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7

Sie saßen zusammen auf dem Hauptdeck in der Nähe der Schiffsküche. Die Kaffeetöpfe standen neben ihnen, und die Teller hatten sie auf den Knien, während die Kermadec mit einem ruhigen Kurs von sieben Knoten in der Stunde sich leicht nach Steuerbord überneigte.

Der Koch hatte die Speisen verteilt, und während sie aßen, unterhielten sie sich. Er war ein großer Mann, hatte aber eine Kinderstimme. Nach Art der Kanakas erzählte er im allgemeinen und ohne sich an einen einzelnen zu wenden von seinem Heimatdorf.

Von der Welt ringsum – mit Ausnahme von Soma und den südlichen Inseln – wußten Sru, Peroii und die übrigen ebensowenig wie Le Moan.

Die Strahlen der untergehenden Sonne fielen auf die kleine Gesellschaft. Sru saß neben Peroii, und als der Wind die dunklen Locken Le Moans zurückwehte, sah der Kanaka die herrliche Perle, die sie kunstvoll hinter dem linken Ohr im Haar befestigt hatte.

Le Jenabon hatte ihrer Tochter diese Perle als Schutz gegen Ertrinken und Unfälle gegeben. Aber dieses Amulett sollte Le Moan auch eine glückliche Ehe mit einem Mann sichern, der sie achtete und ehrte. Aber ob der Liebeszauber nun wirkte oder nicht, Le Jenabon hatte ihrer Tochter jedenfalls einen Talisman von ungewöhnlicher Kraft gegeben. Einen Augenblick lang hatte der Wind die Perle enthüllt, und sie hatte zu Sru gesprochen. »Karolin ist eine Perlenlagune«, sagte sie zu ihm. Als dann Le Moan die Hand hob und die Locken hinter die Ohren legte, aß Sru weiter. Er schaute an seinen Gefährten vorbei in die Ferne und dachte an all den Reichtum, den er sich verschaffen wollte. Die Lagune von Karolin barg die größten Möglichkeiten für ihn, das verriet ihm die Perle hinter Le Moans Ohr. Aber Karolin lag weit hinter ihnen, und er würde es nie wiedersehen. Diese Gewißheit erfüllte Srus Herz mit Bitterkeit. Noch vor wenigen Minuten war er glücklich und frei von Sorgen gewesen, und nun war seine Seele dunkel und düster wie das Meer, wenn ein Sturm aus heiterem Himmel aufzieht. Er hatte eine Perlenlagune entdeckt – aber zu spät. Langsam stand er auf, verließ die anderen, ging zum Mannschaftsquartier, legte sich in seine Koje und grübelte über die Sache nach.

Es hatte keinen Zweck, mit Peterson darüber zu sprechen; der würde das Schiff niemals umkehren lassen, und selbst wenn er es tat, würde Sru nur wenig dabei verdienen. Vielleicht bekam er einige Päckchen Tabak oder ein Messer geschenkt, weil er es dem Kapitän gesagt hatte. Peterson war so gutmütig, daß er Le Moan rettete. Wenigstens glaubte er, sie gerettet zu haben. Aber wenn er mit den Eingeborenen handelte, war er ein harter Mann, und Sru kannte ihn.

Dann dachte er an den Schiffsmaat Rantan, mit dem er in seiner eigenen Sprache sprechen konnte wie mit einem Bruder. Rantan war halb ein Eingeborener, und doch gehörte er auch zu den Weißen.

Wenn er auch nicht die Macht besaß, das Schiff umkehren zu lassen, so war er doch vielleicht fähig, in der Angelegenheit etwas zu tun. Sru hielt ihn für so klug wie die anderen Papalagi. Seine Stimmung wurde besser, er stand auf und ging wieder an Deck.

Das Abendrot verblaßte am Himmel, dann wurde der Westen plötzlich dunkel, als ob sich eine Tür geschlossen hätte, und die Sterne strahlten blitzend auf. Die warme, feuchte Brise wehte dauernd mit gleicher Stärke. Sru sah nach vorn, wo sich der Bug in der regelmäßigen Dünung langsam hob und senkte, dann nach hinten zu dem Mann am Steuer, den er deutlich sehen konnte. Ein anderer lehnte an der Reling: der unförmigen Gestalt nach mußte es Carlin sein.

Rantan war nirgends zu sehen.

