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Zu den seltsamsten Gestalten des seltsamen Abenteuerheeres gehörte ein Soldat, der eben über den Platz schritt. Er war noch ziemlich jung und ungewöhnlich schön. In vier Sprachen – spanisch, italienisch, französisch und lateinisch – konnte er sich gewandt ausdrücken. Er mußte von hoher Herkunft, er konnte ein Prinz sein – so selbstverständlich edel und ungesucht war seine Haltung, seine Rede, seine Zuvorkommenheit. Aber ihm fehlte die rechte Hand. Und kein Hehl machte er daraus, daß ein Henker sie ihm auf dem Block eines Blutgerüstes zur Strafe für eine schwere Vergehung abgeschlagen. Sonst aber behielt er das Rätsel seines Schicksals für sich; und nie ist der Schleier gelüftet worden.
Einen Namen hatte er nicht. Darum hieß er bei den Waffengenossen: der Namenlose. Er selbst nannte sich so.
Wußte man auch nicht, von wo er herkam – eins war doch gewiß: er mußte an den Kämpfen in Italien teilgenommen haben. Er trug einen in Italien geschmiedeten Degen, und seine Sturmhaube unterschied sich von den Eisenhüten der Kastilier: sie war aus Bronze, gute Schmiedearbeit, geziert mit einem geflügelten Drachen.
Die Augen weit geöffnet, starrte der Staub-Aufwirbler der Sturmhaube nach. Dann fragte er, ob er sie mit nach Mexico tragen dürfe, um sie Montezuma zu zeigen.
Cortes rief den Namenlosen heran. Ohne Widerrede stellte ihm dieser die Sturmhaube zur Verfügung. Cortes reichte sie dem Statthalter und sagte:
»Unter der Bedingung, daß Montezuma mir diesen Helm bis an den Rand mit Gold gefüllt zurücksendet, gebe ich ihn dir mit. Aber erkläre mir, warum du glaubst, daß der Anblick dieses Helmes Montezuma Freude bereiten wird.«
Der Staub-Aufwirbler gab zur Antwort:
»Nicht nur was Freude bereitet, ist gut zu sehen. Einen Helm wie diesen trug Unser Herr Quetzalcoatl, als er auf der Erde wandelte. In seinem Tempel bewahrt man das alte Waffengeschmeide auf. Montezuma wird die beiden Helme vergleichen, um festzustellen, ob Ihr die Enkel seid, von denen Unser Herr geweissagt hat.«
Cortes konnte die Bedeutung der dunklen Worte noch nicht ermessen. Doch die Erkenntnis dämmerte plötzlich in seiner Seele auf, daß auch er heute einen Zweikampf ausgefochten und nun klein und beschämt vor dem überlegenen Gegner dastand. Geärgert fühlte er, daß er sich unwürdig und possenhaft benommen. Er hatte sich vergriffen, weil er im Finstern tappte, eine Welt der Ungewißheit mit den Fingerspitzen ertasten mußte und sich selbst ebensowenig kannte wie die urweltliche Größe des Ungeheuers, dem er achtlos auf den Fuß getreten. Man wird nicht von heute auf morgen Cäsar ...
Der Staub-Aufwirbler dagegen hatte nichts zu bereuen und hatte genug verstanden. Es gab also ein Heilmittel, die Söhne der Sonne gefügig zu machen –: Gold, Gold, viel Gold!
Den Schreckensnachrichten, die er Montezuma zu melden hatte, konnte er wenigstens diesen Trost beifügen. Denn in Tenuchtitlan mangelte es nicht an dem teocuitlatl, Götterexkrement, genannten Metall.
Der Statthalter und sein Stab verließen das Lager.
Ohne sich einmal Nachtruhe zu gönnen, legte der Statthalter den weiten Weg nach Tenuchtitlan zurück. Als er im Großen Palast anlangte, war es Mitternacht. Der Zornige Herr schlief. Der Statthalter ließ den Vorsteher des Hauses der Teppiche rufen und bestand darauf, daß Montezuma geweckt werde.
Aus schrecklichen Träumen erwachte Montezuma zur schrecklicheren Wirklichkeit. Unerhörtes mußte geschehen sein, daß man ihn um diese Stunde weckte.
