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Inzwischen hatte das Heer einen dichten Eichenwald durchschritten. Heraustretend, sah es sich tausend Otomis gegenüber. Cortes ließ durch den Notar und kaiserlichen Sekretarius Godoy eine Aufforderung an die Otomis verlesen, die Feindseligkeiten einzustellen. Feierlich trat der Sekretarius in die Mitte zwischen beide Heere, und einen Augenblick lang verhielten sich auch die Indianer still, verwundert über sein Gehaben, gespannt erwartend, was nun folgen werde. Im Namen des Kaisers Don Carlos – und vor Zeugen – forderte Godoy sie auf, Frieden zu halten. Die Indianer verstanden keine Silbe, mußten ihn wohl für einen Zauberer halten, sie erhoben ein Indianergeheul, überschütteten ihn und das kastilische Heer mit Pfeilen, Speeren und Feldsteinen. Da stieß Cortes den Schlachtruf aus:
»Santiago und los auf sie!«
Des Trompeters Rodriguez lilienförmige Trompete schmetterte hell. Die Kastilier stürmten an. Die tausend Otomis gerieten ins Wanken, zogen sich in eine Schlucht zurück, und das kastilische Heer, überhitzig in der Verfolgung, ließ sich in die Schlucht hineinlocken. Zu spät erkannte Cortes, daß ihm ein Hinterhalt gelegt war. Dreißigtausend Mann – Otomis sowohl wie Tlascalteken – fingen den Anprall der Verfolger in der Schlucht auf. Mehr noch als die Überzahl der Feinde war für die Kastilier die Enge des Geländes verhängnisvoll, wo weder die Kavallerie noch die Artillerie zur Wirkung kommen konnten. Hier galt es Mann gegen Mann kämpfen, einer gegen zehn. Eisern waren wohl die Schlachtschwerter, eisern der Mut, eisern die Muskeln – auf die Dauer hätten sie aber doch erliegen müssen. Schon sanken manche Soldaten pfeilbespickt, blutüberströmt nieder. Der Reiter und Musikus Rodrigo Moron aus Bayamo wurde vom Pferd gerissen, sein Pferd wurde getötet, wurde erbeutet von den Tlascalteken. Ein hitziger Kampf entspann sich um das tote Pferd. Mit übermenschlicher Anstrengung suchten immer und immer wieder die Christen die Pferdeleiche zurückzugewinnen. Vergebens. Im Triumph schleppten die Tlascalteken das menschenfressende Hirschungeheuer aus dem Kampfbereich, und noch am selben Abend zerhackten sie es und schickten die Gliedmaßen des Wundertieres an alle Städte des Landes.
Marina war überall. Marina richtete den Mut der Verzweifelnden auf. Marina wagte sich ins dichteste Schlachtgewühl, ermahnte, spornte an, feuerte an. Und wie von höherer Macht gefeit war sie, kein Pfeil ritzte ihr die Haut.
Die Lage war verzweifelt. Die Totonaken begannen zu weichen, die Totonakenführer glaubten an keine Rettung mehr. Wir alle sind verloren! jammerten sie, als Marina ihnen die Allmacht des Christengottes vorhielt, der die Seinen nie im Stiche lasse. Da ritt Diego de Ordas an Cortes heran und rief:
»Gebt mir ein Fähnlein von sechzig Mann, so erzwinge ich den Engpaß dort!«
»Ihr wollt Euch opfern, Ordas!« sagte Cortes kopfschüttelnd. »Ein nutzloses Opfer! ...«
Doch Ordas bestand darauf, loderte vor Begier. Und Cortes spürte, daß der alte Rittersmann in diesem Augenblick eine Flamme war, eine brandheilige Flamme, fähig vielleicht, ein Wunder zu bewirken. Er gab ihm die sechzig Mann. Und wirklich, das Wunder geschah. Ordas brach durch den Engpaß.
Und als der Durchbruch gelungen war, gelangte das Christenheer heraus aus der Schlucht, gelangte auf eine weite Ebene. Hier war die Artillerie nicht mehr zur Untätigkeit gezwungen, hier konnte die Kavallerie eine Attacke reiten, hier konnte die Infanterie einen Wald von Hellebarden aufpflanzen. Mit wägender Umsicht nutzte Cortes alle Vorteile des Geländes aus. Ein Meisterstück war die Neuaufstellung seiner kleinen Phalanx, die Umgruppierung, während rings die Schlacht tobte. Und als ihm das geglückt war, rief er wieder:
»Santiago und los auf sie!«
Ein neuer Ansturm. Das rasende Geheul der Indianer überdonnerten nun die Geschütze. Die Steinkugeln der Singenden Nachtigall, groß wie Menschenköpfe, mähten Hunderte von Tlascalteken nieder. In geschlossenem Trupp sprengten die Reiter mit eingelegten Speeren ins dichteste Gewühl, überrannten, zerstampften, rissen Breschen in die feindlichen Reihen. Nach kurzem, wütendem Kampf war die Schlacht entschieden. Trotz zehnfacher Übermacht brach des Feindes Kraft. Er floh.
