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Und er langte schließlich in Sempoalla an, trabte zwischen den weißgetünchten Mauerwänden – den Silberhäusern des Ritters Ordas – den Palasthügel hinauf und ließ sich vom dicken Kaziken beweihräuchern. Der christliche König der christlichen Stadt war in der Zwischenzeit oft von der Sorge heimgesucht worden, die alten mißhandelten Götter könnten eines Tages die Tempelstufen wieder emporklimmen und über ihn zu Gericht sitzen, da er dem Gotte Dios und der Göttin Santa Malia diente. Seine Enthaltsamkeit – er aß kein Menschenfleisch mehr – hatte ein schlechtes Gewissen. Von solchen Beklemmungen befreite ihn die Siegesnachricht. Denn endgültig war damit dargetan, daß die alten Götter tot, leichentot blieben, unfähig, ihre zertrümmerten Körperteile zusammenzufügen. Ihre einstigen Priester – blankgewandet nunmehr, getauft, geschoren, mit Tonsuren versehen – mußten auf königlichen Befehl, zur Feier des Sieges, in großer Prozession durch die Stadt schreiten, sich die Ohren blutig ritzen, Papierfähnchen schwingen und Muscheltrompeten blasen. Mit Enrico Lares, dem phantastisch geschmückten Pagen Orteguilla und einer Korona von Würdenträgern begab sich der dicke Kazike, an den Ellenbogen von seinen zwei Karyatiden gestützt, über den Rasenplatz zum Haupttempel. Dort traf auch die aus der Stadt zurückkehrende Prozession ein. Sie stiegen die Pyramidentreppe empor, und vor dem Sanktuar oben, wo an Stelle eines hinabgeschleuderten Steingötzen das rosenumwucherte Ölbild der heiligen Jungfrau aufgestellt war, opferten sie, schlachteten sie der christlichen Göttin dreihundert Hunde. Mehr Hunde waren in der Stadt nicht aufzutreiben gewesen. Es war ein Ersatzopfer und gutgemeint. Der alte Invalide Juan Torres schüttelte zwar mißbilligend den Kopf, da er hundelieb war und allen Tieren zugetan, er fügte sich indes und sprach eine Litanei. Seine Wachskerzen flimmerten Sternen ähnlich im finsteren Sanktuar. Und nach der heiligen Handlung buken die Priester das Hundefleisch in Maiskuchen und verteilten diese an das jauchzende Volk.

Die dicke Prinzessin nahm die Botschaft vom Sieg mit der Würde entgegen, die ihr Benehmen stets auszeichnete. Sie erklärte: von den Söhnen der Sonne habe sie nie anderes als Siegestaten erwartet, und der kleine weiße Gott, den sie unter dem Herzen trage, werde ebensolche vollführen. Da Dona Catalina India in anderen Umständen war und sich schonen mußte, ging sie nicht mit zur Pyramide, ließ sich's aber doch nicht nehmen, vor einem ihr von Cortes verehrten Messingkreuz eine Opferhandlung zu begehen, sie riß ihrem liebsten Orange-Blaufink den Kopf ab und beschmierte das Kreuz mit dem Vogelblut.


Lares wollte gleich nach dem Gottesdienst sich wieder in den Sattel schwingen. Der dicke Kazike ließ das nicht zu und überredete ihn, die Abreise um einen Tag zu verschieben –: gegen Abend werde ein Festmahl veranstaltet, und da dürfe der Gott nicht fehlen. Bei diesem Gespräch leistete der Page Orteguilla Dolmetscherdienste. Mehr als je war er der Liebling des dicken Kaziken. Die Wangen geschminkt, an allen Gliedmaßen mit Zierat behängt, in einer wallenden Perücke aus lockenähnlichen gelben Zacuanfedern, glich er einer bengalischen Bajadere. Lares war ein rechtwinkliger Reitersmann, und ihm gefiel der Knabe nicht. Ihm gefiel nicht etwas Schmachtendes in seinem Wesen, etwas Morbides in seinem Aussehen. Eine sichtliche Veränderung war mit ihm vorgegangen. Ermattet blickten die blauumränderten Augen, eine Erschlaffungsfalte grub sich um den Mund ein.

