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Auch die Anhänger des Cortes suchten ihr Nachtlager nicht auf, auch sie rotteten sich zusammen und erörterten die Ereignisse des Tages. Die Rettung des Gehängten steigerte ihre Anhänglichkeit und Treue. Gewiß, die Flucht des Überläufers Melchorejo war ein böses Zeichen –: ihr elendes Feldlager war einem nächtlichen Überfall durch mächtige Streitkräfte ausgesetzt, – doch sie waren ja Gefahren gewohnt. Schlimmer war die Gefahr innerhalb der Tore. Auf der Hut wollten sie sein und hielten die Augen offen.

Manche freilich schlichen heute wie sonst ihren eigenen Sorgen und Vergnügen nach. Die alte Portugiesin Vaquera irrte durch die Gassen des Lagers und beobachtete ihren jungen Gatten, den Genuesen Lorenzo Serafini, wie er mit der olivenbleichen Isabel de Ojeda und der rundlichen Rosita Muños scharmierte. Ihr kahlköpfiger Schwiegersohn Suarez hatte wieder das Gekreisch ihrer Tochter, der Mulattin Beatriz de Palacios, gehört und fand seine junge Frau trunken auf dem Schoße des weißhändigen Sanchez Farfan. Ribadeo der Weinschlauch ließ sich von der Feuerlilie das zwölfte Glas einschenken. Und Pedro d'Ircio, der Agramant ohne Taten, erzählte von einem Don Pedro Jiron und einem Grafen von Urueña ...

Neugier und Abenteuerlust hatten sogar die adligen Damen Doña Francisca de Valtierra, die reiche, knabenhafte Dñna Maria de Estrada und Dona Maria del Rincon wach gehalten. Nur der kleinen La Medina waren die Lider der schwermütigen Augen gesunken, während sie zur Gitarre des Bergmanns und Tanzmeisters Ortiz Romanzen sang; und gähnend war sie zu ihrer Laubhütte geschlichen und hatte sich schlafen gelegt.


La Medina schlief im westlichen Teil des Lagers. Alle Hütten waren heute leer und verlassen, bis auf die La Medinas und eine Nachbarhütte, wo ein zwölfjähriger blinder Knabe, Juan Nuñez de Mercado, schlief. An der Küste Yucatans hatte eine zu früh entzündete Kartusche ihm das Augenlicht ausgeblasen.

Gegen zehn Uhr abends, nach halbstündigem Schlummer, erwachte La Medina. Eine klagende Stimme hatte gerufen. Matt erhellt von einer Stallaterne war die Laubhütte. Sie gewahrte: der blinde Knabe tastete sich herein, stand im Hemd vor ihrem Bett. Etwas Schwarzes umklammerte er mit den Händen. Blutstropfen perlten ihm vom Hals auf das Hemd.

»Ich sterbe, La Medina!« hauchte der Knabe. »Satan trank an meinem Hals ... Da wachte ich auf und fing ihn ... Er wird sich rächen, wenn ich ihn loslasse ... Hilf mir, ihn festhalten, La Medina! Hilf mir doch! Ich muß ja sterben sonst! ...«

La Medina sprang aus dem Bett, riß die Laterne empor. Milchweiß war der blinde Knabe. Jetzt sah sie die kleine Wunde an seiner Kehle, jetzt sah sie das Ungeheuer, den Blutsauger ... Mit tödlichem Entsetzen krampften sich die Finger des Knaben in das Fell des Vampirs, mochten die großen Flügel auch wütend ihm die Brust zerschlagen. Noch nie hatte La Medina von solch einem Wesen gehört, nie eins gesehen. Auch sie hielt es für den Teufel.

Lieb war ihr der Knabe. Doch sie fürchtete sich, den Teufel anzurühren. Sie packte den Knaben, zerrte ihn hinaus, lief mit ihm durch die Gassen des Lagers, lief mit ihm mitten unter die Meuterer. Auch sie war nur im Hemd, doch das Flammen ihrer Augen bannte jeden rohen Witz.

»Rettet Nuñez«, flehte sie weinend. »Satan trank an seinem Hals! ...«

Und sie erzählte, was geschehen.

