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2

»Nie wieder werden wir Karolin sehen!«

Der Himmel wiederholte diese Worte Aiomas, die Sonne und das Meer riefen sie ihm zu. Nie mehr würde er Katafa sehen oder ihre Stimme hören; nie wieder würde sie die Arme um ihn schlingen. Das harte, heiße Deck unter ihm, die stechende Sonne, die auf seinen Rücken niederbrannte, das Rauschen der Wogen, das Stöhnen und Knirschen der Schiffsplanken – das alles gehörte zu seinem Elend, zu der qualvollen Sehnsucht, die an seinem Herzen nagte.

Er liebte Katafa, wie nur ein Mann eine Frau lieben kann, wie ein Kind seine Mutter und wie eine Mutter ihr Kind liebt. Er, der Männer getötet hatte und dem Tod trotzte, war selbst im Innersten noch ein leidenschaftliches, liebebedürftiges Kind, das die Schrecken des Lebens nicht kannte und nichts von der Trauer der Trennung wußte, die zugrunde richtet. Nie hatte er früher solchen Schmerz empfunden.

Le Moan sah auf ihn nieder und wußte alles. Der Schmerz hatte ihn so gepackt, weil er sich nach Katafa sehnte. Sie selbst hatte ebenso auf der Korallenbank am Ufer gelegen, verzehrt von Sehnsucht nach ihm.

Hätte sie erklärt, daß sie die Richtung wieder wüßte und das Schiff nach Karolin zurücksteuern könnte, so wäre er sofort getröstet gewesen. Aber damit hätte sie ihn ja nur in Katafas Arme zurückgeführt.

Das konnte sie nicht tun.

Ihr Herz, das kein Erbarmen für die Umwelt hatte, schlug menschlich nur für ihn. Kühn hatte sie sich in die unbekannte Ferne gewagt und hatte dem Tod getrotzt, um sein Leben zu retten. Aber um ihn von diesem Leid zu befreien, brachte sie kein erlösendes Wort über die Lippen.

Aioma beobachtete ihn vollkommen ungerührt. Wäre Dick von einem Speer oder einer Keule verwundet worden, so hätte sich der Alte um ihn gekümmert. Aber Seelenqualen waren Aioma unbekannt, und mit Unbekanntem kann man kein Mitgefühl haben.

Als sich Dick schließlich wieder erhob, die Hände auf die Reling legte und verstört nach Süden schaute, stimmte Aioma wieder seine Klage an, erbarmungslos und unaufhörlich, während der Wind wehte und Poni das Schiff mit immer gleichem Kurs dem hoffnungslosen Süden entgegensteuerte.

»Nie wieder werden wir Karolin sehen!« rief Aioma. »Uta hat uns in seinen Netzen gefangen. Nie mehr werde ich an den Kriegskanus arbeiten oder große Fische zur Nachtzeit fangen, während die Knaben die Fackeln halten. Und die großen, gewaltigen Aale werden sich durch das Wasser winden, und niemand wird sie fangen können. Diese ayat hat uns auf das weite Meer gebracht und uns verwirrt, so daß wir nicht mehr wissen; wo wir sind. Dieser Wind ist der Atem von Le Juan, und ich fluche ihm. Was soll nun werden, Taori? Sollen wir weiter mit dem Winde fahren oder dagegen? Sollen wir weiter nach Süden, e haya, segeln, wo nichts zu sehen ist, oder nach Osten, e hola, wo nichts zu sehen ist?«

Taori wandte sich zu ihm. »Ich weiß es nicht, Aioma, ich weiß es nicht. Es ist alles dunkel in mir.« Seine Blicke wanderten zu Le Moan, dann zu Poni, der am Steuer stand, dann wieder auf die weite See.

Aioma hatte ihm gesagt, daß er Le Moan als Pfadfinder mitnehmen wollte. Dick hatte sich wenig darum gekümmert, er hatte nicht einmal fest daran geglaubt, daß sie von überallher das Schiff zurücksteuern könnte, sondern sich auf die nördliche Strömung und auf das Lagunenlicht von Karolin verlassen. Sie waren verschwunden, aber erst die bitteren Worte Aiomas raubten ihm die letzte Spur von Hoffnung.

Er traute dem Alten in allen Dingen der Schifffahrt. Wenn Aioma sagte, daß sie verloren wären, dann stimmte das.

Ein dunkler Instinkt trieb ihn dazu, sich vom Meer, vom Himmel und der erbarmungslosen Sonne abzuwenden. Er verließ das Deck und stieg die Treppe zu dem Salon hinunter. Zwischen dem Tisch, den Stühlen und den Kojen, die noch nicht wieder in Ordnung gebracht waren, nahm sich seine fast nackte Gestalt seltsam genug aus.

Dick sah sich einen Augenblick um und ging dann zu der Koje, in der Carlin früher geschlafen hatte. Er setzte sich auf den Rand, beugte sich vor, stützte die Arme auf die Knie und senkte den Kopf. So hatte vor langen, langen Jahren sein Vater gesessen, als Emmeline im Wald verschwunden war später mit einem Kind, Taori, auf den Armen und zurückkehrte.