Unbeschreiblich war der Jubel der Sieger. In das freudige Geschmetter der Trompeten – Sebastian Rodriguez blies sich die Lunge aus – sowie der Muschelhörner und Holzpauken der Totonaken mischten sich christliche Choräle und barbarische Dankeslieder der rothäutigen Bundesgenossen. Die Soldaten umarmten einander, weinten und lachten vor Glückseligkeit. Sie bildeten aus ihren Schilden ein Dach und hoben Ordas darauf, dessen Wagemut den Durchbruch durch den Engpaß und damit den Sieg erfochten hatte. Dann trugen sie johlend Cortes umher, mußten doch heute seine heimlichen Feinde sogar ihm Feldherrngenie zugestehen. Und zum Schluß setzten sie die schöne Amazone Maria de Estrada auf das Schilderdach und feierten sie, weil sie so zielsicher mit ihrer Lanze einem Dutzend Tlascalteken die Augen und das Gehirn durchbohrt hatte. Ihr Gatte Farfan, der Weißhändige, verging schier vor Stolz über solch ein Weib ... Der Kriegshäuptling Tehuch aber schritt mit dickverbundenem Schädel durch die Reihen der Totonaken und wußte nicht genug des Lobes über Marina zu sagen, welche, als alle verzweifelten, ihm geweissagt hatte, daß der Christengott die Seinen nicht im Stich lassen werde. Auf Vorschlag der Totonaken wurde zu guter Letzt auch Marina auf das Schilderdach gehoben und feierlich umhergetragen.
Unweit des Schlachtfeldes ragte aus der Ebene ein Hügel empor, gekrönt von einem kleinen Opfertempel. Da die Pyramide einen weiten Blick ins Land gewährte und sich gut zur Verteidigung eignete, ließ Cortes das Nachtlager unterhalb des Hügels aufschlagen. Um seine Leute bei guter Stimmung zu erhalten, stiftete er das letzte Faß Pedro Ximenes. Mundvorräte zu verteilen gab es nicht. Schon seit zwei Tagen hungerte das Heer.
Trotz der Müdigkeit ritt gegen Abend Cortes mit Alyarado, Luis Marin, Olid, Dominguez und Lares in die Umgegend, Furage zu suchen. Einige leere Dörfer, in die sie kamen, waren von Toten bevölkert. Auf Steinbänken vor den Häusern saßen Tlascaltekenleichen. Regungslos und doch seltsam lebendig durch die sitzende Stellung. Einige schienen zu brüllen, andere zu grinsen, und andere waren ernst verklärt, Sägeschwerter und Speere hielten sie in den Händen. Die untergehende Sonne glühleuchtete auf den zerfetzten Adlerfedern, Schakale heulten in der Nähe, wagten sich an die stillen Bewohner nicht heran, lauerten auf das Dunkel der Nacht. Die Toten waren von ihren Mitkämpfern aus dem Schlachtgewühl getragen worden – sie sollten den Feinden nicht in die Hände fallen, von den menschenfressenden Hirschungeheuern nicht verzehrt werden. Und für den Fall, daß sie gefunden würden, hatte man ihnen Waffen in die Hände gegeben, sie aufrecht gesetzt, daß sie wie lebend, furchterregend, unantastbar erscheinen mußten. In der Tat, die Hirschungeheuer schauderten vor ihnen, trabten davon, ohne ihnen ein Leid zu tun.
Viel brachten die Reiter nicht heim von ihrem Ritt. Außer Maiskuchen und einer Anzahl Truthennen einige eßbare, verschnittene, gutgemästete Hunde.
