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Dritter Teil

1

Während Rantan in der Morgendämmerung die kleine Koralleninsel erblickte, erwachte auf Karolin Aioma, der mit dem Gedanken an den großen Schoner eingeschlafen war und auch von ihm geträumt hatte.

Dick hatte versprochen, heute mit ihm an Bord zu gehen, und als Schiffsbauer wünschte der alte Mann nichts sehnlicher, als diesen Vorsatz auszuführen. Das Kind, der Knabe erwachte wieder in ihm. Er wollte den Schoner selbst steuern, er wollte fühlen, wie der Wind die großen Segel schwellte, wie das große Schiff auf den Druck des Steuers antwortete und sich leicht zur Seite neigte. Alle Teile wollte er kennenlernen; er war gespannt, wie die Holzstücke aneinandergefügt, wie die großen Masten und die Takelage befestigt waren.

Aioma war ein Greis. Er hätte hundert Jahre zählen können. Aber niemand wußte sein genaues Alter, denn auf Karolin gab es keine Uhren, und man zählte die Jahre nicht. Er war zu alt, um zu kämpfen, aber er war nicht zu alt, um sich zu freuen.

Mit der Schleppangel große Fische zu fangen oder die Riesenaale im Meer zu töten, war für ihn höchstes Vergnügen. Das war so interessant und aufregend wie ein Kampf mit Dämonen und bösen Teufeln. Und ebenso groß war sein Entzücken, wenn er Riesenbaumstämme zu Booten formen konnte, deren Gestalt er nachts im Traum gesehen hatte. Denn Aioma sah seine Kanus im Schlaf und träumte von ihnen, bevor er sie in Wirklichkeit baute. Und es hätte ihm unheimlichen Spaß bereitet, wenn er Rantan die Glieder hätte brechen und ihn dann den Haifischen zum Fraß an das Riff hätte binden können. Aber er hatte es nicht getan, weil die Frauen den Mann für sich verlangten und ihn zu Tode quälen wollten, wie es ihnen gefiel.

Aioma war noch rüstig im Geist und lebhaft wie die Jüngsten. Nur im Krieg und in der Liebe konnte er nicht mehr mit ihnen wetteifern.

Er ging an das Ufer der Lagune und sah zu dem Schoner hinüber. Da alle Kanus zerstört waren, mußten sie das Boot benützen, in dem Le Moan an Land gekommen war.

Einen Augenblick blieb der alte Mann bei den Trümmern der Kanus stehen. Die Fischerboote waren vernichtet wie die Kriegskanus, aber die Götter hatten ihnen Ersatz dafür geschenkt. Denn vor ihm lag der große, prächtige Schoner, der stärker und mächtiger war als alle Kriegsflotten, die die Einwohner von Karolin zur See gesandt hatten. Und da lag auch das Boot, ein feiner Vierruderer mit schlanken, geschweiften Formen und mit weißer Farbe angestrichen – eine Freude für das Auge.

Am vergangenen Tag hatte er das Fahrzeug schon mehrmals innen und außen untersucht, und als sein Blick nun darüber glitt, kamen ihm neue Gedanken und Erkenntnisse.

Was bedeuten Kanus neben solchen Schiffen? Und warum überhaupt noch Kanus bauen? Warum sich die Mühe machen, große Baumstämme auszuhöhlen und mühsam von außen mit der Axt zu bearbeiten? Wochen, viele, lange Wochen hatte man zu tun, um ein Kanu herzustellen, und eins dieser schönen Schiffe nützte mehr als eine große Flotte von Kanus. Wenn Taori die Männer auf der nördlichen Insel angreifen wollte, warum sollte er dann nicht den Schoner dazu nehmen?

Während er noch über diese Ideen nachdachte, kam Dick zu ihm, der auch frühzeitig erwacht war. Katafa begleitete ihn.

»Taori, wir wollen hinüberfahren, du und ich«, sagte Aioma. »Das Schiff gehört uns, und bevor wir beide allein es nicht genau betrachtet haben, soll weder die Hand noch der Fuß eines anderen Mannes es berühren. Hilf mir.« Er legte seine Hand auf das Schanzdeck des Bootes, und Dick, der ebenso eifrig war wie Aioma, rief Katafa zu, ihm zu helfen. Er trat auf die andere Seite des Vierruderers, sie schoben das Boot ins Wasser und sprangen hinein.