Die Mutigsten blickten feige drein. Und alle litten unter ihrer Feigheit. Da wagte Rapapelo, der Enkel der Räuberin, sein Leben, vielleicht nur, um San Juan den Aufgeblasenen zu beschämen. Er entriß dem blinden Knaben den Teufel, und da dieser ihm die Finger zerbiß, ließ er ihn los, so daß er davonflatterte.

Der eine oder andere hegte vielleicht Zweifel, ob es Satan gewesen, vor dem sie alle gezittert und gebebt. Aber nur Ponce de Güelva, der verrückte Baccalaureus, wagte es, hell aufzulachen:

»Eine große Fledermaus, eine Hufeisennase war's, ihr Tölpel! ...«

Der Grobian Trujillo beförderte den gelehrten Apotheker mit einem Fußtritt zehn Schritt weit:

»Da, fliege wie eine Fledermaus! ...«

Sie fühlten sich alle beschämt. Erlahmt war der Schwung ihrer Streitlust. Eine Weile noch redeten sie vom geflügelten Satan und vom Kinde, das ihnen Scheu abzwang wie ein kleiner Heiliger. Dann suchten sie verdrossen ihre Laubhütten auf.

Vor Schreck und Blutverlust war der blinde Knabe in Ohnmacht gesunken. La Medina hob ihn auf ihre Arme und trug ihn in ihr Bett. Nachdem sie ihm beim Schimmer der Stallaterne die Wunde ausgewaschen und verbunden, bettete sie ihn weich an ihren jungen Körperund ihre Schönheit blühte auf wie eine Jerichorose im Wasserglas.

Fortan schlief er immer bei ihr.

Als um elf Uhr abends die Wachtposten vor den Toren abgelöst wurden, war es still im Lager.


Nicht untätig war Cortes diesen Abend gewesen. Mit seinen Freunden, den Offizieren Alvarado, Puerto Carrero, Lugo und Tapia, hatte er Kriegsrat gehalten und in aller Stille Vorkehrungen getroffen, einem Überfall – sei es außerhalb, sei es innerhalb der Tore – gewappnet zu begegnen.

Eine tiefe Niedergeschlagenheit hatte sich seiner bemächtigt. Zum erstenmal seit der Abreise verzweifelte er am Gelingen seines Werkes. Übermenschlich kühn waren seine Pläne, kaum durchführbar mit der kleinen Schar – selbst wäre sie einig gewesen, begeistert und geleitet von einem starken Willen, seinem Willen! ... Nun aber völlig aussichtslos, da kleinlicher Haß, Eifersüchtelei und Mißgunst ihm in den gefahrvollen Weg noch Steine warfen.

»Wir werden nach Kuba zurück müssen!« sagte er zu Marina.

Reif und tapfer war die fünfzehnjährige Mexikanerin. Das Christentum, ihr neuer und doch alter Glaube, festigte sie mit einer unerschütterlichen Zuversicht. Im Gekreuzigten hatte sie den weißen Kreuzträger Quetzalcoatl wiedererkannt und in seinem Gottesreich jenes geweissagte Friedensreich, die Heilslehre der frommen Quaquiles. Nachdem jüngst der Staub-Aufwirbler den Helm des Namenlosen nach Tenuchtitlan getragen, hatte sie Cortes in einem langen Gespräch seine rätselhaften Worte erklärt, hatte ihm erzählt, welche Hoffnungen alle Unterdrückten Anahuacs auf die Rückkehr des Kreuzträgers und seiner weißen Begleiter setzten. Voll ehrlicher Demut blickte sie auf zu Cortes als dem Gottgesandten, erschienen an dieser Küste, ihr Volk zu befreien, die Menschenopfer abzuschaffen und die Tränen der Witwen und Waisen zu trocknen ... Ihr Sklavendienst, ihre unterwürfige Hingebung waren ein Gottesdienst. Götzen hatte sie entsagt – nun war er ihr Götze.