Seine scheu flackernden Gedanken fanden keinen Ruhepunkt, nicht auf Erden, nicht im Himmel, nicht im Halt der eigenen Brust. Dieser verquälte, verdrückte Mensch war der länderhungrige Gewaltherrscher nicht mehr, der beim Ballspiel um die drei Truthähne dem Himmel hatte trotzen wollen. Tief gedemütigt hatte ihn der erzürnte Himmel seit dem rätselhaften Verschwinden des Herrn des Fastens. Schon hatte die Schwarze Blume begonnen, ihr eigenes Blut zu trinken, nachdem durch mexikanisches Gold die Königswahl des Edlen Traurigen erkauft worden war. Und nun erfüllten sich auch die Worte seiner Schwester Papan: der weiße Gott stand vor der Tür und forderte Einlaß. Wahrlich, sie war nicht die einzige lebend Begrabene in Tenuchtitlan! Die Götter Mexicos waren aus der Stadt geflohen wie aus einer Todeswohnung! Montezuma fühlte seinen Glauben wanken und klammerte sich mit angstverzerrten Händen an den Aberglauben.
In seinem engen runden Schlafgemach wollte er die Nachrichten des Statthalters nicht entgegennehmen. Der Vorsteher des Hauses der Teppiche mußte daher den Staub-Aufwirbler und seine Begleiter in den Saal der Botschaften führen. Inzwischen ließ Montezuma ein Prunkkleid, auf welches Totenschädel gestickt waren, von seinen Sklaven bringen. Festlich gekleidet, in funkelndem Schmuck, begab er sich in den Saal der Botschaften und nahm auf dem Silberthron unter dem Baldachin aus Adlerdaunen Platz. Neben ihn stellten sich der Schwarze Amber – der Weibliche Zwilling – sowie der schweigsame Feldherr das Schwelende Holz.
Kienfackeln, von Haus-Erleuchtern gehalten, füllten den weiten Saal mit Rauchstreifen. Schummrig belichtet vom hüpfenden Flammenschimmer, tauchten die blank polierten Götzenskulpturen der Jaspiswände wie aus Nebelfernen auf, immer wieder verbleichend. Nicht weniger geisterhaft schwebten und wogten die Menschen im gaukelnden Feuerschein.
Montezuma hatte Befehl erteilt, fünf gefangenen Hauptleuten aus dem Feldheere der Schwarzen Blume das Gesicht und den Körper mit Kreide zu weißen. Die fünf wurden jetzt hereingeführt, nackt, schneeig, wie aus Alabaster gemeißelt. Das toll gewordene Licht konnte sich nicht genug tun, auf den weißen Leibern zu tanzen. Auf die Marmorfliesen – dort, wo der Hund Montezumas den Dolchstoß erhalten – wurden die fünf nebeneinander gebettet, und der »Edelstein« wurde ihnen entrissen. Ihr Blut aber – aus den klaffenden Brüsten zischte es empor wie fünf karminrote Springbrunnen –, ihr Blut wurde auf Anordnung Montezumas dem Statthalter über das Haupt gegossen, und ebenso seinen Begleitern, – dem Grausen zu Ehren, das ihre Augen erblickt.
»Denn«, sprach Montezuma, »ihr habt vor dem Angesicht der Götter geweilt, habt mit Göttern Reden gewechselt! ...«
Der Statthalter erstattete Bericht und zeigte das Hirschhaut-Pergament seines Menschenmalers vor. Aber Montezuma warf kaum einen Blick auf die Malereien. Er sagte auch kein Wort. Er weinte.
Niemand sprach mehr im niedrigen, langgestreckten Palastsaal. Und die Tanzwut des Lichtes wurde zum Fieberschauer, in rasenden Zuckungen und Sprüngen hüpften die Lichterschatten auf den fünf mit silbriger Kreide und glühendem Blut getünchten Leichen.
Der Gebundene Falke war nicht mit nach Tenuchtitlan gereist. Am Ostermontag und den folgenden Tagen erschien er im Lager und ließ jedesmal reichliche Mengen gedörrter Fische, Maisbrot, Gemüse und Obst abliefern. Den Christen war das um so mehr erwünscht, als sich inzwischen herausgestellt hatte, daß der weiße Zwieback und das aus Kuba mitgebrachte Kassave-Brot von Würmern wimmelten, und daß auch das eingesalzene Fleisch ungenießbar war. Rodrigo Rangel hielt an Cortes folgende Ansprache:
»Es steht fest, daß viele Menschen ungenießbar sind. Freilich der Wurm im Sarge, Euer Liebden, denkt anders, er hat keine feine Zunge und findet alle Adamskinder schmackhaft. Und auch die Mexikaner sind keine Feinschmecker: sie bringen uns Maisbrot und Zwergbohnen, um uns für kannibalische Gelage zu mästen, sie wollen das Werk der Moskitos vollenden, die uns schon halb aufgezehrt haben. Denn Mücken sind ungesittet, geschmacklos und gar nicht wählerisch: sie finden das gepökelte Salzfleisch des Narren Madrid ebenso genießbar wie die selbstgeräucherte Rinderbrust San Juans des Aufgeblasenen und den süßlichen Schinken unseres Seemannes Alvara aus Palos, der auf Kuba im Lauf von drei Jahren dreißig Kinder von Indianerinnen bekam. Wahrlich, Euer Liebden, zu beneiden ist Galleguillo, der kleine Galicier.«
»Warum?« fragte Cortes.
