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3

Das primitive Kanu der Südsee besteht aus einem ausgehöhlten Baumstamm, dem die Eingeborenen äußerlich die Form eines Bootes geben. Es ist sehr schmal im Verhältnis zu seiner Länge und wäre unsicher, wenn es nicht einen Ausleger besäße.

Der Ausleger ist ein langes, schneeschuhförmiges Holzstück, das immer an Backbord befestigt wird und die fehlende Schiffsbreite ersetzt. Große Stangen oder eine Mittelbrücke verbinden es mit dem Kanu. Ohne Ausleger dürfte sich kein Kanu auf die hohe See hinauswagen, und ohne Auslegerboote wären die Inseln in der Südsee sowohl untereinander als auch vom Festland abgeschlossen.

Dick sah eine Gestalt am nördlichen Ufer, als sie näher kamen. Es war Katafa, die auf ihn wartete. Der Wind spielte mit ihrem Gürtel aus großen Blättern. Sie stand an der Küste und schützte mit der Hand die Augen vor der Sonne wie Le Moan, die zum erstenmal in ihrem Leben einem Mann nachschaute.

Einige Kinder spielten in Katafas Nähe, und ein Fischerkanu wurde dort ins Wasser gelassen, aber er sah nur sie.

»Katafa«, sagte Aioma, der auf der Brücke des Auslegers saß. »Ja, sie ist es. Und sie sagten, daß sie tot und ihr Geist zurückgekommen wäre und dich, Taori, mit sich gebracht hätte, aber die Toten kehren nicht wieder. Katafa war das Mädchen, auf das Taminan ein Tabu gelegt hatte: kein Mann und keine Frau durfte sie anrühren. Eines Tages fuhr sie zum Fischfang auf das hohe Meer hinaus; der Sturm verschlug sie, und sie ertrank. So sagten wenigstens die Leute.«

»Sie ertrank nicht«, erwiderte Dick. »Der Sturm trieb sie nach Marua, wo ich mit einem anderen Mann lebte, dessen Gesicht ich fast vergessen habe. Er hieß Kearney, und er machte Kanus, aber andere als diese. Eines Tages ging er in den Wald und kehrte nicht wieder. Dann kam der Gott Nan zu der Insel, und die Männer von Karolin folgten ihm, kämpften und wurden alle getötet. Und nachher kamen die bösen Männer, wie ich dir schon erzählt habe; sie hätten uns umgebracht, aber in der Nacht flohen wir von Marua ... sieh, dort ist das Kanu, in dem wir hierherkamen!« Er zeigte auf das Fahrzeug, das an die Küste gezogen war.

»O he! Taori!« grüßte ihn Katafa. Ihre Stimme klang froh, rein und klar wie eine Glocke und hallte weit wie der Ruf einer Seemöwe.

Als Dick ans Ufer sprang, schloß er sie in die Arme. Nur ein paar Stunden waren sie voneinander getrennt gewesen, aber diese kurze Zeit erschien ihnen wie lange Wochen.

Er umarmte sie, ohne darauf zu achten, ob andere es sahen. Aber es waren nur Kinder in der Nähe und Aioma, der für nichts anderes als das Boot Augen hatte.

Sobald er ans Ufer kam, eilte er wie ein kleiner Junge darauf zu, betastete den Rand und fuhr mit der Hand über die Seitenwände.

Die Boote des spanischen Schiffes, das vor Zeiten hierhergekommen war, hatten klinkerweise übereinander gelegte Planken gehabt, so daß eine über die andere vorragte. Sie waren alle bei dem Kampf untergegangen, aber er hatte damals Trümmer von den Booten gesehen, die von den Wellen ans Land gespült wurden. Aber dieses Boot hatte glatte Wände. Aioma sah nachdenklich auf das Fahrzeug. Er hatte Dick, Katafa und alles um sich her vergessen, das Ufer, an dem er stand, und die Sonne, die es beschien.

Der Gedanke, ein Boot aus Brettern zu bauen, statt einen Baumstamm auszuhöhlen, war ihm schon damals gekommen, als er die Trümmer der spanischen Boote sah. Aber es war ihm unmöglich, sich vorzustellen, wie er sich solche Planken verschaffen und ihnen die gewünschte Form geben sollte. Dunkel kam ihm zum Bewußtsein, daß die Boote der Papalagi gebaut waren wie der Körper eines Mannes, mit einem Rückgrat und Rippen und einer Decke für die Rippen. Er verstand auch, daß man auf diese Weise eine genügende Schiffsbreite erhielt, so daß der Ausleger entbehrlich wurde. Aber wie stand es mit der Geschwindigkeit? Seiner Meinung nach konnte ein so dickes, häßliches Boot nicht schnell fahren.