Immer mit niedergeschlagenen Augen erwartete sie seine Anrede. Heute aber, da sie ihn mutlos fand, krampfte sich ihr Herz zusammen, als habe sie Tränen des Himmels gesehen. Ihre langen Wimpern hoben sich, Scham, Trauer, Enttäuschung blitzten ihre funkelnden Blicke. Mit zündenden Worten schürte sie seinen erlöschenden Mut. An den Jubel gemahnte sie ihn, mit dem er ihren Bericht vom Kreuzträger entgegengenommen. An seine Versprechen mahnte sie ihn, die Unseligen zu erlösen. Seit Jahrhunderten war er ja erwartet worden, Gemarterte hatten Söhne und Enkel auf ihn vertröstet! – und nun, an der Schwelle, wolle er umkehren? Nicht Gold einzuheimsen, nicht Ruhm zu erwerben sei er ausgezogen, sondern Hunderttausenden Geknechteter wollte er Segen und Freiheit und Frieden bringen. Sein Herzenswunsch sei ja ihres Volkes Wunsch wie auch Gottes Wunsch – und gewiß werde Gott ihr Volk samt seinem Retter nicht im Stiche lassen ...

Cortes küßte sie auf die dunkelroten Lippen:

»Wenn die Geknechteten dir gleichen, Marina, so sind sie große Opfer wert ...«

Durch seinen Pagen Orteguilla ließ Cortes die Hauptleute Puerto Carrero, Lugo und Tapia rufen. Er gab ihnen einen heimlichen Auftrag für die Nacht.


Beim Abendessen hielt der Kämmerer Rodrigo Rangel diese Ansprache an Cortes:

»Hochnotpeinlich gefragt, hat Julianillo gestanden, daß er mit Melchorejo gern geflohen wäre, hätte er gekonnt. Ist das nicht peinlich für unsere Kultur, Euer Liebden? Ist es überhaupt zu begreifen, Euer Liebden? Melchorejo war ein Christ und zog es vor, ein Mensch zu sein! Man denke sich –: ein Nichts-als-Mensch! Wir überschütteten ihn mit Güte und mit Taufwasser! Nichtsdestominder, alle Segnungen der Kultur – als da sind seine Kleider, seine Wäsche, seine Bildung, ja sogar seine Taufe – hing er an einen Baumast! War das dankbar? War das klug? Aber so sind die Wilden: sie rennen mit dem Kopf durch die Mauer und tragen dann ein Stück Mauer um den Kopf wie einen Filzhut! ... Wilde nenne ich z. B. Eure Widersacher Ordas,Avila, Olid, Velazquez de Leon und Montejo. Es sind Vollblutspanier, doch ich habe sie im Verdacht, auch höchst menschliche Menschen zu sein. Sie hängen Mitmenschen an einen Baumast – und ist das nicht ebenso menschlich wie unmenschlich? Nicht nur Wilde wie Melchorejo lieben den Urzustand und zeigen schamlos ihre Blößen. Auch unsere weißen Wilden tragen dicke Mauern um ihre Köpfe und können nicht hinübersehen in die Gefilde des Wohlanstandes. Die Mauer des Diego de Ordas heißt Langeweile: er hat es übersatt, tatenlos seinen langen schwermütigen Schnauzbart zu drehen. Nicht etwa, daß er für den Statthalter Kubas (dessen Majordomo er einst gewesen) mehr Liebe und Treue hegte als für irgendeine Kuh in Andalusien. Er ist auf den Tod krank vor Nichtstun, seit die Mexikaner seine Duellforderung ausgeschlagen. Euer Liebden schenke ihm ein Abenteuer, so ist er kuriert und Euer Liebden Freund ... Die Mauer des Avila ist Goldgier: Euer Liebden stopfe ihm das Maul, füttere ihn mit Goldkuchen, so leckt er Euer Liebden Hand wie ein Hund ... Die Mauer des Olid ist seine Wunderlichkeit: dieser Häßlichste der Häßlichen und Tapferste der Tapferen, dieser frühere Galeeren-Sklave weiß nie, was er will. Euer Liebden zeige ihm, was er will, und helfe mit einer Goldschaufel nach, so ist er Euer Liebden ergeben – bis zum nächsten Mal! ... Die Mauer des Montejo ist seine Spielsucht. Euer Liebden zahle seine Spielschulden – und keiner wird treuer zu Euer Liebden halten ... Die Mauer des Velazquez de Leon ist seine Leidenschaftlichkeit. Ein kühner Bergsteiger wie Euer Liebden wird auch diese Mauer erklimmen können. Sagt doch der Dichter, daß ein goldbeladener Esel die höchste Mauer ersteigt. An Gold fehlt es Euer Liebden nicht und auch nicht an diensteifrigen Eseln ...«

So sprach Rodrigo Rangel.