Bis in die Morgenstunden wurde das Siegesfest gefeiert. Viel Verbände zwar hatte die gütige Ines Florin zu machen, Isabel Rodriguez wurde nicht müde, Wundsegen zu sprechen, und auch die anderen Frauen mußten Samariterdienste leisten. Pfeilwunden hatte fast ein jeder der Soldaten und Hauptleute aufzuweisen. Schweißtriefend erklärte der verrückte Baccalaureus, er wisse nicht, wo ihm der Kopf stehe, er werde noch verrückt, das sei ja, um wahnsinnig zu werden – denn schon ginge ihm das Indianerschmalz aus! ... Doch außer dem Apotheker klagte niemand. Selbst die Schwerverwundeten mühten sich, nicht zu stöhnen. Und die anderen, nachdem sie sich hatten verbinden lassen, tollten, schossen Freudenschüsse, sangen Seguidillas und Cantarcillos, spielten Glücksspiele beim Wachtfeuer. Die Kost war schmal – dafür gab es Wein, Gesang und Tanz. Das Lärmen der Tamborile und Kastagnetten verstummte die ganze Nacht nicht. Der Bergmann und Tanzmeister Ortiz, der Musikus Moron, dessen Pferd von den Tlascalteken zerstückelt worden war, und Meister Pedro de la Harpa – der jüngst auf den Schiffen des Garay aus Jamaica gelandet – sie überklingelten, überboten, übergipfelten einander auf ihren zispernden Gitarren und erfüllten die feinhörige Nacht mit schwirrendem Gezirp. Porras, des rothaarigen Sängers, Stimme rollte dumpf, als redete der Erdgeist. La Medina wurde verlangt. Sie kam, mit Messingscheibchen behängt, in einem kurzen, kaum bis zu den Knien reichenden Flitterröckchen und einem unterhalb der bloßen, straffen Brüste geschnürten Mieder. Und mit dünnen, nackten Schenkeln tanzte sie heilig wie die tanzenden Engel Fra Angelicos.
Auf La Medinas Einzeltanz aber folgten Reigen, Fackeltänze, Plumptänze. Ein Wirbel der Leiber, ein Wirbel der Seelen, und alle wurden mit fortgerissen. Der junge Fähnrich Antonio Villareal drehte sich zierlich im Kreise mit der olivenbleichen Isabel de Ojeda – heute, endlich, war sie seine Braut.
Als nämlich Diego de Ordas auf den Schilden der Soldaten umhergetragen worden war, kam sein Mündel, Isabel de Ojeda, auf ihn zu, ihn zu beglückwünschen. Mit schmerzlicher Wehmut betrachtete er sie und sagte:
»Den Engpaß habe ich gewonnen und Euch verloren, Doña Isabel!«
»Wie meint Ihr das?« fragte sie.
»Nun so ... Als ich im Engpaß focht, tat ich ein Gelübde – wie Jephtha, der seine Tochter opferte ...«
»Ihr wollt mich doch nicht opfern?« fragte sie lachend. »Und wenn, so hoffe ich, daß Ihr mir Zeit lassen werdet, mein Mädchentum zu beweinen!«
»Fragt Villareal, ob er Euch Zeit dazu läßt!« sagte der alte Ritter grimmig, und er fügte hinzu: »Ich zahle Euch die Aussteuer, Isabel. Er ist ein eitler Mensch – doch Ihr liebt ihn ... Ich weiß, ich weiß ja doch! ...«
Und Ordas winkte Villareal heran, der in der Nähe stand. Er legte ihre Hand in seine.
»Sie ist erst siebzehn Jahre alt, Fähnrich!« sprach er mit knarrender Stimme. »Gebt ihr zwei Monate Zeit, ihr Mädchentum zu beweinen!«
Während das Heer tanzte, sang und grölte, wurden mehrere tlascaltekische Gefangene gefoltert. Der Henker des Heeres war ein gewisser Pero Osorio, ein früherer Matrose. Schlankgliedrig war er, überlang, flachstirnig, hatte buschige, zusammengewachsene Augenbrauen, ein breiter schwarzer Bart verbarg seine Gesichtszüge wie eine stählerne Maske. Aus freien Stücken, aus Liebhaberei hatte er sich zum Amt gemeldet. Er war es, der dem Büttel Escudero und dem Steuermann Cermeño auf den Galgen hinaufgeholfen und dem Gonzalo de Umbria die Füße abgehauen. Auch sonst hatte er schon öfter Gelegenheit gehabt, seine Handfertigkeit zu vervollkommnen.
An Folterwerkzeugen fehlte es ihm nicht. Zu freier Verfügung hatte er Daumschrauben, Pechlöffel, spanische Stiefel, Zungenreißer, Halseisen und Brandmaleisen.
Marina stand neben ihm, während er folterte, wie eine barmherzige Schwester einer Amputation beiwohnt. Sie litt nicht, denn das Furchtbare, das sie mit ansah, geschah zum Segen ihres Volkes, geschah auf Wunsch ihres Abgottes. Ihr Abgott, der Heilbringer Cortes, wünschte Antworten auf die Fragen, die sie an die Gefolterten stellte: Wieviel Otomis, wieviel Tlascalteken kämpften in der Schlacht? Wer sind ihre Anführer? Wieviel Mann kann Tlascala aufstellen? und dergleichen Fragen mehr.