»Weil er kurz ist. Zum Beispiel meine Flamme, die lange Elvira, bietet mehr Angriffspunkte (man könnte auch Verteidigungspunkte sagen, auch Anziehungspunkte). Und wiederum bieten die Moskitos Angriffspunkte – pechschwarze Punkte, Euer Liebden! – für die Partei des Don Diego Velazquez. Die Herren jucken und kratzen sich und murren. Bleiben wir hier auf den Sandhügeln, so werden wir aufgefressen oder fressen uns gegenseitig auf. Also, um es kurz zu machen: entweder zurück auf die Schiffe ohne Proviant und Ruhmestaten – oder geradeaus in den Urwald. Helden können Löwen und eine vielköpfige Hydra bewältigen – aber kein menschliches Ungeziefer!«
So sprach Rodrigo Rangel.
Mit den Offizieren Alvarado, Ordas, Lugo und Tapia unternahm Cortes einen Rekognoszierungsritt. Es stellte sich heraus, daß der Wald kein Urwald war und daß sich Dörfer in unmittelbarer Nähe befanden.
Indessen, dank der Fürsorge des Gebundenen Falken, fehlte es an den Tafeln der Offiziere und kaiserlichen Regierungsbeamten vorderhand nicht an Lebensmitteln. Und um im guten Einvernehmen mit den Mexikanern zu bleiben, verboten die Offiziere ihren Soldaten streng, in den Dorfschaften zu furagieren. Die armen Kerle mußten das Meer plündern; sie angelten, nährten sich von Austern und Krabben, kratzten sich und fluchten.
Eine Woche war so hingegangen. Der Geist der Meuterei grinste unheimlicher denn je vom hohen Galgen herab auf das Gewimmel unter der Mückenwolke; doch nach schlaflosen Nächten waren die hohläugigen Gestalten zu mürbe und zerschlagen, ihrem Unmut lärmenden Ausdruck zu geben.
Da traf die lang erwartete Antwort Montezumas ein. Der Großkönig hatte seinen schweigsamen Freund und Lebensretter, den Feldherrn das Schwelende Holz, zum Gesandten ausersehen und ihm den Staub-Aufwirbler als Berater beigegeben. Begleitet von viertausend Soldaten, nahte das Schwelende Holz dem Lager. Seine Krieger ließ es außerhalb – sie waren eine entbehrliche Zierde königlichen Pompes. Denn das Schwelende Holz führte die Medizin bei sich, die sie entbehrlich machte: hundertundzwanzig Lastträger trugen Körbe und Kisten voll leichter Edelfedern und schwerwiegenden »Götterdreckes« durch die Tore und Gassen des Lagers bis vor die Laubhütte mit der schwarzen Standarte.
Hatten sich neulich schon die Mexikaner hochfahrend gezeigt, heute benahmen sie sich erst recht dünkelhaft. Des Schwelenden Holzes Ton bei dem auffallend kurzen Besuch war verletzend trocken und stand in grellem Widerspruch mit dem unterwürfigen Überschwang seiner Begrüßungsworte.
»Euer Knecht Montezuma«, sagte er, den starr melancholischen Ausdruck seines mit blauen Streifen bemalten Gesichtes durch ein Lächeln verzerrend, »Euer Knecht Montezuma, der seinen Hof inmitten des Wassers hat, Euer Knecht der Edle Traurige, der am Seeufer wohnt, und Euer Knecht der Durch-Zauber-Verführende, der am Fuße der Berge herrscht, befahlen mir, Euch zu sagen: Mit Jubel vernahmen sie die Kunde, daß sie den mächtigen Fürsten des Sonnenaufgangs zum Freunde haben, und Freude erfüllt sie, daß die Abgesandten des großen Königs den Fuß wieder auf das Land gesetzt haben, das ihr Eigentum ist. Wir tragen Geschenke für unseren Herrn, den Fürsten des Ostens, dargebracht von Eurem Knecht Montezuma. Und wünscht Ihr mehr noch, sollt Ihr mehr haben, damit Ihr es vor das Angesicht unseres Herrn bringt, als Wahrzeichen der Freude Eures Knechtes Montezuma!«
Darauf ließ das Schwelende Holz die Gaben auf Matten ausbreiten. Der Schandpfahl auf dem freien Platze erstrahlte, als wäre ein glühflüssiger Stern rings in den Sand gesintert.
