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König Ferdinand der Katholische starb 1516. Die Kronen von Spanien, beider Sizilien und Flandern erbten gemeinsam Johanna von Kastilien, die Wahnsinnige, und ihr Sohn, der noch minderjährige Karl der Fünfte. Für die Wahnsinnige und den Knaben führte der kluge, aber schon gealterte Kardinal Ximenes die Regentschaft. Seinem Scharfblick entging es nicht, daß sich die indianischen Angelegenheiten in schlechten Händen befanden. Doch seine Macht war nicht Allmacht, und er vermochte nicht den Präsidenten des Rates von Indien, Juan Rodriguez de Fonseca, Bischof von Burgos, seines Amtes zu entheben.

Fonseca liebte und hätschelte die Mittelmäßigkeit und verfolgte das Genie mit dem Hasse eines Besessenen. Sein Leben war ein ununterbrochener Kampf gegen das Genie. Kein Mittel war ihm zu schlecht, einen verdienstvollen Mann in den Staub zu treten – oder, wie er es nannte: ihm die Larve vom Gesicht zu reißen. In seinem Minderwert fühlte et sich gekränkt, in den Schatten gestellt, gedemütigt durch menschliche Größe – daher rächte er sich mit der Heimtücke des Pygmäen.

Dieses bischöfliche Scheusal hatte Columbus in Ketten gelegt und dem großen Manne den Abend seines Lebens vergällt. Fonseca trug die Schuld daran, daß der edle und hochbegabte Vasco Nuñez de Balbao, der Entdecker der Südsee, Peru nicht erreichte und schuldlos den Kopf auf den Henkerblock legen mußte. Und das Schicksal sparte diesen Bischof auf, um in ihm dereinst den unversöhnlichsten, gehässigsten und gefährlichsten Feind des Cortes erstehen zu lassen.

Kardinal Ximenes konnte den Bischof von Burgos nicht stürzen, aber er setzte wenigstens seinem verderblichen Einfluß einen Damm entgegen. Schon bald nach der Entdeckung hatten die Leiden der Indianer, die Einführung der Repartimientos – der brutalen Verteilung indianischer Leibeigener an Kolonisten – die Dominikaner-Mönche auf Haïti zu einem leidenschaftlichen, mit geistigen Waffen ausgefochtenen Feldzuge veranlaßt. Zwar waren die Urbewohner der Antillen nackte Wilde und verhielten sich zu den Kulturvölkern Zentral-Amerikas wie etwa die tätowierten Britannier zu den Römern der Tiberiuszeit. Aber wußten die Dominikaner auch noch nichts von den hochzivilisierten Mayas, Mexikanern und Peruanern, schon an den wilden Inselbewohnern erkannten sie, daß die rote Rasse seelisch und geistig weit höher zu bewerten sei als die schwarze und daß hier den Europäern keine biblische Rechtfertigung – wie die Verfluchung Hams nach Noahs Trunkenheit – zur Verfügung stand. Einige Jahre vor dem Thesenanschlag Luthers, im Dämmergrauen der neuen Zeit, wurden von den Dominikanern für ihre rothäutigen Schützlinge die Menschenrechte proklamiert.

Die leichtblütigen Franziskaner – das versteht sich von selbst – stellten sich auf den entgegengesetzten Standpunkt. Sie verteidigten die Rechte der Kolonisten und machten geltend: ohne Arbeitskräfte sei das Land wertlos, und nur durch strenge Zucht könnte die Arbeitsscheu der Wilden überwunden werden. Die Franziskaner waren die Verteidiger aller Maßnahmen des Statthalters Diego Velazquez, und ihnen ward der Segen des Bischofs von Burgos zuteil. Denn Diego Velazquez hatte dem Bischof ein Repartimiento mit achthundert indianischen Leibeigenen zum Geschenk gemacht und sich dadurch seine Freundschaft erkauft.