Zwei der Gefolterten starben mit Hohnworten auf den Lippen. Die anderen widerstanden lange, als Kraft und Trotz zu erlahmen begannen, sagten sie aus, verrieten ihre Heimat.
Beglückt trug Marina die Aussagen zu Cortes.
In seinem Zelt saß Cortes allein mit dem Astrologen Botello. Draußen tobte das Tanzfest der Soldateska, die beiden Männer aber erörterten überirdische Dinge, redeten von Sphären, Sigillen und Himmelszeichen. Nachdem Marina eingetreten, erhob sich der alte Italiener, setzte seinen schwarzen, hohen Spitzhut auf, verließ mit bedächtigen Schritten das Zelt. Auf dem Tisch lagen Papiere mit kabbalistischen Zeichen. Ein schwelendes Öllämpchen gab trüben Schein. Doch noch trüber, das spürte Marina, war der Dämmer, der heute von des Geliebten Seele ausging.
Sie erstattete Bericht über die Folterung. Cortes nickte:
»Das nächste Mal werden es also mehr als sechzigtausend sein! ...« murmelte er.
»Und wieder wird der Christengott siegen!« rief sie zuversichtlich. »Was hat der Sterndeuter verkündet ?«
»Gutes«, sagte Cortes einsilbig.
»Und dennoch? ...« fragte sie.
»Und dennoch zermalmt mich die Verantwortung. Doch das wissen nur du und ich und Gott!« sagte er und streichelte ihr über das blauschwarze Haar.
Eine Weile schwiegen sie. Überlaut war der Lärm der Tanzenden draußen.
»Die dort wissen es nicht!« fuhr er fort. »Sie können tanzen ... sie sind sorglos ... kreisen umher wie die sorglosen Sterne, die mir Gutes, allzu Gutes wahrsagen.«
»Warum allzu Gutes ?« fragte Marina.
»Schlimmes kann man fürchten, Gutes erhoffen. Doch allzu Gutes – daran wagt man nicht zu glauben. Ich liebe und ersehne diese kühnen Tlascalteken, wie ein Jäger den herrlichen Hirsch liebt, den er verfolgt, um ihn zu erlegen. Doch daß der Hirsch inmitten der Jagd innehält, zahm auf mich zukommt, mir die Hände zu lecken – das kann ich nicht glauben ... Geschähe das – ich müßte mir unheimlich vorkommen ...«
»O Don Hernando, Ihr wißt noch nicht, wer Ihr seid! Ich aber weiß es!« sagte Marina und küßte ihm die Falten von der Stirn.
Zwei Tage später waren die Tlascalteken in einer dritten Schlacht – der Entscheidungsschlacht – geschlagen. Und Prinz Kriegsmaske eilte nach Tlascala, um zu retten, was noch zu retten war.
Die Steme hatten wahr gesprochen. Unerhört war der Sieg, unerhört aber auch das Glück des großen Abenteurers. Die Niederlage Tlascalas wurde verursacht durch Kreideschmetterling, die schöne Knäbin.
Nachdem die Heere Piltecatls und des Prinzen Kriegsmaske sich vereinigt hatten, war es Prinz Kriegsmaske zu Ohren gekommen, daß Piltecatl den Hermaphroditen in seinem Zelt beherbergte. Prinz Kriegsmaske sandte an den Nebenbuhler die Aufforderung, ihm unverzüglich Kreideschmetterling auszuliefern. Mit Hohn verweigerte das Piltecatl. Inzwischen hatten Geplänkel mit dem Christenheer begonnen, und bald tobte die Schlacht. Piltecatl stürzte sich in das Schlachtgewühl. Da ließ Prinz Kriegsmaske das Zelt Piltecatls umstellen, ließ Kreideschmetterling herausholen und zu sich in sein Zelt bringen. Sobald Piltecatl erfahren hatte, daß Kreideschmetterling ihm geraubt sei, schickte er an Prinz Kriegsmaske eine Aufforderung zum Einzelkampf. Prinz Kriegsmaske lehnte den Einzelkampf ab. Darauf verließ Piltecatl mit seinen vierzigtausend Kriegern das Schlachtfeld. Der Abzug des größeren Teiles des Heeres verwirrte und entmutigte die Zurückbleibenden. Besser eingeschossen als das letztemal, rissen die Kartaunen und Falkonette mörderische Lücken. Und als Alvarado und Sandoval mit geglückter Umgehung dem linken Flügel in den Rücken fielen, war kein Halten mehr. In wilder Flucht stoben die Tlascalteken und die Otomis auseinander.
