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Am nächsten Morgen zog das kastilische Heer gegen die Stadt Tzimpantzinco.

Zum Fortschaffen des Gepäcks und der Artillerie hatte der dicke Kazike fünfhundert Tlamamas zur Verfügung gestellt. In helles Entzücken gerieten die Soldaten darüber – brauchten sie doch Sack und Pack nicht mehr auf dem Rücken mitzutragen, und zwar nicht nur diesmal, sondern künftighin immer, da – wie bald durch Marina bekannt wurde – es in mexikanischen Landen althergebrachte Sitte war, jedem Durchreisenden, mochte er darum bitten oder nicht, eine reichliche Anzahl Lastträger anzuweisen.

In gebührendem Abstande ließ sich der dicke Kazike in einer mit Papageiendaunen tapezierten Sänfte nachtragen, begleitet von seinem Feldherrn Tehuch und einem Teil des Totonakenheeres. Die Nachttopf-Trägerin keuchte hinterdrein. Es war klar, die Totonaken wollten Zuschauer sein, mit eigenen Augen sich überzeugen, wer beim bevorstehenden grauenvollen Ringen Sieger bleiben werde, die Zauberer Mexicos oder die Zauberer der weißen Götter? ...

Als ein enttäuschend kleines Felsennest erwies sich beim Näherkommen die Stadt Tzimpantzinco. Kein würdiger Gegner. Beschämend das große Aufgebot, das Auffahren der Singenden Nachtigall vor einem so mäßigen Ziel.

Cortes rief die Hauptleute zu einer Beratung zusammen.

»Die Indianer tun so«, sagte er, »als hielten sie uns für Götter. Wie weit sie das ehrlich meinen, steht dahin. Einige sonderlich Pfiffige mögen vielleicht Zweifel hegen, während die abergläubische Menge, die Häuptlinge und Fürsten nicht ausgenommen, uns gewiß für höhere Wesen ansieht. Es wäre klug, wir bestärkten sie in ihrer guten Meinung. Dazu ist jetzt Gelegenheit. Die Stadt im Sturm zu nehmen, würde keine Heldentat sein. Wenn wir aber einen einzelnen Mann hinschickten – einen Mann, dessen bloße Gegenwart, dessen furchtgebietendes Äußere, dessen mutlähmende, atembeklemmende Entsetzlichkeit uns die Feste in die Hand liefern würde ...«

»Ich bin bereit!« erklärte Ordas.

»Bei Tafelfreuden seid Ihr bescheiden, Señor«, sagte Olid blaß vor Erregung zu Ordas, »und Ihr nehmt Euch nicht mehr auf den Teller als wir anderen. Wo aber Ruhm serviert wird, beansprucht Ihr die ganze Schüssel für Euch!«

»Weder an Olid noch an Ordas habe ich gedacht«, fuhr Cortes fort. Ihr seht zu menschlich aus, meine Herren! Euch kann ich nicht brauchen – ich suche ein Scheusal ...«

»Wenn Euer Gnaden an meinen Hund Becerrico denken ...«, fing Francisco de Lugo an, sich gekränkt stellend.

»Nein, auch den meine ich nicht«, antwortete Cortes lachend, »denn er ist ja ein Held! Hier handelt es sich nicht um einen galanten Ritterkampf. Der dicke Kazike und die zweitausend Totonakenkrieger seines Heeres folgen uns schaulüstern und wollen ein anderes Schauspiel sehen – wollen Zauber im Wettkampf mit Zauber sehen. Darum schlage ich vor, daß wir den alten Heredia hinschicken.«

»Heredia? den altersschwachen Heredia?« riefen die Hauptleute erstaunt.

»Ja, ihn!« sagte Cortes. »Gleicht er nicht aufs Haar den scheusäligen Götzenbildern dieses Landes? Vor seiner grauenerregenden Häßlichkeit wird die tapferste Schar die Flucht ergreifen!«

Die Feldobristen stimmten lachend zu. Der alte Heredia wurde herbeigerufen.

Seine Häßlichkeit überstieg allerdings alles Maß. Nicht ohne Grund behauptete der Narr Madrid, ein Ziegenbock sei der Vater dieses Monstrums gewesen und seine Mutter eine Meerkatze. Zudem war sein Bocksgesicht von Schwertwunden kariert, ein Auge ausgelaufen, der Mund hasenschartig, fast zahnlos und mit zwei vorbleckenden gelben Hauern versehen, die Nase gebrochen, kropfig der Hals, einer quabbeligen Schweinsblase nicht unähnlich. Er trug ein Holzbein, und das gesunde Bein war geschweift wie eine Mondsichel.