In der schwülen Mittagsstunde, während der dicke Kazike sich schlafen gelegt hatte, wandelte Lares allein im Palastgarten umher. Feuergelbe Falter und Honigsauger umschwirrten die Jaguarblumen. In der Nähe eines Fischteiches hörte er Stimmen, ein flüsterndes Kosen, leises Schreien und Gekicher. Zwei Kinder badeten dort, ein Knabe und ein Mädchen. Um sie nicht zu verscheuchen, stellte sich Lares hinter ein Gebüsch. Der badende Knabe war Orteguilla, die kleine Badende aber, unbekleidet wie er, war eine dreizehn- bis vierzehnjährige Indianerin. Sie war bezaubernd hübsch, rosig, dünnschenklig, schmal an den Hüften, kindhaft um die Brüste. Orteguilla bespritzte sie mit Wasser, so daß sie, sich abwendend, die Hände vors Gesicht halten mußte. Dann haschte er sie, die tauchend und zaghaft kreischend vor ihm floh, bis er sie am langen schwarzen Haar erhascht hatte, und er bog ihr den Kopf nach rückwärts und küßte sie auf den blutroten Mund, als ob er in eine rote Frucht hineinbisse. Sie riß sich los, kletterte ans Ufer, er setzte ihr nach, hinderte sie, in ihr weißes Hemd zu schlüpfen, indem er ihr das Hemd zerriß. Und er warf sie ins Gras.

Lares trat aus dem Versteck und rief Orteguilla beim Namen.

Das Mädchen stieß ein dumpfes Angstgestöhn aus, wand sich aus den Armen des Knaben empor und schlich sich davon.

»Wer ist dies Mädchen?« fragte Lares hart und streng.

»Sie ist meine Frau!« antwortete der Zwölfjährige.

»Laß solche Witze sein, Knabe, sonst schlage ich dich windelweich!« schrie Lares ihn an.

Die Augen des Pagen funkelten trotzig.

»Sie ist meine Frau!« wiederholte er. »Der König hat sie mir zum Geschenk gemacht, und wir haben Hochzeit gefeiert!«

Lares mußte mit Lachen kämpfen. Doch gelang es ihm, ernst zu bleiben.

»Das wird aufhören! Dafür werde ich sorgen! Der dicke Kazike ist ein Narr!«

»Was wird aufhören ?« fragte der Knabe.

»Diese Dummheiten!«

»Sie wird nicht von mir lassen – und ich nicht von ihr!«

»Das werden wir sehen!« sprach Lares und schritt dem Palast zu.


Da Lares im Palast erfuhr, daß der dicke Kazike immer noch schlief, und ihm nachträglich auch Bedenken kamen, ob er sich werde verständlich machen können, entschloß er sich, Juan Torres, den Einsiedler Unserer Frau der blutroten Rosen, aufzusuchen.

Er schritt über den Rasenplatz, stieg die Pyramide empor. Die Tempeltreppe war durch die herabgewälzten Steinbilder arg beschädigt, war nirgend ausgebessert. Gras und Mauerlattich wucherten zwischen den zertrümmerten Stufen empor. Auf der obersten Terrasse, vor der Kapelle der Maria Santisima, fand Lares den alten Invaliden. Hingekauert auf einer abgeschlagenen riesigen Steinhand des zerschmetterten Huitzilopochtli – er selbst einem Götzen nicht unähnlich – saß der Alte unbeweglich da, mit einem heiligen Lächeln auf dem grau umbarteten Mund und den halberblindeten Triefaugen. Hunderte von Vögeln umgaben ihn, und furchtlos, als wäre er ein Steinbild, hüpften sie auf seinen Armen, Händen, Schultern und auf seiner struppigen Haarmähne umher. Er war wie überdeckt von einer lebenden, flatternden, zwitschernden Decke von sonnenbeglänztem Gefieder. Dort wimmelten neben und auf ihm Sperlinge – heimisch in Anahuac und von den Mexikanern »Tempelvögel« genannt –, auch viele Turteltauben, Zedernvögel, Schwarzbrustzeisige, Quauhtotopotli-Spechte, Blauraben und einige kleine Aasgeier. Lares hörte, wie der Alte zu den Vögeln sprach:

»Ei, geht doch, ihr Schelme! Wollt ihr auf mir nisten? Sucht euch ein dauerhafteres Haus! Und dann liebt euch und vermehrt euch – dazu hat der Herr alle Kreatur erschaffen!«

»Habt Ihr, Señor, keine vernunftbegabten Zuhörer, daß Ihr zur unvernünftigen Kreatur redet?« rief Lares.

»Meine Vögel sind kluge, christliche Vögel, Señor!«

»Aber Eure Ermahnung war weder klug noch christlich!«

»Warum? ...«

»Es gibt zu viele Sperlinge auf der Welt und zuwenig Adler.«

»Ich würde auch zu den Adlern sagen: Liebt euch! ... Aber die Adler kommen nicht zu mir.«

»Meint Ihr die Indianer?«

»Nein, das nicht ... Die sind rechtschaffene christliche Leute. Sie schlachten nur noch Hunde und Wachteln. Und sie helfen mir Kerzen drehen. Aber wenn ich vom Evangelium spreche, verstehen sie mich nicht – sie verstehen mich nicht so wie die Vögel ...«

»Ihr solltet Mexikanisch lernen.«

»Das ist zu schwer für meinen alten Kopf. Da müßte man ein Kind sein – wie der Page Orteguilla! Der spricht jetzt schon, als wäre er hier geboren!«

»Kein Wunder! Denn er hat eine gute Lehrerin!« bemerkte Lares.

Und er erzählte dem Einsiedler, wie er am Teich den Pagen mit der kleinen Indianerin ertappt hatte. Zur Rede gestellt, habe der Knabe trotzig erklärt, das Mädchen sei seine Frau.

»Das ist richtig«, sagte Juan Torrés. »Im Königspalast ist die Hochzeit der Kinder gefeiert worden.«

»Ist denn der dicke Kazike ganz von Sinnen?«

»Nein, das dürft Ihr nicht sagen, Señor! Er ist ein rechtschaffener christlicher Mann. Er tat es aus Herzensgüte ...«

»Weil er vernarrt in den Knaben ist und ihn verhätschelt!« rief Lares empört. »Aus Affenliebe verdirbt er ihn durch Tabakrauchen, durch übermäßigen Pulquegenuß und durch diese Dreizehnjährige ... Eine Sünde ist's! Wenn das nicht aufhört, geht der Knabe zugrunde! Und Orteguilla ist von unersetzlichem Wert für Cortes und unser Heer! ...«

»Seht hier die beiden Turteltauben«, sagte Torrés und zeigte auf ein sich schnäbelndes Taubenpaar, »sie umflattern mich täglich, sie sind unzertrennlich. Möchtet Ihr sie trennen ? ... Ich nicht! Ich nicht! Sünde nennt Ihr's? Ich wohne hier hoch über den Menschen, und große Sünden sehen von hier so klein aus! ...«

Lares brach das Gespräch ab. Der Alte war gar zu einfältig, schien ihm kindisch geworden. Lares sah ein, daß nur Escalante Abhilfe schaffen konnte. Denn beim Abschied von Sempoalla hatte ja Cortes Escalantes Hand ergriffen und ausgerufen: Dieser hier ist mein Bruder, was er sagt, sage ich, was er tut, tue ich, wenn er befiehlt, so gehorcht, als wenn ich beföhle! ... Es war anzunehmen, daß der dicke Kazike jedem Wunsch Escalantes Rechnung tragen würde.