Dicht bei Sru lehnte Le Moan an der Ankerwinde. Sie hatte die Knie hochgezogen, die Hände darum geschlungen und schien zu schlafen. Aber sie wachte. Als Sru sich ihr zuwandte, hob sie das Gesicht, und er sah, wie ihre Augen im Sternenlicht aufleuchteten, die traurigen Augen dieses Mädchens, das seit der Abfahrt von Karolin wie in Trance zu wandeln schien. Sie ging auf dem Schiff umher wie eine Träumende, obwohl sie wußte, daß das schreckliche Unheil sich in Wirklichkeit ereignet hatte.

Sru vergaß Rantan sofort. Es war, als ob irgend etwas in seinem dunklen Innern Le Moan mit der Perlenlagune verknüpft hätte und als ob alle Möglichkeiten des Erfolgs von diesem Mädchen abhingen.

Sie hatte ihm die erste Anregung gegeben, aber er fühlte, daß sie noch mehr als das tun könnte.

Er setzte sich neben sie auf das Deck, sprach freundliche Worte zu ihr und fragte sie, warum sie so traurig sei. »Der Sturm, der die Leute deines Stammes fortnahm, hat auch viele andere Menschen umgebracht, so daß sie nicht wieder zurückkommen können. Das Meer gibt sie nicht wieder heraus, auch wenn wir ewig um sie trauern. So war es, so ist es, und so wird es immer sein. Es ist so töricht, sich totzugrämen um das, was geschehen ist. Die Korallen wachsen, die Palmen recken sich zum Himmel, aber die Menschen müssen sterben.« Als er dieses alte Sprichwort von den Südseeinseln wiederholte, hatte er Karolin, die Perlen und die Rumflaschen für einen Augenblick vergessen. Er dachte nicht an all die kleinen Dinge. Seine Worte brachen den Bann, der über Le Moans Seele lag, und sie vertraute ihm ihr Leid an. Hätte sie schweigen müssen, so wäre sie bald daran gestorben. Da Karolin nun so weit entfernt lag, konnte sie ohne Gefahr darüber sprechen, und sie erzählte Sru, daß nicht der Sturm ihre Stammesangehörigen verschlungen, und daß sie Peterson belogen hätte, damit er nicht den einen entdecken und töten sollte, den sie liebte. Zum erstenmal öffnete sie in der Sternennacht ihr Herz und sprach wie im Traum von ihrer Liebe zu Taori, von seiner Schönheit und Stärke, seiner Schnelligkeit und allem anderen. Nur davon sprach sie nicht, daß er schon eine Frau liebte – Katafa. Sie wußte es selbst noch nicht.

Sru hörte ihr aufmerksam zu und nahm ihre Worte in sich auf, wie ein Kanaka jede Erzählung aufnimmt, die er verstehen kann. Und dann brach dieser merkwürdige Mann, der eben noch so poetisch von dem Wachsen der Korallen und dem Scheiden der Menschen gesprochen und so liebevoll auf Le Moan eingeredet hatte, in lautes Lachen aus. Er stützte sich auf den Ellbogen und schüttelte sich.

Nur zu gut wußte er, daß der große Master Peterson Taori kein Haar gekrümmt hätte, daß er Le Moan gar nicht von der Insel fortnehmen wollte und das nur getan hatte, weil er sich einbildete, sie könne nicht für sich selbst sorgen. Er erkannte, daß sich Le Moan, die ihren Liebsten gegen eine gar nicht bestehende Gefahr hatte beschützen wollen, geopfert hatte und nun fortgenommen war von allem, was sie liebte. Sie selbst hatte die Falle gelegt, in die sie gegangen war. Und Sru erschien das alles wie ein guter Witz.

Er lachte wie ein Mädchen, das man kitzelt, dann wieherte er wie ein Büffel und würgte, als ob er eine Fischgräte verschluckt hätte. Schließlich wurde er ruhiger und begann zu erklären.

Aber all seine Erklärungen blieben wertlos, da Le Moan nicht verstehen konnte, warum der große Peterson sie von Karolin fortgenommen hatte. Er wollte sie nicht fortnehmen, und doch hatte er sie fortgenommen. Das konnte sie durchaus nicht begreifen.

