin in einem eigenen Palaste wohnen, bedient von zweitausend Pagen, Hofbeamten, Hofdamen und Sklavinnen, und auch nachdem sie die Seine geworden, blieb sie in diesem Palaste. Die schrankenlose Freiheit verdarb des Kindes Seele, der Wurm saß in der Knospe, noch ehe sie erblühte. Da das Kind gemerkt hatte, daß die Dienerschaft blindlings gehorchte und jeder mögliche Wunsch, kaum geäußert, in Erfüllung ging, begann es das Unmögliche zu ersehnen. Auf dem flachen Dache des Palastes stehend, blickte das sinnliche Kind hinab auf die Straße, und sobald es einen schönen Jüngling erblickte, gab es den Sklaven Befehl, ihn heimlich nachts in ihr Schlafgemach zu führen. Nach der Liebesnacht aber ließ es die Jünglinge vergiften und begrub sie unter den Blumenbeeten des Schloßgartens, indem es weinte und die Schönheit des Toten in Liedern besang. Und die kleine Verruchte ließ durch Bildhauer erzene Standbilder der Gemordeten fertigen und stellte die Statuen in ihrem Schlafgemach auf, bis dieses ganz mit Totenbildnissen gefüllt war. So trieb sie es vor und nach ihrer pomphaft gefeierten Hochzeit mit dem Könige Tezcucos. Der Herr des Fastens aber ahnte nichts, und als er einmal erstaunt fragte, was der Sinn der vielen Erzbilder sei, die ihres Schlafgemachs Wände schmückten, erwiderte sie mit unschuldsvollem Lächeln auf dem kindlichen Mund: es seien das ihre heimatlichen Götter. Und er gab sich mit der Antwort zufrieden, da ihm die abergläubische Bilderverehrung der Mexikaner wohlbekannt war. Nun geschah es, daß ein Jüngling von hohem Adel eine Nacht beim kleinen Vampir verbrachte und Smaragd-Lingam durch seine Jugend und Anmut so entzückte, daß die Mordgewohnte es nicht übers Herz brachte, ihm den Giftbecher zu reichen, vielmehr Befehl erteilte, ihm ein Tor zu öffnen, auf daß er eine andere Nacht wiederkehre. Diese erste Regung eines menschlichen Gefühls wurde ihr Verderben. Denn der Herr des Fastens entdeckte auf dem Jüngling ein Kleinod, welches ihm bekannt vorkam – hatte er doch selbst ein ganz gleiches seiner Gemahlin geschenkt, und so wertvoll und einzigartig war es, daß er nicht annehmen konnte, es gebe ein zweites in der Welt. Die Ausflüchte des zur Rede Gestellten bestärkten seinen Argwohn. Unangemeldet betrat er in der darauffolgenden Nacht den Palast der Königin und kam an die Tür ihres Schlafgemachs. Während er aber sonst sich zurückzuziehen pflegte, wenn die Palastdamen ihm sagten, die Königin schlafe, ließ er sich diesmal nicht abhalten, sondern bestand darauf, sie sprechen zu wollen, trat ein und näherte sich ihrem Lager. Da sah er beim hüpfenden Geflacker der Kienfackeln – nicht das zauberhafte Gesichtchen mit geschlossenen Wimpern und halbgeöffnetem Munde, tief in die Kissen getaucht und überflutet von dunklen Strähnen, wie er es sonst immer nachts geschaut. Das Herz blieb ihm stehen. Leer war das Bett.

