Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Ein halbes Jahr lang lebte der Irdene Krug im Großen Palaste, frei und unbehindert. Wie einem Adligen prinzlichen Geblütes wurde ihm aufgewartet. Den Tribut ganzer Provinzen brachte man ihm dar. Keine Kostbarkeit war zu kostbar für seinen Besitz. Er aß von den fünfzig schmackhaften Gerichten des Großherrn und schlürfte von seinen giftsüßen Kräutergetränken. Und dennoch vermochten alle Gunstbezeigungen seine schwermütige Düsterheit nicht zu lichten.
Montezuma schickte ihm schöne Tänzerinnen zu, damit sie ihn erheiterten. Der Otomi plauderte mit den Mädchen und entließ sie unberührt.
Der König ließ sich nicht abschrecken. Seine Bewunderung übersah den frevelhaften Trotz.
Eines Tages langte ein junges Weib in Tenuchtitlan an und fragte nach dem Irdenen Krug, den sie unter den Todgeweihten hinter der Schlangenmauer des Schlangenberg-Tempels glaubte. Sie war die jüngste von den Weibern des Irdenen Kruges, an der Stirn rasiert, am Busen und am Oberarm blau tätowiert, dreizehnjährig und liebreizend. Es war ihr gelungen, bei nächtlicher Weile über die große Mauer zu klimmen und die weite Strecke bis zum Schilfsee zu wandern, sich durchzufragen und durchzubetteln in Feindesland – sie war ja eine Tlascaltekin – schrecklos und, allen Nachstellungen zum Trotz, unantastbar wie ein heiliges Feuer. Als sie endlich im Palaste verhärmt und selig dem Gatten gegenüberstand, brach der starke Mann in Tränen aus.
Seitdem schien ihm seine Schwermut zu entgleiten und wich einer ernsten Heiterkeit. Er, der Quetzalfedern und Smaragde stets zurückgewiesen, erbat sie sich von nun an, behing sein kindjunges Weib damit und lächelte.
Auch sang er jetzt zuweilen uralte Heimatgesänge.
Montezuma glaubte sich schon Sieger. Als aber ein halbes Jahr vergangen war, trat der Otomi vor ihn hin und sprach:
»Ich bin ein Toter. Willst du das nicht sehen? Ich bin mir selbst zum Gespenst geworden. Du aber verlängerst meine Qual. Geliehen sind mir mein Fleisch, meine Nägel und Knochen, zurückerstatten muß ich, was mir nicht gehört. Und nun will ich in Gestalt eines schönen Vogels ins Haus der Sonne fliegen!«
Montezuma schüttelte den Kopf.
»Dich gebe ich nicht her. Wenn ich dich opferte, es wäre, als legte ich mein eigenes Herz auf die Adlerschale. Im Kriege magst du sterben, wenn du sterben willst – doch niemals auf einem meiner Altäre. Darum zieh mit meinem Vetter Guatemoc nach dem Lande Guatemala am Meere des Südens. Ich ernenne dich zum Vorsteher des Hauses der Pfeile!«
Und wirklich, das Ungeheuerliche geschah: der Fremdling, der Erzfeind, der Tote wurde der oberste Anführer des mexikanischen Heeres. Und er zog mit dem Herabstoßenden Adler in das Land des Südens, wo er neue Siege und neuen Ruhm errang und den Schlachtentod nicht suchte. Denn er sehnte sich nach der Opferblutschale.