Früh am nächsten Morgen ritt Lares nach Vera Cruz.


Ein Turmwächter erspähte, daß ein Berittener sich der Stadt näherte, und alarmierte die Besatzung. Viele stellten sich auf die Mauerzinnen, um besser zu sehen, andere, nachdem sie Lares erkannt, strömten zum Haupttor hinaus, empfingen den Herangaloppierenden hüteschwenkend mit Zurufen, drängten sich um ihn, ihm die Hand zu drücken, und wichen nicht von seiner Seite, bis er vor dem Stadthaus vom Pferd stieg, wo Escalante, der Richter Moreno Madrano, der Vielschreiber und Schönredner Alonso de Grado, der Schwätzer Pedro d'Ircio und der auf zwei Stelzfüßen gehende Steuermann Gonzalo de Umbria zu seinem Empfang bereitstanden. Das Händeschütteln und Umarmen nahm kein Ende. Escalante zog den Gast, um ihn aufatmen zu lassen, in das Stadthaus herein. Aber erst mußte Lares einen Becher mit rotem Alcantarawein trinken, kredenzt von der Mulattin Beatriz de Palacios, der Tochter der alten Portugiesin. Ihre zertrümmerte Schädeldecke war geheilt, ihr Geist war und blieb krank.

»Trinke auf unseren Sieg und aufs Gedeihen der Stadt, mein Bruder!« sprach sie zu Lares, denn alle Männer redete sie »Bruder« an. »Die Stadt ist mit Blut erbaut. Nur was mit Blut erbaut ist, hat Dauer ... Mein Nest habe ich im Himmel erbaut ... Ich will dir noch ein Geheimnis verraten, mein Bruder, unter dem Stadttor liegen vier Leichen begraben: ein toter Hahn, ein toter Affe, eine tote Viper, ein toter Mensch ... Darum ist die Stadt so schön geworden, wie alles, was fluchbeladen ist! ...«

Es war eine Anspielung auf den alten Suarez, ihren Gatten, den ihretwegen die wütenden Soldaten in der Tonne ertränkt hatten.

Peinlich berührt, antwortete Lares nichts und ging mit Escalante ins Stadthaus hinein.


In kurzer Zeit war die Stadt fertiggebaut, war schön wie ein Limosiner Schmuckkästchen. Das Gefängnisgebäude, die kleine gotische Kirche, die dicken Festungsmauern frisch, blank, neu, gleichsam gefirnißt von Neuheit. Keine Kalkgruben und Mörtelkellen waren mehr zu sehen, kein Schutt, keine weiß gähnenden Fundamente, keine halbhoch ragenden Mauern. Die Arbeit war getan. Wenn auch die siebzig zurückgelassenen Invaliden sich wenig Verdienst daran zuschreiben durften. Ihr Verdienst war es freilich, daß die Stadt – wie Beatriz de Palacios gesagt hatte – mit Blut erbaut worden war. Denn da der dicke Kazike wenig Maurer zur Verfügung stellen konnte – die meisten Handwerker taten Kriegsdienste und waren mit Cortes nach Tlascala gezogen –, so holten sich die Kastilier aus den Vera Cruz benachbarten huaxtekischen Ortschaften Arbeiter; lieber aber noch Arbeiterinnen. Sie veranstalteten Raubzüge, Hetzjagden auf das rote Wild. Dabei floß Blut und immer wieder Blut, zeigten doch die Indianer wenig Neigung, sich freiwillig verknechten zu lassen. Diesem Treiben stand Escalante fern, es zu hindern jedoch fehlte ihm die Autorität. Das Schwelende Holz, der Statthalter der huaxtekischen Provinz, erhob Klage über Klage, drohte mit Gegenmaßregeln. Escalante beschwichtigte seine Abgesandten und gab Versprechen, die zu halten er nicht imstande war.