Cortes hatte sich eben von der Tafel erhoben, als ihm sein Page Orteguilla meldete, daß ein gemeiner Soldat namens Botello um die Vergünstigung bitte, ihn allein zu sprechen. Cortes schickte Rodrigo Rangel hinaus und empfing den Soldaten.

»Sonderbar wird Euch vorkommen, was ich sage, Señor Capitan«, sprach Botello. »Ungläubig werdet Ihr's anhören. Doch jetzt, wo durch Hunger, Aufruhr und einen übermächtigen Gegner Großes in Frage gestellt scheint, darf ich nicht verschweigen, was ich weiß.«

Botello war Italiener und hatte einst unter den Fahnen Cesare Borgias gekämpft. Hoch und dürr war seine Gestalt, gekrümmt sein Rumpf. Schwertnarben schmückten sein bartloses, nicht unedles Gesicht. Tief eingefallen waren seine Wangen. Das silbrige Kopfhaar trug er kurzgeschnitten. Etwas Unheimliches, etwas unbeschreiblich Trauriges war um ihn. Im Heere besaß er kaum Freunde; die Kameraden verspotteten ihn als Sonderling.

»Was wißt Ihr, Botello?« fragte Cortes lächelnd.

»Daß Ihr nach Mexiko gelangen werdet«, antwortete Botello.

»Woher wißt Ihr das?«

»Ich war Astrolog, Nativitätsteller, bevor ich Kriegsdienste nahm.«

»Das ist lange her. Warum habt Ihr den Beruf gewechselt?«

»Es ist herrlich und furchtbar, die Zukunft zu wissen ...«

»Ihr zerbracht Eure Instrumente?«

»Ich hatte den Mut nicht ... Allnächtlich funkeln Sterne und locken ...«

»Habt Ihr mir das Horoskop gestellt?«

»Nein, Euer Gnaden. Ich kannte Tag und Stunde nicht.«

»Aber Euch selbst, Botello?«

»Ja, Euer Gnaden. Ich werde in Mexico auf einem Blutaltar sterben.«

»Wollt Ihr zurück nach Kuba?«

»Euer Gnaden machen mich lächeln.«

»Habt Ihr noch mehr in den Sternen gelesen?

»Viel, Euer Gnaden. Es ist entsetzlich, entsetzlich! ... Velasquez de Leon, Pardo, Arbolanche, der Tanzmeister Ortiz, Pedro d'Ircio, Morillas, Benitez, Sanchez Farfan, Ribadeo, Méndez, Rano, La Medina, Baldovinos, der Narr Madrid, Retamales, Alberza, Nuñez, der blinde Knabe ... sie alle enden auf dem Opferstein – und wie viele andere noch ... Es ist grauenhaft ...«

»Wem habt Ihr davon gesprochen?«

»Niemand außer Euer Gnaden.«

»Hört, Botello, ich nehme Euch in meinen persönlichen Dienst als Astrolog – Ihr versteht? ... Ihr sollt reichlich bezahlt sein. Könnt Ihr mir bis morgen meine Zukunft sagen?«

»Es ist viel zu berechnen, Euer Gnaden. Bis morgen abend kann ich Euch Euer Schicksal bringen ...«