Aioma hatte gelernt, ein Ruder zu handhaben; der schwere Eschenriemen lag leicht in seiner Hand. Mit schnellen Schlägen trieben sie den Vierruderer über die glitzernde Wasserfläche der Lagune. Katafa stand noch am seichten Strand und sah ihnen nach. Die kleinen Wellen netzten ihre Füße.

Dick hatte sie nicht gebeten, ihn zu begleiten. Es war, als ob sich der Schoner wie ein Rivale zwischen sie gedrängt hätte, als ob er Dick im Augenblick begehrenswerter erschiene als sie selbst.

Schon früher hatte sie ein ähnliches Gefühl gehabt, nur war es ihr nicht so deutlich zum Bewußtsein gekommen. Immer hatte sie die kleinen Schiffsmodelle gehaßt, die Kearney mit seinem Taschenmesser geschnitzt hatte. Sie waren Zeugen und Vertreter der großen, fernen Welt, die sie nur ahnen konnte. Eine bange Furcht beschlich sie, daß die Kräfte dieser Welt eines Tages in ihr stilles Reich eindringen und sie von Dick trennen könnten.

So oft Dick die Schiffsmodelle betrachtete, versank er in tiefe Gedanken und vergaß Katafa vollständig. Er war dann viel weiter von ihr entfernt, als wenn er auf den Fischfang fuhr.

Natürlich mußte er dazu hinausfahren, denn die Fische kamen nicht von selbst ans Ufer. Und wenn er fischte, konnte er nicht an sie denken. Das verstand sie. Trotzdem fühlte sie, daß er ihr nahe war. Aber wenn er über die kleinen Schiffe nachgrübelte, war sein Geist weit fort; sie sah es an seinen Blicken, an seinem Gesichtsausdruck, an seiner Haltung.

Und jetzt, als dieses große Wunder von einem Schiff ihm vom Schicksal zum Spielzeug geschenkt wurde, wuchs das feindselige Mißtrauen in Katafa mehr und mehr und kam offen zum Ausbruch.

Sie hatte fast das Gefühl, daß eine andere Frau einen Zauber um ihn gewoben hätte, um ihn ihr zu entfremden. Und dieses Gefühl täuschte nicht, denn der Schoner war ja ein Geschenk Le Moans.

*

Als der Vierruderer an der Seite der Kermadec anlegte, flatterten die Möwen auf und flogen davon. Mit der Flut hatte sich das Schiff wieder mit dem Heck nach dem Tor des Morgens eingestellt. Das Wasser war so kristallklar, daß man mit dem Auge bis auf den Grund schauen konnte, wo der Anker lag. Dick und Aioma sahen deutlich die Kupferplatten, mit denen die Kermadec unter der Wasserlinie beschlagen war. Ein paar Strähnen Seetang hingen daran; Fische spielten in dem dunklen, geheimnisvollen Grün des Schiffsschattens.

Die beiden banden ihr Boot an der Ankerkette fest und kletterten nacheinander an Bord empor. Oben blieb Dick stehen und sah sich nach allen Seiten um.

Seitdem er als Kind an Bord der »Raratonga« geweilt hatte, war sein Fuß mit keinem Schiffsdeck mehr in Berührung gekommen. Er konnte sich nicht mehr darauf besinnen, daß Kearney ihn damals in das Rettungsboot gebracht hatte. Nur eine ferne, ungewisse Ahnung all jener Vorgänge lebte noch in ihm, eine Erinnerung an den unvergeßlichen Geruch eines Schiffes in tropischen Gewässern nach Teer, Teakholz und Tauwerk, verstärkt durch die Glut der Sonnenstrahlen und vermischt mit dem würzigen Salzhauch der See.

Zuerst schweiften seine Blicke über das Deck, dann schaute er nach oben. Er kannte die Bezeichnung aller wichtigen Teile des Schiffes und der Takelage, und zwar in Englisch. Sie waren ihm von Kearney so intensiv eingeschärft worden, daß er sie nicht vergessen konnte. Inzwischen hatte er sie auch Aioma beigebracht, als er ihm die Modelle zeigte und damit spielte.