Anfangs hatten die Sklavenjagden einen Schein wenigstens von Berechtigung gehabt. Cortes hatte als Besatzung von Vera Cruz fast nur Krüppel, Verwundete und Kranke zurückgelassen. Und manche, deren Wunden schnell heilten, blieben, infolge des Klimas am Vomito negro (dem schwarzen Erbrechen oder gelben Fieber) erkrankt, auch weiterhin arbeitsscheu und untätig. Mehr oder weniger litten alle Weißen an einer krankhaften Faulheit, waren lustlos und gereizt durch den glühenden föhnartigen Meerwind, mit welchem der Flugsand, die Stadt in Wolken hüllend, in Lungen, Augen und alle Poren drang. Die halbfertige Seefestung fertigzubauen gebot die Not. So hatten sie denn begonnen, sich skrupellos Arbeitskräfte tu holen, wo sie sie fanden.

Doch diese Gründe fielen jetzt fort. Es war inzwischen Ende September geworden, die Hochglut der Sommersonne hatte nachgelassen und mit ihr die Flugsandplage und das schwarze Erbrechen. Gemauert wurde nicht mehr in Vera Cruz. Aber die Kastilier, bedurften sie auch keiner Indianer mehr, mochten auf hübsche Indianerinnen nicht verzichten. Sich Menschenware aus der Umgegend zu holen, war ihnen zur Gewohnheit geworden. Müßiggang und Raublust stachelten die Unternehmungslust an.

Es hatten sich mehrere Räuberbanden in Vera Cruz gebildet, die unabhängig voneinander vorgingen. Durch totonakische – getaufte – Kuppler wurden sie benachrichtigt, wenn es schöne Mädchen zu erbeuten gab. Die Erbeuteten wurden redlich geteilt.

Anführer der vornehmsten dieser Banden war der schönrednerische Querulant Alonso de Grado. Vor zwei Monaten hatte er Cortes – erst mündlich und dann in einer kalligraphisch verschnörkelten Bittschrift – beweisen wollen, daß er sich besser als Escalante zum Kommandanten von Vera Cruz eignete, Cortes, der diesen Schlemmer, Lautenspieler und Zungendrescher richtig einschätzte und seine Selbstbewunderung ebenso wie sein Äußeres belächelte – der nicht mehr junge Mann hatte ein dreimal gefaltetes, hängendes Unterkinn, einen winzigen schwarzen Schnurrbartflecken inmitten des glanzigen Mondgesichts und hielt sich stets hintenübergebeugt –, hatte die Bittschrift nicht einmal entgegengenommen. Aber verwundet bei der Zerstörung der Götzenbilder in Sempoalla, sah Grado seinen Wunsch, an die Küste zu gelangen, dennoch erfüllt, und da es ihm nicht vergönnt war, der Hafenstadt als Alcalde vorzustehen, suchte er seinen Ruhm darin, der Erste unter Banditen zu sein. An Dorfschönen fehlte es in seinem Harem nicht, doch er wollte höher hinaus.

Ihm hatte sich unter anderen Pedro d'Ircio – der einstige Reitknecht des Grafen de Uruena und Galan der mannstollen Grafentochter – angeschlossen. Gekränkt, weil ihm zu Ohren gekommen war, daß er bei seinen Kameraden der Agramant ohne Taten hieß, unterfing er sich, den Beweis zu liefern (sei's auch am untauglichen Objekt), daß er's dem König von Afrika und Gegner des Rasenden Rolands gleichtun könne.

Dieser Bande gehörte auch der Steuermann Gonzalo de Umbria an, dem Cortes die Füße hatte abhauen lassen. Zum Krüppel geworden, hatte er nichts von seiner Wildheit eingebüßt, und da unter Raubgesellen sich keine Gelegenheit bot, Aufwiegler zu sein, war sein Korsarenblut mehr denn je auf Plünderung und Mädchenschändung erpicht. Ebenso flink wie einst lief er nun auf Stelzen einher und wurde an Freibeuterzügen um so weniger gehindert, als er, wie auch Alonso de Grado d'Ircio und Beatriz de Palacios, sich von totonakischen, königlichen Sänftenträgern jeweils an den Ort des Überfalles herantragen ließ.