Kardinal Ximenes scheute sich, offen für die Dominikaner gegen Fonseca und dessen Kreatur, Diego Velazquez, Partei zu nehmen. Statt dessen – und das war ein geschickter Schachzug – ernannte er den kleinen Mönchsorden der Hieronymiten auf Haïti zum Oberstatthalter der Neuen Welt.


Nicht lange blieb Cortes Sekretarius des Diego Velazquez, doch lange genug, um sich des Statthalters Gunst und Liebe zu erwerben. Diego Velazquez selbst beförderte ihn zum Alkalden seiner Residenzstadt St. Jago de Cuba. Seiner altersmüden Bequemlichkeit kam es gelegen, daß Cortes sich befähigt erwies, die Last der Regierungssorgen ihm abzunehmen. Und vollends der immer gleichbleibende Frohsinn und Witz des Cortes gewannen des alten Mannes Herz. Er war kinderlos und liebte Cortes wie einen Sohn. Schon machte er Pläne, durch eine Heirat ihn noch enger an sich zu fesseln.

Aus Granada waren damals vier Schwestern namens Suarez Pacheco, entfernte Verwandte des Diego Velazquez, nach St. Jago de Cuba gekommen. Sie waren jung, schön und arm. Mit tapferer Heiterkeit spotteten sie selbst ihrer Armut und verhehlten niemals, daß sie Granada verlassen, weil sie in der Neuen Welt das Glück und einen Gatten zu finden hofften. Die schutzlosen Mädchen nahm Diego Velazquez in seinen Schutz und mißbrauchte schändlich seine vormundschaftliche Gewalt. Daß die älteste Suarez das Bett mit ihm teilte, war bald stadtbekannt.

An der jüngsten, Catalina Suarez Pacheco, fand Cortes Gefallen. Das bleiche, hektische Mädchen klammerte sich, mit dem Naturtrieb einer vom Tode Gezeichneten, an das blühende Leben. Hemmungslos trieb sie ihr gieriger Lebenshunger dem schönen jungen Menschen in die Arme. Gerührt durch ihre Hingebung, versprach Cortes ihr in einer schwachen Stunde die Ehe. Dann plötzlich zog er sich zurück, da Gerüchte ihm zu Ohren kamen: alle vier Schwestern seien der Lüsternheit des Diego Velazquez zum Opfer gefallen.

Umsonst unternahm es Diego Velazquez, Cortes an seine Pflicht zu mahnen. Der zu Zornausbrüchen neigende, an Gehorsam gewohnte alte Mann ließ sich hinreißen, Cortes zu beschimpfen. Es kam zum offenen Bruch.

Hatte der Günstling viele Neider und Hasser gehabt, so sah sich der Feind des Statthalters plötzlich von zahlreichen Freunden umgeben. Wer mißvergnügt war – und auf Kuba waren es die meisten –, schloß sich Cortes an. In seinem Hause gab es nächtliche Zusammenkünfte, und die Unzufriedenen berieten mit ihm, wie den Übergriffen des Gewaltherrschers ein Riegel vorzuschieben sei. Eine Anklageschrift wurde aufgesetzt, und Cortes, als der Kühnste, wurde dazu ausersehen, sich im Ruderboot aufs Meer hinauszuwagen und auf der Insel Haïti dem kürzlich ernannten Ober-Statthalter der Neuen Welt – dem Mönchsorden der Hieronymiten-Brüder – die Anklage einzuhändigen.

Cortes war eben im Begriff, den achtzehn Meilen weiten Meeresarm im Ruderboot zu durchqueren, als er aufgegriffen und in Ketten gelegt wurde. Durch einen Verräter war nämlich Diego Velazquez benachrichtigt worden, und so maßlos war seine Wut, daß bloß das Schluchzen und Gewinsel der Catalina Suarez, die sich ihm vor die Füße geworfen, ihn abhielt, Cortes hängen zu lassen. Den schon erteilten Befehl, ihn unverzüglich zum Galgen zu führen, widerrief er und ließ ihn im zweiten Stock des Gefängnisgebäudes einkerkern.