In den früheren Zeiten, von denen Aioma noch wußte, drückte sich Häßlichkeit nur auf zweierlei Weise aus: entweder verrieten die Umrißlinien Mangel an Schnelligkeit oder Mangel an der nötigen Stärke.

Dick war ebenso braun wie der Kanubauer, und man hätte ihn fast für einen echten Eingeborenen halten können. Aber er war Tausende von Jahren jünger als Aioma, ebenso wie das Kielboot Tausende von Jahren jünger war als das Fischerkanu, das ihn eben über die Lagune getragen hatte.

Aioma erkannte, daß Dick Gewandtheit und Kraft besaß, aber mehr sah er nicht; er war blind für die adligen Züge dieses kühnen Gesichtes, für den durchdringenden, weiten Blick der Augen, für die hochgeschwungenen Brauen. Und an dem fremden Boot vermißte er die Geschwindigkeit; er war blind für die hochentwickelte Form, die es einem modernen Kriegsschiff ähnlich machte.

Aioma war ein einfacher Kanubauer und Werkmann, aber ein Kritiker wie jeder wirkliche Meister, und er verspottete das fremde Boot. Zuerst kicherte er nur leise in sich hinein, dann gluckste er wie eine Henne, und schließlich lachte er aus vollem Halse.

»Was ist denn Kopf, und was ist Schwanz an diesem Schweinefisch?« fragte er. »Und wie viele Fahrzeuge hat der Mann gemacht, der dieses gebaut hat?«

Dick hatte das Boot immer mit Kearney in Verbindung gebracht und geglaubt, daß dieser es gefertigt hätte, genau wie er auch die kleinen Schiffsmodelle hergestellt hatte. Das Lachen des Alten tat Dick weh. Vielleicht empörte sich in ihm die weiße Rasse gegen die Verachtung, mit der der Halbwilde die Werke der weißen Männer betrachtete. Wie es auch sein mochte, er wandte sich um und eilte zu dem Hause Uta Matus, das er und Katafa jetzt bewohnten.

Im Schatten standen dort auf einem schnell angebrachten Seitenbrett die kleinen Schiffsmodelle, die er so sorgsam von der Insel der Palmbäume gerettet hatte: die Fregatte, der Schoner, das Vollschiff mit aller Takelage und der Walfischfänger. Sie waren das letzte Band, das ihn mit der Zivilisation verknüpfte. Früher hatte er mit ihnen gespielt, aber nun waren sie keine Spielzeuge mehr, sondern Fetische aus einer Welt, deren Sprache er verlernt hatte.

Er nahm den Schoner, trug ihn hinaus und lief zu einem Teich im Korallenriff. Dann rief er Aioma, daß er kommen und sehen sollte, wie groß die Kunst des Erbauers war.

Der Teich war zehn Meter lang und etwa acht Meter breit. Seine Oberfläche kräuselte sich im Wind, der vom Meer her blies; das Wasser war klar wie Kristall, der Grund von roten Korallen bedeckt. Eine kleine Schar winziger Fische, kaum größer als Nadeln, schwamm wie eine silberne Wolke bald hierhin, bald dorthin. Dick kniete am Rand nieder und ließ den Schoner ins Wasser. Aioma legte die Hände auf die Knie, beugte sich vor und beobachtete das kleine Fahrzeug, das mit festgestelltem Steuer das Wasser durchschnitt. Der Westwind füllte die Segel und trieb es vorwärts. Katafa war zur Ostseite hinübergeeilt, um es dort in Empfang zu nehmen.

Aioma sah zu. Dick lief auf die andere Seite des kleinen Teiches und zeigte dem Alten, wie das kleine Boot beinahe gegen den Wind segeln konnte. Er kannte jede Stange und jede Schnur an dem Modell; er wußte, wie man die Segel hissen und herunterlassen mußte und wie sie gerefft wurden. Wäre er auf einen wirklichen Schoner gekommen, so hätten ihn diese Kenntnisse befähigt, ihn zu steuern.

Aioma sah dem Schauspiel fasziniert zu. Schließlich kniete er am Rand nieder und half, dem kleinen Modell einen anderen Kurs zu geben, wenn es an den Rand kam. Und die beiden Erbauer der zukünftigen Flotte von Karolin spielten wie die Kinder, während der kleine Schoner auf dem Liliputozean von Hafen zu Hafen segelte. Die Wellen schaukelten ihn, wie sie die untergegangene »Raratonga« geschaukelt hatten, die Kearneys Modell für das Spielzeug gewesen war.


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