Mit großer Kriegsbeute und zehntausend gefesselten Kriegssklaven befand sich das mexikanische Heer nunmehr auf dem Heimweg. Die geschwärzten Priester der Wasserstadt rüsteten das Mahl der Götter. Das Volk von Tenuchtitlan rüstete den Triumphzug für seinen Liebling, den Herabstoßenden Adler, und auch für den scheu bewunderten Helden, den Irdenen Krug. Seit die beiden Kriegshäuptlinge fortgezogen, das südliche Land zu unterjochen, war kaum ein Jahr vergangen – und wie hatte sich die Welt verändert in der kurzen Spanne Zeit! Viel Schicksalhaftes hatte sich ereignet: die Auferstehung der Prinzessin Papan, die Ankunft der Söhne der Sonne, das verhängnisvolle Ballspiel um drei Truthähne, der rätselhafte Tod des Herrn des Fastens, der Aufstand der Schwarzen Blume und die Verbrennung des Feldherrn Rose. Kein Wunder, daß ein banges Fragen umhergeisterte, ein Mißmut heranwuchs, genährt durch alte Prophezeiungen. Ausgebeutete Sklavenvölker reckten aufhorchend das Haupt empor. Selbst in Mexico ballten sich Fäuste. Und Montezuma, vor einem Jahr noch ein selbstgenügsamer Gott, war jetzt ein kleinlauter, von Träumen gehetzter Zauderer.
Seinen Vorahnungen und Ängsten reihte sich jetzt auch die Beklemmung an, unter welcher er beinah körperlich bei der Vorstellung litt, gar bald dem Herabstoßenden Adler Auge in Auge blicken zu müssen. Er hatte ihm einst die schönste seiner drei Töchter, Prinzessin Maisblüte, versprochen. In seiner Abwesenheit hatte er sie dann dem Edlen Traurigen, dem jungen König von Tezcuco, anverlobt. Königin von Tezcuco war indessen das Mädchen noch nicht. Und das war es, was auf Montezumas Seele lastete. Denn eine unrechte Handlung gesteht sich leichter ein als eine unlautere Absicht.
Gleich nach der Krönung Cacamas hatte die Hochzeit stattfinden sollen. Durch einen Überfall der Schwarzen Blume war das Krönungsfest jäh unterbrochen worden, und nur mit Mühe war es den Festteilnehmern gelungen, sich in Kähnen nach Tenuchtitlan hinüberzuretten. Ein Gekrönter ohne Königreich, kämpfte seitdem der Edle Traurige um den Bestand seines Erbes, die Hauptstadt Tezcuco war noch immer belagert. Und sein bei der Verlobung gegebenes Wort, den Goldschatz des Herrn des Fastens an Mexico auszuliefern, hatte der Edle Traurige bis jetzt nicht eingelöst.
Montezuma beschloß die Hochzeit zu beschleunigen. Das Familienfest könnte zugleich Anlaß geben, hoffte er, seine feindlichen Neffen auszusöhnen. Der Bruderzwist untergrub ja das Ansehen des Weltreiches. Allzulange schon hatte dies Ärgernis gewährt, das ganze Land Tezcuco, bis auf die belagerte Hauptstadt, war in den Händen der Aufständischen. Und das ritterliche Benehmen der Schwarzen Blume, welcher Bauern und fahrende Kaufleute der Vasallenstaaten unbehelligt ließ, um bloß mexikanischen Adligen seinen Haß zu schmecken zu geben, vermehrte täglich seinen Anhang. Dem mußte ein Ende gemacht werden. Zumal, da schlimme Nachrichten aus der Küstengegend vom Abfall Sempoallas berichteten und über geheimnisvolle Wanderer, die zwischen Tlascala und dem Totonakenlande gesehen worden waren, so daß die Gefahr aufdämmerte, die Schwarze Blume könnte sich mit Denen-hinter-den-Bergen und den weißen Göttern zusammenschließen. Ein Frieden in Anahuac war in diesem Augenblick jedes Zugeständnis wert. Wie eine Lilienzwiebel mußte die Züchtigung des Aufsässigen beiseite gelegt und kühl aufbewahrt bleiben bis zu einer günstigeren Jahreszeit.