In der Stadt Tlascala angekommen, rechtfertigte sich Prinz Kriegsmaske vor dem Hohen Rat, schob alle Schuld auf die Verräterei Piltecatls, erbot sich, die Scharte wieder auszuwetzen. Doch der Rat der Alten hatte den Glauben an den Sieg verloren. Es wurde beschlossen, das Orakel der Priester zu befragen: ob die Fremden vielleicht doch Götter seien? Denn wenn sie Götter seien – wäre es ja aussichtslos, gegen sie zu kämpfen!
Nach mehrstündiger Beratung verkündeten die Priester:
»Die weißen Götter sind keine Götter, doch sind sie Söhne der Sonne und schöpfen ihre Kraft aus dem Sonnenlicht! daher lassen sie sich nur bei Mondlicht besiegen.«
Der Orakelspruch war widerspruchsvoll. Denn verpönt waren Nachtkämpfe bei den Völkern Anahuacs, seit uralters von den Göttern verboten, und nun wurde von den Göttern ein Nachtkampf angeraten. Leidenschaftlich trat Prinz Kriegsmaske dafür ein, den Rat zu befolgen. Sein hundertjähriger Ahn, die Sammelnde Biene, und dessen Anhänger unterstützten seinen Antrag, ihm das Heer noch einmal anzuvertrauen, damit er die Standarte des Freistaates, den goldenen Adler mit den ausgebreiteten Flügeln, zum Siege führe. Umsonst warnte das Offene Gesicht:
»Noch mehr Blut wird umsonst fließen, und ihr alle werdet die Blutschuld tragen, da ihr gegen den Himmel kämpfen wollt. Wenn die Blüte Tlascalas hingemäht ist, werdet ihr beklagen, daß ihr nicht schon früher auf meine Worte gehört!«
Sofort nach der Sitzung verließ Prinz Kriegsmaske die Hauptstadt, um den nächtlichen Überfall vorzubereiten
Doch schon den nächsten Tag hatte das Offene Gesicht die Genugtuung, daß die Sammelnde Biene wie auch alle Anhänger des Hundertjährigen ihm beipflichten und dafür stimmen mußten, Frieden mit den Söhnen der Sonne zu schließen. Ein unerwarteter Gast war nämlich in Tlascala eingetroffen. Der große Otomi-Held, der Irdene Krug, der dem Tode geweihte Kriegssklave der Mexikaner, war von Montezuma heimgeschickt worden in seine Berge und Täler mit dem Auftrage, Tlascala zum Kampf gegen die weißen Götter aufzustacheln.
Vollzählig saß der Rat der Alten auf den kurulischen Sesseln, den großen Sohn Tlascalas, den allgerühmten, betrauerten und geschmähten, welcher nun als Führer einer Gesandtschaft Montezumas in die Stadt gekommen war, anzuhören. Als er mit seinem stolzen mexikanischen Gefolge in den Saal trat, wurde er kühl begrüßt. Bekannt war es ja, daß er als Vorsteher des Hauses der Speere in Guatemala, Nicaragua und Yucatan mexikanische Truppen befehligt hatte. Kein Wunder, daß man ihn für einen Günstling des Zornigen Herrn hielt, für einen Landesverräter, der aus Furcht vor dem Opfertod sich an den Erzfeind verknechtet, Feldherrnrang und Reichtümer erschmeichelt hatte.
Und seine ersten Worte gaben scheinbar seinen Verächtern recht. Gekleidet als Mexikaner, sprach er als Mexikaner, zeigte kein Schuldbewußtsein. Schlicht erzählte er, wie Montezuma, erschreckt über die drei Niederlagen der Tlascalteken, ihn zu sich gerufen und ihm befohlen habe, den Hohen Rat zu ermahnen, daß er im Kampfe gegen die weißen Götter nicht nachlasse, und die Beendigung des Blumenkrieges, die Öffnung der Grenzen stellte Montezuma als Lohn in Aussicht. Wörtlich wiederholte der Irdene Krug die Rede des Zornigen Herrn.
Dann aber sprach er von sich aus, warnte den Hohen Rat vor den Ratschlägen des Erzfeindes. Ein jäher Umschwung trat ein. Er riß die Versammlung hin. Doch einige schleuderten ihm das Wort »Verräter« zu.
»Die Füchse sind klüger als der Wolf«, rief der Irdene Krug, »und werden am Wunsche des Wolfes erkennen, was gut für sie ist!«
»Hört nicht auf den Knecht Montezumas!« schrie ein Anhänger der Kriegspartei.