Lehrer und Schüler standen schweigend, während ihr Geist von diesem großen Wunderwerk Besitz nahm. Dann klatschte Aioma in die Hände, lief wie besessen auf dem Deck herum, kletterte die Leitern hinauf und schwang sich an den Tauen. Allmählich wurde er ruhiger und schaute bald hierhin, bald dorthin, in den Eingang zur Küche oder auf die Treppe, die zu den Mannschaftsquartieren führte.

»Es ist genau so schön wie in meinem Traum«, rief er, »nur ist alles viel größer und herrlicher. Und dieses Riesenschiff gehört uns, Taori! Wir wollen damit aus der Lagune fahren und ins offene Meer segeln – e manta Tia kau – wir werden die Segel mit Wind füllen, und die werden allen Wind fressen, daß keiner mehr übrigbleibt für die kleinen Kanus auf allen Inseln.« Während er vergnügt schwatzte, lief er umher, und immer wieder wanderte sein Blick nach Backbord, als ob er dort etwas suchte. Die alte Vorstellung von dem Ausleger beherrschte ihn immer noch. Diese jahrhundertealte Tradition lebte in ihm weiter. Gefühlsmäßig fehlte ihm etwas, wenn ihm auch sein Verstand sagte, daß der Schoner an Stelle des Auslegers eine genügend große Breite und Tiefe besaß, um Wind und Wellen trotzen zu können.

Dick betrachtete den Kompaß, mit dem er nichts anzufangen wußte, und wandte sich dann dem Steuerrad zu. Mit Bewußtsein hatte er noch kein Rad irgendwelcher Art gesehen und konnte sich daher auch nicht vorstellen, wozu man es benützte. Kearneys Schiffe waren alle mit einem direkten Steuer versehen. Aioma erschien das sonderbare Ding ebenso rätselhaft wie Dick.

»Le Moan wird es wissen«, sagte er schließlich, »und die Männer werden es wissen, die sie mitgebracht hat. Aber sieh einmal hierher, Taori.«

Er stand am Eingang zu den Kajüten und zeigte die Treppe hinunter. Oben an Deck war er tapfer, aber wie Le Moan schreckte er vor den Innenräumen des Schoners zurück. Er kannte den Zweck einer Treppe nicht, und er hatte auch noch nie Stufen gesehen. Und Dick hatte jede Erinnerung daran verloren. Aber er empfand keine Furcht, als er in das Halbdunkel hinunterschaute; er staunte nur.

Er ließ Aioma oben und stieg vorsichtig Stufe für Stufe hinab. Ab und zu blieb er stehen, um zu lauschen.

In dem Salon herrschte noch größte Unordnung, und ein widerlicher Geruch schlug ihm entgegen. Es ekelte Dick vor dem Platz, nachdem er ein paar Augenblicke lang seine Neugierde befriedigt hatte.

Er zog sich langsam zurück, als ob die Umgebung sich an ihn klammern und ihn festhalten wollte. Aber in der Hand hielt er ein Gewehr, das er aus dem Ständer genommen hatte. Seine scharfen Augen hatten sich die Form der Waffe gut eingeprägt, als Rantan sie vom Boot aus benützte. Als er das todbringende Instrument so nahe vor sich sah, konnte er der Versuchung nicht widerstehen, es in die Hand zu nehmen. Er brachte es an Deck, wo Aioma auf ihn wartete. Die beiden betrachteten es eingehend, wußten aber nichts damit anzufangen.

»Laß es in Ruhe«, sagte der Alte endlich und lehnte das Gewehr gegen den Aufbau des Decklichtes für die Kapitänskabine. »Le Moan wird es kennen oder einer der Leute, die mit ihr gekommen sind.«

Aioma schaute sich aufs neue um. Er ahnte nichts von dem Gebrauch des Steuerrades und suchte deshalb immer nach der Steuerung. Auch Dick hatte sich zu Anfang danach umgesehen, aber dann hatten andere Dinge seine Aufmerksamkeit abgelenkt.

Schließlich beruhigte sich Aioma. »Das macht nichts. Ich weiß nicht, wie man dieses große Schiff leiten soll, wenn sich die Segel mit Wind füllen, aber Le Moan weiß es sicher genau.«


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