Es gelang Cortes, seine geschmeidige Rechte aus der Eisenumklammerung zu ziehen. Mit der freien Hand befreite er die Linke und löste die Fußfesseln. Die Eisenstäbe des Fensters zu zerbrechen, diente ihm die Kette. In seiner liebestollen Jugendzeit hatte er es gelernt, an Hausmauern hinauf- und hinabzuklettern. Er entkam und suchte ein Asyl in einer Kirche.

Da vorauszusehen war, daß Cortes sein Leben teuer verkaufen würde, wagte Diego Velazquez nicht, das heilige Haus durch ein Gemetzel zu entweihen. Er begnügte sich damit, die Ausgänge des Gotteshauses bewachen zu lassen.

Einige Tage blieb Cortes unbehelligt. Er glaubte sich geborgen. Als er aber einmal achtlos auf den Stufen vor der Kirche saß, fühlte er sich plötzlich von hinten gepackt, von allen Seiten stürzten Häscher hinzu, und ehe er sich erwehren konnte, wurden ihm die Hände auf den Rücken gebunden. Der Büttel, der ihn ergriffen hatte, war der spätere Aufwiegler auf den Sandhügeln der totonakischen Küste, jener Freund des Lizentiaten Juan Diaz und des Steuermannes Cermeño –: der Büttel Pedro Escudero.

Diesmal wurde Cortes auf ein Schiff gebracht und von neuem in Ketten gelegt. Wieder gelang es ihm, seine Hände und Füße aus den eisernen Ringen schlüpfen zu lassen. Er wartete die Nacht ab und schlich sich auf Deck. Ein Boot war an das Schiff befestigt. Geräuschlos ließ er sich in das Boot hinabgleiten. Dann durchschnitt er das Seil des Bootes. Eine starke Strömung trieb das Boot ins offene Meer hinaus. Da er keine Ruder hatte, warf er sich ins Wasser und erreichte schwimmend, dem Wogenstrom zum Trotz, das Land. Dann floh er zurück in dieselbe Kirche.


In jenen Tagen kehrte von den Küsten Yucatans der zweite von Diego Velazquez ausgesandte und von seinem Neffen Grijalva befehligte Freibeuterzug nach Kuba zurück. Grijalva hatte den Auftrag gehabt, Handelsgeschäfte zu machen, vor allem aber Sklaven einzufangen. Nun brachte Grijalva zwar keine Sklaven mit, dafür aber Gold im Werte von zwanzigtausend Piastern und die aufregende Nachricht, von einem Goldland auf der Tierra firme, namens Mexico. Als Alvarado, dessen Schiff früher als die andern angelangt war, dem Statthalter die Kunde brachte, tanzte der dicke Greis im Zimmer umher, schnippte mit den Fingern wie mit Castagnetten und umarmte und küßte den verdutzten Alvarado. Sofort ließ er eine neue Flotte rüsten. Aber ihm fehlte ein Führer. Mit dem wackern Grijalva war er unzufrieden, Grijalva, meinte er, hätte Mexico gleich in Besitz nehmen sollen. Avila und Montejo waren nämlich später als Alvarado, aber früher als Grijalva eingetroffen und hatten die Zeit benutzt, ihren verdienstvollen und makellosen Führer anzuschwärzen.

Obgleich Cortes in seinem Asyl streng bewacht wurde, waren die Kirchentüren nicht geschlossen. Zum Morgen- und Abend-Gebet strömte das Volk ein und aus. Und da Diego Velazquez wenig beliebt war, fehlte es dem Märtyrer seiner Willkür nicht an Speise und Trank.