Cortes unterwies ihn, was er zu tun habe. Der alte Musketier grinste sardonisch und fand die Spiegelfechterei, die man ihm zumutete, keineswegs entwürdigend; im Gegenteil, er war geschmeichelt, fühlte sich urplötzlich beachtet, auserwählt unter den unzähligen Kameraden, ein Zielpunkt für Tausende von Augen. Die große Stunde seines Lebens war gekommen.

Nachdem er instruiert war, führte ihn Cortes an die Sänfte des dicken Kaziken heran und ließ diesem durch Marina sagen:

»So spricht der Sohn der Sonne: die Stadt Tzimpantzinco ist das Blut keines der Meinen wert. Darum ziehe mit meinem besten Zauberer hin, daß er dir die Stadt übergebe!«

Der dicke Kazike und seine Begleiter blickten der Reihe nach Marina, Cortes und den furchtbaren Zauberer an. Einen Augenblick schien Zorn aufzuglimmen, ein ungutes Mißtrauen. Hielt man sie für Kinder, für Schwachköpfe, für Narren? Doch der Anblick Heredias scheuchte alsbald die Zweifel. So ein Unhold! Die drüben hatten keinen solchen! ...

Und der dicke Kazike machte sich auf den Weg mit dem weißen Zauberer.

Äußerst geschickt spielte der alte Heredia seine Rolle. An einem Bach dicht vor den Toren der Stadt kniete er nieder, wie um Wasser mit der hohlen Hand zu schöpfen, dabei schoß er einen Musketenschuß ab.

Das Echo lief betrunken umher mit dem Getöse im Arm, stieß sich an Hügel, schlug sich an Felsen wund, prallte kobolzschießend von Türmen ab, sprang unter die Erde, rollte und kugelte sich an die Luft empor, schob und würgte sich durch Wolkenschichten. Dann lief es irgendwohin weg und fiel wie tot hin. Es war sinnlos betrunken, das Echo.

Gleich darauf kam dreifache Antwort aus einiger Ferne. Drei Musketenschüsse. Dann dreifaches Echo.

Ein weißer Gott kam gelaufen, kniete vor dem Zauberer, nahm geheimnisvoll einen Befehl entgegen, lief eilig zurück.

Den feindlichen Kriegern, auf der Stadtmauer und vor dem Stadttor, wurde es nicht geheuer. Mit schrillem Angstschrei stoben sie davon. Der dicke Kazike und sein Zauberer konnten durch die unverteidigten Tore in die Stadt dringen und mit ihnen ihr Heer, zweitausend Totonaken.

Diese hausten wie Indianer, die sie waren, raubten, plünderten, schändeten und machten Opfersklaven für ihre Götteraltäre.

Einigen Edelleuten und Priestern Tzimpantzincos war es gelungen, aus der Festung zu entkommen, und hilfesuchend traten sie vor Cortes: er möge die Stadt vor Vernichtung bewahren – sofern es wahr sei, daß er über das Wasser des Himmels in dies Land gekommen, alles Völkerelend durch das Glück der Völker, die Knechtung durch Freiheit, die Rechtlosigkeit durch Gerechtigkeit zu ersetzen.

Cortes eilte mit Alvarado und Velazquez de Leon voraus in die Stadt und tat den Greueln Einhalt. Mit flatterndem, blitzendem Zorn schrie er den dicken Kaziken und dessen Heerführer an, zwang sie, das Geplünderte wieder herzugeben, die Opfersklaven in Freiheit zu setzen.

So verschüchtert war der dicke Kazike, daß er gern dreinwilligte, als eine Stunde später Cortes an ihn das Verlangen stellte, mit den Leuten von Tzimpantzinco Frieden und Freundschaft zu schließen. Überglücklich war er, daß Cortes wieder freundlich mit ihm sprach. Der Stadt gewährte er Buße für die erlittene Unbill. Die Aussöhnung war von beiden Seiten herzlich und ehrlich gemeint, sollte sich auch in Zukunft als dauerhaft erweisen. Cortes aber hatte einen neuen Bundesgenossen gewonnen.

Der dicke Kazike ließ durch Marina den Zauberer fragen, welchen Lohn er begehre.

»Überlegt es Euch, Heredial« sagte Alvarado scherzend. »Ihr habt nur den einen Wunsch zu tun, und Ihr kennt doch die Fabel von den drei Wünschen!«

Heredia sann nach und schmunzelte verlegen.