Raserei packte den Herrn des Fastens. Nachdem er seine Leibwache gerufen, durchsuchte er selbst den Palast, bis er in einer entlegenen Kammer die Ehebrecherin mit dem Liebhaber auffand. Er ließ beide in einen Käfig sperren, er ließ die zweitausend Bediensteten des Palastes festnehmen. Dann traf er vorsorglich Anstalten für ein abschreckendes Strafgericht. Den ersten Richtern des Landes übertrug er es, die Mitschuld der Dienerschaft zu ermitteln, die Anklage aufzusetzen, das Urteil zu fällen. Nicht nur die Fürsten und den Adel der befreundeten Staaten lud er ein, sogar zu den Erbfeinden Tezcucos sandte er Boten, und freies Geleit zusichernd, bat er seine Gegner, zur Hinrichtung zu kommen mitsamt ihren Frauen und Töchtern, wären diese auch kindjung, damit die Mädchen Anahuacs erführen, wie Ehebruch gestraft werde. Die große Stadt Tezcuco konnte den Schwarm der herbeigeeilten Fürsten nicht fassen, in benachbarten Dörfern mußten viele Unterkunft suchen. Auch Montezuma und seine Geschwister, der Überwältiger und die damals noch nicht verheiratete Papan, kamen über den See und standen neben dem Herrn des Fastens oben auf dem Tempel der Göttin der Lust, der Kehrichtgöttin, – der Straferin sündiger Liebe, in Gestalt eines gräßlichen, am Maule blutigen Frosches verehrt –: »denn die Liebe frißt und verschlingt alles«, wurde von ihr gesagt. Und Montezuma mußte mit erzwungenem Gleichmut dem Schauspiel zusehen, wie der eigenen Schwester und ihrem Liebhaber Schlingen um den Hals gelegt, wie sie erdrosselt und dann verbrannt wurden, während die zweitausend Bediensteten auf hügelhohen Scheiterhaufen langsam verkohlten. Die ernste Papan und der ritterliche Überwältiger beugten sich erschauernd vor der starren Gerechtigkeit der Lustgöttin mit dem blutigen Maul, die alles frißt und verschlingt. Aber Montezumas Selbstgefühl bäumte sich auf, und ein Haß gegen den Herrn des Fastens schlug Wurzeln in seinem Herzen.


Von der Hingerichteten blieben dem Herrn des Fastens zwei Söhne: Huexotzinca, der Pflanzer des Weidenbaumes, und Cacama, der Edle Traurige. Dem Erstgeborenen hatte er diesen Namen gegeben, weil er kurz vor dessen Geburt einen glänzenden Sieg über den Freistaat Huexotzinco davongetragen. Und obgleich die Abkunft der beiden Kinder zweifelhaft war, ließ er sie weder die Sünde der Mutter entgelten noch die mißtrauische Liebe ihres Oheims Montezuma, der keine Gelegenheit vorbeigehen ließ, sie für Mexico zu gewinnen. Es war, als sie zu Jünglingen heranwuchsen, ein Wettbewerb, ein stummer Kampf des Vaters und des Oheims um die Seelen der beiden. Und da der ältere, der Pflanzer des Weidenbaumes, um seines leutseligen und freien Wesens willen früh schon der Liebling des Volkes, mit reifender Einsicht die keineswegs selbstlosen Absichten Montezumas durchschaute und seinem Vater den Vorzug gab, wurde er der Stolz des Herrn des Fastens und der Neid Montezumas.