Auf die Gefahr hin, sich des Statthalters Haß zuzuziehen, wagten es Puerto Carrero und Alvarado, Cortes in der Kirche zu besuchen. Sie erzählten ihm von den Mühseligkeiten und Überraschungen ihrer abenteuerlichen Fahrt: wie sie auf der Insel Cozumel Bisam-Schweine sahen, die den duftigen Nabel auf dem Rücken haben, – wie sie an der Küste von Champoton von schwarz und weiß bemalten Indianern überfallen wurden, während ein Heuschreckenschwarm den Himmel verfinsterte, so daß man die fliegenden Pfeile von den Insekten nicht unterscheiden konnte und sämtliche Kastilier Pfeilschüsse davontrugen, – wie sie am Terminos-Hafen so vielen Hirschen und Kaninchen begegneten, daß ihr begeisterter Jagdhund ihnen entlief, und wie verändert sie bei der Rückreise ihn wiederfanden: er konnte kaum noch sich bewegen vor Wohlbeleibtheit und glänzte wie Metall vor Fettigkeit, – wie sie am Tabasco-Strom Freundschaft mit einem Kaziken schlossen und dieser ihnen durch Melchorejo und Julianillo sagen ließ: das Land des Goldes liege gen Sonnenuntergang und nenne sich Mexico, – wie sie bei Aguayaluco Indianer sahen, welche große Schildkrötenschalen als Schilde trugen, und Diego de Ordas sich nur mit Mühe abhalten ließ, sie zum Zweikampf zu fordern, – wie sie vom Meer aus ewigen Schnee von Gletschern erblickten, und wie Alvarado einen nach ihm benannten Fluß stromaufwärts fuhr und alle Tempel ausraubte, – wie am Vanderas-Strom Montejo als erster Europäer auf mexikanischem Boden landete und von einem Statthalter des Königs von Mexico ausgefragt wurde, und wie sie endlich zu einer Insel gelangten – der Isla de Sacrificios –, wo in einem Tempel vor einem ekelhaften Götzen die Leichen von fünf eben geschlachteten Indianerknaben lagen: aus den klaffenden Brüsten waren die Herzen gerissen, die fünf Herzen lagen auf dem Schoße des Gottes, durch Beilhiebe waren die Arme und Schenkel der Knaben abgehackt, die Tempelwände und das Götzenbild waren frisch mit dem Blute der Opfer beschmiert ...

Cortes lauschte mit gespannter Aufmerksamkeit, fieberhaft glänzten seine Augen.

»Ich muß nach Mexico!« rief er.

»Auch wir haben an Euch gedacht«, sagte Alvarado. »Schon rüstet Diego Velazquez eine neue Expedition aus, und er sucht einen Anführer. Gleich nach meiner Ankunft habe ich Euch, Don Hernando, als Feldobersten vorgeschlagen, denn ich wußte noch nichts von den Mißhelligkeiten zwischen ihm und Euch. Kaum aber hatte ich Euren Namen genannt, geriet er in solche Wut, daß ich davon abließ, ihn weiter zu drängen.«

»Ich selbst will ihn sprechen! Heute noch! Jetzt gleich!« rief Cortes und lief der Kirchentür zu.

Puerto Carrero hielt ihn am Ärmel fest.

»Seid Ihr toll, Don Hernando?! Er hat geschworen, Euch hängen zu lassen! ...«

Cortes riß sich los und stürmte hinaus.

Der Büttel Escudero merkte die Flucht erst, als Cortes längst auf und davon war. Der Büttel gewärtigte barsche Rügen, vielleicht sogar Entlassung aus dem Dienst für seine Nachlässigkeit. In größter Bestürzung lief er zum Hause des Statthalters, die Flucht des Verbrechers zu melden und sich selbst auszureden, so gut es ging.

Als er, von einem Diener in die Gemächer des Gobernardos geführt, sich umsah, verging ihm Hören und Sehen. Den hochmögenden Don Diego Velazquez und den Delinquenten Cortes fand er Siesta haltend, gemeinsam ausgestreckt auf einem Ruhebette.

