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5

Er sprang auf die Füße und eilte zu dem sandigen Ufer. Im ersten Augenblick wußte er nicht, wo er war, aber dann erinnerte er sich daran.

Es mußte Nachmittag sein; die Flut begann abzuebben. Er sah das Kanu und stand eine Minute lang still. Seine Gedanken arbeiteten jetzt. Er war nicht länger gleichgültig und hilflos; der Traum von der alten Umgebung hatte ihm wieder Kraft und neuen Mut gegeben.

Er mußte dieses Riff verlassen und auf die offene See hinausfahren. Vielleicht konnte er die Paumotu-Inseln erreichen. Es war allerdings fraglich, ob er bei diesem Versuch mit dem Leben davonkam. Aber es war besser, als immer hierzubleiben, wo nichts passierte, wo er nur das Riff hatte, auf dem er hin und her gehen konnte, wo die Sonne vom Himmel herniederbrannte und die Möwen schrien. Die Ebbe setzte jetzt stark ein; sie würde das Kanu durch die Ausfahrt tragen, wenn er sofort handelte.

Er eilte zu den Bäumen, sammelte in aller Hast Pandanusfrüchte und trug sie ins Boot. Dann kletterte er wie ein Affe an den Kokospalmen hoch und schleppte die Nüsse zum Fahrzeug. Als er die Fracht schließlich verstaut hatte, warf er sich wie damals in Karolin am Ufer des kleinen Teiches nieder und trank und trank, bis er nahezu barst.

Dann ging er zu dem Kanu, aber er konnte es nicht ins Wasser bringen. Er hatte die Früchte und die Kokosnüsse schlecht geladen, so daß der Ausleger im Sand vergraben war. Er mühte sich heftig ab, packte die Früchte anders, und endlich konnte er das Boot bewegen. Er stieß und schob, bis die Wellen das Fahrzeug umspülten. Dann griff er zum Ruder, und nach wenigen Stößen schwamm das Kanu frei auf der Lagune.

Und nun war es, als ob ihm ein zentnerschwerer Stein vom Herzen fiele. Er fühlte nicht länger seine Nacktheit. Die Bewegung, die Flucht von dem Ufer und die neue Hoffnung, auf das weite Meer zu kommen, belebten ihn. Vielleicht konnte er am Ende doch noch Peterson schlagen.

Während er das Ruder einmal links, einmal rechts in die Fluten senkte, brachte er das Boot weiter auf das Wasser hinaus. Die weiße Brandung an der Ausfahrt lag vor ihm, und wenn er darüber hinwegkam, winkte ihm das weite, offene Meer.

Er wandte sich noch einmal zur Seite und warf einen verächtlichen Bück auf die Küste, die ihn gefangengehalten hatte, auf die Bäume, das sandige Ufer – aber was war das? Wasser lief ihm plötzlich über die Knie, und unten schwammen die Kokosnüsse und Früchte.

Das Kanu war leck. Die Sonne mußte diesen Schaden gestern verursacht haben, während er schlief. Das Boot war noch knochenhart und trocken gewesen, als er die Früchte hineingelegt hatte, und nun schwamm alles im Wasser.

Das Mattensegel hatte er bereitgelegt, um es sofort zu setzen, wenn er aus der Lagune herauskam. Er schaute darauf, dann blickte er wieder ins Innere des Kanus. Das Wasser war schon höher gestiegen. Es konnte kein gewöhnliches Leck sein, das sich ausstopfen ließ. Er mußte ans Ufer zurückkehren und die Ausbesserung dort vornehmen.

Er begann heftig zu rudern und steuerte nach dem Strand. Aber nun war es zu spät, die Ebbe hatte das Boot wie ein Blatt erfaßt, und obwohl er die Spitze zum Ufer wandte, trieb es breitseits der Ausfahrt zu.

Jetzt konnte er nur noch versuchen, das Riff in der Nähe der Ausfahrt zu erreichen.

Er arbeitete mit fast übermenschlicher Anstrengung.

Noch vor ein paar Minuten hatte er gejubelt, daß ihm die Flucht von der Insel gelang. Aber als ihm nun auf dem großen Meer der sichere Tod durch Ertrinken winkte, erschien ihm das Ufer als das erstrebenswerteste Ziel der Welt.

Aber er konnte es nicht erreichen. Je näher er der Ausfahrt kam, desto schneller wurde die Ebbe. Das Wasser der Lagune hatte ihn gefaßt wie ein reißender Strom. Das Kanu drehte und wandte sich bei seinen Anstrengungen, aber er konnte den Kurs nicht so weit ändern, daß er ans Ufer kam.

Kurz entschlossen warf er das Ruder weg, hielt sich einen Augenblick am Mast fest, sprang dann ins Wasser und schwamm an Land. Als er ankam und sich aufrichtete, trieb das Kanu, mit Wasser gefüllt, in dem Strudel am Ende des Riffs und wurde von der Brandung hin und her geworfen.

Sein letzter Besitz war ihm nun genommen. Jetzt blieb ihm nur noch der kleine Lendengurt aus den Stricken, mit denen die toten Kinder an den Ausleger gebunden waren.

Aber daran dachte er nicht. Sein Leben war gerettet! Mit knapper Not war er dem Tod entkommen. Als er auf die Strömung hinausschaute, sah er die Rückenflossen eines Haifisches, der nahe am Ufer schwamm, als ob er vergeblich nach der schon sicher geglaubten Beute jagte.

Er ging zu den Bäumen zurück in dem Hochgefühl, daß er noch lebte, daß er den Tod wieder betrogen hatte. Langsam setzte er sich nieder, um auszuruhen.

Dieses Erlebnis brachte Rantan eine neue Gewißheit. Zwar war ihm der letzte Besitz geraubt, aber trotzdem hatte er das Gefühl, daß er schließlich doch noch gewinnen würde. Bei allem Unglück hatte er immer noch Glück gehabt. Er war Le Moan entkommen, und Nanu und Ona hatten ihre Rache nicht ausüben können, obgleich er hilflos und gefesselt in ihrer Gewalt war. Er war nicht im Meer verschollen, sondern hatte Zuflucht auf dieser Insel gefunden, und nun hatte ihn das Schicksal wieder aus dem lecken Kanu und vor dem Haifisch gerettet. All diese Gedanken gaben ihm das Gefühl, daß er am Leben bleiben sollte. Sicher würde ein Schiff diese Insel anlaufen.

Und während diese Überzeugung immer stärker wurde, überkam ihn ein namenloser Haß gegen Karolin. Wenn das Schiff, das ihn hier von der Insel holte, die richtige Bemannung an Bord hatte, wollte er mit den Leuten nach Karolin fahren, die Perlbank abbauen und furchtbare Rache an den Kanakas nehmen. Und er wußte, daß die rechten Leute auf dem rettenden Schiff sein würden. Bestimmt würde es kommen. Er wußte es.


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