Unter den Soldaten gab es einen kuriosen Kauz: er schlief – oder tat so, als ob er schlief –, wenn die andern wachten, und er wachte, wenn sie schliefen. Meist stand er versteckt hinter der Tür seiner Laubhütte und belauerte die Vorübergehenden. Er hieß Gil Solis und hatte von den Waffengenossen den Beinamen Tras de la puerta, Hinter der Tür, erhalten. Dabei war er nicht etwa der Spion einer Partei: Don Diego Velazquez war ihm so gleichgültig wie Cortes. Zur Rede gestellt, entschuldigte er sein Benehmen mit einem ihm angeborenen Hang, die Menschenherzen zu ergründen. Er sei Zyniker, meinte er, ein Diogenes im Fasse und Weltbetrachter. Freilich suchte er die Menschen nicht mit der hellen Laterne, saß vielmehr im dunklen Versteck gleich einer Spinne und beobachtete regungslos, wie arme Fliegen sich im unentrinnbaren Netze verfingen. Es freute ihn, zu sehen, wie der Genueser Serafini die alte Portugiesin Vaquera betrog, wie der Spieler Sancho de Saldaña einfältige Tölpel zum Würfel- und Karten-Spiel verleitete, wie der flegelhafte Trujillo sogar vor den Edeldamen Francisca de Valtierra und Maria de Rincon sich unflätig gehen ließ. Oder wie die lange Elvira von ihrem Galan, dem Aufwiegler Pedro de Palma, Prügel und Stockschläge lammfromm hinnahm und ihm alle ihre Ersparnisse opferte ... Nichts wunderte ihn, nichts bewunderte er. Er registrierte nur.

Nachdem La Medina den blinden Knaben unter die Meuterer geführt hatte und der Teufel davongeflattert, war auch die Kampflust entflogen wie eine große Fledermaus. Um elf Uhr abends senkte sich der Schlaf auf alle Lider.

Gil Solis stand hinter der Tür und lauerte. Er glaubte nicht an diese allzu plötzlich hereingebrochene Stille. Er wartete.

Gegen Mitternacht fand er seinen Argwohn bestätigt. Schnell ziehende Wolken hatten den Mond verdeckt, nun zerriß die schleierige Hülle, und die blanke Scheibe schüttete ihren blauen Schimmer herab auf das Feldlager. Da erblickte er drei Männer, die verstohlen von Hütte zu Hütte schritten. Und er erkannte sie: es waren die Hauptleute Puerto Carrero, Francisco de Lugo und der alte Fähnrich Juan de Escalante.

Gil Solis sah, wie sie in den Laubhütten Leute weckten und herausriefen. Es war so totenstill, daß er abgerissene Sätze vernehmen konnte.

»Nehmt Eure Waffen, Señor!« hörte er Lugo sagen. »Ihr sollt Cortes begleiten, der die Runde macht ...«

Trat dann der Mann heraus, so nahmen sie ihn beiseite und flüsterten.

» ... Wir sind ruiniert ... Diego Velazquez wird all unser Gold in die eigene Tasche stecken, wie er es nach der Grijalva-Expedition getan ...«

Und dann wurden Eide geschworen auf ein Kreuzifix.

Aber noch mehr beobachtete Gil Solis hinter seiner Tür. Fern am freien Platz, neben der Hütte des Cortes, befand sich die Baracke des Schatzmeisters Mejia. Dunkle Gestalten schlichen hinein und traten heraus mit schwerer Bürde.

Gil Solis war nicht empört und nicht erstaunt. Er kannte die Menschheit. Er schmunzelte nur.

»Götterdreck schmeckt gut!« murmelte er.

Eine Stunde später regte sich nichts mehr im Lager. Geheimnisvoll, lautlos wie ein ruderloser Nachen, glitt der Mond am Himmel. Vom Walde her tönte das klägliche Gebell des Präriewolfes.

Da sah Gil Solis, daß ein Wachtposten eine Sänfte durch eins der Tore hereingeleitete. Schwer war die Sänfte, von vielen Sänftenträgern getragen. Fünf reich gekleidete Indianer folgten ihr. Der Wachtposten führte sie zur Hütte mit der schwarzen Standarte.

Drei Stunden später verließen die Sänfte und ihre Begleiter das Lager. Außer Gil Solis erfuhren nur wenige von diesem Besuch.


Gewarnt durch das Verschwinden Melchorejos, hatte Cortes für diese Nacht die zuverlässigsten Soldaten zum Wachtdienst ausgewählt. Auch waren die Posten verstärkt.

Vor dem westlichen Tor – außerhalb des Lagers – standen: der Namenlose, ferner Cristobal del Corral und Gonzala Dominguez. Vor dem nördlichen Tor: Rodriguez de Villafuerte, ein Schwager des Cortes, Galleguillo, der kleine Galicier, ein sehr tapferer Mann, und ein gewisser Salamanca, der sich für den unehelichen Sohn eines Grafen de Monroy hielt und in der Neuen Welt seinen Vater suchte, nachdem er ihn in der Alten Welt nirgends gefunden.