»Nun, was wünscht Ihr Euch?« wurde er nochmals gefragt.

»Ein hübsches Mädchen!« sagte der Alte mit dem Bocksgesicht.

Der dicke Kazike versprach es ihm.


Als die Kastilier wieder in Sempoalla einrückten, ward ihnen ein Empfang zuteil, wie er in Sempoalla gewiß noch niemals Helden bereitet worden war. Sie wurden eingeflochten in Blumengewinde, wateten knietief durch Blumenhaufen, anposaunt von Muscheltrompeten, angedonnert von Fellpauken, angefächelt und geblendet von Myriaden weißer Papierfähnchen, und konnten kaum atmen im wolkenhaften Weihrauchdampf, der ihnen die Augenlider rot beizte. War für ihr leibliches Wohl schon vordem gut gesorgt worden, so fanden sie jetzt in den Tempelvorhöfen, wo sie ihr Quartier hatten, die doppelte Anzahl von Körben mit Maispasteten, Pfeffer, geschlachteten Truthühnern, gerösteten Heuschrecken und Wasserkäfern vor. In Schüsseln gärte Pulque und Honigwein, weiß schäumend. Ja, selbst Schalen mit Kakaosaft und Ananas standen bereit.

An diesem Abend hielt Rodrigo Rangel diese Ansprache, während er Cortes die gelben Reiterstiefel auszog:

»Um es gleich kurz zu machen, Euer Liebden – ich verstehe die Welt nicht. Der arme Tropf, der Heredia, hat sich ein Mädchen gewünscht. Ist das nicht zum Weinen? Er hätte sich eine Gurke an die Nase wünschen können oder eine Krone auf den Kopf. Doch er zog ein Mädchen vor. Ist das zu verstehen? Aber so ist die wunderliche Welt: in ihr hat alles ein Daseinsrecht, was da ist. Auch die Häßlichkeit ist da und will sich nicht ausrotten lassen, will fortleben, will sich ewig forterben. Und just darum erbt sie sich ewig fort. Wie auch die Dummheit. Ignotus (ein sehr berühmter Mann) hat gesagt: Kastriere die Dummheit, und die Welt stirbt aus! – Er hätte das von der Häßlichkeit sagen sollen ... Zum Glück ist nicht alles häßlich, was häßlich ist – weil ja nicht alles Gold ist, was glänzt, und nicht alles Zauber ist, was bezaubert. Um es kurz zu machen: Ordas glaubte, im Fabellande Mexico seien die Häuser aus Silber, und hat damit bewiesen, daß auch nicht alles Silber ist, was glänzt.«

Also sprach Rodrigo Rangel.


Früh am folgenden Morgen wurde Cortes der Besuch des dicken Kaziken angekündigt. Umgeben von seinem Hofstaat, ging ihm Cortes bis vor das Tempeltor entgegen.

Auf dem großen Rasenplatz trafen sie sich, zwischen dem so unwahrscheinlichen Stufenmäander-Granitpalast und der so unwahrscheinlichen Tempel-Pyramide mit dem Gesims von Menschenschädeln, überglitzert von einem fremdartig scharlachenen Frühsonnenlicht. Eine Mondgegend. Bauwerke der Mondbewohner. Und Mondmenschen in kreischenden Farben. Mondmenschen, die eigentlich Vögel waren, gekleidet in Vogelgefieder. Wunderlich, unerforschlich wie Pinguine. Ein Mondkönig, dieser Fleischberg. Auf zwei männliche Karyatiden gestützt, damit er nicht zusammensinke. In der Unterlippe drei Perlmutterknöpfe. Auf das Antlitz ein Schmetterling gemalt. Hielt in der Hand einen Rasselstab, lärmte damit wie ein Säugling. Ließ sich von einer Nachttopf-Trägerin begleiten. Und seine Feldherren – ihre Helme waren Adlerköpfe, ihre Gesichter lugten aus riesigen, weit aufgerissenen Adlerschnäbeln hervor, sie trugen Adlergewänder, waren Adler, gar nicht zu unterscheiden von Adlern.

Und ein weißer Knabe, der Page Orteguilla, zwölf Jahre alt, blauäugig, stand auf Türkissandalen, unbekleidet bis auf einen Lendenschurz und eine Edelmarderdecke auf dem Rücken, hatte eine mädchenhafte Perücke aus lang herabwallenden ockergelben Papageienfedern auf dem Kopf und fächelte mit einem Kolibriwedel dem Totonakenkönig die Fliegen aus dem Gesicht.