Don Diego vergab dem Büttel Escudero. Don Diego war gnädig gelaunt: denn Cortes hatte sich bereit erklärt, Doña Catalina Suarez Pacheco zu heiraten. Don Diegos altes Kriegerherz war bezaubert durch die dreimal geglückte Flucht des Cortes und staunte seine tollkühne Frechheit an, daß er es gewagt hatte, ohne Waffen vor ihn hinzutreten. Nach wenigen Worten waren sie sich weinend um den Hals gefallen.


Kurze Zeit darauf führte Cortes Doña Catalina heim. Verwandtschaftliche Bande knüpften ihn nun an Diego Velazquez. Er ging im Statthalterpalais ein und aus und fand so Gelegenheit, mit zwei einflußreichen Personen unauffällig Zwiesprache zu halten. Es waren die Vertrauten des Gobernadors: sein Sekretär Andrés del Duero und der Schatzmeister Seiner Majestät, Amador de Lares. Cortes verpflichtete sich, allen Gewinn des Unternehmens mit ihnen zu teilen.

Den beiden Helfershelfern fiel es nicht schwer, dem Statthalter eindringlich klarzumachen, daß er keinen umsichtigeren, klügeren und verwegeneren Führer finden könne als Hernando Cortes. Der alte Mann sagte sich das selbst, er vergötterte seinen neuen Verwandten seit dessen dreimaliger Flucht. So ernannte er ihn denn zum General-Kapitän der neuen Expedition und ließ die Bestallung – berichtet ein Chronist – durch den Secretario Andrés del Dueromit bester Tinte schreiben: de muy buen tinta.


Die Vetterschaft des Diego Velazquez hatte erwartet, daß einer aus ihren Reihen das Kommando erhalten würde, und war entrüstet. Alle Hebel wurden in Bewegung gesetzt, den Statthalter umzustimmen. Cortes wußte, wie leicht dieser zu beeinflussen war, und tat das Menschenmögliche, die Abfahrt zu beschleunigen. Vor der Hochzeit hatte er seine Braut wie eine Königin behängt, sein letztes Bargeld für Schmuck vergeudet. Es gelang ihm, sein Repartimiento und eine Silbergrube, die er besaß, für viertausend Dukaten zu versetzen. Er kaufte Schiffe, Munition, Lebensmittel, Mais, Heu für Pferde und auch Tauschwaren, wie venezianische Glasperlen, kleine Spiegel und Taschenmesser. Er schrieb Hunderte von Briefen, und aus allen Teilen des Landes strömten Abenteurer herbei, sich unter seine Fahnen zu stellen.

Um seiner Person mehr Ansehen zu geben, trug jetzt Cortes einen Sammetrock, eine schwere Goldkette um den Hals, die ihm bis an den Gurt reichte, und ein Barett mit einer hohen Hahnenfeder.

Am Sonntag nach seiner Ernennung begab sich Diego Velazquez mit großem Gefolge – wie sich das für einen Machthaber schickt – zur Messe in den Dom. Neben ihm her schritten Cortes und Andrés del Duero. Da plötzlich tänzelte der bucklige Possenreißer Madrid, der Hofnarr des Tyrannen von Kuba, auf der Straße vor ihnen her. Und kreischend, damit alles Volk es vernehmen könne, rief er:

»Gevatter Diego,
Befrage dein Ego:
Wen machtest du, wen,
Zum General-Kapitän?
Den aus Medellin?
Du erntest durch ihn
Nur Sorgen und Hader.
Er wird dein Geschwader
Dir listig entwinden!
Das sehn ja die Blinden
Dem Feuerkopf an:
Das ist ein Mann
In Wolken sich türmend
Wie eine Zeder
Und himmelstürmend
Wie seine steile Hahnenfeder!«

Andrés del Duero prügelte den Narren durch und nannte ihn einen Trunkenbold. Diego Velazquez äußerte nichts, aber der verbissene Zug in seinem aschgrauen Gesichte war beredt genug. Die Wärme seiner Freundschaft zu Cortes kühlte merklich ab seit diesem Tage. Seinen Haushofmeister, Diego de Ordas, veranlaßte er, als Hauptmann mitzuziehen, und instruierte ihn heimlich, er solle Cortes auf die Finger passen.