Oben an Deck wandte sich Poni an Aioma.

»Und was sollen wir jetzt machen, nachdem Le Moan nicht mehr die Richtung kennt? Wohin soll ich steuern?« Während er sprach, zitterte das Hauptsegel und warf längliche Falten, aber dann glättete es sich wieder.

Der Alte wandte sich um. Vor sich sah er noch das vom Wind bewegte Wasser, aber in einiger Entfernung glich das Meer einem Spiegel.

»Der Wind verliert seine Schwingen«, sagte Poni, der auch nach dieser Richtung schaute.

Wieder zitterte das Hauptsegel, und es war, als ob ein Schauder durch das ganze Schiff liefe.

Ja, der Wind verlor seine Schwingen, er starb, matt und erschöpft. Das Rauschen der Kielwoge hörte allmählich auf, und das Schiff gehorchte dem Steuer nicht mehr.

Le Juans Atem wurde schwächer, und Aioma, der ihn verflucht hatte, sah nun, wie sich die Stille auf dem Wasser immer weiter ausdehnte.

Poni ließ das Rad los.

Es gab nichts mehr zu steuern. Ein Schiff ist nur so lange ein Schiff, als es sich bewegt. Aber der Schoner schwankte jetzt nur noch auf den geringen Wellen. Die Mastspitzen zeichneten merkwürdige Figuren an den Himmel, und die schlaffen Segel klatschten gegen die Takelage. Aioma wandte den Blick nach Norden. Er fühlte die Stille, er hatte einen besonderen Sinn für das Wetter. Er überlegte, was die Stille zu bedeuten hatte, und er wußte, daß sie groß war und lang andauern würde. Immer ruhiger wurde die Oberfläche des Wassers, bis sie schließlich glatt war und wie geschliffenes Kristall glänzte.

Aioma erinnerte sich jetzt, daß er den Wind verflucht hatte. Er drehte sich um und wollte mit Le Moan sprechen, aber sie war gegangen.

Sie war Dick zum Eingang der Kajütentreppe gefolgt. Dort blieb sie einen Augenblick stehen und lauschte.

Da sie nichts weiter hörte, wartete sie, bis Aioma den Rücken gewandt hatte, und stieg dann vorsichtig die Stufen hinunter, ebenso langsam wie in jener Nacht, in der sie ganz allein und unter Einsatz ihres Lebens die weißen Männer angriff, um Taori zu retten.

Als sie die Tür der Kabine erreicht hatte, sah sie ihn auf dem Rand der Koje sitzen. Er hatte die Ellbogen auf die Knie gestützt und das Gesicht in den Händen vergraben. Über ihm, bald an der Decke, bald an der Wand zitterte dasselbe Reflexlicht, das damals über dem schlafenden Carlin getanzt hatte. Nur war es jetzt ein goldener Schmetterling. Die leichten Wellen, die durch das Rollen des Schiffes auf der Meeresoberfläche gebildet wurden, gaben ihm die Bewegung, die Sonnenstrahlen die goldene Farbe.

Le Moan ging zu Dick, setzte sich neben ihn und legte ihre Hand auf seine Schulter.

Er wandte sich zu ihr. Wie ein Kind hatte er geschluchzt und geweint und sich immer mehr seiner Verzweiflung hingegeben. Das Mitgefühl einer Frau tat ihm wohl; es milderte das Unglück, wenn es ihn auch nicht davon befreien konnte. Er legte die Arme um ihren Nacken und klammerte sich an sie, um wie ein Kind bei der Mutter Trost zu finden.

Le Moan schlang die Arme um seinen nackten Körper, drückte ihre Lippen auf seinen Hals, schloß die Augen und war glücklich. Sie war im Paradies; unbekümmert um Leben oder Tod, unbekümmert um die Welt hielt sie ihn dicht an sich geschmiegt. Für einen kurzen höchsten Augenblick des Glückes gehörte er ihr. Daß sie ihm nichts bedeutete, war gleichgültig; daß nur Trauer und nicht Liebe ihn in ihre Arme getrieben hatte, bedeutete nichts. Sie hielt ihn umschlungen.

Wenn es sich um Taori handelte, triumphierte Le Moans Seele über ihren Körper. Heirat und körperliche Vereinigung hätten ihr nicht mehr geben können als dieser eine große, selige Augenblick. Sie hielt ihn umschlungen.

Und über ihnen tanzte der goldene Schmetterling, den niemand fangen oder brutal behandeln konnte. Ein seltsames Ding, geboren aus Licht, Meer und Zufall, golden bei Tage und silbern im Mondschein, flüchtig wie die Träume, die Carlin zum Tod geführt hatten, und unfaßbar wie die Liebe, die Le Moan dazu brachte, ihn zu töten.

Allmählich kehrte Le Moan zur Wirklichkeit zurück. Ihre Arme sanken nieder, und sie erhob sich. Halb blind und betäubt von dem Überschwang ihres Gefühls tastete sie ihren Weg, fand die Tür, die Treppenstufen und das Deck. Oben standen Aioma und Poni, der das Steuerrad nicht mehr drehte, an der Reling.


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