Beiden feindlichen Brüdern ließ er durch seine Abgesandten sagen, er sei als Unbeteiligter bereit, den Frieden zu vermitteln. Denn wenn er auch räuberische Einfälle abgewehrt und den Karawanen seiner Kaufleute Schutzgeleite gegeben, am Kriege selbst habe er bislang nicht teilgehabt. Der Behelligung reisender Mexikaner jedoch tatlos zuzuschauen, werde auf die Dauer nicht angängig sein. Ab Blutsverwandter lege er Wert auf die Freundschaft beider Neffen, als Oberhaupt des Drei-Städte-Bundes dürfte er ihre Feindschaft länger nicht dulden. Er schlage eine Teilung des Reiches von Tezcuco vor: den größeren, aber gebirgigen Teil solle die Schwarze Blume erhalten, der Edle Traurige dagegen den fruchtbaren schmalen Küstenstreifen längs des Schilfsees mitsamt der Königsstadt. Dieser gleichlautenden Botschaft fügte er eine besondere an die Schwarze Blume bei: der Herabstoßende Adler und der Irdene Krug seien nicht mehr fern und mit ihnen die Heerscharen Mexicos, die den Frieden wollten, um ihre Maisfelder zu bestellen und bei ihren Frauen auszuruhen. Falls er nun den Frieden ausschlage – ob er denn ein Schattenbild habe, das ihm jetzt noch beistehen könne?
Leichter und schneller, als er erwarten durfte, gelangte der Zornige Herr ans Ziel. Die verfeindeten Brüder willigten, wenn auch mit Vorbehalten, in die Teilung ihres Erbreiches. Als eben erst die Friedensverhandlungen beginnen sollten, langte der Edle Traurige in Tenuchtitlan an und brachte vom heimlich in Sicherheit gebrachten Goldschatz Tezcucos schon diesmal den größeren Teil mit. Montezuma ließ in aller Stille den Goldschatz in den leerstehenden Palast seines Vaters, Königs Wassergesicht, schaffen. Nur wenige seiner Vertrauten wußten darum.
Die Entwendung des Goldes blieb der Schwarzen Blume vorderhand verborgen. Auch er handelte nicht ehrlich. Die Waffenruhe war ihm erwünscht augenblicklich, weil sie der Zeit in den Arm fiel, der Zeit, die ihm zum Schaden jetzt schon den Herabstoßenden Adler zurückrief. eine weiten Pläne bedurften eines weiten Zeitweges. Günstig lautete die Kunde aus dem Lande der Totonaken: die weißen Götter waren zum Bündnis bereit. Vereint mit ihnen war er unbesiegbar. Doch noch waren sie getrennt durch die Gletscher des Rauchenden Berges und der Weißen Frau. Wahnsinn wäre es gewesen und eine Gefährdung seiner Ziele, hätte er dem Herabstoßenden Adler jetzt begegnen wollen.
Ohne Verstellung konnte er erklären, daß er seinen Bruder, den Edlen Traurigen, nicht hasse, trotz allem. Denn tatsächlich haßte er nur Mexico. Seinem Bruder gönnte er die halbe Königskrone und gönnte ihm auch die kaiserliche Braut. Nur daß sie das Lieblingskind Montezumas war, mißbilligte er, und gern gehindert hätte er, daß sein Bruder durch die Verschwägerung noch mehr als bisher zum Knecht des Zornigen Herrn wurde.
Was er nicht verhindern konnte, verhinderte das Geschick. Die geplante Hochzeit, für die bereits ein glücklicher Tag gewählt war, wurde durch ein unerhörtes und wehvolles Geschehnis vereitelt.
Von den beiden rechtmäßigen Gattinnen Montezumas war die eine, die wunderschöne, über die Maßen von ihm geliebte Königin Tecalco, jung verstorben und hatte ihm zwei Kinder hinterlassen: den im Rosenkrieg vom Irdenen Krug erschlagenen Prinzen und eine Tochter, Prinzessin Maisblüte. Für den Vater war, seit dem sonnenhaften Untergang des Prinzen, dieses Mädchens Antlitz der junge Mond, der ihm das ins Land des Vergessens hinabgesunkene Licht der Toten widerspiegelte. Er umgab sie mit kaiserlichen Ehren, und abgesondert von seinen andern Kindern, ließ er sie mit einem eigenen Hofstaat das zauberhafteste seiner Schlösser, das milchweiß aus dunkelroten Felsen und schwarzen Zypressenwipfeln emporleuchtende Chapultepec, am westlichen Ufer der Lagune, bewohnen.