Durch Andrés del Duero und Amador de Lares wurde – einige Wochen hernach – Cortes in Kenntnis gesetzt, daß Diego Velazquez den Entschluß gefaßt habe, seine Ernennung zu widerrufen und einen andern Befehlshaber zu ernennen.

Es galt schnell zu handeln. Am späten Nachmittage hatte Cortes erst die Nachricht erhalten, und schon am Abend dieses Tages waren in aller Heimlichkeit die Mannschaften eingeschifft. In der Nacht raubte Cortes sämtliche Fleischerläden der Stadt aus und hinterließ seine goldene Halskette als Bezahlung.

Früh am nächsten Morgen machten die Bewohner St. Jagos die Entdeckung, daß ihnen das Fleisch zur Suppe fehlte, und erhoben ein Geschrei. Hausfrauen, Köche und Küchenmädchen strömten in Scharen zum Statthalterpalais und jammerten um ihr Mittagessen.

Don Diego war so entsetzt, daß er halbangekleidet zum Hafen lief. Der Possenreißer Madrid war ihm auf den Fersen.

Als Cortes den händeringenden Statthalter am Ufer erblickte, bestieg er ein Boot und ruderte zu ihm heran. Jedoch in respektvoller Entfernung machte er halt und ließ den Nachen von den Wellen schaukeln.

»Wie, Gevatter, nehmt Ihr so von mir Abschied? Wahrlich, das nenne ich ein feines Benehmen!« schrie der dicke alte Mann mit weinerlicher Stimme.

»Entschuldigt«, versetzte Cortes, »doch die Zeit drängt, und schneller als ein Gedanke muß solch eine Tat sein, will sie gelingen. Wenn Ihr sonst noch ein Anliegen habt, sagt es mir jetzt, denn Gott weiß, wann wir uns wiedersehen!«

Don Diego wollte antworten, der hilflose Zorn schnürte ihm die Kehle zu. Stumm streckte er die geballte Faust zum Morgenhimmel empor, dann wandte er sich und ging. Freundlich winkte ihm Cortes einen Abschiedsgruß mit seiner gepflegten, ringgeschmückten Hand zu.

Der Narr Madrid war inzwischen an das Boot herangeschwommen, um es zum Kentern zu bringen. Dabei wäre er um ein Haar ertrunken. Mit spöttischem Mitleid zog Cortes den Erschöpften ins Boot herein und nahm ihn mit auf das Flagg-Schiff. So mußte denn der Possenreißer – ganz gegen seinen Willen – Mexico erobern helfen.

Unverzüglich wurden die Anker gelichtet, und die Flotte verließ St. Jago.


An der Südküste der Insel Kuba, in den Häfen Trinidad und La Havanna, legte die Flotte erst noch an und nahm den Rest der Mannschaft, Geschütze, Munition und die sechzehn Pferde an Bord.

Sowohl Francisco Verdugo, der Alcalde Mayor von Trinidad und Schwager des Diego Velazquez, wie auch Pedro Barba, der Stadt-Kommandant von La Havanna, erhielten schriftlichen Befehl vom Statthalter, Cortes zu fangen, ihn abzusetzen, ihn in Ketten zu legen. Beide sahen die Unmöglichkeit ein, einem anhänglichen Heere den beliebten Feldobersten zu entreißen. Und Pedro Barba händigte sogar Cortes den Haftbefehl aus und ließ sich von ihm als Hauptmann der Armbrustschützen anwerben.

Auch an seinen bisherigen Haushofmeister Ordas schrieb Diego Velazquez einen Brief und mutete ihm zu, er solle Cortes zu einem Festessen laden und an der Tafel von gedungenen Banditen überfallen lassen. Doch der ritterliche Ordas warf das Schreiben ins Feuer und verständigte Cortes von den guten Absichten des Don Diego.

