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Von Cozumal aus gelangte die Flotte an die Küste von Tabasco. Ein Jahr vorher hatte Grijalva mit dem Kaziken von Tabasco Freundschaft geschlossen. Diesmal wurden die Kastilier feindlich empfangen und sahen sich genötigt, den Eingeborenen Schlachten zu liefern. Sie blieben Sieger, denn – so beschworen später Augenzeugen – ein Ritter in weißer Rüstung und auf schneeigem Schimmel (nach einigen der heilige Petrus, nach anderen der heilige Jacobus) kämpfte in ihren Reihen.

Nachdem sie die Stadt Tabasco eingenommen, schlug Ordas mit seinem Schwerte drei wuchtige Hiebe in den Stamm eines Ceibabaumes und verkündete: die Stadt sei eine kastilische Stadt, und er fordere jeden zum Zweikampf, der sich herausnehme, das anzuzweifeln.

Doch es meldete sich niemand.

Cortes ließ die Gefangenen in Freiheit setzen und schloß Frieden. Gaben wurden ausgetauscht. Dann schifften sich die Kastilier wieder ein, um nordwärts, nach Mexico, unter Segel zu gehen.

Als sie eben die Anker lichteten, sahen sie, daß ein Boot sich dem Flagg-Schiff näherte. Im Boot befanden sich zwanzig Sklavinnen – ein Geschenk des Kaziken von Tabasco.

Eine dieser Sklavinnen war Marina.

Puerto Carrero, dem sie als Kriegsbeute zugeteilt wurde, trauerte seiner toten Isabella nach und trat Marina an Cortes ab.

Nach kurzer Zeit konnte Marina sich spanisch verständigen. Während der eintönigen, Wochen währenden Segelfahrt fand Cortes Zerstreuung und Vergnügen am Geplauder mit der kindjungen Mexikanerin. Ihr Lerneifer und ihre Wißbegier waren unersättlich. Voll Inbrunst dem neuen Glauben ergeben, hörte sie nichts lieber als die heiligen Geschichten des Alten und Neuen Testaments.

Als eines Tages Cortes ihr vom Erzvater Jacob und seinen zwölf Söhnen erzählte, wie Joseph nach Ägypten kam und dort reich und mächtig wurde – füllten sich ihre Augen mit Tränen.

»Das ist meine Geschichte«, sagte sie.

»Wie meinst du das?« fragte Cortes.

»Die eine Hälfte habe ich erlebt. Und gebe Gott, daß ich das andere auch erlebe!«

»Das sind Rätsel! Erkläre mir's!« sagte Cortes.

»Ihr werdet es gleich verstehen«, fuhr Marina fort. »Seht, die Brüder zeigten das blutige Ärmelkleid vor und hatten doch Joseph nach Ägypten verkauft. Das ist es, was ich selbst erlebt habe. Und was ich mit Gottes Hilfe noch erleben möchte, ist das andere: Joseph wurde ein großer Herr, lud Vater und Geschwister zu Gaste und vergalt ihnen Böses mit Gutem! ...«

Dann erzählte Marina ihr junges, wunderseltsames Leben.

Im Südosten des mexikanischen Reiches, in der Provinz Coatzacualco war sie geboren, als einziges Kind eines hohen Würdenträgers. Ihrem Rang und dem Reichtum ihres Vaters entsprechend wurde sie in Künsten und Wissenschaften erzogen gleich den vornehmsten Erbinnen des Landes. Sie war dreizehn Jahre alt, als der Vater starb, und all sein Besitz, die reiche Stadt Painala und die großen Güter in ihrer Umgebung, wurde Eigentum ihrer Mutter. Bald darauf ging ihre Mutter eine neue Ehe ein und hatte von ihrem zweiten Gatten einen Sohn, den sie von seiner Geburt an über alles liebte. Die Mutter faßte einen Haß gegen ihre Tochter, da diese die Erbansprüche des kleinen Stiefbruders beeinträchtigen konnte. Eine Haussklavin hatte eine Tochter im Alter von Marina, und das Mädchen erlag einer Krankheit damals. Marinas Mutter kaufte der Sklavin die Kinderleiche ab und schloß die eigene Tochter in ein dunkles Gemach ein. Prunkvoll bahrte sie die Leiche auf und ließ bekanntgeben, Marina sei tot. Vom dunklen Gemach aus, wo sie gefangen war, hörte Marina die Litaneien ihres eigenen Begräbnisses an, die heuchlerischen Wehklagen der Mutter, die Tröstungen der Verwandten, die Grabgesänge der Priester. Heimlich bei Nacht wurde dann ihr Kerker von fremden Männern geöffnet, und sie wurde nach Xicalanco geschafft und während der Reise entjungfert. Im Auftrage ihrer Mutter verkauften sie die Leute von Xicalanco an Sklavenhändler, und diese brachten sie nach Tabasco. Der Kazike, dessen Beischläferin sie gewesen, verschenkte sie weiter an die Kastilier.