Seine andere, noch lebende Gattin, die Königin Acatlan, hatte ihm zwei Töchter – Prinzessin Silber-Reiher und Prinzessin Nephrit – und sieben Söhne geboren. Mit ausgesuchter Höflichkeit behandelte er stets die früh gealterte, gefühlkarge und hochmütige Frau. Und nur fremde, kalte Blicke hatte er für ihre Sprossen, die zum Teil noch mit der Kindergesichtsbemalung umherliefen.
Der älteste dieser Söhne, Ilhuiltemoc, der Vom-Himmel-Gestiegene, war eben herangewachsen, siebzehn Jahre alt. Obgleich ein Königssohn, hatte auch er die grausame Strenge des Calmecac, der religiösmilitärischen Erziehungsanstalt für den Adel, zehn Jahre lang ertragen müssen. Jetzt, der Zucht enthoben, trank er, ein prinzlicher Nichtstuer, mit dürstendem Munde den Rauschtrank der Jugendlust ein. Flötenbläser und Tänzer verschönten ihm die Ungebundenheit, die seiner schwanken Wesensart entsprach. Es war diesem Genü&ling vorherbestimmt, zielbewußten Genüßlingen ins Netz zu gehen. Der Tempel-Feger, der Ehebrecher aus Huexotzinco, seit kurzem im Schatten von Montezumas Gunst heimisch am mexikanischen Hofe, wurde dem haltlosen Knaben zum Verderber.
In einer dunstgeschleierten Silbernacht saß Feuer-Juwel, der gelehrte Annalenschreiber, als Gast bei einem jungen, immer rauschseligen Dichter, der den Namen Tzahuatzin, der Spinner, trug.
Das einstöckige Häuschen, auf dessen Dach die beiden Freunde im Mondlicht schwärmten, befand sich im ärmlichen Stadtviertel Cuepopan, an sein von schleimigen Algen begrüntes Fundament spülte einer von den sechsundvierzig Kanälen Tenuchtitlans. Durch schmale Gartenstreifen von den Nachbarhäusern abgetrennt, hatte das fensterlose und schon ein wenig baufällige Gebäude nur eine Tür an der Kanalseite, mit einer steinernen Landungstreppe davor. Das Dach, wie alle mexikanischen Dächer mit Zinnen umkränzt, würde dem Hause ein festungsähnliches Aussehen verliehen haben, wäre es nicht überwuchert gewesen mit einer waldmoorartigen Pflanzenwirrnis, mit Zwergpalmen, Stauden und gesprenkelten Blumen, von denen besonders die tierhaften Vanille-Orchideen das Bestreben hatten, durstig wie Riesenschlangen sich am Gemäuer herniederringelnd aus dem Kanal zu trinken.
In diesem hängenden Garten hockten die beiden Freunde auf zwei blau-rot gestreiften Sitzkissen einander gegenüber. Eine große Schale mit schäumigem Pulque, von einem hölzernen Vierfuß getragen, duftete zwischen ihnen. Feuer-Juwel las dem Spinner aus einer noch unfertigen Bilder-Schrift vor, worin er seine neugeborenen Gedanken in altheilige Gewänder kleidete. Was er der Welt zu verraten hatte an kühner Einsicht und frevlem Zweifel, gab er als Worte des Gottmenschen Quetzalcoatl aus.