Vor dem südlichen Tor standen: der junge Fähnrich Bernal Diaz, der Galante – Madrids, des Narren, Feind, denn er hatte ihn am Kragen gepackt, als er sein Spottlied auf den hinkenden Stuhl gedichtet, ferner der Bogenschütze Pedro de Guzman, der Tüchtigste im ganzen Heere und zugleich der Bescheidenste, und endlich Alonso Luis, ein baumstarker Hüne, der seinem schweren Wanst und wackelnden Doppelkinn zum Trotz flink wie eine Gazelle war und seines harmlosen Lachens wegen das Kind genannt wurde.

Hier am südlichen Tor geschah es, daß gegen ein Uhr nachts Pedro de Guzman die Indianer mit der Sänfte erspähte, – sie gingen ängstlich, blieben oft stehen, blickten sich scheu um. Luis, das Kind, legte schon die Muskete an die Schulter, um loszuschießen, doch der Galante entriß sie ihm –: das sei unklug, man müsse die Feinde erst näher herankommen lassen.

Indes, sie benahmen sich nicht wie Feinde. Näher kommend, grüßten sie ehrerbietig, berührten mit der Handfläche die Erde und ihre Stirn und gaben durch Zeichen zu verstehen, daß sie zum Befehlshaber geführt sein wollten.

Die drei Posten berieten sich. Guzman und das Kind waren Manns genug, das Tor zu bewachen. Der Galante übernahm es, die nächtlichen Gäste zu Cortes zu bringen.


Als Cortes, vom Galanten benachrichtigt, aus seiner Laubhütte trat, um die Indianer zu bewillkommnen, hätte er beinah laut aufgelacht. Ein Fleischberg, eine unförmliche Fettmasse entquoll der Sänfte und näherte sich ihm, ihn mit Kopal-Harz beräuchernd, von zweien der Sänftenträger an den Hüften und unter den schwammigen Armen gestützt.

Die Türöffnung der Laubhütte mußte erweitert werden. Ein Feldstuhl brach unter der Fleischlast zusammen, – nur eine mit Kissen bedeckte Eichenkiste ertrug das fürstliche Gewicht.

Der dicke Kazike – nie anders wurde er in Zukunft von den Kastiliern genannt – hieß Chicomacatl, Sieben-Rohr, und war König der Totonaken. An der Küste seines Reiches war Cortes gelandet.

Ein uraltes Kulturvolk waren die Totonaken. Ihre älteste Siedlung, die sagenumwobene Stadt Teotihuacan, Wo-die-Götter-anlangen, gegründet vom Stammesheros Xelhua, war einst – lange vor der Blütezeit der Toltekenresidenz Tula – die Hauptstadt Anahuacs gewesen. Nach Erdkatastrophen pflegten die Himmelsgötter in Teotihuacan niederzusteigen und dort, auf Richterstühlen thronend, Rat zu halten. Den ersten Königen der Totonaken – Omeacatl, Zwei-Rohr, der aus seinem Badehause rätselhaft entrückt worden war, ohne zu sterben, und seinem Sohne und Nachfolger Xatontan – wurden die beiden berühmten Grabpyramiden in Teotihuacan erbaut: die kleinere, das Haus-des-Mondes und die größere, das Sonnen-Haus.

Und bis in die neueste Zeit erhoben die langhaarigen Priester der Sonnenpyramide verdienstvolle Könige benachbarter Länder in den Rang von Göttern.

Der Mönchsorden der Quaquiles besaß in keinem der Staaten Anahuacs so viele Bergklöster wie in Totonacapan.

Der Stammesheros Xelhua, der älteste Sohn der Weißen Nebelschlange, hatte die Totonaken, zugleich mit den Olmeken, Xicalanken und Otomis, aus der Urheimat – den Sieben Höhlen und dem Reiherland – nach Anahuac geführt, an vielen Orten rastend und fortgetrieben durch den Gesang des Vogels mit den grünen Federn, dessen Lied aus den Worten bestand: »Nicht hier werdet ihr bleiben!« Gemeinsam hatten sie das Urvolk, die vom Schwarzen Tezcatlipoca erschaffenen Riesen, die Quinames, bei einem Festmahl trunken gemacht und verbrannt, um ihre Päderastie zu strafen und weil die Quinames sich korpulente Frauen zur Züchtung von Riesenkindern zu rauben pflegten.