Nachdem die Wattepanzer für die Soldaten genäht, die Lanzenspitzen geschmiedet und alle erhältlichen Pfeile aufgekauft waren, segelten am 10. Februar 1519 die elf Karavellen von Kuba ab und steuerten hinaus gen Westen, nach dem unbekannten, geheimnisreichen Land des Goldes, der Wunder und der Schrecken.


Auf der Reise berührte Cortes Orte der Küste von Yucatan, wo vor ihm Cordova und Grijalva schon geweilt hatten. Bei der Insel Cozumel fiel es ihm auf, daß die Indianer öfter das Wort Kastilan im Munde führten. Er entsann sich, daß auch Cordova diese Beobachtung gemacht, und ihm kam der Gedanke, den Eingeborenen müßten früher schon Spanier begegnet sein. Durch Melchorejo und Julianilo ließ er die Indianer ausfragen und erfuhr: auf dem Festland, zwei Tagesreisen von der Küste entfernt, lebten zwei Kastilier als Sklaven eines Kaziken.

Es traf sich gut, daß sich reisende indianische Händler auf der Insel Cozumel befanden und aufs Festland zurückzukehren im Begriff waren. Cortes übergab ihnen einen Brief an die weißen Sklaven, und für den Kaziken einen Haufen Glaskorallen als Lösegeld.

Die Händler reisten ab und übermittelten ehrlich den Brief und das Geschenk. Der Kazike willigte ein, das Lösegeld anzunehmen, und ohne Weiterungen gestattete er, daß die Weißen sich zur Küste und in den Schutz ihrer Landsleute begaben.

Die beiden spanischen Sklaven waren der Franziskaner-Frater Jeronimo de Aguilar und ein Matrose namens Gonzalo Guerrero. Durch einen Schiffbruch waren sie vor sieben Jahren mit vielen anderen Weißen an diese Küste verschlagen worden. Ihre Leidensgefährten waren auf den Götzenaltären verblutet, nur ihnen hatte man das Leben gelassen – dem Matrosen, weil er es verstanden, sich durch Dienstfertigkeit beliebt zu machen, und dem Frater, weil die Indianer ihn seiner geschlechtlichen Enthaltsamkeit wegen als Heiligen verehrten. Der Kazike hatte ihm nämlich eine Indianerin als Ehefrau angeboten – ein Gnadenbeweis, den der fromme Frater mit Dankesbeteuerungen zurückweisen mußte. Als Grund seiner Weigerung hatte er auf die Fragen des gekränkten Kaziken angegeben: ein Gelübde verbiete ihm, Frauen zu berühren. Das klang dem Maya-Fürsten so ungeheuerlich und unwahrscheinlich, daß er sich vornahm, der Sache auf den Grund zu gehen. Drei Nächte lang wurde die Reinheit Aguilars auf die Probe gestellt: halbwüchsige nackte Mädchen umtanzten ihn, reihten sich in hockender Stellung vor ihm auf, verhöhnten ihn kichernd, zupften ihn am Gewand und Haar und ließen nichts unversucht, ihn in ihre Arme zu ziehen. Seitdem er ihren Lockungen widerstanden, behandelte ihn der Kazike wie einen Freund und vertraute ihm die Aufsicht über seine zahlreichen Kebsweiber an.