Er las:
Das Land der Sehnsucht, Tlillan-Tlapallan, suchend, schritt Unser Herr Quetzalcoatl über Gletscher. Da sah er im Schnee einen toten Schmetterling, dem war ein Flügel abgebrochen. Und Unser Herr legte den abgebrochenen Flügel auf seine Handfläche und fragte den treusten seiner Jünger:
»Was sieht dich an aus diesem Flügel?«
»Ein Auge«, sprach der Jünger, »ein vielfarbiger Spiegelfleck ...«
»Seit mein Auge in dies Auge gesehen«, sprach Quetzalcoatl, »habe ich erkannt, daß niemand verdammenswert ist und niemand lobenswert.«
»O Unser Herr! was sieht dein Auge im Auge des Falterflügels? Mein Auge ist unwissend und sieht nur Farben ohne Sinn. Erkläre es mir!« bat der Jünger.
Da erklärte ihm Unser Herr den Sinn des Falterflügel-Auges. Er sagte:
»Der schwarze, innerste Kreis ist der einzelne Mensch. Ihn umgibt ein blauer Ring: das ist die Hausgemeinschaft, die Sippe. Umkreist wird die von einem grünen Ring: das ist die Volksgemeinschaft, das Heimatland. Hierum legt sich ein gelbroter Ring, der führt den Namen: Menschheit. Und den letzten, weißen Ring nenne ich: den Gott von Tlillan-Tlapallan.«
»Und warum, o Unser Herr, will dein Auge aus diesem Auge erkennen, daß niemand verdammenswert ist?« fragte der Jünger ungläubig.
»Weil jedes Wollen und jedes Denken in einem dieser fünf Ringe steht«, entgegnete Quetzalcoatl. »Und wer recht hat in seinem freierwählten Ring, hat oft unrecht in einem anderen Ring. Und wer seinem Ring Gutes tut, tut oft eben damit Böses den andern Ringen. Könntest du das durchschauen, es gäbe für dich keinen Streit mehr auf der Welt und keinen Widerstreit, und auch keine Klage und keine Anklage mehr. Denn die fünf Ringe sind nichts für sich – sie sind bloß Teile eines Falterflügel-Auges. Und dies ist der reichste Fund und das tiefste Geheimnis, das ich mit mir nehme ins Land der Sehnsucht, Tlillan-Tlapallan, – denn selbst für dich, der du in dies Auge geschaut und meine Worte gehört hast, scheint es ein Geheimnis bleiben zu wollen und ein Rätsel ...«
Feuer-Juwel vollendete den Satz nicht. Ein Kanoe war auf dem Kanal herangerudert und hatte an der Landungstreppe angelegt. Stimmen wurden laut. Und gleich darauf zeigte sich oben auf dem hängenden Garten der tepanekische Sklave des Spinners, um seinem Herrn zu melden, daß im Boote unten der Tempel-Feger auf ihn warte, denn dieser habe Auftrag, den berühmten Sänger mitsamt seinem Gaste zum schwimmenden Blumenbeet des jungen Königs von Tlacopan hinzurudern.
Die beiden Freunde seufzten entsagungsvoll. Dem Königsbefehl mußten sie sich fügen. Der Spinner trank das große Pulque-Gefäß leer und wankte die dunkle Treppe hinab. Die Pulque-Götter trennten ihn bereits von Unserm Herrn und seinem Falterflügel-Auge. Schließlich waren ja die Lustbarkeiten auf den schwimmenden Blumeninseln voll von Anmut und Lieblichkeit, beseligend für einen sinnenfreudigen Schönheitssucher.
Und die kleinen Pulque-Götter trieben ihr Spiel in den lachenden Mundwinkeln des Spinners, als er mit Feuer-Juwel im Kanoe des Tempel-Fegers Platz nahm. Leicht wie eine Ente glitt der Einbaum durch die nachtfinsteren Kanäle der silbrigen Lagune zu.