Denn auch die wahnsinnige Mulattin war stets dabei. Seitdem ihre Schädelwunden geheilt waren, lebte sie zügellos und schamlos, ohne sich ihrer Verderbnis bewußt zu sein. Als einzige Weiße unter siebzig Soldaten gehörte sie den meisten an, qnd die meisten waren ihrer geisterischen Umarmungen überdrüssig. Jetzt suchte sie sich ihre Beute unter jungen Indianersklaven, sie trank mit ihnen, setzte sich ihnen auf den Schoß, biß ihnen den Hals wund, lachend und küssend, sah sie mit ausdruckslosen Augen an und kreischte toll wie die blauen Araras, die großen Dickschnabelpapageien, bis man sie sinnlos trunken zu Bett bringen mußte.


Im Stadthaus führten Escalante und Lares ein ernstes Gespräch.

»Wenn Ihr die Rückreise antretet«, sagte der alte Kommandant mit besorgter Miene, »werde ich Euch bis Sempoalla begleiten, um dort nach dem Rechten zu sehen. Cortes, der sich viel von den Dolmetscherdiensten des Orteguilla verspricht, würde es mir nie verzeihen, wollte ich die Dinge laufen lassen, wie sie laufen ... Aber ungern, das kann ich nicht leugnen, verlasse ich Vera Cruz, und wär's auch nur für einen Tag.«

»Von der Küstenbevölkerung droht doch keine Gefahr?« fragte Lares.

»Nein. Nur von uns Weißen! Wir treiben's hier arg! ... Und die gutmütigste Rothaut greift zur Waffe, wenn Schwester, Weib oder Tochter angetastet wird ... Bisher gelang es mir immer noch, das Schlimmste abzuwenden und meinen Nachbar, den mexikanischen Statthalter, zu beschwichtigen ... Seinen Friedenswillen und Freundschaftsbeteuerungen führt der Mexikaner immerzu im Munde – doch was davon zu halten ist, weiß ich seit einigen Tagen.«

»Was ist vorgefallen?«

»Ich erfuhr, daß Melchorejo und Julianillo aufgegriffen wurden und sich im Gewahrsam des Statthalters befänden. Darauf ließ ich ihn auffordern, mir die beiden entlaufenen Sklaven auszuhändigen. Das lehnte er mit höflichen Redensarten ab und schützte vor, er habe die beiden bereits an Montezuma nach Mexico gesandt.«

»Das kann ich bestätigen!« rief Lares.

Und er erzählte, wie er unterwegs dem Trupp begegnet sei und den eskortierenden Mexikanern befohlen habe, die Gefangenen nach Tlascala zu Cortes zu führen.

Escalantes dürre Finger zupften und stocherten mißmutig am schlohweißen Knebelbart herum.

»Ich bezweifle, daß hochmütige Mexikaner sich einen Deut um die Wünsche eines weißen Mannes kümmern werden, Señor!«

»Was konnte ich sonst tun!« sprach Lares kleinlaut.

»Weder Euch noch mich trifft Schuld und höchstens das Schicksal, welches diesem König Montezuma Kundschafter in die Hand spielt!«

Die Bewohner von Vera Cruz feierten den Friedensschluß mit Tlascala, so wie Cortes angeordnet hatte, mit Vivatrufen und Freudenschüssen, beflaggten die Stadt. Nachdem gegen Abend in der Kirche ein Dankgottesdienst abgehalten war, versammelte man sich im großen Sitzungssaal des Magistratsgebäudes zu einem Bankett. Es war bereits bekanntgeworden, daß Escalante tags darauf nach Sempoalla reiten und den Richter Moreno Madrano zu seinem Stellvertreter ernennen wollte. Mehr noch als die Nachricht vom Sieg beschäftigte die bevorstehende Abwesenheit des Kommandanten die Gemüter. Die Zügel in seiner Hand waren nicht straff, wurden aber doch als lästig empfunden. Allerlei Hoffnungen tauchten empor, schwebten verlockend durch den Festsaal.