Was da lag, war mehr, als Goldsucher in verwegensten Traumbildern sich hätten erträumen können. Viele der Kastilier hielten ihre Augen für behext, rieben sich mit dem Handrücken die Lider – fasziniert, geblendet, aufgepeitscht vom Goldfieber. Der Hauptmann Don Alonso de Avila stand gekrümmt da, zum Sprung bereit, dumpf keuchend, mit blutunterlaufenen Augen, – er mußte von Puerto Carrero, Alvarado, Montejo und Olid an den Armen gehalten werden wie ein Berserker oder von Tobsucht befallener Irrer, – ein verdurstendes Tier, mit Schaum am Munde, schlürft das rettende Wasser nicht gieriger ein, als Avilas lechzende Augen die goldene Labe eintranken.
»Tretet weiter zurück, meine Herren!« mußte Cortes mahnen. »Ein Fünftel gehört Seiner Majestät. Der Herr Rechnungsführer Albornoz wird alles buchen.«
Und der Rechnungsführer Albornoz begann zu buchen, überwacht vom Schatzmeister Mejia und beglaubigt vom königlichen Notar Godoy. Sie wußten Gold und Silber zu schätzen und verzeichneten den schätzbaren, Millionen übersteigenden Goldwert. Den andern – unschätzbaren – Wert buchten sie nicht. Wozu auch! Gold wird umgeschmolzen wie der Kosmos – er schmilzt sich selbst um – und bleibt doch immer Gold. Völker werden umgeschmolzen: Gold bleibt Gold. Verloren gehen nur die Seelen toter Völker: eine Weile führen sie ein Nachleben, sind Einwohner von Kunsterzeugnissen, so wie das Meeresrauschen noch in der Muschel wohnt, und dann, im Schmelzofen der Zeit, verdunsten sie, fliegen ins Nichts, unwiederbringlich.
Unter den Geschenken waren Bilderhandschriften, heilige Ritualbücher, über und über mit Rebusschrift bedeckt, älteste Aufzeichnungen über den weißen Kreuzträger Quetzalcoatl: wie er sich im gekrümmten Spiegel erblickte und über sich erschrak, wie er im Rausch seine Schwester küßte und traurig hinwegzog, das Land Tlillan-Tlapallan suchend, begleitet von allen Singvögeln der Gärten Tulas ... Eine stumme Muschel erzählt von den Wunderschauern des Meeres. Eines Volkes leidvolle Seele lebte in den geweißten Blättern des Hirschhaut-Pergaments ... Verloren, unwiederbringlich verloren!
Unter den Geschenken war eine Scheibe aus gestanztem Gold, groß wie ein Wagenrad, darauf war in gehämmertem Flachrelief die Sonne dargestellt und um die Sonne die Sternbilder und der Tierkreis der Tolteken. Nach Schätzung des Schatzmeisters Mejia hatte die Scheibe einen Goldwert von zwanzigtausend Dukaten ... Alter Völker Ewigkeitssehnsucht spiegelt sich in ihrem Himmelsbild ... Verloren, für immerdar verloren! ...
Eine gleichgroße Scheibe aus Silber stellte den Mond dar und die Gestalten des Herrn der Morgenröte, des blauen Planeten.
Unter den Gaben sah man auch Tiere, naturgetreu in Gold gemeißelt. Zwanzig goldene Enten waren darunter.
Selbst die Perlengewandung des Quetzalcoatl von Tula, die bloß bei feierlichen Festen dem Götterbilde umgetan wurde, hatte Montezuma hergegeben, wie auch des weißen Gottes Gesichtsmaske, über und über inkrustiert mit weißen und blauen Steinen.
Der Helm des Namenlosen war nicht vergessen worden. Bis an den Rand war er gefüllt mit Körnern reinsten Goldes. Den Wert dieser Goldkörner allein berechnete der Schatzmeister Mejia auf dreitausend Dukaten. Die Schmelzöfen Europas sollten Arbeit erhalten ...
Mit schwungvollen Worten erstattete Cortes seinen und seines Kaisers Dank. Der Herzensdrang des Spaniers, den lieben Freund Montezuma zu umarmen, war ins Unermeßliche gestiegen.
»Wann will mich der König von Mexico empfangen?« fragte er durch Marina und Aguilar.
»Nie«, antwortete das Schwelende Holz. »Denn König Montezuma ist krank und kann ans Meerufer nicht kommen.«
»Das habe ich nicht verlangt«, sagte Cortes bescheiden, »daß Montezuma sich die Mühe macht. Ich und mein Heer scheuen die Strapazen der Reise nicht und wollen ihm in seiner schönen Stadt einen Besuch abstatten.«
Die schwermütigen Augen des Schwelenden Holzes schienen zu lachen.