Der junge König von Tlacopan hieß Tetlepanquetzatzin – der Durch-Zauber-Verführende. Als vor einem Jahrhundert die tepanekischen Zwingburgen in Staub sanken, war noch Tlacopan ein glanzloser, der verwüsteten Tepanekenhauptstadt zunächst gelegener Marktflecken am westlichen Lagunen-Ufer. Zwischen Ruinen rasch emporgeblüht zur neuen Königstadt eines neuen Königreiches, bildete es seither mit Mexico und Tezcuco den Drei-Städte-Bund. Doch von Beginn an hatte es die Blässe einer belebten Leiche. Es war das entmannte Tepanekentum, mit schöner Maske versehen, das neben den Trümmern einstiger Herrlichkeit sich in Tlacopan fortfristen durfte, unter anderem Namen freilich und Trost findend an der von Mexico gewährten Scheinselbständigkeit. Den Bestrebungen des Herrn des Fastens, ein Gleichgewicht im Drei-Städte-Bund herzustellen, hatte der Vater des Durch-Zauber-Verführenden wohl Teilnahme, aber keinen Beistand zu leihen vermocht; obgleich er als Schwiegervater Montezumas – die Königin Acatlan war seine Tochter – ein gewisses Ansehen am Königshofe genoß und obgleich ihm zuzeiten vergönnt war, seine Bejahrtheit und Erfahrung auf die Waagschale zu legen im Rate der Alten.
Sein Sohn, des Weltherrn Schwager und Bundeskönig, galt gleichwohl am mexikanischen Hofe nicht mehr als die prinzlichen Neffen, die vielen. Tlacopans leicht wiegende Krone pflegte er daheim zu lassen, wenn er sich nach Tenuchtitlan begab, wo er seine Tage und Nächte im Freudentaumel verbrachte. Die in ihm schlummernden guten Eigenschaften hatte er selbst noch nicht entdeckt, – erst die Not sollte sie dereinst ans Licht ziehen, niemand zur größeren Verwunderung als ihm. Jetzt war er ein liebenswürdiger Jüngling, verschwenderisch, leichtlebig, sorglos, ein Liebhaber der Dichtkunst und ihrer schwebenden Schwestern.
Mit wenigen auserlesenen Freunden wollte er heute ein Nachtfest auf dem mondglitzernden See begehen. Die schwimmenden Beete Mexicos waren berühmt. Meist nur wenige Fuß breit und lang, bestanden sie aus Planken, auf die eine Schicht samenträchtiger Fruchterde geschüttet war, überspült von Wellen der Lagune, gehitzt von der Sonne Anahuacs, gekühlt von Bergwinden, keimten, blühten und reiften die sich selbst überlassenen Zierpflanzen und Früchte in überquellender Üppigkeit. An das Schleppseil eines Kahnes befestigt, wurden allmorgendlich Dutzende solcher Beete durch die Kanäle zum großen Marktplatz gefahren. Es gab auch schwimmende Gärten. Aus erdbedeckten Flößen aufsprossend und um ein Vielfaches größer als die Beete, trugen diese inmitten ihrer luftgeschaukelten Blütenfülle auch Balsamsträucher, kleine Lorbeerbäume, Dachpalmen und standen an Pracht den hängenden Gärten nicht nach.
Als der Tempel-Feger das Kanallabyrinth durchrudert hatte und nun ungehemmt sein Boot in die offene Lagune hinausschießen ließ, konnte Feuer-Juwel, der Schweigsame, einen Ausruf der Verwunderung nicht unterdrücken. Die schwimmende Zauberinsel des Königs von Tlacopan, geisterhaft noch im Mondendunst, doch mit jedem Ruderschlag greifbarer aus den Wogen emportauchend, erschien ihm wie eines der sagenhaften Toteneilande im Himmelswasser des Westens, Wohnstätten der Acihua genannten Seejungfrauen. Die reichen Blumenhändler von Xochimilco hatten ihre köstlichsten Seltenheiten hergegeben. Und drei jugendliche Königskinder wetteiferten mit den Muskatrosen, Malven, Calliandrablüten und Jaguarblumen an Schönheit: neben dem jungen König von Tlacopan sein Jugendfreund Prinz Ohrring-Schlange sowie dessen Schwester Prinzessin Perlmuschel. Diese war achtzehn Jahre alt und schon Witwe – Witwe des unglücklichen Prinzen Grasstrick, der um der roten Blume von Yuquane willen gestorben war.