Der dicke Kazike war gekommen, seinen Dank zu entrichten. Sein Dank waren acht Jungfrauen und unter diesen seine Tochter.

Er käme, ließ er durch Marina mitteilen, diese acht Mädchen, Erbtöchter aus hohem Adelsgeschlecht, Besitzerinnen einträglicher Landgüter in der Umgegend Sempoallas, den weißen Hauptleuten und dem großen Zauberer als Gattinnen zuzuführen. Der Oberfeldherr aber solle seine Tochter erhalten.

Die Söhne der Sonne sahen sich verdutzt an. Darauf waren sie nicht vorbereitet. Indes ... warum nicht? Sich verschwägern, Wurzel fassen im Lande ...

Die Königstochter war ja unleugbar häßlich. Der faustgroße Smaragd an ihrem Hals half darüber nicht hinweg. Aber die anderen! Es waren blutjunge, zierliche Dinger. Und wenn auch sie in die Hand spuckten, die Erde berührten und die Hand ans Herz führten – das sah ganz artig und anmutig aus.

Inzwischen war man durch das Tor der Mauer, welche die Tempel-Pyramide mit ihren Priesterwohnungen und Vorhöfen umfriedete, getreten.

Cortes flüsterte mit Pater Olmedo:

Er habe seine Warnung beherzigt, habe gewartet, bis er den Leuten einen Dienst erweisen konnte. Nun sei die Zeit gekommen, Forderungen zu stellen!

Pater Olmedo nickte zustimmend.

Eine Stunde später waren die Götzenbilder Sempoallas zerstört.

Doch vordem – was geschah alles in der einen Stunde!

Durch Marina ließ Cortes den Totonaken eröffnen: nur getaufte Mädchen könnten Gattinnen weißer Götter werden.

Der dicke Kazike hatte nichts einzuwenden.

Aber Cortes forderte mehr: nicht nur die Mädchen – auch der König, auch die Würdenträger, auch das ganze Volk der Totonaken sollten dem Irrglauben entsagen, die blutrünstigen Götter abschwören, die ekelerregenden Götzenbilder in Stücke schlagen.

Das ging zu weit. Der dicke Kazike brauste auf.

Nun wurde ihm eröffnet: das Tor der Tempelmauer sei geschlossen und er mit seinem Hofstaat seien Gefangene.

Die Mädchen schluchzten, die dicke Prinzessin winselte, die Adler hoben ihre Holzschwerter. Umsonst. Sie wurden abgeführt.

Cortes blieb allein mit dem dicken Kaziken, ließ ihn sich austoben. Als der Kurzatmige, erschöpft von der Raserei, zu weinen anfing und, wie ein Fisch an Land, nach Luft schnappte, ließ ihm Cortes durch Marina gütig zureden:

Er solle doch sein Leben nicht aufs Spiel setzen! Der Kaiser Don Carlos habe freilich allen, die sich der Bekehrung widersetzten, den Tod angedroht. Aber Cortes lasse ihm ja Zeit zur Überlegung. Das müsse er doch einsehen, daß Cortes sein Freund sei und das Beste für ihn und das Heil seiner Seele wolle.

Der dicke Kazike sah das ein. Er liebte seine Götter, sein Leben aber liebte er doch noch mehr. Er wischte sich die Tränen ab, griff nach der Hand des weißen Gottes.

Er fürchte sich vor der unausdenklich furchtbaren Rache der Götter, und auch vor der Strafe Montezumas bange ihm.

Ausgeredet wurde ihm das. Rache der Götter? Kinderei! Armselige Steingötzen, stumm und taub, unfähig sich zu wehren, wenn man sie schlüge, wie sollten die sich rächen! Und gar der große Montezuma – ein Steingötze wie jene, durch Grausen einschüchternd, aber wehrlos, wenn die fällende Axt naht, sei er etwa mehr als der weiße Gott? Und vor wen der weiße Gott den schützenden Schild seines Wohlwollens halte, den treffe die Strafe Montezumas nimmermehr. Nur freilich, wenn der weiße Gott den schützenden Schild zurückziehe ...

Aufjammernd sank der dicke Kazike in die Knie, küßte die gelben Reiterstiefel des weißen Gottes, flehte, er möge den Schild nicht zurückziehen ...