Nach der Begrüßung und Darreichung von Muskatrosen entschuldigte sich der dicke Kazike, daß er jetzt erst genaht sei, seine Aufwartung zu machen, obgleich er längst von der Ankunft der Sonnensöhne gewußt. Aber die Furcht vor Montezuma, der jeden Verkehr mit den weißen Gästen untersage, habe ihn bisher abgehalten, und auch heute habe er sich heimlich, im Schutze der Nacht herbegeben, um den Blicken der Kundschafter Montezumas zu entgehen.

Cortes erkannte alsbald, daß eine gütige Fügung ihm den dicken Kaziken zugeschickt. Unschätzbare Aufklärungen konnte dieser Mann ihm geben. Daher bemühte sich Cortes, durch bezaubernde Freundlichkeit sein Vertrauen zu gewinnen und durch geschickt gestellte Fragen ihn zum Reden zu bringen. Wie sei das möglich, rief er aus, daß der König der Totonaken vor Montezuma zittere? Reiche denn der Arm Montezumas zwanzig Sonnen weit? Seien denn die Mexikaner unüberwindlich? Wenn die Totonaken Hilfe brauchten, sei er bereit, sich und sein Heer für sie einzusetzen.

Die Augen des dicken Kaziken schimmerten wässerig. »O großer Krieger, o weißer Gott! Du kamst zu uns, damit wir uns in deinen Mantel stellen!« rief er aus, asthmatisch nach Luft schnappend wie ein alter Karpfen. Tränen und Schweißtropfen glitten über die fleischigen Wangen und zerstörten die Gesichtsbemalung. Er seufzte tief auf. Und er schüttete dem weißen Gott sein übervolles Herz aus.

Seit Xelhua die sieben Höhlen und das Reiherland verlassen, seien die Totonaken immer ein freies Volk gewesen, und erst vor wenigen Jahren habe Montezuma ihnen das Joch der Dienstbarkeit auferlegt. Die nimmersatten Götter Mexicos hätten die Wasserstadt zum Entsetzen der Welt gemacht, hätten den Zornigen Herrn in Blut gekleidet. Wie ein durchsichtiger Smaragd, wie ein Kristall sei Montezumas Palast – aber abgeschnittene Menschenhände, Leichenköpfe und fleischlose Kiefer lägen auf den Wegen der Länder, und die Menschen sagten in der Angst ihrer Herzen: Der Jaguar kam über uns! ... Wie den Totonaken sei es unzähligen Völkern ergangen. So weit Anahuac reiche, wehklagten alle unter der Knechtschaft der erbarmungslosen Ausbeuter. Vom östlichen bis zum westlichen Weltmeere laste der Mexikaner fürchterliche Gewaltherrschaft. Denn Goldtribut nicht nur – auch Blutzoll müßten die Unterdrückten zahlen. Adlige Knaben forderten die Zollerheber, um sie auf den Altären Tenuchtitlans zu zerschneiden und ihr Blut in Maisbrot verbacken an das Volk zu verteilen, und Mädchen forderten sie, um sie zu schänden, sie als Krieger-Dirnen in Tanzhäuser zu sperren, sie in den Straßen Tenuchtitlans wandern zu lassen.

Hier unterbrach ihn Cortes und fragte, wie es komme, daß so viele tapfere Völker diese Scheußlichkeiten geduldig litten, ob denn keine Aussicht sei, daß die Geknechteten sich vereinten, in gemeinsamem Aufschwung das furchtbare Joch abschüttelten und den Untergang Mexicos herbeiführten? ...

Das bedrückte Gesicht des dicken Kaziken strahlte auf.