Und aufrecht stehend, ruderten zehn nackte junge Mädchen das schwimmende Eiland in den See hinaus, während der Mond ihre zierlichen Terracotta-Leiber in seine Ätherschleier hüllte.
Prinz Ohrring-Schlange hatte nach dem rätselhaften Entschwinden seines Vaters, des Herrn des Fastens, sich überreden lassen, die Mexico genehme Ernennung seines älteren Bruders zum König von Tezcuco gutzuheißen. Bis vor wenigen Tagen noch hatte er in seiner belagerten Heimatstadt gegen den jüngeren Bruder, die Schwarze Blume, gekämpft. Die begonnenen Friedensverhandlungen steckten dem Blutvergießen ein Ziel und ermöglichten es ihm, bei seinen Verwandten in Tenuchtitlan Entspannung und Erholung von den Kriegsmühsalen zu suchen. Denn seine Mutter, die Herrin von Tula, hatte gleich nach Ausbruch des Bruderzwistes Tezcuco verlassen und bewohnte mit ihrer verwitweten Tochter einen ihr gehörigen Palast in Tenuchtitlan, herrlich an der Seeseite gelegen – einen Palast, den sich einstmals der Herr des Fastens erbaut hatte, als noch seine Freundschaft ihn alljährlich in Montezumas Nähe zog.
Leidenschaftlicher als die Herrin von Tula, begleitete Prinzessin Perlmuschel den Siegeslauf der Schwarzen Blume mit Segenswünschen, und daß sie, bewundert als schöne Frau, verhätschelt als Schwägerin des Weltherrn, ihre Gedanken zu verbergen und die Gastlichkeit der Mörder ihres Gatten hinzunehmen sich gezwungen sah, war ihr ein fressender Kummer am Herzen. Von ihrem toten Manne hatte sie ein nachgeborenes Kind, kein leibliches: es war die kleine Rachehoffnung, die sie heimlich aufzog, in Windeln wickelte, wiegte und säugte.
Und eben darum hing sie am jüngeren Bruder, dem aufständischen, mit einer begeisterten Inbrunst: denn so wie sie hatte auch er die rote Blume von Yuquane noch nicht vergessen.
Das Kanoe hatte jetzt angelegt. Feuer-Juwel und der Spinner stiegen auf den schwimmenden Garten hinüber, huldvoll begrüßt vom jungen König. Hüllenlose weibliche Kinder reichten niederkniend ihnen Ananas, Agave-Sirup und Kräutertränke dar.