»Hört auf die Stimme eines Toten!« entgegnete der Irdene Krug, sich hoch emporrichtend. »Nicht Montezuma bin ich verknechtet, sondern Mictlan-Tecutli, dem Herrn der neuen Totenreiche. Ihm gehört mein Blut. Er, der Fürst der Totenknochen, der Weiße Herr, hat mich auf der Oberwelt gelassen, hat mich Gestorbenen am Leben gelassen, auf daß ich meinen Bergen und Tälern diesen letzten, größten Dienst erweise. Einen Verräter nennt ihr mich, weil ich, Montezuma verratend, mein Volk zu retten trachte? Grausam wird Montezuma mich strafen, Glied für Glied mir abhacken lassen, weil ich an ihm ein Verräter ward; doch lachen werde ich der Qualen, wenn es mir gelang, euch und die Söhne der Sonne zu Freunden zu machen. O ihr hochmächtigen Väter, o ihr hochedlen Herren, nie wieder werdet ihr Freunde finden wie die weißen Götter, nie wieder Bundesgenossen, vor denen der König Mexicos so bebt und zittert, und mit denen vereint ihr, unbesiegbar geworden, die Stadt inmitten des Sees in Trümmer schlagen werdet wie einen verfaulten, altersmorschen Kahn!«
Die Wirkung dieser Worte war unbeschreiblich. Alle gegnerischen Stimmen waren verstummt. Die mexikanischen Begleiter des Irdenen Kruges verließen mit Drohworten den Saal. Ein Jubel ohnegleichen bewies dem Irdenen Krug, daß sein Tod, den er durch die Rede sich erzwungen hatte, nicht umsonst sein werde. Wie einst war er wieder der große Sohn Tlascalas, abgewaschen war die Schmach.
Der hundertjährige blinde Führer der Kriegspartei, die Sammelnde Biene, ließ sich zu ihm heranführen und tastete ihm mit seinen zittrigen Greisenfingern über das Antlitz. Und plötzlich – unerwartet für alle Anwesenden – ließ er sich auf die Knie nieder vor dem Irdenen Krug, beugte sich zur Erde, küßte ihm die Füße.
»O großer Krieger, du Toter!« sprach der blinde Hundertjährige. »Weh ist uns um dich! Willst du nicht bei uns bleiben, in deinen Bergen und Tälern?«
Der Irdene Krug schüttelte den Kopf und sprach lächelnd:
»Der große Montezuma erwartet mich!..«
Da riefen viele:
»Wir lassen dich nicht wieder fort! Bleibe in deinen Bergen und Tälern!«
Doch die das riefen, fühlten wohl, daß sie ihn nicht zum Leben überreden konnten. Und wie zuvor lächelnd, sagte er:
»Geliehen sind mir mein Fleisch, meine Nägel und Knochen, zurückerstatten muß ich, was mir nicht gehört. Ich will in Gestalt eines schönen Vogels ins Haus der Sonne fliegen!«
Da überredete ihn keiner mehr. Denn ein Gezeichneter war er, geweiht der Adlerschale.
In Tenuchtitlan sengte die herbstliche Mittagssonne auf das Wasser der Lagune und der Kanäle, und zurückgespiegelt glühte die hinabgestiegene Glut wieder empor und machte die Atmosphäre zittern. Auf die Quadern der Häuser und der Tempel sengte die Mittagssonne, und ihre in die Steine hinabgestiegene Glut wurde zurückgeworfen und brannte heißer als die Sonne selbst.
Im größten der Vorhöfe des Schlangenbergtempels waren Myriaden von Zuschauern versammelt, das Leiden eines Menschen mit anzusehen. Doch das in ihre Herzen hinabgestiegene Leiden strahlte nicht etwa mitleid-verklärt empor, es brannte sengend in den Tiefen der Herzen, spiegelte sich aber in Augen und Antlitzen nicht wider. Denn der Gemarterte war ein Feind Mexicos. Unempfindlichkeit gegen fremdes und eigenes Leid galt als Tugend.
Auch der Zornige Herr mit seinen Krüppeln und Narren war zugegen, ehrte durch seine Anwesenheit den Untergang und die Todesmarter des großen Otomi-Helden, des Irdenen Kruges. Noch immer hegte er so viel Achtung für den unbesieglichen, auch durch Güte nicht zu besiegenden Gegner, daß er ihm das Herausreißen des Edelsteines ersparte. Nicht auf der Adlerschale sollte der Irdene Krug verbluten. Durch seine Rede vor dem Hohen Rat in Tlascala zum Verräter geworden an Mexico, hatte er weniger Haß als Bewunderung bei den ritterlichen Mexikanern geerntet. Montezuma konnte ihm den Tod nicht mehr erlassen. Doch vergönnte er ihm, als Schaufechter sich die Todeswunde zu suchen. Eine Gunst, die, selten nur, berühmten Gefangenen erwiesen wurde.