»Der Untergang Mexicos hat schon begonnen!« rief er. »Wir waren uneinig, von früher her verfeindet. Doch Montezuma selbst hat uns einig gemacht. Montezuma selbst legte die Schlinge, die ihm nun das Herz zuschnürt. Montezuma selbst gab uns – was uns bis dahin gefehlt – den Anführer, den sieghaften Feldherrn!«

Und der dicke Kazike erzählte von der Schwarzen Blume. Nach dem Tode des Herrn des Fastens hatte Montezuma nicht ungern den Bruderzwist in Tezcuco gesehen, hatte ihn anfänglich sogar geschürt. Bestochen durch mexikanisches Gold und beeinflußt durch den Überwältiger, den als Gesandten nach Tezcuco entbotenen Bruder Montezumas, hatten die Königswähler den ältesten der Prinzen, den Edlen Traurigen, den Verlobten der Prinzessin Maisblüte, zum König von Acolhuas erwählt. Als das Ergebnis der Wahl dem im Jaguarsaal versammelten Adel und den königlichen Prinzen mitgeteilt wurde, beglückwünschte Prinz Ohrring-Schlange seinen ältesten Bruder und forderte auch den jüngsten, die Schwarze Blume, auf, dem neuen König den Treueid zu leisten. Aber zitternd vor Wut legte die Schwarze Blume Einspruch ein gegen die Anzettelungen der Mexikaner. Nicht tot sei der Herr des Fastens, rief er, sondern verschwunden, davongezogen, in ein fernes Land vielleicht, und werde gewiß wiederkehren, die Erbfolge zu regeln. Bis dahin vertrete ihn der Besitzer der blauen Stirnbinde – und das sei er, die Schwarze Blume! Keinesfalls aber gebe die Erstgeburt dem Edlen Traurigen ein Vorrecht vor andern, welche treuer zu Tezcuco hielten und ein härteres Herz trügen in ihrer Brust! – Ein Teil des Adels, hingerissen von der Unbändigkeit des Jünglings, jubelte ihm zu. Darauf eilte die Schwarze Blume in die Gemächer seiner Mutter, der Herrin von Tula, und forderte stürmisch von ihr, sie solle zwischen ihm und dem Edlen Traurigen Schiedsrichter sein. Auch der Edle Traurige mit seinen Anhängern begab sich zur Herrin von Tula und führte Klage gegen den Anfechter altheiligen Brauches. Die Witwe des Herrn des Fastens hörte beide Kläger an und gab ihrem und des toten Königs Lieblingssohn, der Schwarzen Blume, recht. Von diesem Augenblick an war das Land Acolhuacan in zwei auseinanderklaffende Teile gespalten, denn die Mehrzahl seiner Bewohner beugte sich dem Willen der Herrin von Tula, als wäre es der Wille des entschwundenen großen Königs.

In Tezcuco herrschte zwar das Gold Mexicos. Aber außerhalb der Stadt sammelte die Schwarze Blume ein Heer von hunderttausend Mann und stiftete durch Sendschreiben die unterdrückten Völker an zum Aufstand gegen das verhaßte Mexico. Dreißig Städte öffneten ihm willig die Tore, huldigten ihm als Befreier, waren überfroh, endlich die lastenden Ketten Mexicos abwerfen zu können. Sein Zug durch die Länder war ein Siegeszug. Der hochmütige Feldherr die Rose hatte sich erboten, ihn im Zweikampf lebend zu fangen und vor Montezuma zu schleppen. Am Seeufer, angesichts der Tore Tenuchtitlans und vor den Augen des Empörerheeres, wurde der Einzelkampf ausgefochten. Mit einem einzigen Schlage seines Sägeschwertes streckte die Schwarze Blume den stolzen Vorsteher des Hauses der Spiegelschlange nieder und verbrannte den noch Lebenden auf einem Scheiter von Binsen, während auf den Mauern Tenuchtitlans Montezuma mit seinem Hofstaat stand und ergrauend zusah, unmächtig, den Flammentod seines Getreuen zu hindern.

Und jetzt, vor wenigen Tagen, hatte die Schwarze Blume Boten an die Totonaken geschickt. Aufgefordert hatte er sie, sich dem Aufstand anzuschließen, und zugleich das Ersuchen an sie gerichtet, Vermittler zu sein zwischen ihm und den weißen Fremdlingen. Durch den Mund des dicken Kaziken bot er seine Bundesgenossenschaft an und seine Bereitwilligkeit, durch Verträge sich zu binden – auf daß sie in gemeinsamem Kampf Mexico zu Fall brächten und in den Tiefen des Sees versenkten eine fluchbeladene, verwesende Leiche! ...


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