Der Tempel-Feger war im Kanoe geblieben und ruderte neben der fahrenden Insel her, immerzu an der Seite der Prinzessin Perlmuschel, eingefangen im Bannkreis ihrer Schönheit. Seine glühenden Augen ließen nicht ab von ihr. Nicht durch ein Wort, nicht durch einen Händedruck, nicht durch einen flüchtigen Blick hatte sie jemals ihn ermutigt. Ihre rachelechzende Schwermut hätte einen Lufthauch auf der Lagune erspäht, der zum weltvernichtenden Orkan werden wollte, der Tempel-Feger jedoch war weniger als ein Wind für ihre Sinne. Er indessen legte das dürstende In-die-Ferne-Schweifen ihrer mandelförmigen Augen als Liebe und Einverständnis aus. Schon schmiedete er Pläne. Zwei Opfer seiner Gier hatte das Volk von Huexotzinco gesteinigt, und er war straflos ausgegangen. Warum sollte er sich scheuen, die diebische Hand nach dem Smaragd der Smaragde auszustrecken, nach der Schwester zweier Könige, der Schwägerin Montezumas? Die Götter belächelten ja Liebesseufzer. Und er, der Spötter, hatte den Warnungen der Priester nie Glauben geschenkt, daß Keuschheitssünden geahndet würden von der Straferin, der Kehricht-Göttin, welche in Gestalt eines gräßlichen, am Maule blutigen Frosches verehrt wurde: »denn die Liebe frißt und verschlingt alles ...«
Der junge König bat den Spinner, ein neuestes seiner Lieder vorzutragen, und dieser gab der Flötenspielerin Anweisungen, in welcher Tonart ihn zu begleiten, bevor er jedoch mit dem Gesang begann, fragte er nach Montezumas Sohn, dem Vom-Himmel-Gestiegenen, und bedauerte, daß der Prinz fehle, da er sonst bei solchen Nachtfahrten stets der Lustigsten einer gewesen. Seine Lustigkeit sei hin, bemerkte der junge König, sie habe sich in Trübsinn gewandelt, und seit zwei Tagen habe er den Prinzen nirgend aufspüren können.
Der Tempel-Feger war in der Lage, Auskunft zu geben. Der Prinz sei krank vor Liebe, erzählte er, und mühe sich ab, es zu verheimlichen. Doch das Fieber verrate sich selbst. Zur Rede gestellt, habe der Prinz ihm eingestanden, daß er ein Sterbender sei, ein an Liebe Sterbender. Allen Bitten zum Trotz habe er sich aber geweigert, den Namen des Wesens zu nennen, das sein Unglück verschulde. Und nun rudere er jede Nacht, bloß von einem Freunde begleitet, hinaus zur Tempel-Insel der Liebesgöttin, um ihr, Opfer darbringend, sein Leid zu klagen.
Der junge König befahl darauf den Ruderinnen, die Richtung nach der nicht fernen Tempel-Insel zu nehmen. Denn es werde vielleicht möglich sein, meinte er, den Prinzen zu belauschen, wenn er der Göttin sein Herz auftue.
Während der schwimmende Garten der Tempel-Insel zulenkte, sang der Spinner sein Sommer-Lied:
»Ich rufe mein Herz an: Wo werde ich sie pflücken,
Die schöne, die würzig duftende Blume?
Wen werde ich nach ihr fragen? Vielleicht frage ich ihn,
Den strahlenden Kolibri, den smaragdenen Schwirrvogel!
Vielleicht frage ich ihn, den gelben Schmetterling!
Sie werden es wissen, sie spüren, wo sie knospend aufblüht,
Die schöne, die würzig duftende Blume!
Möge ich ihnen begegnen hier im Lorbeervögel-Garten,
Den Löffelreihern begegnen im Blumen-Garten,
Wo sie tauglitzernd sich krümmen, wo sie sich ergötzen.
Frieden wohnt hier, ich höre sein Blumenlied,
Das gleichsam der Berg nachmals beantwortet,
Friedlich ist hier das Gerinn, das grüne, des Wassers,
Türkisvögel am Quell dort singen sich an, zanken sich,
Es singen sich an, geben sich Antwort die Vierhundertstimmigen,
Darauf antwortet der Coyol-Vogel, wie Schellen schmettern weithin
Die verschiedenen lieblichen Sänger, die Vögel dort,
Die, in den Gesang einstimmend, die Welt verzaubern ...«
Auf einen Wink des jungen Königs verstummten Dichter und Flötenbläserin, – die Absicht, den Opferer zu überraschen, durfte durch die Musik nicht vereitelt werden. Bald war man schon auf Hörweite dem Tempel nahe gekommen. Auch das tropfende Plätschern der Ruderstangen erstarb in einer hauchlosen Stille, und spukhaft glitt der schwimmende Garten in den todschwarzen Mondschatten der Klippeninsel hinein.