Die Keuschheit Aguilars erschien den Mayas darum so wunderbar, weil sie in den Annalen ihrer mythischen Geschichte nur ein Beispiel gleicher Standhaftigkeit kannten. Ihre Götter Tohil, Avilix und Hacavitz waren mit ihnen ins Land eingewandert, und die Fürsten der Urbevölkerung ersannen einen Plan, sich der Eroberer dadurch zu erwehren, daß sie den Gott Tohil fingen. Nachdem sie in Erfahrung gebracht, daß täglich die Götter Tohil, Avilix und Hacavitz in Jünglingsgestalt in einem Flusse badeten, wählten sie die zwei schönsten Fürstentöchter des Landes und unterwiesen sie: Geht, Töchter, zum Flusse, Wäsche zu waschen, und wenn die Jünglinge euch erblicken, so entkleidet euch vor ihnen. Schlagt ihnen keinen Wunsch ab, doch fordert ein Geschenk dafür. Die Fürstentöchter führten die Weisung aus und suchten die Götter zu betören. Aber Tohil fuhr die Entkleideten an, und sie bedrohend, zwang er sie, zu sagen, wer sie angestiftet. Dann gab er ihnen drei Mäntel: auf dem einen war ein Jaguar, auf dem anderen ein Adler und auf dem dritten waren Hornissen und Wespen gestickt. Die Mädchen trugen die Mäntel heim. Kaum aber hatten die Fürsten die Mäntel umgelegt, brüllten sie auf vor Schmerz: Jaguare, Adler, Hornissen und Wespen tranken ihr Blut.

So strafte der Gott die Nacktheit der Mädchen.


Glückselig über die Freilassung eilte Jeronimo de Aguilar zu Gonzalo Guerrero, teilte ihm bebend vor Erregung die frohe Kunde mit und wollte gleich mit ihm zur Küste – zu den Schiffen der Befreier – aufbrechen. Doch der Matrose war ein Indianer geworden und hielt nicht viel von den Segnungen europäischer Zivilisation. Er hatte eine Maya-Frau geheiratet, die ihm drei schöne Kinder geboren, an Nahrung fehlte es ihm nicht, und Palmen gaben kühlen Schatten – mehr ersehnte sein Herz nicht.

»Geht allein!« sagte er zu Aguilar. »Was soll ich dort! Mich hänseln lassen, weil meine Nase und meine Lippen durchbohrt sind? Mich abrackern für mein täglich Brot und doch im Elend verkommen, wenn die Knochen alt und mürbe geworden? Für so freundliche Aussichten verlasse ich Weib und Kind nicht!«

Aguilar hielt ihm vor, daß er ein Christ sei, daß er seit sieben Jahren nicht zur Messe, nicht zum Abendmahl gegangen und daß er seine Familie ja mitnehmen könne.

»Laßt es gut sein, Gevatter!« versetzte der Matrose. »Messe und Abendmahl sind vortrefflich für Grafen und Herzöge. Wäre ich einer, ich verspürte vielleicht Sehnsucht nach meinem Schloß, nach Kaldaunenbraten und schönen Liebsten. Aber in Europa werden wir armen Schufte mißhandelt im Elternhaus, verprügelt vom Leben und auf den Kehrichthaufen geworfen, wenn wir alt sind. Ich habe mir einen lateinischen Matrosen-Spruch übersetzen lassen und auswendig gelernt: Navigare necesse est, vivere non necesse est! Ich weiß was, das bedeutet! ... Kein Wunder, daß man den Haß nie aus dem Herzen reutet! Schenkt meinen Kindern drei Glasperlen, damit sie sich freuen – mehr nehme ich von meinen Landsmännern nicht an! ...«

Aguilar mußte allein die Reise an die Küste antreten. Als er an Bord der Capitana vor Cortes geführt wurde, legte er Bogen und Pfeile auf dem Schiffsverdeck nieder, fiel auf die Knie, schluchzte und rief: »Kreuz! ... Kreuz! ... Kreuz! ... Christus! ...« Cortes bedeckte ihn mit einem Mantel, denn er war halbnackt, als Indianer gekleidet. Nur mühsam konnte er sich in seiner Muttersprache ausdrücken. Doch schon nach wenigen Tagen beherrschte er wieder das Spanische und war imstande, seinem Retter wichtige Aufschlüsse zu geben über Verfassung, Religion und Sitten der Kulturvölker Zentral-Amerikas.


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