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11

Damals blühte noch der Handel mit Sandelholz, der später einging, als Kopra ein begehrter Artikel wurde. In jener Zeit verkehrten noch keine Postdampfer in diesen Gegenden, und die Einwohner von Honolulu hatten noch nicht gelernt, in der Sprache von San Franzisko zu reden. Sanders hatte den Sandelholzhandel von Levua monopolisiert und zahlte den Eingeborenen dafür in Waren. Er gab ihnen für einen Baumstamm soundso viel Päckchen Tabak, bunte Glasperlen oder Eisenstücke, aus denen sie Messer schmieden konnten. Er gab diese Dinge dem Häuptling Tahuku. In dem Preis war auch einbegriffen das Fällen der Bäume, das Entfernen der Rinde und das Zersägen in einzelne Blöcke. Tahuku arrangierte das alles. Er war der Kapitalist von Levua, obwohl sein einziges Kapital in seiner Härte und Strenge bestand. Eigentlich gehörten die Bäume nicht ihm, sondern der Allgemeinheit. Die geschnittenen Holzklötze, die in Sanders' Schuppen aufgestapelt waren, wurden jetzt in den Booten zu dem Schoner hinübergebracht. Es bildete sich eine lange Kette von Leuten, und die einzelnen Stücke wanderten von Hand zu Hand, bis sie sich in den Ladeluken türmten.

Es ging nur langsam vorwärts, und Le Moan sah zu, ohne zu verstehen, was das bedeutete. Sie wußte nichts von Handel, sie wußte nur, daß Sru ihr versprochen hatte, das Schiff bald, sehr bald nach Süden zu steuern und wieder nach Karolin zu fahren. Sie glaubte ihm, weil sie instinktiv erkannte, daß er die Wahrheit sprach. Deshalb wartete sie und wartete, während die Ladung genommen wurde, Tag für Tag, Woche für Woche. Auch Sru und Rantan mußten sich vorläufig zufrieden geben, denn erst wenn die Ladung untergebracht war, kamen Wasser und Proviant an Bord, der hier hauptsächlich aus Bananen und anderen Früchten bestand.

Am Abend vor der Abfahrt wurden Wasser und Lebensmittel an Bord gebracht. Peterson ging mit Rantan an Land, denn sie waren von Sanders zum Essen eingeladen worden. Carlin blieb zurück, um auf dem Schiff Wache zu halten.

Es war ein schöner Abend. Die Sonne sank in purpurner Pracht und vergoldete den weißen Gischt der schäumenden Brandung, die hohen Berge und die Wälder. Carlin lehnte an der Reling und beobachtete das Boot, das an Land gerudert wurde. Sru führte das Schlagruder, Peterson steuerte. Am Ufer stiegen der Kapitän und Rantan aus und verschwanden im Grün der Bäume. Allem Anschein nach hatten sie befohlen, daß das Boot an der Küste auf sie warten sollte, denn Sru und seine Leute kehrten nicht zu dem Schiff zurück. Sie setzten sich in den Sand, steckten ihre Pfeifen an und spielten su-ken. Dabei warfen sie kleine Kieselsteine und Korallenstücke in die Luft und fingen sie mit der Rückseite der Hand geschickt wieder auf.

Auch Carlin steckte seine Pfeife an. Was er hier beobachtete, war interessanter als irgendein Theaterstück, denn er wußte, daß die Stunde der Entscheidung geschlagen hatte. Es war alles für die Abfahrt bereit; am nächsten Morgen sollte der Schoner die Anker lichten.

Unverwandt sah Carlin zum Ufer hinüber. Das Haus des Händlers und die Vorratsschuppen lagen nur hundert Meter in den Wald hinein. Eine Viertelmeile weiter, am Rande der Sandelholzwälder, erhob sich das Dorf. Würden die Eingeborenen es hören, wenn sich ein Kampf in dem Haus von Sanders abspielen sollte? Das war kaum anzunehmen, wenn es nicht gerade zu einer Schießerei kam. Aber wie sollte es sonst gemacht werden? Wie – wie – wie?

Carlin strich mit der Hand über die Stirn. Er wollte sich nicht mit diesen Einzelheiten abgeben. Wieder beobachtete er die Kanakas am Ufer, und dann sah er plötzlich, daß Sru sich erhob, als ob er von dem Spiel genug hätte. Er streckte sich und ging zu dem Boot hinüber, in dessen Nähe ein Fischerkanu lag. Nachdem er es einige Minuten betrachtet hatte, wandte er seine Aufmerksamkeit dem Kanu zu.