Mehrere Tage lang waren ihm zu Ehren Feste gefeiert worden, war er mit seiner jungen Gattin zu Gastmählern geladen. Fröhliches Flötenspiel hatte ihn umklungen, Tänze schöner Mädchen hatten ihn umgaukelt, ihm die Nachtgedanken zu verscheuchen. Dann war sein weinendes junges Weib fortgeführt und getötet worden. Und bei einem der rauschenden Gastmähler waren ihm – gekocht in einem Gemüsegericht – die Geschlechtsteile seines geschlachteten Weibes vorgesetzt worden, und er hatte sie essen müssen.
Jetzt stand er inmitten des Tempelplatzes auf einem großen scheibenartigen Stein. Zwanzig Fuß im Durchmesser hatte die Steinplatte, war mit vier, den vier Windrichtungen entsprechenden, kreuzförmigen Vertiefungen und einem Loch in der Mitte versehen. Im Loch befestigt war das Opferseil. Dieses hatte die Länge des halben Durchmessers der Steinplatte, sein anderes Ende war um die Hüfte des Opfers geschlungen. Über den ein wenig erhöhten Rand der Steinplatte konnte das Opfer nicht hinaus.
Alle erdenklichen Waffen lagen auf der Steinplatte zur Auswahl für das Opfer. Denn der dem Tode Geweihte sollte sich ja verteidigen, sollte ein letztes Mal den Bewohnern Tenuchtitlans dartun, daß er ein Held war.
Der Irdene Krug ließ das Sägeschwert, Pfeil und Bogen, den Speer, den Knochendolch, die Schleuder mit den Steinen unberührt liegen, nur mit einer mächtigen Keule bewaffnete er sich.
Zwei als Jaguare gekleidete Krieger griffen ihn zu gleicher Zeit an. Sie wurden beide von ihm zermalmt. Zwei andere traten auf den Plan und hatten das gleiche Los. Acht der tapfersten schildtragenden Krieger schlug er mit der Keule nieder.
Musikinstrumente begleiteten mit schwermütigen Melodien die Kampfhandlung. Und seine Angreifer abwehrend, sang der Irdene Krug das Lied, das er seinem jungen Weibe einst gesungen, als die Dreizehnjährige aus Tlascala zu ihm gewandert war, sein Schicksal mit ihm zu teilen:
»Laß mich hingehen, laß mich sterben gehen,
Denn ich bin der Maishalm.
Ein Smaragdsplitter ist mein Herz,
Eine zerschnittene Goldfrucht ist mein Herz ...«
Von seinem neunten Gegner erhielt der Irdene Krug die Todeswunde. Noch lebend wurde er etliche Fuß hoch über der Erde an ein bereitstehendes Holzgerüst gebunden, wie ein Gekreuzigter mit weit ausgestreckten Armen. Pfeilschützen stellten sich ihm gegenüber auf. Pfeil auf Pfeil sauste auf ihn, Pfeil auf Pfeil spießte sich auf in seinen Leib und seinen Gliedern. Da erlosch der Triumph in seinen Augen.
»Eine zerschnittene Goldfrucht ist mein Herz!« murmelte er.
Und matt sank sein Kopf auf die Brust.
Im Feldlager des Prinzen Kriegsmaske waren zwei Abgesandte des Hohen Rates von Tlascala eingetroffen und überbrachten ihm den Befehl des Hohen Rates, den geplanten nächtlichen Überfall zu unterlassen. Sie unterrichteten ihn vom Verlauf der bedeutsamen Sitzung, vom überwältigenden Eindruck der Rede des Irdenen Kruges und vom Beschluß des Rates der Alten, Frieden und Bundesgenossenschaft zu schließen mit den Söhnen der Sonne, sie festlich in der Hauptstadt zu empfangen und ihnen die adligsten Töchter des Landes zu Weibern zu geben.
Prinz Kriegsmaske brach in ein wildes Gelächter aus. Ob auch seine schöne Schwester eine weiße Göttin werden müsse? fragte er.
Die beiden Abgesandten erwiderten verlegen: der Rat der Alten werde gewiß Sorge dafür tragen, daß seine Schwester den vornehmsten der weißen Götter zum Gemahl erhalte ...
Da schlug die unbändige Lustigkeit des Prinzen in Raserei um. Er ließ die beiden Boten des Hohen Rates gefangennehmen.
Und eifriger noch als zuvor betrieb er die Vorbereitungen für den nächtlichen Überfall.