Ohne Trauer, ohne Groll, ohne Anklage erzählte sie das. Sie war durch Pfützen gegangen, doch im schmutzigen Wasser hatten sich ihr Leib und ihre Seele geläutert und rein gebadet. Ein strahlendes Ziel leuchtete ihr vor: zu werden wie Joseph, der Reinste der Reinen, und den blutigen Ärmelrock zu vergelten mit segenschwerer Güte und Beglückung.


Die vom Heere während des Aufruhrs gefaßten Beschlüsse gelangten in wenigen Wochen zur Ausführung.

An den Sanddünen, mehrere Meilen nördlich vom Feldlager, wurde die Hafenstadt Villa Rica de la Vera Cruz gegründet, ein Kastell, eine Kirche, ein Regierungsgebäude, Proviantmagazine, einige Wohnstätten und die Stadtmauer, mit Schießscharten und Türmen, wurden von den fünfhundert Mann des Heeres erbaut. Um seine Leute anzufeuern, nahm Cortes selbst den Spaten in die Hand, trug Erdkörbe, Mörtel und Kalk. Die Stadt erhielt eine kleine Besatzung, an deren Spitze der alte Fähnrich Escalante stand.

Auf der Capitana segelten Puerto Carrero, Montejo und der Obersteuermann Alaminos ab nach Europa, als Überbringer der Geschenke Montezumas und zweier Briefe an den Kaiser. Das eine Schreiben war von Cortes, sein erster langer Bericht, das andere war eine Bittschrift – Seine Majestät möge die Beschlüsse des Heeres und die Ernennung des Oberfeldherrn genehmigen – und war versehen mit den Unterschriften aller Offiziere und Soldaten.

Das Heer war marschbereit. Da wurde durch einen Cortes treu ergebenen Büchsenspanner, Bernaldino de Coria, eine neue Bündelei aufgedeckt. Der Lizentiat Juan Diaz, der Büttel Escudero und die Steuermänner Cermeño und Gonzalo de Umbria gestanden, auf der Folter befragt –: sie wollten sich eines Schiffes bemächtigen, nach Kuba in See stechen und Diego Velazquez von allen Geschehnissen unterrichten. Cortes ließ die Schuldigen durch ein Kriegsgericht seiner Offiziere aburteilen. Der Lizentiat wurde begnadigt, dem Gonzalo de Umbria wurden die Füße abgehauen, Escudero und Cermeno erlitten den Tod durch den Strang. Als Cortes das Todesurteil seines einstigen Häschers Escudero unterschrieb, rief er aus:

»Ich wollte, ich hätte nie schreiben gelernt! ...«

Und dann vollführte er jene glorwürdige Tat, die Vernichtung seiner Schiffe. Er ließ sie anbohren, auf Sand laufen, und eigenhändig hielt er die brennenden Pechfackeln an die zehn schön gezimmerten Karavellen-Buge. Im glühenden Schein der zum Himmel leckenden Flammenzungen und Feuergarben verwandelte sich das Meer in eine Blutsee ...

Nun gab es kein Zurück! ...

Mit Jubel und Grausen stand die Mannschaft am Ufer, belichtet von den aus schwarzen Rauchwolken flackernden karminroten Fackeln der Maste.

Man sprach von Gefahren, von der Unmenschlichkeit des Gegners. Cortes erzählte, was der dicke Kazike ihm berichtet hatte von der geschundenen Königstochter der Culhuas.

»Und sich vorzustellen, daß wir selbst vor zweitausend Jahren solche Bestien waren!« rief Rodrigo Rangel.

»Gottlob, daß wir es nicht mehr sind!« bemerkte der blonde, blauäugige Alvarado.

Und Cortes sagte:

»Darum zogen wir aus, um die Greuel abzuschaffen!«

Rot brandete das Blutmeer, als Cortes den Befehl zum Abmarsch gab.

Und die Soldaten schwenkten ihre Sturmhauben und schrien frenetisch:

»Nach Mexico! Nach Mexico!«


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