»Wißt Ihr, wen wir hier feiern?« fragte d'Irdo seinen stelzfüßigen Nachbarn.

»Die Dummheit der Tlascalteken und unsere Gottähnlichkeit!« antwortete der Steuermann bärbeißig.

»Nein! die anbrechende Freiheit!«

»Sagt lieber die ausbrechende oder die einbrechende!« verbesserte ihn Gonzalo de Umbria.

Mit tosendem Beifall wurde Lares, als er mit Escalante den Saal betrat, von der vollzählig anwesenden Kolonie empfangen. Alonso de Grado erhob sich und hielt eine ölige Begrüßungsrede. Bescheiden dankte der Reiter. Dann sprach auch Escalante, setzte die Bedeutung des Sieges ins rechte Licht und schloß, indem er Lares aufforderte, der versammelten Stadt die wunderbaren Begebenheiten vorzutragen.

Klar und rund, in schlichter, soldatischer Weise, trug Lares eine Epopöe vor. Nach wenigen Worten erzwang er sich die Aufmerksamkeit der Zuhörer. Die Spötter verstummten.

Während er berichtete, wurde Grado aus dem Saal gerufen. Er blieb lange draußen. Und als er zurückkehrte, hatte Lares seine Erzählung beendet. Jetzt wurde nur noch geschlemmt, gezecht, gelacht und gestritten. So laut war das Stimmengewirr im Saal, daß Grado nicht zu befürchten brauchte, sein Geflüster mit d'Ircio und Gonzalo de Umbria könnte von unbefugten Lauschern aufgefangen werden.

»Was gab's draußen?« fragte ihn d'Ircio.

»Mein blaugestreifter Totonake will sich Glaskorallen verdienen!«

»Verdient er sie?«

»Mehr als das! Und er selbst verdient, in Gold gefaßt zu werden! So einen Kuppler gibt's auf der Welt nicht wieder!«

»Was hat er ausgekundschaftet?«

»Der junge Kazike, der Sohn des mexikanischen Statthalters, geht morgen mit seinen Leuten ins Hochgebirge, auf die Pumajagd. Sein kleines Bergschloß bleibt so gut wie unbewacht ...«

»Oho!«

»Der junge Kazike hat ein schönes Weib – Ihr habt sie ja gesehen neulich, wie sie zur Sänfte hinausblickte ... Sie reiste mit starker Bewachung, drum mußten wir's verschieben ... Nun trifft sich's gut, daß morgen auch Escalante uns keinen Strich durch die Rechnung machen kann ...«

»Hm. Ist das nicht tollkühn?« meinte der Agramant ohne Taten.

»Bleibt daheim, d'Ircio, wenn Ihr eine Memme seid! Tollkühn? Weil es eine Vornehme ist? Ich habe die Bauernmädchen satt!«

»Ja, vor der Sänfte neulich lief Euch das Wasser im Munde zusammen, Don Alonso! Anderen ging's nicht anders!« bemerkte Gonzalo de Umbria. »Füße habe ich nicht mehr, aber Augen habe ich noch im Kopfe! Und um für Euch eine indianische Prinzessin zu ergattern, sollen wir anderen das Leben wagen?«

»Ihr werdet nicht leer ausgehen, Gonzalo, der junge Kazike hat drei allerliebste Nebenfrauen, eine bezaubernder als die andere! Und was wagt Ihr denn? Das kleine Bergschloß liegt abseits, fern von menschlichen Wohnungen. Die Männer gehen mit ihrem Herrn auf die Jagd. Wir pirschen uns auf einem höher gelegenen Felsen heran, so daß das Schloß uns zu Füßen liegt. Wenn abends die Edeldamen sich auf dem flachen Schloßdach zum Nachtmahl niedersetzen, lassen wir unsere Musketen auf die Dienerschaft losknattern. Die Frau des jungen Kaziken und seine drei Nebenfrauen werden natürlich geschont ...«