Cortes gelobte mit gnädiger Herablassung (die eine Verlarvung heimlicher Freude war), auch fürderhin seinen Schild über den König und Freund zu halten, vorausgesetzt, daß dieser sein toll gewordenes Volk zur Vernunft brächte. Es war hohe Zeit. Ein tausendstimmiges Surren war von irgendwoher näher und näher herangeflutet, und nun, zum wahnwitzigen Kriegsgeschrei angeschwollen, brauste, brandete und zerschellte es am Gemäuer des Tempels, umzischt vom Geschwirr gefiederter Rohrpfeile und überdonnert vom Geknatter erzener Feldschlangen und Musketen. Kein Geplänkel war dies. Ein ganzes Volk raste, wollte seinen König befreien.

Cortes ließ sofort alle Gefangenen in Freiheit setzen. Als der dicke Kazike mit seinen Adlern und Jaguaren und den acht Jungfrauen aus dem Tor des Tempels hinaustrat, war bereits Blut geflossen. Fünf Totonaken waren der Zauberwirkung des Blitzfeuers der Weißen erlegen. Aber auch die Kastilier, die von den Mauerzinnen herabgeschossen, waren nicht alle unversehrt von den indianischen Wurfgeschossen geblieben. Schwer verletzt waren zwei: Sandovals Freund Pedro d'Ircio, der Agramant ohne Taten (der einstige Reitknecht des Grafen von Urueña), und Alonso de Grado, jener Zungendrescher und Vielschreiber, dessen Bittschrift Cortes zurückgewiesen hatte.

Wie Öl auf sturmgepeitschte Wogen wirkte der Anblick des dicken Kaziken auf das tobende Volk. Kaum bedurfte es seiner väterlichen Ermahnung. Die Bogen wurden entspannt, die Pfeile von den Sehnen genommen.

Eine jähe Ruhe löste das Toben ab. Jählings in die Erde verkrochen oder in den Himmel entflogen war die Raserei. Gleich einer schwarzen Wolke lagerte die Sturmruhe über der Stadt, unheimlich böse und schicksalsschwanger, bereit, Feuer, aber auch löschendes Wasser zu gebären.

Die Totonaken mochten wohl erwarten, daß nach ihrem König nun Unser Herr der Weiße Gott zu ihnen reden werde durch den Mund seiner schönen Sklavin Malintzin (wie sie Marina nannten). Doch eine andere wurde diesmal Dolmetscherin seines Willens. Die Singende Nachtigall öffnete ihren lohenden Mund, spie eine klafterweite Flamme und Rauch aus und traf durch zauberische Fernwirkung das steinerne Bildnis des Gottes Tezcatlipoca auf der Tempelterrasse. Der Kopf des Gottes wackelte, schwankte, fiel ab, rollte die Treppe der Pyramide herunter, hüpfend wie ein Ball. Der Feuerwerker Mesa hatte einen Meisterschuß getan.

Das Volk der Totonaken ächzte, erstarrte. Wirre Klaglaute flatterten umher, klommen wie Lerchen an den Lüften empor ins glühende, lachende Himmelsblau. Aus den Tempeltoren stürzten schwarz bemalte, langkrallige Priester, kreischten Rachegebete ins lachende Himmelsblau empor.

Kein rächender Blitzstrahl – kein Erdbeben – nichts ... Der kopflose Gott saß regungslos, blöde, stumpfsinnig da, ein hilfloser, armer Götze.

»Es ist wie das Gottesurteil am Karmel: Elia und die Baalspriester!« flüsterte Pater Olmedo.

Nun endlich sprach auch Cortes, und Marina war seine Zunge:

»Schläft euer Gott? So weckt ihn doch, wenn ihr könnt! Oder starb er, der Geköpfte? Und vor ihm habt ihr gezittert? Vor diesem tauben Basaltklotz?«

Cortes hob die Hand, und der Scharfschütze Rodriguez setzte die lilienförmige Kupfertrompete an den Mund, entlockte ihr einen jauchzenden Schmetterton. Im Nu stürmten die Kastilier die Tempeltreppe hinan, schlugen auf den kopflosen Gott mit Stahlhämmern und Äxten ein, zertrümmerten ihn wie einen tönernen Topf, schleuderten seine Gliedmaßen die steile Tempel-Pyramide hinab.

Das Volk der Totonaken erwachte aus seiner Erstarrung. Die Machtlosigkeit seiner Götter war dargetan. Der Strahlenglanz seines Pantheons war verblichen. Ein Rausch packte die Menge, ein Rausch der Zerstörungswut.

Noch zwanzig Tempel ragten aus der Dächerebene Sempoallas empor. Von Gotteshaus zu Gotteshaus zogen die Kastilier, und Totonaken führten sie, Totonaken halfen das Zerstörungswerk vollenden.

In einer Stunde war es vollendet.

Es gab keine Götter mehr in Sempoalla.


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