Unter den Konkubinen des Herrn des Fastens war eine mit Namen Xocotzin, die Baumfrucht, genannt die Herrin von Tula, ein Wesen wundersamer Art, überragend durch Bildung, Begabung und eine hehre sibyllenhafte Schönheit. Obgleich nicht von Adel – sie war Tochter eines Kaufmanns –, usurpierte sie bald die bevorzugte Stellung der Hingerichteten und wurde zur ungekrönten Königin Tezcucos. Sie schenkte dem Herrn des Fastens die zwei jüngeren Söhne, Prinz Ohrring-Schlange und die Schwarze Blume, und eine Tochter, Prinzessin Perlmuschel. Der König, dessen Weisheit so bewundert wurde, daß das Gerücht von ihm ging, als Kind sei er durch eine Zauberin mit übermenschlichem Wissen begabt worden, – der König fand einen gleichgearteten Geist an der Herrin von Tula. War sie doch fähig, über deutungstiefe Fragen der mexikanischen Philosophie – über die Vierheit in jeder Einheit, über die Identität des Wassers, des Schicksals und der Versklavung, über Tloque yn Nahuaque, den Grund der Gründe oder Gott aller Götter, »der in und bei allem ist« – mit dem König und den Weisen seines Landes zu disputieren. Und so groß war ihre Dichtergabe, daß für ein Lied von ihr der König jede Bitte gewährte. Sie gewann nach und nach große Macht über ihn, und freiwillig unterwarf er seinen Willen dem ihren – gewiß zu seinem und des Landes Vorteil, da der Einfluß dieser so zartsinnigen Frau der Verfeinerung der Sitten und der Verinnerlichung der Kultur in hohem Maße fördersam war. Als sie daher eines Tages Klage darüber führte, an ihr Ohr seien schlüpfrige Reden von Höflingen geklungen, erließ er das Gesetz: daß jedes im Palaste gesprochene wollüstige Wort mit dem Tode gestraft werden solle. Vordem aber hatte er mit Nachdruck bekanntgegeben, daß seine drakonischen Gesetze gleiche Gültigkeit hätten für arm und reich, für hoch und niedrig, für den letzten Bettler sowohl wie für ihn selbst und die Seinen. Wie ernst es ihm mit diesem Ausspruch war, mußten bald die Völker Anahuacs mit Schrecken wahrnehmen. Denn die ihm angeborene starre Tugendliebe und das zähe Festhalten am verkündeten Königswillen brachten ihn in einen unlösbaren Konflikt mit sich selbst.

Sein ältester Sohn, der Pflanzer des Weidenbaumes, hatte die von Priestern geleitete Erziehungsanstalt für Prinzen königlichen Blutes als Siebzehnjähriger verlassen und wohnte wieder im Großen Palast, als er eines Tages in Gegenwart von Würdenträgern einer den Saal durchschreitenden jungen Coco scherzweise einige freie Kosenamen nachrief, die auf ihre straffen Brüste Bezug hatten. Das Mädchen hielt sich für totgeweiht, wenn sie die Kränkung verschwieg, und rannte daher, die Türwächter beiseite stoßend, unverzüglich in den Saal der Botschaften, wo sie sich dem König zu Füßen warf und mit Schluchzen den Vorfall berichtete. Der Herr des Fastens erkannte, daß er sich in ein selbstgesponnenes, unzerreißbares Netz verfangen. Erst noch klammerte sich seine Angst um den Lieblingssohn an die Hoffnung, die Sklavin könnte sich verhört haben. Aber die Ohrenzeugen, die er heimlich kommen ließ und ausfragte, fürchteten durch Lügen selbst schuldig zu werden und bestätigten die Worte der Anklägerin. Da sprach der König das Urteil über sein eigenes Fleisch. Vergebens flehten die Großen des Landes, er möge Erbarmen haben mit sich selbst. Vergebens sandte Montezuma bange, beschwörende, fast drohende Botschaften. Umsonst auch nahte die Herrin von Tula mit ihren Kindern dem Thron und verschwendete niederkniend ihre rührende Beredsamkeit. Zum ersten und einzigen Mal blieb er taub ihren Bitten und befahl, sie fortzuführen. Nur so weit milderte er das Urteil ab, daß seinem Liebling die Nähe des Todes verborgen sein sollte. Der junge Prinz wurde in den blühenden Schloßgarten geführt, und seine Begleiter eröffneten ihm, der König, sein Vater, habe ihm vergeben. Voll seliger Freude darüber schmückte er sich mit Rosen, und auch seine Begleiter banden Blumenreifen und Blumenketten und schlangen sie ihm um den Hals, und lachend zogen sie die Schlinge enger, so daß er erstickte an den berauschenden Blüten – im Augenblick höchsten Glückes, mit fröhlichem Lächeln auf dem sich weißenden Munde.


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