Er untersuchte den Ausleger, trat mit dem Fuß darauf, bückte sich dann und nahm etwas aus dem Innern. Es war ein Fischspeer mit einer langen, eisernen Spitze. Plötzlich erinnerte sich Carlin daran, daß auch Rantan bei der Landung einen Blick in das Kanu geworfen hatte, aus Neugierde oder um sich zu vergewissern, daß der Speer bereitlag – wer konnte das sagen?

Der Fischspeer schien Sru zu interessieren. Er wog ihn in der Hand, als ob er ihn schleudern wollte, prüfte dann die Spitze, ging mit der Waffe zu seinen Kameraden zurück, die noch am Ufer saßen und spielten, und setzte sich zu ihnen. Carlin sah, daß er ihnen den Speer zeigte und damit gestikulierte. Wahrscheinlich erzählte er ihnen alte Geschichten von seiner Jagd auf große Fische vor dem Riff von Sorna. Schließlich warf er die Waffe neben sich in den Sand, und legte sich auf den Boden zurück, während sich die anderen wieder ihrem Spiel zuwandten.

Dann brach die Dunkelheit herein, und die Sterne leuchteten klarer und klarer, bis sich die Milchstraße am Himmel in ihrer vollkommenen Schönheit zeigte. Das Ufer glich einer Geisterküste, aber die Gestalten hoben sich klar von dem hellen Sand ab, besonders Sru, der sich plötzlich erhoben hatte, als ob er etwas gehört hätte. Er hielt den Speer in der Hand, stand einen Augenblick still, lief dann in den Wald hinein und verschwand zwischen den hohen Bäumen.

Carlin wandte sich von der Reling ab und spuckte. Seine Hände schwitzten, und bei jedem Herzschlag hämmerte das Blut in seinen Ohren. Die Kanakas an Bord lagen im Vorschiff in ihren Kojen. Einer sang ein melancholisches, eintöniges Lied, das kein Ende nehmen wollte. Das ganze Deck lag verlassen, nur Le Moan war zu sehen. Carlin war außer sich vor Erregung. Er wagte es nicht mehr, zur Küste hinüberzusehen und taumelte wie ein Betrunkener auf dem Deck auf und ab. In seiner Hilflosigkeit rief er Le Moan an und wollte mit ihr sprechen.

»He, du Kanakamädchen«, schrie er, »an der Küste ist etwas los – verdammt, sie kann kein Englisch. Warum redest du nicht? Warum starrst du mich so blöde an? Weck doch die Kerle vorn im Schiff auf – ruf sie! Wir müssen bald den Anker lichten ...«

Als sie sich nicht rührte, lief er selbst zum Eingang der Mannschaftskojen und rief nach unten, daß die Leute aufstehen und mit ihrer verrückten Singerei aufhören sollten, weil am Ufer etwas passiert wäre. Dann stolperte er die Treppe hinunter zum Speisezimmer und hämmerte mit beiden Fäusten an die Tür des Schrankes, in dem der Whisky stand. Er schlug so lange dagegen, bis die Füllungen barsten, packte eine Flasche und schlug den Hals an der Tischkante ab. Als er trank, bluteten seine Lippen von den scharfen, zackigen Glassplittern.

Ein Viertel der Flasche war geleert, als er in einen Sessel sank. Der Alkohol tat seine Wirkung und ließ die Erregung ebenso schnell abklingen, wie sie gekommen war.

Le Moan und die Kanakas, die an Bord geblieben waren, schauten zum Ufer hinüber. Plötzlich kam Rantan aus dem Wald und eilte zu dem Schiffsboot. Sru folgte ihm auf dem Fuß.

Dann hörten sie, wie der Vormann den Kanakas im Boot zurief: »Tahuku hat die weißen Männer ermordet, den Händler und den Kapitän!« Beim Licht der Sterne wurde das Boot ins Wasser geschoben, und kurze Zeit später legte es am Fallreep an. Einige Kanakas eilten zur Winde und lichteten den Anker, andere setzten die Segel. Carlin hatte die Leute schon in Aufregung gebracht, aber Srus Worte jagten ihnen einen furchtbaren Schrecken ein. Tahuku war ausgezogen, um zu morden! Sie arbeiteten mit doppelter Anstrengung und Hast und riefen einander zu. Carlin hörte den Aufruhr an Deck, stellte die Whiskyflasche in einen kleinen Schrank, taumelte die Treppe hinauf und fiel oben Rantan beinahe in die Arme.


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