Wie in einer transparenten Flüssigkeit schwamm und schwebte die rotgelbe Kugel des eben aufgehenden Vollmondes über der Gletscherkuppe des großen Vulkans von Tlascala, welcher Matlalcuheye, die Maid-mit-dem-blauen-Hüfttuch, hieß. Die Ebene war weiß von Nebeln.
Noch immer befand sich das Christenlager unterhalb des Opfertempels. Der Nebel wegen, die die Fernsicht erschwerten, hatte Cortes in dieser Nacht die Wachen verdoppelt.
Es war gegen zehn Uhr abends, als der Armbrustschütze Juan Benitez, das Auge des Heeres, einen Indianer heranschleichen sah. Er ließ ihn nahe herankommen. Wie er aber anlegte, ihn niederzuschießen, sah er, daß die Rothaut Zeichen machte. Und gleich darauf erkannte er, daß der vermeintliche Indianer eine Indianerin war und gänzlich unbewaffnet. Willig ließ sie sich von ihm gefangennehmen.
Sie mochte dreißig Jahre alt sein, doch sah sie um vieles älter aus. Ihr Gesicht war verwüstet. Abschreckend häßlich war sie – und doch ließen sich Spuren einstiger Schönheit erkennen. Etwas Mitleiderregendes war an ihr. Sie war geschminkt und trug die Haartracht und Kleidung indianischer Huren.
»Führt mich zu Eurem General«, sagte sie stammelnd auf spanisch.
Benitez starrte sie wie ein Gespenst an.
»Seid Ihr Christin, Señora ?« fragte er.
»Ja ... schnell ... zum General ... Wichtiges ... sehr Wichtiges! ...« stammelte sie. Ihre Muttersprache war ihr nicht mehr geläufig.
Um sie zu Cortes zu bringen, mußte Benitez sie durch das Lager führen. In Gruppen umherstehende Soldaten stellten Betrachtungen über das schauderhafte, verkommene Indianerweib an und riefen ihr Schimpfworte nach.
In einer der Lagergassen stand der alte Gonzalo Mejia Rapapelo, der Enkel der Räuberin, und erzählte dem Einarm von Villanueva von den Taten seiner Großmutter, der berühmten Räuberin Mejia, die unter der Regierung des Königs Don Juan Aragonien unsicher machte. Als Benitez mit dem Indianerweib an ihm vorüberkam, stieß er einen Schrei der Verwunderung aus:
»Doña Elvira! ... Ihr! ...«
Sie blieb stehen, starrte ihm ins Gesicht. Plötzlich erkannte sie ihn.
»Rapapelo! ...« rief sie leise. Ein Zittern rieselte über ihren Körper. Sie haschte nach seinem Ärmel.
Nicht weit von ihnen saß der alte Büchsenspanner Santisteban, versah Pfeile mit Federspulen. Rapapelo rief ihn, nannte ihm ihren Namen. Kaum hatte Santisteban den Namen gehört und sie erblickt, stürzte er auf sie zu, küßte ihre Hände, schluchzte laut. Sie war ja eine der wenigen Überlebenden des Blutbades von Matanzas auf Kuba. Zehn Jahre war es her. Ein zum Sklavenraub aussegelndes Schiff war gestrandet, und Indianer, angelockt durch den Schiffbruch, hatten sich erboten, die dreißig weißen Schiffbrüchigen über den Fluß zu setzen. Mitten auf dem Fluß machten sie die Wehrlosen nieder, ließen nur zwei Frauen und drei Männer – Rapapelo, Santisteban und Sanchez Farfan – am Leben. Doña Elvira, damals die schönere der beiden geretteten Frauen, des Weißhändigen vor kurzem angetraute junge Gattin, mußte ein Jahr lang als Kebsweib bei einem Karaibenhäuptling leben und wurde dann nach dem Festland hin verkauft. Seitdem war sie alle Stufen der Schmach hinabgestiegen.
»Lebt Farfan?« fragte sie weinend.
Der alte Santisteban wagte die Frage nicht zu beantworten. Er stand dem Konflikt hilflos gegenüber. Weniger zartfühlend als er, antwortete Rapapelo:
»Ja, Señora, Farfan lebt. Er ist hier. Ich will Euch zu ihm führen!«
Wieder rieselte ein Zittern über ihren Körper. Die gute Nachricht erschreckte sie, sie hatte eine andere Antwort erwartet. Nun grauste ihr vor dem Glück, als wäre das Glück tödlich für sie. Mit einer Gebärde des Entsetzens rief sie:
»Nein ... Später ...«
Und zu Benitez gewandt, sagte sie:
»Zum General ... Schnell ... Wichtiges ...«
Und Benitez führte sie zu Cortes.