»Das schlage dir aus dem Sinn – läßt dir Montezuma sagen. Denn zwanzig Sonnen entfernt liegt Mexico-Tenuchtitlan, und unübersteigliche Gebirge ragen zwischen dem Meer und dem großen Montezuma, durch Wüsten führt der Weg, wo ihr vor Hunger und Durst verkommen müßtet. Auch geht die Straße durch Länder, wo unbotmäßige Völker wohnen, Gegner der Mexikaner, und sie würden keinen von euch am Leben lassen, da ihr Freunde Montezumas seid.«
Nach diesen Worten stiegen das Schwelende Holz und der Statthalter in ihre Sänften, ohne den Vorstellungen der Kastilier ihr Ohr zu leihen.
Von diesem Tage an ließ sich kein Indianer mehr im kastilischen Lager blicken.
In Tenuchtitlan schlachtete jetzt Montezuma jeden Tag einen Knaben, um mit des Himmels Segen die Christen in Ketten legen zu können, falls sie das Land nicht verließen. Die weißen Götter – hatte er beschlossen – sollten, bevor sie auf Altären verbluteten, zum Kinderzeugen gebraucht werden. Aztekische Frauen und Mädchen sollten Götterfrucht in ihrem Schoße austragen, das Volk der Mexikaner sollte ein Volk von Göttern werden.
Dem armen König Midas verwandelte sich alles in Gold, und er verlechzte inmitten von unschätzbaren Geschmeiden. So ging es dem Christenheer, – doch nicht alsogleich erkannte es seine Ähnlichkeit mit dem langohrigen Märtyrer des Reichtums.
Denn die Indianer schrieben nicht etwa einen Fehdebrief – wie das gesittete Völker machen – und ließen auch nicht durch Herolde kund und zu wissen tun, daß sie das Lager meiden wollten. Sie blieben eben fort. Sie brachten nicht mehr Körbe voll Maisbrot und Gemüse. Vergeblich trösteten sich die Hungerleider von einem Tag zum anderen: morgen, gewiß, morgen werden sie kommen! ...
Unter der brütigen Sonne hatten sich die Würmer redlich genährt und vermehrt: zusammengeschmolzen waren alle Lebensmittel im glühenden Schmelzofen, umgeschmolzen, verwandelt in ein ekles, wimmelndes Leben ...
Dennoch untersagten noch immer die Offiziere den Mannschaften, in den benachbarten Dörfern Furage zu holen. Der gute Freund Montezuma durfte nicht verstimmt werden.
Da schlich sich ein kleiner Soldat, Gregorio Burgueño, aus den Toren des Lagers, und als er nach einigen Stunden zurückkam, trug er zwei gestohlene Truthähne unter dem Arm. Sein Hauptmann, Alonso de Avila, erfuhr davon und verurteilte ihn zum Tode durch den Strang. Ohne Cortes in Kenntnis zu setzen, ließ er die Strafe vollstrecken.
An diesem Tage hatte Alvarado einen Spazierritt unternommen, um seine hitzige Fuchsstute ausgaloppieren zu lassen. Prachtvoll sah Alvarado auf dem jungen Tier aus – ein junger Kentaur in blitzblanker Kavaliertracht, denn Alvarado kleidete sich stets mit ausgesuchtem Geschmack und peinlich sauber. Sein hoher schlanker Körper schmiegte sich jeder Bewegung des Rosses an, so daß ein Juwel, das er an einer Goldkette um den Hals trug, gleichmäßig wie ein Pendel schwang: Mensch, Tier und Juwel waren wie aus einem Guß. Nächst dem einhändigen Namenlosen kam kein Mann im Heere diesem Hidalgo westgotischer, vielleicht auch vandalischer Abkunft an männlicher Schönheit gleich. Herzgewinnend war sein offenes, freimütiges Wesen. Und so strahlend war das Gold seiner langen Locken um den länglichen Schädel, der Goldschimmer seines flachsblonden, gestutzten Vollbartes um das gebräunte Aristokraten-Gesicht, wie auch das Feuer seiner großen hellblauen Augen, daß schon die Wächter des Meeres bei dem ersten Besuch auf den Karavellen ihm den Namen Tonatiuh, die Sonne, verliehen. Bis an sein Lebensende blieb er den indianischen Völkern »die Sonne« –: eine funkelnde, schöne, segenbringende, aber auch eine sengende, versengende, todbringende Sonne.