»Bis auf weiteres!« lachte d'Ircio, »bis wir sie hier in unseren Häusern haben ...«


Die Sonne stand schon hoch, als Lares mit schwerem Kopf sich von seinem Lager erhob. Er fand Escalante reisefertig und auf ihn wartend. Sie nahmen einen Imbiß ein und wollten sich eben zu den Pferden begeben, da hielt Lares den Kommandanten am Ärmel fest:

»Halt, Señior! Fast hätte ich ja die Hauptsache vergessen!«

Am vorhergehenden Tage war er, als Überbringer unerhörter Nachrichten, gezwungen gewesen, auf tausenderlei Fragen Bescheid zu geben, – so hatte sich ihm keine Gelegenheit geboten, die zwei Flaschen Malvasier auszugraben.

»Kommt in den Keller, ich zeige Euch, wo sie versteckt liegen«, sagte Escalante.

Mit Spaten und Hacke bewaffnet, stiegen sie in den Keller. Keinen seiner Diener oder Sklaven nahm der Kommandant mit, damit vom Geheimnis der vergrabenen Flaschen nichts ruchbar werde.

Auf eine Stelle unterhalb der Fensterluke zeigte er.

»Hier war es ... Zwei Fuß tief war es! ...«

Und sie fingen an zu schaufeln. Der Raum schimmerte helldunkel. Vom hoch angebrachten Fenster herab prallte Tageslicht auf einen Teil des Kellerbodens, um so schwärzer dunkelten die Schatten ringsher. Das Fenster war zu ebener Erde, in Höhe der Gasse draußen, und hindurch sah man die Beine und Füße vorüberschreitender Menschen.

Die beiden Schaufelnden gruben, bis sie zwei Fuß tief gegraben hatten. Sie fanden die Flaschen nicht! Sie gruben tiefer, mit ebensowenig Erfolg. Sie gruben den halben Keller um. Nach einer Stunde gaben sie es auf.

»Räuber! ...« zischte Escalante. »Aber vielleicht ist es gut so. Cortes wird daran ersehen, wie treu bewacht die Festung ist und was meine Aufsicht wert ist.«

»Cortes wird gewiß darüber lachen!« beschwichtigte Lares.

»Besser wird er tun, es ernst zu nehmen! ... Ich bin der Aufgabe nicht gewachsen! Sagt ihm dasl Sagt ihm, daß er mich abberufen, daß er einen eisernen Besen, einen Alonso de Avila, hersenden soll, diesem Diebesgesindel den Daumen aufs Auge zu halten!«

»Wie konnten hier Diebe eindringen?« fragte Lares. »Die Kellertür war doch verschlossen! ...«

Vom Fenster her ertönte ein helles Gekicher. Die Mulattin kniete dort und lachte irr zum Fenster herein.

»Die Tür war verschlossen, doch das Fenster war offen!« rief sie. »Suchst du die Flaschen, mein Bruder?«

»Was wißt Ihr von den Flaschen, Señora?« fragte Escalante.

»Drei Männer waren verliebt in sie und wagten die Entführung ... Der eine hat keinen Namen, der andere hat keine Ehre, der dritte hat keine Füße ... Mehr darf ich nicht wissen –: meine Augen sind offen, doch mein Mund ist verschlossen! ... Flaschen sind wie Frauen – man muß sie entkorken, sie ausschlürfen! ... Wer sie vergräbt, ist ein Blaubart!« rief Beatriz de Palacios lachend und lief davon.

Escalante und Lares ritten nordwärts nach Sempoalla. Eine Stunde später verließ Alonso de Grado mit seiner Bande Vera Cruz und schlug den südwestlichen Weg in die huaxtekischen Berge ein.


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