Le Moan wußte nicht, was Mitleid war. Es war ihr bisher niemals von anderen Menschen entgegengebracht worden, und sie selbst hatte es nie gefühlt. Hätte sie sich selbst bemitleiden können, so hätte sie sich weinend und jammernd auf das Deck geworfen, als die Kermadec ihren Kurs nach Norden richtete und Karolin als ein kleiner Fleck am Horizont verschwand. Sie hatte sich geopfert für den Mann, der ihr ganzes Sein beherrschte. Sie hatte sich dem Unbekannten ausgeliefert, dem Schrecklichsten, was es für die Eingeborenen gibt, aber sie konnte durchaus nicht verstehen, warum Peterson etwas tat, was er eigentlich gar nicht tun wollte, obendrein für einen Menschen, der ihm fremd war und den er früher nie gesehen hatte.

Und um die Wahrheit zu sagen: auch Sru verstand es nicht ganz. Er wußte nur, daß es so war und ließ es dabei. Die weißen Männer waren eben zu so seltsamen und unberechenbaren Handlungen fähig. Für ihn lag das Komische darin, daß Le Moan sich selbst betrogen und Peterson für einen gefährlichen Mann gehalten hatte, während der Kapitän wiederum sich von ihr täuschen ließ und ihre Geschichte glaubte.

Er redete weiter und weiter, bis Le Moan schließlich verstand, daß Peterson auf keinen Fall Taori etwas zuleide getan hätte, aus welchem Grund er sie auch von der Insel mitgenommen haben mochte. Sie begriff, daß er nach dem Füllen der Wasserbehälter wieder gegangen wäre, wenn sie nur geschwiegen hätte. Starr vor Entsetzen erkannte sie, daß sie alles für nichts geopfert hatte.

Während Sru sprach, stieg in seinem Unterbewußtsein langsam ein Gedanke auf.

»Du wirst zurückkommen«, sagte er. »Höre, ich bin es, Sru, der mit dir spricht. Wir werden zurückfahren, du und ich. Die Perle hinter deinem linken Ohr gibt mir diese Gewißheit.«

Le Moan tastete mit der Hand nach dem Amulett, das in ihrem Haar verborgen war.

»Wir wollen zurückfahren, du und ich, und ein anderer Mann, vielleicht auch noch mehr Leute, die aber alle gut sind und Taori nichts tun. Aber Peterson, nein, der – nicht«, murmelte er, als ob er mit einem bösen Geist spräche. »Der würde nur alles für sich nehmen. Er allein kennt den Weg über das Meer und weiß, wie das Steuer gedreht werden muß, damit er nach Sorna oder nach Nalauka oder einer anderen Insel fahren kann. Er allein von allen Männern hier auf dem Schiff. Aber du bist eben so weise und klug wie er, so weise wie der Fregattvogel, der das Land weit hinter sich läßt und doch immer zurückfindet. Du wirst uns nach Karolin führen. Können deine Augen noch sehen, wo die Küste liegt?«

Le Moan streckte die Arme aus.

»Auch wenn ich blind wäre wie ein Sandwurm, würde ich den Weg finden, durch Nacht und Sturm. Aber wann soll es sein?«

»Niemand kann das Kommen dieses Tages beschleunigen, aber bald sollst du Taori wiedersehen. Die Perle hinter deinem linken Ohr hat mir das gesagt, und sie hat mir noch viel mehr gesagt. Antworte mir, damit ich sehen kann, ob sie die Wahrheit gesprochen hat. Sie hat mir gesagt, daß unten auf dem Boden der Lagune die Muscheln liegen, von denen sie kam – ist das eine wahre Rede?«

»Ja, an der Karaka-Bank liegen sie dicht nebeneinander, soweit man rudern kann vom Beginn der Flut bis zu ihrem Höhepunkt.«

»Dann hat sie die Wahrheit gesprochen. Wenn wir zurückkehren, wirst du Taori wiedersehen, und wir werden die Iyamamuscheln aus dem Wasser holen um der weißen Steine willen, die in ihnen verborgen sind, die Brüder der Perle, die du hinter dem Ohr trägst.«

Er berührte ihr Haar, erhob sich und ging zum Hinterschiff, während Le Moan, die plötzlich wieder zu ihrem eigentlichen Leben erwacht war, durch die Nacht und die Sterne schaute und von Taori träumte. Er stand an einer fernen, sonnenüberglänzten Küste, wog den Speer in der Hand und war schön wie der junge Morgen.

Aber Taori schlief in diesem Augenblick, müde von der Arbeit am Kanubau, und er hatte den Arm um Katafa geschlungen.


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