Die Kavalleristen Dominguez und Lares begleiteten Alvarado bei seinem Ausritt. Erst am Meeresufer entlang, dann in den Wald hinein trabten die drei. Gleich am Waldesrand hörten sie ein Rascheln, ein Knicken von Zweigen – und in unmittelbarer Nähe sprang ein aufgescheuchter Hirsch vor ihnen her und verschwand im Unterholz. Von Weidlust gepackt, verfolgten sie ihn eine Weile, doch die Spur ging ihnen verloren. Dafür bot sich ihnen auf einer Waldwiese ein unerwarteter Anblick: die Kleider eines Europäers – Wams, Hosen, Stiefel, Hemd und Mütze – hingen an den Ästen eines Ceiba-Baumes.
Sprachlos vor Staunen hielten Alvarado und seine Begleiter ihre Pferde an. Sie vermochten es sich nicht zu erklären. Gab es hier im Lande noch andere Weiße? War einer aus dem Lager hergeschlichen? Als Selbstmörder etwa? Oder war er ermordet worden? Und von wem? ...
Dominguez und Lares holten die Kleidungsstücke vom Baum herab und brachten sie Alvarado.
»Jetzt weiß ich es!« rief Dominguez, »Melchorejo, der grinsende Pavian, trug dies Wams!«
»Der verschmitzte Schuft ist ein Überläufer, kein Zweifel!« rief Lares.
»Neulich, als die Mexikaner kamen, habe ich es beobachtet, wie der Kerl Fratzen schnitt, mit den Armen fuchtelte ...«
»Er kann kein Wort Mexikanisch«, bemerkte Alvarado.
»Seine Finger können Mexikanisch!« rief Lares erregt. »Mit Fingern läßt sich verraten, wie gering an Zahl wir sind und wo unser Lager sich erstürmen läßt ...«
»Es ist ein böses Anzeichen – auch die Mexikaner sind spurlos verschwunden«, sagte Alvarado. »Wohl kaum ein Zufall, daß Melchorejo gerade jetzt entfloh ... Wir wollen es sogleich Cortes melden. Nehmt die Kleider mit!«
Sie kehrten um. Als sie aus dem Walde ritten, sahen sie, daß der Galgen – der sich außerhalb des Lagers befand – von einigen zwanzig Menschen umgeben war. Und Alvarado erkannte, als er näher kam, daß Burgueño auf der Leiter stand, sie wurde eben unter seinen Füßen weggezogen. Nun war Burgueño ein wackerer, etwas einfältiger Bursche, den Alvarado gut leiden mochte. Dominguez und Lares hatten kurz vor dem Ausritt vom Unglück Burgueños erfahren und konnten Alvarado über den Geflügeldiebstahl und des Hauptmanns Avila hartes Urteil Auskunft geben.
Alvarado drückte seiner Fuchsstute die Sporen in den Bauch und sauste windschnell heran, so daß die Zuschauer auseinanderwichen, und während er unter dem Galgen hinsprengte, durchschnitt er mit einem Hieb seines Degens den Strick des Gehängten.
Dieser war noch nicht tot, glaubte es aber zu sein. Nach dem dumpfen Fall in den Sand erhob er sich rasch, bekreuzte sich und glotzte mit entgeisterten Blicken um sich. Er hatte sich das Paradies ganz anders vorgestellt.
»Jesus Maria y José!« murmelte er, gleichsam bedauernd, »bin ich denn nicht tot?«
Und er kniff sich in die Wangen. Die umstehenden Kameraden lachten ein grobes Soldatenlachen und hatten doch Tränen in den Augen. Ja, dem wutschnaubenden Hauptmann Avila zum Trotz bildeten sie jetzt eine lebende Schutzmauer um den Auferstandenen und übergaben ihn der Pflege des Baccalaureus. So wurde der pedantische Apotheker des Heeres, Ponce de Güelva, genannt – ein verrückter Student, dessen schlummernder Wahnsinn von den Landsknechten für gelahrte Skurrilitat gehalten und hingenommen wurde. Arm in Arm mit Burgueño zog er durch die Gassen des Lagers und brüllte: »Selig sind die Toten! Die Toten sollen leben! ...«
Die Tat Alvarados wurde als elegantes Reiterstück bewundert und gewann ihm viele Freunde.
Aber auch Feinde. Der Büttel Pedro Escudero raste. Vor Jahren in Kuba hielt er Cortes mit seinen Henkershänden umklammert und mußte ihn freilassen, weil Cortes sich dreingab, mit der armen Verwandten des Gobernadors Diego Velazquez statt mit des Seilers Tochter Hochzeit zu halten. Obgleich Escudero damals sich geschworen, nie wieder herauszugeben, was des Galgens war – tat er es nun doch zum zweitenmal. Er und sein Freund, der fette Lizentiat Juan Diaz, standen überflüssig und unsäglich lächerlich da auf dem Hochgericht – sie, die treuen Reisebegleiter des Delinquenten, ehrwürdige Büttel und Priester! ...
Die wulstigen Lippen des Lizentiaten waren rot angeschwollen vor Wut, wie Kropfhäute eines Puters. Hatte er doch Burgueño mit Zuspruch versehen für die Fahrt ins läuternde Feuer, auch einige tausend Jahre Ablaß ihm in Aussicht gestellt, wenn er sich unten gut führe, und jetzt tobte er, als habe ein Gaudieb sein und der Hölle Eigentum gestohlen.
Ganz außer Rand und Band aber gebärdete sich Alonso de Avila. Ein rötlicher Fetzen genügte, diesen Bullen toll zu machen. Wie neulich beim Anblick des Goldes, verfiel er in Berserkerkrämpfe. Was ihn besonders reizte, war das Bewußtsein des eigenen Unrechtes, das sich in den Blicken der Umstehenden spiegelte. So beliebt Alvarado war, so verhaßt war Avila, bei Untergebenen und Kameraden. Cortes konnte den rohen Patron nicht ausstehen. Erbarmungslos hart gegen die Soldaten, war Avila auch im Verkehr mit den Hauptleuten zanksüchtig, eitel und anmaßend. Nur im Schlachtgewühl erwies er sich brauchbar und auch beim Kriegsrat, wo er oft durch kluge Einfälle überraschte. Im Widerspruch zu seinem unverträglichen Charakter stand der freundliche Ausdruck seiner nicht häßlichen Züge. Er war dreiunddreißig Jahre alt und hatte ebenso wie Alvarado, Puerto Carrero, Ordas, Montejo und der Lizentiat Juan Diaz an der Grijalva-Expedition teilgenommen.
»Seid Ihr des Teufels?« schnauzte er Alvarado an. »Wollt Ihr, daß mein Degen Euch durchlöchert wie ein Sieb? Was untersteht Ihr Euch? ...«
»Weniger als Ihr!« antwortete Alvarado. »Ihr hängt einen braven Burschen, weil er sich herausnahm, Hunger zu haben. Ihr hängt ihn ohne Profos und ohne daß unser Befehlshaber Hernando Cortes das Urteil gutgeheißen!«
»Unser Befehlshaber ist Seine Exzellenz Don Diego Velazquez, Statthalter von Kuba!« schrie Avila. – »Cortes ist nicht mehr als wir andern Hauptleute! ...«
Ein Wort gab das andere. Der Streit hatte eine andere Richtung genommen. Man zankte sich nicht um die vereitelte Henkerei. Der einfältige Truthahndieb war bald vergessen. Aber der Streit um den Oberbefehl sollte nicht mehr zur Ruhe kommen.
Der Aufruhr wäre wohl schon an diesem Abend ausgebrochen, hätte nicht ein merkwürdiges Geschehnis die Erregung abgelenkt. Die Feldobristen Velazquez de Léon, Olid, Ordas und Montejo hatten sich offen auf die Seite Avilas gestellt. Leon, weil er der Neffe des Diego Velazquez war, Olid, der einstige Galeerensklave, weil ... er hätte es selbst nicht angeben können, vielleicht weil er zufällig neben Léon stand, als der Streit begann. Ordas, weil er sich langweilte, seit die Mexikaner seine Duellforderung abgeschlagen. Und Montejo – sonst ein vergnüglicher, friedliebender Herr –, weil er soeben an den berüchtigten Spieler Sancho de Saldaña über zweitausend Dukaten, fast seine ganze Habe, verspielt hatte.
»Don Diego Velazquez ist unser Befehlshaber!« schrien sie. »Er hat uns nicht ausgeschickt, Länder zu erobern. Schon haben wir fünfunddreißig Mann verloren – die meisten durch Hunger. Cortes ist nicht bei Sinnen, wenn er daran denkt, mit der kleinen Mannschaft und ohne Lebensmittel sich in dies mächtige Reich hineinzuwagen. Die Flucht Melchorejos beweist, daß die Mexikaner Böses im Schilde führen. Diego Velazquez gab uns nicht Auftrag, Krieg mit ihnen zu führen, – nur Gold sollten wir sammeln. Wir wollen nach Kuba zurück, Montezumas Geschenke heimbringen – damit ist unser Auftrag erfüllt! ...«
Die Worte der Offiziere fanden ein lautes Echo bei den Mannschaften. Die Sonne war inzwischen untergegangen, die gelbe Scheibe des Mondes blinkte geheimnisvoll am Horizont. Aber im Frieden des Abends wuchs noch die Empörung. Kaum einer legte sich zur Ruhe, die Laubhütten blieben leer. In Gruppen standen Gleichgesinnte zusammen – hie Cortes! – hie Diego Velazquez! Man war es schon müde zu streiten, man war es müde, Andersdenkende herüberzuziehen, man faßte Beschlüsse, man schwor Tod und Rache, man konspirierte nur noch. Da waren vor allem Steuermänner, Schiffmeister und Seeleute, unbotmäßige Matrosen, sie waren entrüstet, daß sie Infanteristendienst leisten sollten, sie verziehen es Cortes nicht, daß er zwei von ihnen nach Kriegsrecht gestraft hatte. Selbst der ehrwürdige Anton de Alaminos, der Oberpilot der Flotte, hielt zu Diego Velazquez, er war schon mit Columbus gesegelt und hatte die Schiffe des Cordova und Grijalva als Ober-Steuermann geführt, er hatte reiche Erfahrung und blickte mit Geringschätzung auf Cortes wie auf einen blutjungen Anfänger. Der Steuermann Cardenas war im Lager bekannt dafür, daß er bei jedem Gespräch ein giftiges Wort über König Cortes fallen ließ. Der Steuermann Gonzala de Umbria zeigte einen Dolch herum, den er eigens für das verfemte Herz geschliffen – nur fürchtete er die bestrickenden Augen des Cortes. Und der Steuermann Juan Cermeño pflegte Umgang mit dem Büttel Escudero und dem Lizentiaten Juan Diaz, weil sie die Erzfeinde des Verhaßten waren, gestützt auf seinen Spieß verstand er es, sich über die längste und von den größten Männern emporgehaltene Hellebarde hinwegzuschnellen, und so verfeinert war sein Geruchsinn, daß er, am Steuerruder, auf eine Entfernung von fünfzehn Meilen die Nähe des Landes spüren konnte. Mit grimmem Lachen machte er sich anheischig, auf eine noch größere Entfernung den Schwefelgeruch des Teufels Cortes zu riechen.
Nur der Seemann Alvaro aus Palos, der in drei Jahren dreißig Kinder von Indianerinnen bekommen hatte, setzte Hoffnungen auf Mexico.
Unter den Anhängern des Velazquez sah man auch alle Wohlhabenden. Juan Sedeño, der Krösus des Heeres, hatte nicht nur ein Schiff ausgerüstet, er besaß auch eine Mutterstute samt dem bei der Landung geworfenen Grau-Fohlen sowie einen Negersklaven, und das wußte jeder, daß Pferde und Negersklaven schier unerschwinglich waren in Kuba. Kein Wunder, daß er Heimweh trug nach der schattigen Hacienda in La Havanna – wie ebenfalls die anderen reichen Silbergruben-Besitzer Alonso Romero, Ochoa, Martin Velazquez und Perez Artenga. Sie alle hatten ihr Leben und andere Kostbarkeiten zu verlieren.
Aber auch Leute, die nichts zu verlieren hatten, erwärmten sich für den Statthalter Kubas. Ein gewisser Tarifa aus Sevilla, ein blöder Schwätzer mit dem Spitznamen de los servicios, der Dienstbeflissene, deklamierte jedem, der es hören wollte, wie schweren Dienst er leiste für elenden Kupfer-Sold. San Juan der Aufgeblasene fand sich zurückgesetzt, seine Leistungen nicht genügend gewürdigt. Der Hausierer Tirado de la Puebla hatte venezianische Glasperlen in Goldkörner umgesetzt und wollte den kleinen Ertrag in Sicherheit bringen. Porras, der rothaarige Sänger, war unter den Schreiern, weil seine schöne Stimme gern andere übertönte. Pero Trujillo, der ungeschliffene Grobian, liebte den Krakeel um des Krakeels willen. Daß Zamudio, der Totschläger, nicht fehlte, verstand sich von selbst. Und Gonzalo Mejia Rapapelo, der Enkel der Räuberin Mejia – in den Zeiten des Königs Don Juan war sie der Schrecken Spaniens gewesen –, entsann sich plötzlich seines Räuberblutes ...
Die Hetzer aber waren Escudero, der Büttel, Juan Diaz, der Lizentiat, Madrid, der bucklige Narr, und zwei ganz zügellose Menschen, geborene Aufwiegler: Alonso de Escobar, ein früherer Page des Diego Velazquez, und Pedro de Palma, der Galan der langen Elvira. Von Gruppe zu Gruppe eilend, forderten sie die Murrenden auf, sich zusammenzuscharen, noch an diesem Abend die Hütte mit der schwarzen Standarte zu umzingeln, in Brand zu stecken, Cortes gefangenzunehmen.